b) Verteidigungsrede des Stephanus – eine Anklagerede wider den Hohen Rat und die Juden, daß sie gleich ihren Vätern der Leitung Gottes und auch dem Gesetz widerstrebt haben
aa) Die Zeit der Erzväter
1Der Hohepriester fragte ihn nun: »Verhält sich dies so?« 2Da antwortete Stephanus: »Werte Brüder und Väter, hört mich an! Der Gott der Herrlichkeit erschien unserm Vater Abraham, als er noch in Mesopotamien wohnte, bevor er sich in Haran niedergelassen hatte, 3und gebot ihm: ›Verlaß dein Heimatland und deine Verwandtschaft und ziehe in das Land, das ich dir zeigen werde!‹ (1. Mose 12,1) 4Da wanderte er aus dem Lande der Chaldäer aus und ließ sich in Haran nieder. Von dort ließ Gott ihn dann nach dem Tode seines Vaters in dieses Land hier übersiedeln, das ihr noch jetzt bewohnt; 5doch gab er ihm keinen festen Besitz darin, auch nicht einen Fuß breit, verhieß ihm jedoch, er wolle es ihm und seiner Nachkommenschaft späterhin zum Eigentum geben, obgleich er damals noch kein Kind hatte. 6So lauteten aber Gottes Worte: ›Seine Nachkommen werden als Beisassen in einem fremden Lande ansässig sein, wo man sie vierhundert Jahre lang knechten und mißhandeln wird; 7doch das Volk, dem sie als Knechte dienen werden, will ich richten‹, sagte Gott; ›und hierauf werden sie ausziehen und mir an dieser Stätte dienen.‹ (1. Mose 15,13-14; 2. Mose 3,12) 8Dann gab Gott ihm den Bund der Beschneidung, und so wurde Abraham der Vater Isaaks, den er am achten Tage beschnitt; Isaak wurde dann der Vater Jakobs und Jakob der Vater der zwölf Erzväter. 9Weil dann aber die Erzväter auf Joseph neidisch wurden, verkauften sie ihn nach Ägypten; doch Gott war mit ihm 10und rettete ihn aus allen seinen Bedrängnissen und verlieh ihm Gnade und Weisheit vor dem Pharao, dem ägyptischen König, der ihn zum Gebieter über Ägypten und über sein ganzes Haus einsetzte. 11Da kam eine Hungersnot und große Drangsal über das ganze Land Ägypten und Kanaan, und unsere Väter hatten nichts zu essen. 12Als aber Jakob erfuhr, daß in Ägypten Getreide zu haben sei, sandte er unsere Väter zum erstenmal hin. 13Beim zweitenmal gab sich dann Joseph seinen Brüdern zu erkennen, und Josephs Herkunft wurde dem Pharao bekannt. 14Joseph sandte dann hin und ließ seinen Vater Jakob und seine gesamte Verwandtschaft holen, im ganzen fünfundsiebenzig Seelen. 15So zog denn Jakob nach Ägypten hinab, wo er starb und ebenso auch unsere Väter; 16sie wurden nach Sichem überführt und in dem Grabe beigesetzt, das Abraham für eine Geldsumme von den Söhnen Hemors in Sichem gekauft hatte.«
bb) Die mosaische Zeit
17»Je näher aber die Zeit der Verheißung kam, die Gott dem Abraham zugesagt hatte, desto mehr wuchs das Volk in Ägypten an und wurde zahlreich, 18bis ein anderer König zur Regierung über Ägypten kam, der von Joseph nichts wußte. 19Dieser verfuhr arglistig gegen unser Volk und mißhandelte unsere Väter, so daß sie ihre neugeborenen Kinder aussetzen mußten, damit sie nicht am Leben bleiben sollten. 20In dieser Zeit wurde Mose geboren und war ein ausnehmend schönes Kind; drei Monate lang wurde er im Elternhause aufgezogen, 21und als man ihn dann ausgesetzt hatte, nahm ihn die Tochter Pharaos zu sich und erzog ihn für sich selbst zum Sohn. 22So wurde denn Mose in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet und war gewaltig in seinen Worten und Taten. 23Als er aber volle vierzig Jahre alt geworden war, stieg das Verlangen in ihm auf, sich einmal nach seinen Brüdern, den Israeliten, umzusehen; 24und als er einen von ihnen sah, dem Unrecht geschah, leistete er ihm Beistand und verschaffte dem Mißhandelten Genugtuung, indem er den Ägypter erschlug. 25Dabei war er der Meinung, seine Volksgenossen würden zu der Einsicht kommen, daß Gott ihnen durch seine Hand Rettung schaffen würde; doch sie erkannten es nicht. 26Am folgenden Tage kam er gerade dazu, als zwei von ihnen einen Streit miteinander hatten; da wollte er sie versöhnen, damit sie Frieden hielten, indem er sagte: ›Ihr Männer, ihr seid doch Brüder: warum tut ihr einander unrecht?‹ 27Der aber, welcher seinem Genossen unrecht tat, stieß ihn zurück mit den Worten: ›Wer hat dich zum Oberhaupt und Richter über uns eingesetzt? 28Willst du mich etwa ebenso erschlagen, wie du gestern den Ägypter erschlagen hast?‹ (2. Mose 2,14-15) 29Um dieses Wortes willen ergriff Mose die Flucht und lebte als Fremdling im Lande Midian, wo ihm zwei Söhne geboren wurden.
30Als dann wieder volle vierzig Jahre vergangen waren, erschien ihm in der Wüste des Berges Sinai ein Engel in der Feuerflamme eines Dornbusches. 31Als Mose das sah, verwunderte er sich über die Erscheinung; als er aber näher hinzutrat, um genauer zuzusehen, erscholl die Stimme des Herrn: 32›Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.‹ (2. Mose 3,6) Da begann Mose zu zittern und wagte nicht, genauer hinzusehen. 33Der Herr aber sagte zu ihm: ›Ziehe dir die Schuhe ab von den Füßen; denn die Stätte, auf der du stehst, ist heiliges Land. 34Ich habe die Mißhandlung meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Seufzen gehört; darum bin ich herabgekommen, sie zu erretten. Und jetzt komm: ich will dich nach Ägypten senden!‹ (2. Mose 2,24; 3,7.10) 35Diesen Mose, den sie verleugnet (oder: zurückgewiesen) hatten, als sie sagten: ›Wer hat dich zum Oberhaupt und Richter (über uns) gesetzt?‹, eben diesen hat Gott als Oberhaupt und Erlöser gesandt durch die Vermittlung des Engels, der ihm im Dornbusch erschienen war. 36Dieser ist es auch, der sie (aus dem Lande) weggeführt hat, indem er Wunder und Zeichen im Lande Ägypten und am Roten Meer sowie vierzig Jahre lang in der Wüste tat. 37Dieser Mose ist es, der zu den Israeliten gesagt hat: ›Einen Propheten wie mich wird Gott euch aus euren Volksgenossen erwecken.‹ (5. Mose 18,15) 38Dieser ist es, der bei der Gemeindeversammlung in der Wüste Vermittler gewesen ist zwischen dem Engel, der auf dem Berge Sinai zu ihm redete, und zwischen unsern Vätern, derselbe, der lebendige Worte empfing, um sie uns mitzuteilen. 39Doch unsere Väter wollten ihm nicht gehorsam sein; vielmehr stießen sie ihn von sich und sehnten sich nach Ägypten zurück 40und sagten zu Aaron: ›Mache uns Götter, die vor uns herziehen sollen! Denn von diesem Mose, der uns aus dem Lande Ägypten herausgeführt hat, wissen wir nicht, was aus ihm geworden ist.‹ (2. Mose 32,1) 41So machten sie sich denn damals ein Stierbild, brachten diesem Götzen Opfer dar und hatten ihre Freude an den Werken (oder: an dem Machwerk) ihrer Hände. 42Da wandte Gott sich von ihnen ab und gab sie dahin, daß sie dem Sternenheer des Himmels dienten (= Anbetung erwiesen), wie im Buch der Propheten geschrieben steht (Am 5,25-27): ›Habt ihr etwa mir Schlachttiere und Opfergaben während der vierzig Jahre in der Wüste dargebracht, ihr vom Hause Israel? 43Nein, das Zelt des Moloch und das Sternbild des Gottes Rephan (oder: Romphan) habt ihr getragen, die Götzenbilder, die ihr zur Anbetung angefertigt hattet; darum werde ich euch über Babylon hinaus (in die Verbannung) wegführen lassen.‹«
cc) Die Zeit der Stiftshütte und des Tempelbaus
44»Die Hütte des Zeugnisses (= die Stiftshütte) hatten unsere Väter in der Wüste so, wie Gott es angeordnet hatte, als er dem Mose gebot, sie nach dem Vorbild, das er gesehen hatte, herzustellen. 45Diese (Hütte) haben unsere Väter dann auch übernommen und sie unter Josua in das Gebiet der Heidenvölker gebracht, die Gott vor den Augen unserer Väter vertrieb; (und so blieb es) bis zur Zeit Davids. 46Dieser fand Gnade vor Gott und erbat es sich als Gunst, eine Wohnung für den Gott Jakobs zu finden (= errichten zu dürfen; Ps 132,5). 47Aber erst Salomo hat ihm ein Haus erbaut. 48Doch der Höchste wohnt nicht in einem Bau, der von Menschenhand hergestellt ist, wie der Prophet sagt (Jes 66,1-2): 49›Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wäre es, das ihr mir bauen könntet?‹ – sagt der Herr – ›oder welches wäre die Stätte der Ruhe für mich? 50Hat nicht meine Hand dies ganze Weltall geschaffen?‹«
dd) Schluß der Rede; Anklage des Volkes
51»O ihr Halsstarrigen und an Herz und Ohren Unbeschnittenen! Immerfort widerstrebt ihr dem heiligen Geist, wie eure Väter, so auch ihr. 52Wo ist ein Prophet gewesen, den eure Väter nicht verfolgt haben? Und so haben sie auch die getötet, welche das Kommen des Gerechten vorausverkündigt haben, an dem ihr jetzt zu Verrätern und Mördern geworden seid. 53Auf Anordnung (oder: durch Vermittlung) von Engeln habt ihr das Gesetz empfangen und es doch nicht gehalten!«
c) Der Märtyrertod des Stephanus
54Als sie das hörten, ging es ihnen wie ein Stich durchs Herz, und sie knirschten mit den Zähnen gegen ihn. 55Er aber, voll heiligen Geistes, blickte fest (oder: unverwandt) zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen 56und rief aus: »Ich sehe die Himmel aufgetan und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen!« 57Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn los; 58dann stießen sie ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Dabei legten die Zeugen ihre Obergewänder (oder: Mäntel) ab zu den Füßen eines jungen Mannes mit Namen Saulus 59und steinigten den Stephanus, der betend ausrief: »Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!« 60Alsdann auf die Knie niedergesunken, rief er noch laut aus: »Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!« Nach diesen Worten gab er seinen Geist auf.