Deutsche Bibelgesellschaft

Einführung: Die poetischen Bücher

Zu den poetischen Büchern der Bibel zählen Hiob, die Psalmen, Sprichwörter, Kohelet und das Hohelied. Sie sind in der Sprache der Dichtung geschrieben, die in besonderer Weise auch Herz und Gefühl des Menschen anspricht. Im Unterschied zur deutschen Dichtung spielt in der hebräischen Poesie der Endreim kaum eine Rolle. Ihr wichtigstes Kennzeichen ist vielmehr die Formulierung in parallelen Aussagen, der sogenannte Parallelismus. Das bedeutet: In einem zweigeteilten Vers sind die beiden Hälften inhaltlich aufeinander bezogen und bilden zusammen eine Sinneinheit. Ein Beispiel dafür ist Psalm 103,1: »Lobe den HERRN, meine Seele!/Und alles in mir preise seinen heiligen Namen!« Dabei wird der zweite Teil jeweils eingerückt. Solche parallel aufgebauten Verse und Sprüche gibt es in großer Vielfalt. Sie können auch einen Gegensatz (Sprichwörter 10,1), eine Steigerung (Psalm 29,1) oder einen Gedankenfortschritt (Hiob 3,26) zum Ausdruck bringen. Ihre poetische Kraft liegt darin, dass sie einen einzigen Sachverhalt durch zwei aufeinander bezogene Aussagen beschreiben. So regen sie dazu an, beim Lesen den Sinnzusammenhang zwischen den beiden Vershälften auszuloten.



Ein weiteres Kennzeichen der hebräischen Poesie ist ihre bildhafte Sprache. Zu einer Sachaussage wird eine Bildaussage gestellt, die eine dazu passende Vorstellung enthält. So heißt es in Psalm 92,13: »Doch der Gerechte wird wachsen wie eine Palme. / Er wird groß werden wie eine Zeder im Libanon.« In diesem Psalm sieht sich der Beter von seinen Feinden bedrängt, er fühlt sich klein, schwach und verachtet. Durch den Bildvergleich wird ihm jedoch gezeigt, wie es sich in Wahrheit verhält: Die üppige Kraft des Palmbaums und das hohe Ansehen der Zeder erweisen seine Selbsteinschätzung als falsch und verheißen ihm eine heilvolle Zukunft.



Poetische Texte folgen in ihrem Aufbau oft einem Muster, das jeweils bestimmte Arten von Psalmen charakterisiert. So gibt es etwa eine Reihe von Gebeten, in denen ein einzelner Mensch seine Not vor Gott bringt. Diese Gebete beginnen mit einer Anrufung Gottes. Dann folgen die Schilderung der Not, Vertrauensbekenntnis, Bitte und Dankversprechen (Psalm 6). Solche Psalmen nennt man Klagelied des Einzelnen. Andere Muster sind der Hymnus (Psalm

117), das Danklied des Einzelnen (Psalm 30), das Vertrauenslied (Psalm 2

3) oder die Liturgie, die aus einem Wechselgesang von Frage und Antwort besteht (Psalm 24).



Unter den poetischen Büchern bilden Hiob, Sprichwörter und Kohelet/Prediger eine eigene Gruppe. Sie gehören zur Weisheitsliteratur. Dabei versteht man unter »Weisheit« eine durch Erfahrung gewonnene, praktisch orientierte Lebensklugheit, die bei der Bewältigung und Gestaltung des Alltags hilft. Vermittler dieser Weisheit sind Menschen, die sich darum bemühen, durch Ratschläge, Sprichwörter, Mahnungen und Lehrreden den Weg zu einem gerechten und glücklichen Leben zu zeigen. In späterer Zeit kommt es allerdings auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Geltungsanspruch der Weisheit (vgl. Hiob, Kohelet/Prediger).



Die wichtigste Vorstellung der Weisheit ist der Zusammenhang zwischen »Tun« und »Ergehen«. Sie leitet sich aus der Erfahrung her, dass gute oder böse Taten eines Menschen sich in seinem weiteren Leben entsprechend positiv oder negativ auswirken. Deshalb fordern zahlreiche Sprüche dazu auf, bei jedem Tun die möglichen Auswirkungen zu bedenken. So heißt es in Sprichwörter 28,27: »Wer armen Menschen etwas gibt, leidet niemals Mangel. / Wer seine Augen vor ihrer Not verschließt, erntet viele Flüche.« Man darf aber die Regelhaftigkeit des Tun-Ergehen-Zusammenhangs nicht so verstehen, dass sich bei einem bestimmten Tun automatisch der zu erwartende Erfolg oder Misserfolg einstellt. Vielmehr steht über allem Gott, dessen übergreifende Führung und Leitung der Welt sich menschlicher Weisheit entzieht. Deshalb beginnt alle Weisheit mit der »Ehrfurcht vor dem HERRN« (Sprichwörter 1,7).



Eine Sonderstellung unter den poetischen Büchern nimmt das Hohelied ein. Dabei handelt es sich um eine kunstvoll gestaltete und bildreiche Sammlung von Liebes- und Hochzeitsliedern. Obwohl in ihr kein einziges Mal das Wort »Gott« vorkommt, hat sie ihren Platz in der Bibel bekommen.



Auch außerhalb der poetischen Bücher finden sich zahlreiche Lieder und Gedichte. Dazu gehören das Siegeslied der Debora (Richter 5,1-31), das Gebet des Jona im Bauch des Fisches (Jona 2,2-10) oder der Lobgesang der Hanna (1. Samuel 2,1-10). Diesem Lobgesang entspricht im Neuen Testament der Lobgesang der Maria (Lukas 1,46-55).


 


(BasisBibel. Altes und Neues Testament, ​© 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)

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