Gott nimmt die Menschen an und verurteilt sie nicht, obwohl sie seine Gebote übertreten. Darin zeigt sich Gottes Liebe zu den Menschen.
Als »gerecht« wird im heutigen Sprachgebrauch ein Mensch bezeichnet, der sich so verhält, wie es dem allgemeinen Rechtsempfinden entspricht. »Gerecht« im Sinn des Alten Testaments ist dagegen ein Mensch, der sich nach dem Gesetz richtet, in dem Gott seinem Volk seinen Willen kundgetan hat. »Gerecht« bzw. »als gerecht gelten« beschreibt also weniger die Übereinstimmung des menschlichen Verhaltens mit einer idealen Norm, sondern hat vielmehr das Gemeinschaftsverhältnis im Blick. Wer gerecht ist bzw. als gerecht gilt, verhält sich loyal gegenüber den das Leben bestimmenden Gemeinschaften wie Familie, Volk oder den Bund mit Gott. Daraus resultiert ein Zustand von Ordnung und Richtigkeit.
Verschiedentlich lässt sich jedoch schon im Alten Testament der Gedanke finden, dass letztlich kein Mensch vor Gott als »gerecht« bestehen kann (z.B. Ijob 4,17; Ijob 15,14; Psalm 143,2). Im frühen Judentum wird der »gerechte« Mensch zum Gegenstand endzeitlicher Hoffnung; der Messias wird als der »Gerechte« erwartet und ersehnt. Vom Erscheinen dieses Gerechten hängt die Rettung Israels ab (Jesaja 53,11).
Das ist der Hintergrund, vor dem Jesus im Neuen Testament als »gerecht« (so wörtlich in Lukas 23,47; 1. Johannes 2,29; 1. Johannes 3,7) oder als »der Gerechte« bezeichnet wird (Apostelgeschichte 3,14; 7,52; 22,14; 1. Petrus 3,18; 1. Johannes 2,1). Durch sein Sterben und Auferstehen hat Gott den Menschen einen Weg eröffnet, auf dem auch sie vor ihm »als gerecht bestehen« können: den Weg des vertrauenden Glaubens (siehe dazu v.a. Gerechtigkeit). Er setzt nicht auf die eigenen Bemühungen, sondern überlässt es ganz Gott und seinem Handeln, dass er von ihm als gerecht besteht.
Das betont vor allem Paulus, der erkannt hat, dass der Mensch dem Willen Gottes nicht dadurch entsprechen kann, dass er das Gesetz befolgt und so zum Gerechten wird. Vielmehr kann er Gerechtigkeit nur als Geschenk empfangen. Das ist die Gute Nachricht, in der für Paulus Gottes Gerechtigkeit offenbar wird (Römer 1,17; Römer 3,21-22). Es ist seine Gerechtigkeit als Richter, dessen Urteil sich als richtig erweist. Aus Gnade schenkt Gott den Menschen die Gerechtigkeit, die diese sich nicht selbst verdienen können. Er schenkt sie ihnen durch Jesus Christus, der sie durch seinen Tod am Kreuz von ihrer Schuld befreit hat (Römer 3,24-25). Wer an Jesus Christus glaubt und dadurch zu ihm gehört, ist ein neuer Mensch geworden. Sein Leben ist jetzt geprägt von der Versöhnung mit Gott (2. Korinther 5,17-19), der ihn in eine neue Gemeinschaft mit sich aufgenommen hat.
Wer so von Grund auf verwandelt ist, steht nun selbst als Gerechter in Gottes Dienst und ist fähig geworden, den Willen Gottes zu tun. Er ist zum Werkzeug seiner Gerechtigkeit geworden (Römer 6,12-23), und damit beauftragt, andere Menschen zu der Versöhnung mit Gott einzuladen, die er selbst erfahren hat (2. Korinther 5,19-20).