Aaron / Aaroniden
Andere Schreibweise: Aron; Aharon; Ahron
(erstellt: Januar 2007; letzte Änderung: September 2017)
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Aaron wird im Alten Testament als Bruder, Sprecher und Gefährte des Mose vorgestellt, vor allem aber als der am Sinai von Gott eingesetzte Ahnvater der Priesterschaft Israels. In Ps 106,16
1. Der Name Aaron
Herkunft und Bedeutung des Namens Aaron (hebr. אַהֲרֹן ’ahǎron) sind unklar. Zur Diskussion steht z.B. eine Ableitung von ägyptisch ‘3 rn „groß ist der Name (Gottes)“ (HALAT). Nach Görg setzt sich der Name dagegen aus dem ägyptischen Titel ḥrj „Oberer / Anführer“ und der hebräischen Endung -on zusammen. Nach Homan geht er auf dem Umweg über das Ägyptische, in dem semitisches l zu r wird, auf semitisch אַהֲלוֹן ’ahǎlôn „Zeltmann“ zurück. Wenn der Name tatsächlich von אֹהֶל ’ohæl „Zelt“ abzuleiten sein sollte, sind als Parallelen allerdings eher Namen heranzuziehen, in denen Zelt als Metapher für Schutz zu verstehen ist, z.B. Oholiab (אָהֳלִיאָב ’åhålî’āv; Ex 31,6 u.ö.) „der Vater (sc. Gott) ist mein Zelt“ (vgl. Fowler, 80f; zu weiteren Namen mit dieser Metapher vgl. Schneider, 105f). Schneider (105) führt den ägyptischen Namen j-h-3-r-y (Aharaja) auf semitisch *’ahlaja zurück: „(mein) Zelt (ist der Gott NN)“ mit der hypokoristischen Endung -ja. Der Name ’ahǎron könnte diesem Namen entsprechen, d.h. die gleiche Bedeutung haben, als Endung jedoch statt der ägyptischen die hebräische hypokoristische Endung -on verwenden (vgl. → Simson
2. Aaron im Alten Testament
Aaron, der Sohn seines Vaters Amram und seiner Mutter Jochebed (→ Amram und Jochebed
Aaron ist zwar drei Jahre älter (Ex 7,7
Eingeführt wird Aaron im Buch → Exodus
Auch in den Erzählungen von der → Wüstenwanderung
Dem positiven Aaron-Bild, das hier entworfen wird, steht die Erzählung vom → Goldenen Kalb
Im Buch → Leviticus
Im Buch → Numeri
3. Zur Geschichte der Aaroniden
Die gegensätzlichen Beurteilungen Aarons sind am ehesten mit Rivalitäten zwischen verschiedenen Priestergruppen zu erklären.
3.1. Die Priesterschaft von Bethel während der Königszeit
→ Bethel
Nach anderer Ansicht handelt es sich bei Aaron in der ältesten Überlieferung nicht um einen Priester aus Israel, sondern um einen militärischen Unterführer aus Juda. Diese Auffassung beruht darauf, dass man die Erzählung von der Amalekiterschlacht in Ex 17,8-16
3.2. Die Priesterschaft Israels in exilisch-nachexilischer Zeit
Das Deuteronomium kennt kein aaronidisches Priestertum. Aaron erscheint – außer in der Todesnotiz Dtn 10,6
Ein ganz anderes Bild zeigt in exilisch-nachexilischer Zeit die Priesterschrift – die Grundschicht und ausführlich die Ergänzungsschicht (→ Priesterschrift
Für den Aufstieg Aarons war vielleicht ausschlaggebend, dass die Priesterschrift ihren Entwurf vom Sinai her konzipiert. Das machte es ihr unmöglich, Zadok, den traditionellen Ahnvater der Jerusalemer Priesterschaft, der erst zur Zeit Davids amtierte, zum Ahnvater aller Priester zu machen. Der Verfasser musste auf einen anderen priesterlichen Ahnvater zurückgreifen, und da legte es sich nahe, die Aaron-Überlieferung, die bereits mit der Sinai-Tradition verbunden war, aufzunehmen und Aaron zum Ahnvater der Jerusalemer Priesterschaft werden zu lassen (vgl. Gunneweg, 1965, 145). Möglich ist jedoch auch, dass sich in der neuen Bedeutung Aarons realpolitische Verhältnisse spiegeln. Nachdem die Zadokiden nach Babylon deportiert worden waren, mögen die Aaroniden ihren Einfluss nach Juda ausgeweitet und in Jerusalem an ihre Stelle getreten sein (vgl. Schaper, 2000, 168-174.269-279).
Die Chronikbücher führen die Gedanken der Priesterschrift weiter. Aaron und seine Söhne werden auch hier als die einzig legitimen Priester angesehen (1Chr 6,34
Der Konflikt, zu dem es nach der Rückkehr der Zadokiden aus dem Exil mit den inzwischen etablierten Aaroniden gekommen sein dürfte, wird in den → Chronikbüchern
Im 2. Jh. v. Chr. findet das zadokidische Priestertum mit dem Untergang der → Oniaden
Jesus Sirach bietet in seinem Lob der Väter – in Auseinandersetzung mit priesterkritischer, prolevitischer Literatur der Zeit (vgl. Fabry, 214) – einen überschwänglichen Lobpreis Aarons. Aaron war es, mit dem Gott einen ewigen Bund geschlossen und dem er die Gebote gegeben hat (Sir 45,6-22
4. Aaron im Neuen Testament
Aaron wird im Neuen Testament nur 5-mal erwähnt und ist eigentlich nur für den Hebräerbrief von Bedeutung. Nach Lk 1,5
Der Hebräerbrief kann Christus und Aaron parallelisieren, aber auch einander gegenüberstellen. Wie Aaron hat Christus seine priesterliche Würde nicht genommen, sondern von Gott erhalten (Hebr 5,4
5. Aaron im Judentum
Während Aaron in Christentum (s. jedoch 7.) und Islam keine herausragende Bedeutung hat, steht er im Judentum als Priester allgemein in sehr hohem Ansehen.
In den Schriften von → Qumran
Rabbinische Auslegungen der Erzählung vom → Goldenen Kalb
Das Bild vom konfliktscheuen Aaron führt positiv gewertet zum Bild von Aaron als einem Urbild der Friedliebenden – so in dem populären Mischnatraktat → Pirke Avot
6. Aaron im Christentum
In Aufnahme des Hebräerbriefs (s.o.) wird Aaron vor allem als Präfiguration Christi gesehen. Aarons Stab – lateinisch virga (vgl. Num 17,3
„Ja, auf die Erde / legte Aaron einen Stab! / Der trug Mandeln, / sehr edle Früchte. / Solche Süße hast du hervorgebracht, / Mutter ohne Mitwirkung eines Mannes, / heilige Maria!“ (G. Vollmann-Profe, Frühmittelhochdeutsche Literatur (RUB 9438), Stuttgart 1996, 76ff).
Die Weihe Aarons durch Mose galt als Präfiguration der Weihe der Bischöfe durch den Papst und wurde auch so dargestellt. Bischofs- und Abtsstab gehen dementsprechend auf den Stab Aarons – verstanden als Symbol der Macht – zurück.
7. Aaron im Islam
Aaron bzw. arabisch Hārūn wird im Koran mehrfach in Anspielungen auf biblische Erzählungen erwähnt. Er erscheint als der beredte Bruder des Mose (20,30; 25,35; 26,13; 28,34f; Text Koran
Nach der Legende war Aaron schöner als Mose. Auf seiner visionären Himmelsreise trifft Mohammed ihn, und Aaron wird ihm als der Geliebte seines Volkes vorgestellt. Nach seinem Tod auf dem Ǧebel Hārūn soll Aaron von dort mit seinem Sterbebett zum Himmel emporgehoben worden sein. Daran erinnern bis heute Wallfahrten zu dem Grabheiligtum auf dem Ǧebel Hārūn.
8. Aaron in der Kunst
Als Einzelfigur wird Aaron oft als Hoherpriester mit entsprechenden Gewändern, Brustschild und Stirnreif sowie einem Räuchergefäß oder einem blühenden Stab als Symbol seiner Erwählung dargestellt. Im Judentum findet man derartige Darstellungen z.B. auf Toramänteln, Toraschreinen und Titelblättern von Gebetsbüchern, im Christentum z.B. an mittelalterlichen Kirchenportalen, weil er in einem weiteren Sinne zu den Propheten des Alten Testaments gerechnet wurde. In szenischen Darstellungen erscheint er als Hauptfigur insbesondere in Darstellungen von der Errichtung des Goldenen Kalbs, ansonsten vielfach nur als Nebenfigur an der Seite des Mose, so z.B. in Darstellungen ägyptischer Plagen oder der Schlacht gegen die Amalekiter.
Der Aaronstab wird als Baumzweig mit Blättern, auch mit Blumen und Früchten, abgebildet. Da sein Blühen auf Gottes wunderbares Eingreifen zurückgeführt wurde, galt er im Mittelalter als Symbol der wunderbaren Geburt Christi aus der Jungfrau Maria (s.o.), aber auch der Auferstehung. Botanisch hat der Stab Aarons – aufgrund von Num 17 oder Ex 7 – den Aronstabgewächsen (Araceae), die einen langen stabartigen Blütenkolben haben, seinen Namen gegeben, zu denen z.B. der giftige Gefleckte Aronstab (Arum maculatum) gehört.
In der Musik wurde Aaron vor allem in dem 1928-1932 komponierten Opernfragment „Moses und Aaron“ von Arnold Schönberg rezipiert. Der erste Akt bezieht sich in sehr freier Aufnahme des biblischen Stoffes vor allem auf die Berufung des Mose (Ex 3-4), der zweite auf das Goldene Kalb (Ex 32) und der unvollendete dritte auf Aarons Tod (Num 20). Mose und Aaron werden als Vertreter unterschiedlicher Gottesvorstellungen gezeichnet. Moses ist berufen, dem Volk den nicht darstellbaren, unsichtbaren und sogar unvorstellbaren Gott zu verkünden, Aaron steht als Erbauer des Goldenen Kalbs dagegen für eine bildhafte Gottesverehrung, die vom Volk bejubelt wird. Es geht damit um die Frage, wie Gott als der ganz Andere von Menschen überhaupt gedacht werden kann.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Aaron als Priester (Malerei in der Synagoge von Dura Europos; 3. Jh.).
- Ğebel Hārūn mit einer kleinen Moschee auf dem Gipfel. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1996)
- Die Anbetung des Goldenen Kalbs (Nicolas Poussin; 1633-1637).
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