Aaronitischer Segen
(erstellt: September 2006)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/9982/
1. Der Text und seine Bedeutung
Als Aaronitischen Segen bezeichnet man den in Num 6,22-27
24 (a) JHWH segne dich (b) und behüte dich!
25 (a) JHWH lasse leuchten sein Angesicht auf dich (b) und sei dir gnädig!
26 (a) JHWH erhebe sein Angesicht auf dich (b) und gebe dir Frieden!
Der Zuspruch des → Segens
JHWH segne dich und behüte dich! (Num 6,24). Der im Zuspruch vermittelte Segen beinhaltet zunächst die Gewährung des Lebens und all dessen, was zur Wohlfahrt dient, wie Fruchtbarkeit, Lebenskraft, Glück, Gedeihen. Im alltäglichen wie im religiösen Leben hat er seinen festen Ort (vgl. Rut 2,4
JHWH lasse leuchten sein Angesicht auf dich (Num 6,25a). Die metaphorische Wendung vom „Leuchten des Angesichts“, die wir auch aus anderen altorientalischen Texten kennen, bringt die positive Gesinnung, wie sie an einer heiteren Miene beim Menschen erkennbar wird, zum Ausdruck (z.B. Hi 29,24b
Das „Angesicht JHWHs“ ist – sichtbar oder unsichtbar – Ausdruck für die Gegenwart Gottes in seinem Volk (vgl. Ex 33). Während in vielen mesopotamischen Texten die Gegenwart der Sonnen-Gottheit als Gewähr dafür gilt, dass Wahrheit und Gerechtigkeit zu Tage treten und verwirklicht werden, wird besonders in den nachexilischen Texten des Alten Testaments die Erscheinung JHWHs mit dem Aufgang der Sonne assoziiert (vgl. Dtn 33,2
Und sei dir gnädig! (Num 6,25b). Auch das Segenswort, welches den Erweis der göttlichen Gnade zuspricht erscheint gleichsam wie eine Antwort auf die Klagen und Bitten derer, die um ihr Recht und ihr Leben bangen (vgl. Ps 4,1
JHWH erhebe sein Angesicht auf dich (Num 6,26a). Das grundsätzliche Prinzip, dass es vor Gottes wie vor der Menschen Gericht kein Ansehen der Person geben soll, kommt im Alten Testament in der Wendung zum Ausdruck, dass Gott „sein Angesicht nicht erhebt und keine Bestechung annimmt“ (Dtn 10,17
Und gebe dir Frieden! (Num 6,26b). Der letzte Segenswunsch gibt zusammenfassend das Ziel allen Segens an (vgl. Jes 60,17
2. Literarischer Kontext und Entstehung
Die Anweisung, in der der Wortlaut des Priester-Segens mitgeteilt wird, fehlt in der Erzählung von der ersten Darbringung der Opfer durch Aaron in Lev 9,22-23
Mögen auch einzelne Elemente seiner Formulierung alt sein, in der jetzigen Form stammt der Priestersegen wohl aus der Überlieferung des Zweiten Tempels. Dafür spricht neben der besonderen Komposition der Elemente, die teilweise im Alten Testament sprachlich singulär sind, und dem Umstand, dass die Metaphorik der Sonnengott-Erscheinung gänzlich auf JHWH übergegangen ist, besonders die Aussage in den Rahmenworten, dass Aaron und seine Söhne mit diesen Worten den „Namen JHWHs auf die Israeliten legen“ sollen. Gegenüber älteren Vorstellungen, wonach JHWH „seinen Namen auf das Heiligtum zu legen“ zusagt (vgl. Dtn 12,5
3. Wirkungsgeschichte und liturgische Verwendung
3.1. Im Judentum
Innerhalb des Alten Testaments bezieht sich der nachexilische Psalm 67,2
Besondere Beachtung verdienen die Silberamulette aus den Gräbern des 7./6. Jh.s von Ketef Hinnom bei Jerusalem. Die beiden zylindrisch aufgerollten, 2,7 x 9,7 cm bzw. 1,1 x 3,9 cm großen Silberstreifen enthalten in Verbindung mit Worten aus anderen Texten (Dtn 7,9
Die sprachliche Form des Priestersegens war im 2. Jh. v. Chr. noch offen für Erweiterungen. In der Sektenregel von Qumran wird der Text durch Ausdeutungen fortgeführt (1QS II,2-4): „ER segne dich mit allem Guten und bewahre dich vor allem Bösen, Er erleuchte dein Herz mit Verstand des Lebens und begnade dich mit ewigem Wissen, und Er erhebe Sein gnädiges Antlitz auf dich zu ewigem Frieden.“
Der liturgische Ort des Segens im Kultus des zweiten Tempels wird in dem Buch → Jesus Sirach
Die jüdische Auslegung nimmt in der Regel an, dass es sich bei dem in Lev 9,22-23
3.2. Im Christentum
Das Neue Testament bezeugt den Gebrauch des sog. Aaronitischen Segens durch die urchristliche Gemeinde nicht. Im Mittelalter findet er nur vereinzelt Verwendung, z.B. bei Franz von Assisi, nicht aber als fester Bestandteil der römisch-katholischen Messfeier. Luther empfahl ihn als Segensspruch in der Abschlussliturgie des Gottesdienstes (Formula missae, 1523; Deutsche Messe, 1525/26), Calvin folgte ihm darin (Forme des prières, 1542). In der römisch-katholischen Kirche wurde vom II. Vatikanischen Konzil der Aaronitische Segen als eine von mehreren möglichen Formen des Schlusssegens eingeführt.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (Art. panîm)
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 3. Aufl., München / Zürich 1978-1979 (Art. panîm)
2. Weitere Literatur
- Achenbach, R., Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch (BZAR 3), Wiesbaden 2003, 511-517
- Barkay, G., Ketef Hinnom: A Treasure Facing Jerusalem’s Walls. The Israel Museum, Jerusalem, Catalogue No. 274, Jerusalem 1986
- Dietrich, M. / Loretz, O., The Cuneiform alphabetic Texts from Ugarit, Ras Ibn Hani and Other Places (KTU: second enlarged edition; ALAM 8), Münster 1995
- Düring, W., Der Entlassungssegen in der Meßfeier, LJ 19,1969, 205-218
- Elbogen, I., Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Frankfurt/M. 3. Aufl. 1931 (Nachdruck: Hildesheim / Zürich / New York 1995), 67-72
- Jaroš, K., Die ältesten Fragmente eines biblischen Textes. Zu den Silberamuletten von Jerusalem (Antike Welt 28,6), 1997, 475-477
- Knohl, I., The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis (Min.) 1995
- Lohse, E. (Hg.), Die Texte aus Qumran Hebräisch und Deutsch, Darmstadt 1971
- Seybold, K., Der aaronitische Segen. Studien zu Numeri 6/22-27, Neukirchen-Vluyn 1977
- Westermann, C., Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, Gütersloh 1981
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)