Adam und Eva
(erstellt: März 2006)
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1. Bedeutung und Etymologie
Das Nomen אָדָם ’ādām wird im Alten Testament wie in anderen westsemitischen Sprachen vor allem appellativisch als kollektiver Singular mit der Bedeutung „Mensch / Menschheit“ gebraucht. Daneben finden sich Verwendungen als Genitiv anstelle eines Adjektivs („menschlich“) und im Sinne eines Indefinitpronomens („jemand“). In Gen 4,25
Die Etymologie ist nicht abschließend geklärt. Unter den zahlreichen Vorschlägen bleibt die Annahme eines Zusammenhanges mit der semitischen Basis ’dm „rot sein“ erwägenswert. Das verbindende Element liegt dann in der rotbraunen Hautfarbe des Menschen. Gen 2,7
Der Name חַוָּה ḥawwāh „Eva“ (LXX: Ζωή „Leben“ in Gen 3,20
2. Adam und Eva in Gen 1-5
Eine literarhistorische Biografie des ersten Menschenpaares in Gen 1-5 ergibt sich aus folgenden entstehungsgeschichtlichen Ebenen: der vorliterarischen Paradiesüberlieferung Gen 2-3*, der nicht-priesterschriftlichen („jahwistischen“) Urgeschichte Gen 2-11*, der priesterschriftlichen Urgeschichte und der Pentateuchredaktion:
1) Die in Gen 2-3 verarbeitete Jerusalemer Paradiesüberlieferung aus der Königszeit (→ Paradies / Paradieserzählung
2) Erst die Paradieserzählung auf der Ebene der traditionell „jahwistisch“ genannten nicht-priesterschriftlichen, aber keineswegs mehr vorexilischen Komposition der Urgeschichte stellt dem „Menschen“ die „Frau“ zur Seite. Jahwe „baut“ sie aus einer Rippe des ’ādām (Gen 2,21-22
Die physische Herkunft der → Frau
Das exklusive Gemeinschaftsverhältnis von Frau und Mann wird wie das Gottesverhältnis durch die Übertretung des Gebotes (Gen 2,16-17
Die fundamentale Störung der menschlichen Gemeinschaftsverhältnisse setzt sich in den kainitischen Nachkommen des ersten Menschenpaares fort (Gen 4,1-24
3) Adam als Eigenname für den ersten Menschen begegnet erstmalig in der Priesterschrift (→ Priesterschrift
4) Gen 4,25-26
5) Die Ursprünglichkeit des Eigennamens חַוָּה ḥawwāh „Eva“ in Gen 3,20
Die Deutung von חַוָּה ḥawwāh „Eva“ als „Mutter alles Lebendigen“ in Gen 3,20
3. Wirkungsgeschichte
3.1. Frühjudentum
Die frühjüdische Literatur gestaltet die bereits mit der ältesten Paradiesüberlieferung gegebenen königlichen Züge Adams breiter aus. Nach slawHen 30,12 ist Adam kraft göttlicher Weisheit „König der Erde“. Entsprechend konnten Adams überragende Herrlichkeit (Sir 49,16
Nach → Philos
Gelegentlich zeigt bereits das frühjüdische und haggadische Schrifttum die Tendenz, Eva die eigentliche Schuld am Sündenfall anzulasten (Sir 25,24
3.2. Rabbinisches Judentum
Das rabbinische Judentum setzt teilweise andere Akzente (Schäfer 1986). Eine wichtige Rolle spielt die Vorstellung, Adam habe bei seiner Erschaffung eine riesenhafte, den gesamten Kosmos füllende Gestalt gehabt (Babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 38b u.ö.; Text Talmud
Die Vorstellung von Adams ursprünglicher Herrlichkeit führt im Rahmen der anthropozentrisch ausgerichteten Denkweise der Rabbinen (Schäfer 1986, 89f) u.a. zu der Annahme, dass die Engel das Ebenbild Gottes wie diesen selbst verehrt hätten (Midrasch Bereschit Rabba 8, 10). Auf der anderen Seite waren es gerade die Engel, die sich in Voraussicht der Sünde gegen die Erschaffung Adams wandten. Gott gab diesem Widerspruch jedoch nicht nach, woraus ersichtlich wird, dass er den Menschen auch angesichts seiner Sünde gewollt hat (Babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 38b; Midrasch Bereschit Rabba 8, 4ff u.ö.). Die Sünde bewirkt für Adam neben dem Schwinden der ursprünglichen Größe und Herrlichkeit auch den Verlust der Unsterblichkeit (Midrasch Bereschit Rabba 12, 6). Allerdings kann betont werden, dass letztlich jedem Menschen Wahlfreiheit für das Tun von Gut und Böse und damit von Leben und Tod zukommt (Pirqe Avot 3, 15; Mekhilta de Rabbi Jischmael, 112).
3.3. Adamliteratur
Wohl in der Zeit zwischen dem 1. Jh. v. und dem 1. Jh. n. Chr. entstanden die sog. Adamschriften (Stone 1992; Anderson u.a. 2000), zu denen man vor allem die Vita Adae et Evae (lat.) und die Apokalypse Mosis (griech.) zählt (Text Pseudepigraphen
Die Schriften versetzen den Leser in die Zeit nach der Vertreibung aus dem Paradies und reflektieren das Leben Adams und Evas bis zu Tod und Begräbnis der beiden Stammeltern im Paradies. Die Erzählfäden der verschiedenen Schriften laufen über weite Strecken parallel (s. die Gliederungssynopse in JSRHZ II, 755f). Rechnete die frühere Forschung in aller Regel mit einer gemeinsamen hebräischen Grundschrift, so erkennt man heute eher eine hochkomplexe Literargeschichte, an deren Anfang vielleicht einmal unabhängig voneinander umlaufende haggadische Adamtraditionen standen (JSRHZ II, 755-769; VI/1, 2, 170-186).
Der Teufel gibt in Vita Adae et Evae selbst Auskunft darüber, wie es zum → Sündenfall
Der religionsgeschichtliche Hintergrund dieser Schriften lässt sich nicht mit letzter Sicherheit aufhellen. Die deutlich erkennbaren christlichen Einflüsse führt man gewöhnlich auf spätere Bearbeitung zurück. Die These gnostischer Herkunft hat sich bis heute nicht durchsetzen können. So sind die jüdischen Wurzeln dieser Schriften nach wie vor weitgehend anerkannt.
3.4. Neues Testament und Christentum
Im Unterschied zum frühen und rabbinischen Judentum stellt das Neue Testament eine typologische Beziehung zwischen Adam und dem Messias her. Paulus betont in seiner Auseinandersetzung mit der pneumatisch-enthusiastischen Auferstehungsvorstellung der Korinther in 1Kor 15,21-22
Röm 5,12-21
Eine typologische Adam-Christus-Antithetik scheint auch in Mk 1,13
An wenigen Stellen wird im Corpus Paulinum unter Rückgriff auf Gen 1-3 das Verhältnis von Mann und Frau erläutert. In 1Kor 11,7-9
Nach 1Tim 2,8-15
Für die Lehrentwicklung der Kirche liefert Gen 2-3 in Verbindung mit den Gottesebenbildlichkeitsaussagen (Gen 1,27
3.5. Koran
Die Adamtradition des Koran zeigt neben den biblischen Bezügen eine gewisse Nähe zu den in der Adamliteratur bezeugten haggadischen Traditionen. Adam ist im Koran als erster Mensch zugleich Typos aller Menschen (Sure 2, 30-39; 7, 11-25.189; 15, 26ff; 17, 63-67; 20, 115ff; 38, 71-85; 95, 4-6 u.ö.; Text Koran
Insgesamt repräsentiert Adam sowohl den Typos des Gerechten als auch des Sünders. Die Adam-Christus-Typologien des Neuen Testaments klingen im Koran insofern nach, als auch hier beide Gestalten in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Allerdings betont der Koran (vermutlich in polemischer Wendung gegen die Vorstellung von der Gottessohnschaft Christi), dass ‘Īsā (Jesus) bei Allah gleich Adam sei, insofern auch er ein Geschöpf aus Staub ist und von Gott ins Dasein gerufen wurde (3, 52).
Literaturverzeichnis
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