Deutsche Bibelgesellschaft

Allmacht Gottes

(erstellt: November 2006)

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Religiösem Empfinden scheint es sicher, dass Gott entweder allmächtig – oder gar nicht ist. Der Befund in der Hebräischen Bibel ist sehr viel differenzierter.

1. Der Begriff „Allmacht“

Der Begriff „Allmacht“ ist kein biblischer Zentral-, sondern eher ein Randbegriff. Das griechische Äquivalent – παντοκράτωρ (Pantokrator) „Allherrscher“ – begegnet im gesamten neutestamentlichen Textcorpus nur ein einziges Mal bei Paulus (2Kor 6,18) und dazu neunmal in der Johannesapokalypse, als geprägte Wendung eines Schriftstellers also. Die Paulus-Stelle ist ein Mischzitat aus verschiedenen Septuaginta-Stellen (Jes 43,6; Jer 31,9 [LXX: 38,9]; Hos 2,1-3), in denen das Wort παντοκράτωρ „Allherrscher“ jedoch gar nicht fällt. Gleichwohl ist der Begriff in der → Septuaginta 181-mal belegt, und zwar vorzugsweise (keineswegs ausschließlich und regelmäßig!) als Wiedergabe der hebräischen Gottesbezeichnungen יהוה צבאות (Jhwh → Zebaoth) und אל שׁדי (El Schaddaj; → Gottesbezeichnungen / Gottesnamen). Ob damit der Sinn dieser Prädikate gut getroffen ist, lässt sich bezweifeln.

צבאות („Zebaoth“) bedeutet „Heere / Heerscharen“, wobei nicht immer sicher ist, ob irdische oder himmlische Truppen gemeint sind. Diese sind offenbar Teil der Machtsphäre Gottes (vgl. 1Kön 22,19), sind gleichsam sein militärischer Arm. Das signalisiert wohl Macht, aber keineswegs Allmacht; weite Bereiche wie Natur, Schicksal, Weltlauf sind nicht eingeschlossen.

שׁדי könnte etymologisch „Herr der Wildnis“ bedeuten, doch ist das unsicher. In der Geschichtsdarstellung der Priesterschrift ist „Schaddaj“ einfach der Name Gottes, bevor er sich Mose als „Jhwh“ zu erkennen gibt. Im Buch Hiob steht Schaddaj für diejenige Wesensform Gottes, die dem Menschen am nächsten kommt, sich ihm am ehesten erschließt (z.B. Hi 27,10-11; Hi 31,35). „Allmacht“ meint das eigentlich nicht.

Das Hebräische kennt keinen Begriff für „Allmacht“. Trotzdem wird Gott an vielen Stellen der Hebräischen Bibel als überaus mächtig dargestellt (z.B. Gen 1,1-2,4; Dtn 10,17; 1Sam 2,1-10; Jes 6,3; Jes 40,18.25; Jes 43,1-10; Jes 45,6-7; Jer 32,17; Ps 19,2; Hiob 38f). Es gibt ein ganzes Sprachfeld zur Beschreibung göttlicher Macht. Die wichtigsten Wortwurzeln sind אבר „stark“, אדר „mächtig“, גבר „überlegen“, גדל „groß“, חזק „stark“, יכל „überlegen“, כבד „schwer“, כח „Kraft“, עז „Stärke“ und רום „erhaben sein“. An manchen Stellen bündeln sich die Begriffe in einer Weise, dass man fast von Allmachts-Aussagen zu reden hat (z.B. Jer 32,27; Ps135,6; Ps 145,3-6.10; Hi 42,2; 1Chr 29,11).

2. Die Macht Jhwhs

Es scheint indes, als seien sich die biblischen Menschen der Macht ihres Gottes nicht immer sicher oder über ihre Wirkungsweise nicht immer glücklich gewesen. Lange Zeit hielt man den Machtbereich Jhwhs für strikt begrenzt auf das eigene Territorium (Ri 11,24; 1Sam 26,19; 1Kön 20,23; 2Kön 5,17) und das eigene Volk (Dtn 32,8-9; Ps 83). Im Zuge der Großreichsbildungen ab dem 8. Jh. erfuhr man schmerzhaft die Macht anderer Völker und Götter. Doch gerade jetzt reklamierten die Propheten die Macht über die Völkerwelt für Jhwh (Jes 5,26-30; Jes 45,1-5; Jer 29,1-14; Am 1,2-20; Nah 2f; Zef 2). Es entstanden Erzählungen von Jhwhs machtvollem Wirken unter den Völkern (Gen 37-50; Ex 7-14; 1Sam 5f; Jona). In der Apokalyptik schließlich erschien Jhwh sogar als die einzige und überlegene Gegenmacht zur Macht der Reiche dieser Welt (Dan 2; 7).

Doch der Anspruch bzw. die Erwartung und die erfahrbare Wirklichkeit klafften allzu oft auseinander. Einzelne Gläubige litten unter der Ungerechtigkeit Mächtiger, Israel litt unter auswärtigen Mächten, Jhwh schien machtlos. In Klageliedern wird er immer wieder aufgerufen, sich doch endlich kraftvoll und hilfreich zu zeigen (z.B. Ps 40,17; Ps 57,6; Ps 80,3; Klgl 5,19-22). Immer wieder müssen Zweifel an seiner Größe und Macht zerstreut werden (z.B. Jes 40,26.29.31; Jes 63,15 u.ö.). Kaum ließen sich Zweifelnde mit der Versicherung beruhigen, Gottes Macht sei derart überlegen, dass ihr der Mensch eben nicht folgen könne (Hi 36,26; Hi 9,10.12; Pred 3,11).

Den Menschen des Alten Testaments blieb nur die Möglichkeit, an Gottes Macht gelegentlich auch gegen den Augenschein zu glauben. Sicherheit (securitas) war darin nicht zu erlangen, wohl aber Gewissheit (certitudo). Diese indes lässt in Schwachen Gottes Kraft mächtig werden (2Kor 12,9). Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weiterführende Literatur

  • Biard, P., La puissance de Dieu, Paris 1960
  • Bachmann, M., Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator (SBS 188), Stuttgart 2002
  • Dietrich, W. / Link, C., Die dunklen Seiten Gottes, Bd.2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2004

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