Alter (AT)
(erstellt: November 2007; letzte Änderung: September 2024)
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1. Wortbedeutung
Das hebräische Wort für den „alten Mann“ (zāqen) bedeutet „Bärtiger“; offenbar konnte jeder, der einen ausgewachsenen Vollbart trug, als zāqen gelten. Erkennbar ist der Alte an grauem Haupthaar (Spr 16,31
2. Respekt vor dem Alter
Die Auffassung der Bibel von der Gesellschaft ist – teils ausgesprochen, teils implizit – vom Gegensatz zwischen jung und alt bestimmt. Alter verleiht Prestige und gilt als soziales Kapital; daher kommt den „Alten“ die Führerschaft zu, die „Jungen“ haben sich unterzuordnen – es sei denn, dass sich einmal ein Herrscher dafür entscheidet, dem Rat der „Jungen“ statt der „Alten“ zu folgen bzw. ihm dies in polemischer Absicht nachgesagt wird (1Kön 12,6-11
Alte gelten als Personen, die der jüngeren Generation besonderen Respekt abnötigen. Jeder ist ihnen Respektsbezeugung schuldig: „Vor ergrautem Haar sollst du aufstehen, und einen Alten sollst du ehren” (Lev 19,32
Die positive Sicht des Alters wird auch in der → Susannaerzählung
3. Alte Menschen als angesehene ältere Erwachsene
Unter den Alten lassen sich bei näherer Betrachtung zwei Gruppen unterscheiden: die älteren Erwachsenen und die nicht mehr arbeitsfähigen Hochbetagten (Greise). Diese Differenzierung lernen wir im Buch → Jeremia
Offenbar ist an ältere Männer, nicht jedoch an ältere Frauen gedacht, wiewohl diese mitgemeint sein können. Die Mutter des Königs Lemuël von Massa, eine Nichthebräerin, wird als Lehrerin ihres heranwachsenden Sohnes geschildert; sie ist wohl als Frau mittleren Alters zu denken (Spr 31,1
4. Alte Menschen im Greisenalter
4.1. Alter als Lohn der Frommen
Langes Leben gilt in Israel und Vorderasien als erstrebenswert und als Lohn der Frommen. Dieser wird allen in Aussicht gestellt, die sich an die göttlichen Weisungen halten, insbesondere an das Gebot der Alleinverehrung des einen Gottes (Ex 23,26
4.2. Hilfsbedürftigkeit im Alter
Das Greisenalter beginnt für Männer und Frauen offenbar mit dem 60. Lebensjahr (Lev 27,2
In dieser Zeit zunehmender Hilflosigkeit sind alte Menschen auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Zu dieser sind, wie überall in der vormodernen Welt, die Kinder verpflichtet. Nach dem Buch → Rut
Die jungen Leute kommen ihrer Versorgungspflicht nicht immer nach; manche „verachten“ und „verspotten“ Vater und Mutter (Ez 22,7
Frauen, die – wie bei uns – ihre Männer oft überleben (Tob 14,12
4.3. Der ursprüngliche Sinn des Elterngebots
Die Deutung des → Elterngebots
5. Lebenserwartung
Hatte man das Alter von 60 Jahren erreicht, konnte man hoffen, noch 10 oder sogar 20 Jahre zu leben (Ps 90,10
Als Beispiele für Menschen, die das Greisenalter erreichten, kommen am ehesten Könige in Frage, von denen früher Regierungsantritt und lange Regierungszeit überliefert sind; so ergeben sich für → Asarja / Usija
In biblischer Zeit kamen nur wenige Menschen in den Genuss des Greisenalters. Die Analyse von Knochenfunden aus Gräbern spricht eine deutliche Sprache: Viele Menschen starben bereits im Alter von 35 Jahren, nur wenige erreichten das 50. Lebensjahr (Schottroff). Die hebräische Gesellschaft hatte weit mehr junge als alte Mitglieder.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart 1973ff
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Reallexikon für Antike und Christentum. Supplement-Band 1, Stuttgart 2001
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
- Brunner, H., 1988, Die Weisheitsbücher der Ägypter, Zürich
- Cramer, M. / Wick, P., Alter und Altern in der Bibel. Exegetische
Perspektiven auf Altersdiskurse im Alten und Neuen Testament, Stuttgart 2021 - Eng, M., 2008, The Days of Our Years (LHBOTS 464), London
- Ernst, St., Segen – Aufgabe – Einsicht. Aspekte und Bilder des Alterns in den Texten des Alten Israel (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 93), St. Ottilien 2011
- Frevel, Chr., „Du wirst jemanden haben, der dein Herz erfreut und dich im Alter versorgt“ (Rut 4,15). Alter und Altersversorgung im Alten / Ersten Testament, in: Christian Frevel, Gottesbilder und Menschenbilder. Studien zur Anthropologie und Theologie im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2016, 327-357
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