Deutsche Bibelgesellschaft

Amarnabriefe

(erstellt: Oktober 2008)

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1. Einleitung

Amarnabriefe 1

Als Amarnabriefe wird eine Gruppe von fast 400 Tontafeln, beschriftet mit Texten in Keilschrift, bezeichnet, die im Gebiet der ehemaligen Hauptstadt → Echnatons (1353-1336 v. Chr.) Achet-Aton, dem heutigen el-Amarna, gefunden wurden. Die Spezifikation „Briefe“ ist jedoch misslich. Da es sich nicht bei allen Texten um Briefe handelt, wäre es besser, diese Texte als Amarna-Archiv zu bezeichnen. Die Tontafeln sind die Reste eines Kanzleiarchivs des ägyptischen Hofes, die offenbar beim Abzug aus Amarna aussortiert wurden.

Die maßgeblichen Übersetzungen zum Einstieg finden sich bei William L. Moran, The Amarna Letters (1992) und Mario Liverani, Le lettere di el-Amarna (1998). Einen Überblick über die historische Kontextualisierung bietet Trevor Bryce, Letters of the Great Kings of the Ancient Near East (2003).

2. Herkunft und Aufbewahrungsorte

Armanabriefe 2
Die Mehrzahl der Texte wurde offenbar von Einheimischen bei Raubgrabungen im Stadtgebiet Amarnas um 1887 gefunden und auf dem ägyptischen Antikenmarkt verkauft. Der größte Teil wurde vom Berliner Vorderasiatischen Museum angekauft (203 Objekte), weitere Stücke von den Museen von Kairo (50), London (95) und des Louvre (7) sowie von einigen Privatsammlungen (9). Nach erfolglosen Bemühungen ägyptischer Behörden, weitere Tontafeln zu finden, gelang es W.M.F. Petrie 1891/92 22 Tafeln und Fragmente auszugraben, die heute im Ashmolean Museum in Oxford aufbewahrt werden. Zwei ursprünglich vom Kairener Institut Français d’archéologie orientale erworbene Tafeln befinden sich heute im Metropolitan Museum in New York.

3. Editionen und wissenschaftliche Bearbeitungen

Die erste grundlegende Zusammenstellung der 358 bis dahin bekannten Texte in Transkription und Übersetzung besorgte im Jahre 1907 J.A. Knudtzon in seinem Werk Die El-Amarna-Tafeln. Auf diesen geht auch die noch heutige gültige Nummerierung der Tafeln zurück (EA für el-Amarna plus der Nummer). Seither sind 24 weitere Tafeln bekannt geworden, zum Teil durch Nachgrabungen, zum Teil wohl noch aus den frühen Raubgrabungen stammend. Diese erhielten dementsprechend fortlaufende Nummern und wurden, bis einschließlich Nummer EA 379, von A.F. Rainey in einer Sammeledition vorgelegt. Nicht alle Texte scheinen von derselben Fundstelle zu kommen, wo das diplomatische Zentrum der ägyptischen Residenz vermutet wird. Beispielsweise soll ein Text mit einer ägyptisch-akkadischen Wortliste (EA 368) aus einem Privathaus stammen (Izre’el 1997: 4-9).

Die jahrzehntelange Beschäftigung mit den Texten durch A.F. Rainey, W.L. Moran und M. Liverani führten einerseits zu Rainey’s monumentaler Beschreibung der grammatischen Systeme (Rainey 1996), andererseits zu den Übersetzungsbänden The Amarna Letters (Moran 1992) und Le lettere di el-Amarna (Liverani 1998). Übersetzungen einiger ausgewählter Texte auf Deutsch finden sich in TUAT I/5, 512-520 (EA 17, 30, 286, 289 und 290) sowie TUAT.NF 3 (EA 8, 9, 15, 16, 24, 31, 32, 41, 60, 62, 73, 74, 76, 82-85, 88, 89, 98, 101, 104, 105, 137, 156, 161, 162, 166, 170, 244, 245, 250, 254, 280, 287 und 288). Die Texte, die keine Briefe sind, wurden von S. Izreel (1997) einer Neuedition unterzogen.

4. Datierung

Amarnabriefe 3
Die Datierung der Dokumente ist nicht in jedem Fall eindeutig möglich. Als allgemeiner Konsens scheint aber die Zeitspanne von der späten Regierungszeit Amenophis’ III. (um 1390-1353 v. Chr.; ungefähr in dessen 30. Jahr) bis zum Beginn der Regierungszeit → Tutanchamuns (um 1336-1327 v. Chr.) als Zeithorizont des Gesamtarchivs festzustehen (ca. 1360-1330 v. Chr.). In vielen Fällen ist die Rekonstruktion von relativen Chronologien innerhalb der Dossiers möglich, da sich in den Briefen Hinweise für eine Reihenfolge finden lassen. Versuche, diese dann in absolute Jahreszahlen umzusetzen, scheitern jedoch oft am Fehlen externer Datierungsmöglichkeiten.

5. Inhalt

Üblicherweise werden die Amarna-Tafeln nach Textsorten unterschieden (Briefe und Mitteilungen versus andere Texte, meist als „Schultexte“ bezeichnet). Die Briefe und Mitteilungen werden in zwei weitere inhaltliche Kategorien unterteilt: in Korrespondenz mit Großmächten und unabhängigen Reichen sowie in Korrespondenz mit Vasallen. Diese Unterteilung geht auf Knudtzon zurück, der versuchte, eine plausible Einteilung der Dossiers vorzunehmen.

In der Korrespondenz mit den Großmächten (ca. 50 Dokumente) wurden dynastische Probleme, Vermählungen, Geschenksendungen, Allianzen, Handel, rechtliche Probleme und diplomatische Fragen behandelt. Die gleichrangigen Großkönige der altorientalischen Dynastien betrachteten sich als gemeinsame, ebenbürtige Mitglieder eines Haushaltes, was in der Verwendung der Worte „Bruder“ respektive „Schwester“ in der gegenseitigen Anrede zum Ausdruck kommt. Zu diesen Großmächten gehörten Babylonien (EA 1-11), Assur (EA 15-16), Mitanni (EA 17-30) und Hatti (41-44), zu den unabhängigen Reichen solche wie Arzawa an der südanatolischen Küste (EA 31-32) und Alaschia, ein Reich auf der Insel Zypern, das Kupfer produzierte und deshalb ein wichtiger Handelspartner war (EA 33-40).

In der Vasallenkorrespondenz, die den größten Teil der Dokumente ausmacht (EA 45-339, 362-367, 369-371, 378 und 382), drehen sich die Themen um Probleme am Hof der Vasallen, solchen zwischen den Vasallenreichen und um Probleme der inneren Sicherheit sowie der (Handels-)Routen. Offenbar waren diese Vasallenreiche keine annektierten Gebiete, sondern unterstanden einem der Großreiche in einer Form von Vasallenverbindung. Die wichtigsten Vasallen Ägyptens in der Korrespondenz waren das Reich Amurru, im Süden des heutigen Libanons (EA 60-67, 156-171), → Byblos (EA 68-140, 362), → Sichem (EA 252-254), Qadesch am Orontes (EA 189-190), → Damaskus (EA 194-197) und → Ugarit (EA 45-49). Einige Herrscher dieser Reiche verfolgten ihre eigenen politischen Ziele und wechselten auch schon mal die Loyalitäten (so z.B. Amurru vom ägyptischen in das hethitische Lager). In der Vasallenkorrespondenz kamen die vertikalen Hierarchieunterschiede durch Anreden wie „Diener“ vs. „Herr“ zum Ausdruck (Liverani 1998: 52-59; Müller 2005).

Für Palästina sind die Amarna-Briefe von dortigen Fürsten – z.B. aus → Hebron, → Sichem und → Jerusalem – bedeutsam, da sie einen Einblick in die Lebensverhältnisse Palästinas in der Späten → Bronzezeit geben, z.B. in die Konflikte, die die von Ägypten abhängigen lokalen Reiche untereinander austragen. So beschweren sich etwa Fürsten beim Pharao über ihre Nachbarn oder über Eindringlinge und bitten ihn, Hilfe zu schicken und für Frieden sorgen. Sechs Briefe stammen von → Abdi Chepa, dem Stadtfürsten von Jerusalem (EA 285-290 und der fragmentarische Brief 291 [?]). In EA 286 beschwert er sich beim Pharao darüber, dass man ihn zu Unrecht der Untreue bezichtigt und dass Ili-Milku, der Stadtfürst von → Geser, ihn bedrängt:

Zum König meinem Herrn sprich: Folgendermaßen Abdi-Hepa, Dein Diener: Zu Füßen des Königs, meines Herrn, falle ich siebenmal und siebenmal nieder. Was habe ich gegen den König, meinen Herrn, getan? Man verleumdet mich vor dem König, meinem Herrn: „Abdi-Hepa hat den König, seinen Herrn, verlassen!“ Siehe, mich hat weder mein Vater noch meine Mutter an diesem Ort eingesetzt – der mächtige Arm des Königs hat mich eingeführt in das Herrscherhaus meines Vaters! Warum sollte ich (da) einen Frevel gegen den König, meinen Herrn, begehen? …. Sodann stelle ich fest: Verloren ist das Land des Königs, meines Herrn! So befeindet man (im Grunde) den König, meinen Herrn (selbst)! … Mit den Wachsoldaten möge der König Regentschaft über sein Land ausüben! (Ja,) der König möge sein Land regieren! (Sonst) ist das gesamte Land des Königs, meines Herrn, verloren. Ili-Milku hat das ganze Land des Königs abspenstig gemacht. Aber es regiere der König, mein Herr, über sein Land. (Übersetzung: TUAT I 512-514).

6. Sprache

Die sprachlichen Systeme, die sich innerhalb der Texte feststellen lassen, sind reichlich heterogen. Dies ist zum einen durch die Verwendung unterschiedlicher Sprachen bedingt: Neben dem von der Mehrzahl der Texte benutzten Mittelbabylonisch (ein Chronolekt des Akkadischen) fanden sich Briefe auf Assyrisch (ebenfalls ein Chronolekt des Akkadischen, hauptsächlich im nördlichen Mesopotamien benutzt: EA 15), Hurritisch (eine autochthone Sprache in Nord-Syrien: EA 24) und Hethitisch (eine indoeuropäische Sprache im Gebiet der heutigen Zentraltürkei: EA 31-32). Ägyptisch kommt nur in keilschriftlicher Transkription auf einer Wortliste bzw. in Form von Eingangsnotizen der ägyptischen Verwaltung auf einigen Briefen vor (Abrahami / Coulon).

Zum anderen weichen diese Texte je nach Herkunftsgebiet von einem als Standard angenommen Mittelbabylonisch ab. Wurden diese Abweichungen ursprünglich als direkte Interferenzen der Muttersprachen der Schreiber erklärt, mit deren Hilfe sich das Proto-Kanaanäische rekonstruieren ließe (Rainey; Cochavi-Rainey), muss man inzwischen wohl konstatieren, dass dies nur begrenzt möglich ist. Offenbar bediente man sich einer Form von Akkadisch als Korrespondenzmedium, das von unterschiedlichen Schreibern nur sehr unvollständig beherrscht wurde (Gianto; Müller). Wie Untersuchungen zu modernen Zweitspracherwerbsphänomenen zeigen, sind mitnichten alle Abweichungen von der Zielsprache auf Phänomene der Muttersprache zurückführbar. Vielmehr bilden Benutzer der Sprache eine Form von Interlanguage, die partiell ihre eigenen, idiosynkratischen Muster und Formen hervorbringt. Diese Interlanguages unterscheiden sich naturgemäß von Sprecher zu Sprecher, so dass man nicht von einer einheitlichen Sprachnorm ausgehen kann. Diese Interpretation dürfte den in den Armarna-Briefen festzustellenden sprachlichen Befund besser beschreiben.

Literaturverzeichnis

  • Abrahami, P. / Coulon, L., 2008, De l’usage et d’archivage des tablettes cunéiformes d’Amarna, in: L. Pantalacci (Hg.), La lettre d’archive, Communication administrative et personelle dans l’Antiquité proche-orientale et égyptienne, Actes du colloque de l’université de Lyon, 9-10 juillet 2004 (Topoi Supplement 9 = IFAO, Bibliothèque Générale 32), Le Caire, 1-26
  • Bryce, T., 2003, Letters of the Great Kings of the Ancient Near East: The Royal Correspondence of the late Bronze Age, London
  • Cochavi-Rainey, Z., 1989, Canaanite Influence in the Akkadian Texts Written by Egyptian Scribes in the 14th and 13th Centuries B.C.E., UF 21, 39-46
  • Cochavi-Rainey, Z., 1990a, Egyptian Influence in the Akkadian Texts Written by Egyptian Scribes in the Fourteenth and Thirteenth Centuries B.C.E., JNES 49, 57-65
  • Cochavi-Rainey, Z., 1990b, Tenses and Modes in Cuneiform Texts Written by Egyptian Scribes in the Late Bronze Age, UF 22, 5-23
  • Cohen, R. / Westbrook, R., 2000, Amarna Diplomacy. The Beginnings of International Relations, Baltimore / London
  • Freu, J., 2004, Suppiluliuma et la veuve du pharaon. Histoire d’un mariage manqué. Essai sur les relations égypto-hittites, Collection Kubaba, Série Antiquité V, Paris, Budapest / Turin
  • Gabolde, M., 1998, D’Akhenaton à Toutânkhamon (Collection de l’Institut d’Archéologie et d’Histoire de l’Antiquité, Université Lumière-Lyon 2), vol. 3, Paris
  • Gianto, A., 1990, Word Order Variation in the Akkadian of Byblos (Studia Pohl 15), Roma
  • Gianto, A., 1997, Script and Word Order in EA 162: A Case Study of Egyptian Akkadian, Or N.S. 66, 426-433
  • Gianto, A., 1999, Amarna Akkadian as a Contact Language, in: K. van Lerberghe / G. Voet (Hgg.), Languages and Cultures in Contact. At the Crossroads of Civilizations in the Syro-Mesopotamian Realm, Proceedings of the 42th RAI (OLA 96), LEUVEN, 123-132
  • Izre’el, S., 1991, Amurru Akkadian, a linguistic study, with an Appendix on the History of Amurru by Itamar Singer (Harvard Semitic Studies 40/41), Atlanta
  • Izre’el, S., 1997, The Amarna Scholarly Tablets (Cuneiform Monographs 9), Groningen
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  • Knudtzon, J.A., 1915, Die El-Amarna-Tafeln. Mit Einleitung und Erläuterungen (Vorderasiatische Bibliothek 2), 2 Teile, Leipzig
  • Liverani, M. 1998, Le lettere di el Amarna, I. Le lettere dei «Piccoli Rei», II. Le lettere dei «Grandi Rei» (Testi del Vicino Oriente antico 2.3), Brescia
  • Moran, W.L., 1992, The Amarna Letters. Edited and Translated, Baltimore / London
  • Müller, M., 2003, Akkadisch in Keilschrifttexten aus Ägypten, Deskriptive Grammatik einer Interlanguage des späten zweiten vorchristlichen Jahrtausends, Dissertation Göttingen
  • Müller, M., 2004, Akkadisch von Ägyptern. Beispiele eines unvollkommenen Fremdspracherwerbs, in: Th. Schneider (Hg.), Das Ägyptische und die Sprachen Vorderasiens, Nordafrikas und der Ägäis, Akten des Basler Kolloquiums zum ägyptisch-nichtsemitischen Sprachkontakt Basel 9.-11. Juli 2003 (AOAT 310), Münster 2004, 183-218
  • Müller, M., 2005, „Unter Brüdern!“ Verwandtschaftsbezeichnungen zum Ausdruck hierarchischer Positionen zwischen Herrschern altorientalischer Reiche am Ende des 2. Jahrtausend v.Chr., in: M. Fitzenreiter (Hg.), Genealogie – Realität und Fiktion von Identität, Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie V, London, 173-182; online in IBAES V (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes5/lay.html)
  • Rainey, A.F., 1978, El Amarna Tablets 359-379, Supplement to J.A. Knudtzon, Die El-Amarna-Tafeln, 2nd edition, revised (AOAT 8), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn
  • Rainey, A.F., 1996, Canaanite in the Amarna Tablets, A Linguistic Analysis of the Mixed Dialect used by the Scribes from Canaan (HdO I/25), 4 BDE, LEIDEN U.A.

Abbildungsverzeichnis

  • Brief Azirus, des Königs von Amurru, an den Pharao. Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 11.11.2008
  • Karte zur Lage von Tell el-Amarna. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Ausgrabungen in el-Amarna. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2007)

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