Amos / Amosbuch
(erstellt: September 2006)
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1. Das Amosbuch im Kontext
In der → Septuaginta
Eine weitere, in → Qumran
2. Gestalt und Aufbau des Buches
Die Prophetenschrift umfasst 9 Kapitel, die als Botschaft des in der Überschrift vorgestellten Autors verstanden werden sollen. Das besagt das „und er sagte“ in Am 1,2
Am 1,1: die Überschrift. Am 1,1
Statt des Vatersnamens wird der Beruf des Amos angegeben: „der unter den Tierzüchtern (בנקדים) aus Tekoa war“. Eine weitere Ergänzung („der schaute wider Israel“) benennt den zentralen Gehalt der Botschaft und geht über in eine Datierung, bei der der judäische König → Usija / Asarja
Am 1,2: das Motto: Der erste Spruch in Am 1,2
Am 1,3-2,15: ein Zyklus von Völkersprüchen. Der Leseanweisung in Am 1,2
Am 3-6: Gerichtsworte gegen Israel. Die vier Kapitel sind mit Hilfe von einleitenden Aufforderungen zum Hören in Am 3,1
Am 7,1-9,6: ein Zyklus von Visionen. Mit Am 7,1
Am 9,7-15: ein abschließendes Heilswort. Mit Am 9,7
Eine breite Richtung der Forschung versucht, der so beschriebenen Buchgliederung durch Überlegungen zu Aufbauprinzipien oder durch rhetorische Analysen einen Sinn abzugewinnen. Möller (2003) hat diese Versuche neuerdings gesichtet und weitergeführt. Er rechnet mit einer Entstehung des Gesamtbuches am Ende des 8.Jh.s. Es habe dazu gedient, die Reden des Amos an die Israeliten so darzubieten, dass die assyrische Eroberung Israels 722 v. Chr. als deren Erfüllung verstehbar wurde. Zugleich konnte die Amosschrift für judäische Leser als Warnung präsentiert werden. Die einem synchronen Ansatz verpflichteten Analysen überzeugen auf der mikrostrukturellen, nicht jedoch auf der auf das Buchganze bezogenen makrostrukturellen Ebene, da sie literarkritische Fragen überspielen. Insgesamt muss man urteilen, dass die Forschung quer zu den verschiedenen Richtungen anerkennt, dass zwischen den Teilen Am 1-2; Am 3-6 und Am 7-9 strukturelle Differenzen bestehen.
3. Zur Entstehung des Buches
Die Extrempositionen hinsichtlich der Frage der Buchentstehung markieren auf der einen Seite Rosenbaum (1990), nach dessen Meinung das Amosbuch die wortgetreue Fassung einer 20minütigen Rede sei, die Amos in Bethel gehalten und nach seiner Ausweisung in Tekoa eigenhändig aufgeschrieben habe, und auf der anderen Seite Fritz (1987/1989), der nur einige wenige kleine Textstücke auf Amos zurückführt. Die Wahrheit dürfte irgendwo und irgendwie in der Mitte liegen.
3.1. Forschungsgeschichte
1) Das Amosbuch als einheitliches Werk
Für die konservativere Forschung steht wegen Am 1,1
Dazwischen liegen Auffassungen, die mit einer mehr oder weniger komplizierten Entstehung des Buches rechnen, also eine größere oder kleinere Anzahl von Redaktionen in Anschlag bringen. Dabei ist in der neueren Diskussion der Anteil des (am Anfang der Überlieferungsbildung stehenden) historischen Amos besonders kontrovers.
2) Das Amosbuch als mehrschichtiges Werk
Für die Buchentstehung entwickelte man verschiedene Modelle. Klassisch ist die Vorstellung zu nennen, die mit einem großen Anteil von Amosworten aus der Zeit um 760 rechnet, die zunächst verschriftlicht wurden und dann durch verschiedene Redaktionen kleineren Umfangs (wobei die Annahme einer deuteronomistischen Redaktion durch W.H.Schmidt, 1965, am einleuchtendsten war) zum vorliegenden Buch ausgebaut wurden. So rechnet der Kommentar von H.W. Wolff (1969) mit folgenden Verhältnissen:
a) die älteste Schicht geht auf Amos selbst zurück;
b) seine Schüler („Amosschule“) interpretieren diese schriftlich weiter;
c) eine Bethel-Interpretation verarbeitet die Vernichtung des Bethel-Tempels durch Josia;
d) dem folgt die deuteronomistische Redaktion;
e) endlich gestaltet eine nachexilische Heilsinterpretation das heutige Buchganze.
In neueren Darstellungen werden demgegenüber nur sehr wenige Worte Amos selbst zugerechnet, v.a. einige goldene Worte (Vergleiche, Bildworte, Weherufe), die eine urtümliche, weisheitsanaloge Sammlung der „Worte des Amos“ (Am 1,1
Eine noch weitergehende Verfeinerung der Analyse stellt Rottzolls (1996) Unterscheidung von zwölf Stufen der Buchwerdung dar, von denen allerdings neben der Urgestalt der Amosworte (größeren Umfangs, Rottzoll orientiert sich für die Urgestalt v.a. an den Angaben über das Erdbeben in Am 1,1
3) Die Entstehung des Amosbuchs im Rahmen der Entstehung des Zwölfprophetenbuchs
Neuerdings versucht man, das Werden des Amosbuches mit dem des Zwölfprophetenbuchs zu verbinden. J. Jeremias (1995) zeigt, dass Redaktoren der Bücher Hos und Am schon früh auf das jeweils andere Buch Bezug genommen haben. Nach Schart (1998; vgl. Nogalski, 1993; etwas zurückhaltender Jeremias, 1997) folgen einer selbständigen Sammlung von Amosworten in Kap. 3-6 verschiedene Neufassungen (Schichten), die mit dem Werdegang des Zwölfprophetenbuchs zusammenhängen:
a) Die sog. Tradentenfassung in Am 1-9 wird mit dem Buch Hos korreliert (im Sinne der Herstellung eines Zwei-Prophetenbuches Hos+Am);
b) die 2. Schicht, die deuteronomistisch geprägt ist, wird mit der Entstehung eines erweiterten Werkes (Hos / Am / Mi / Zef) in Verbindung gebracht;
c) die 3. Schicht („Hymnenschicht“) schließt noch Nah und Hab ein;
d) die 4. Schicht („Heilsschicht“) umfasst neben dem voll ausgeformten Buch Mi als Fortführung von Zef noch Hag und Sach 1-8;
e) die 5. Schicht („eschatologische Schicht“) entwickelt ein Zehnprophetenbuch;
f) der Ausbau zum Zwölfprophetenbuch mit Jona und Mal hat keine Rückwirkungen auf das entstandene „Buch“ Am mehr gehabt.
Die weitere Forschung wird diese redigierenden Übergriffe in andere literarische Bereiche hinein zu prüfen haben.
Es gibt zwei weitgehend konsensfähige Ausgangspunkte für die kritische Betrachtung des Buches: 1. das Buch ist in seiner Endfassung ein Produkt der (nach)exilischen Ära. 2. Das Buch hat in seinen drei Teilen (Am 1-2; Am 3-6; Am 7-9) ein unterscheidbares Profil. Man sollte also zu diesen drei Teilen des Buches getrennt Stellung beziehen.
3.2. Redaktionsschichten
1) Die Endfassung. Die Endfassung des Buches stammt erst aus nachexilischer Zeit. Dies zeigen folgende Beobachtungen:
a) die Vorwürfe an die Adresse des „Bruder“volks der Edomiter (Am 1,11f
b) das sog. Kehrversgedicht Am 4,6-11
c) die Ankündigung des Wiederaufbaus der „Hütte Davids“ in Am 9,11-15
d) auch Restitutionserwartungen (Am 9,14a
Möglicherweise setzen einige Texte die deuteronomistischen Königsbücher voraus (vgl. Am 1,5
2) Die deuteronomistische Redaktion. Fragt man hinter die Endfassung zurück, so bietet sich als weiterer breiter Konsens die Annahme einer deuteronomistischen oder deuteronomistisch geprägten Redaktion an, der folgende Texte zugeordnet werden:
b) die Hinweise auf das göttliche Heilshandeln in Exodus, Wüstenwanderung und Landnahme (Am 2,9-10.11[12]; Am 3,1
c) der Gedanke, dass Propheten das verkünden, was sie im göttlichen „Kreis“ gehört haben (Am 3,7
d) das sog. Kehrversgedicht in Am 4,6-11(12), das die fehlende „Umkehr“ der Adressaten angesichts der von Gott gebrachten Katastrophen der Vergangenheit anspricht (vgl. das Tempelweihegebet Salomos, 1Kön 8
e) vielleicht auch der Bericht über die Begegnung mit dem Priester Amazja in Bethel, Am 7,10-17
Die Zufügung neuer Texte bringt ein neues Verständnis der vorgegebenen älteren Texte mit sich: So wird z.B. der vordeuteronomistische Spruch Am 4,4-5
3) Die hymnischen Teile des Buches (Am 4,13
Bleiben diese zwei redaktionellen Stufen vor der Endfassung recht wahrscheinlich, so scheint es angezeigt, sich für weitere Rückfragen nicht am Gesamtbuch, sondern an den genannten Buchteilen Am 1-2; Am 3-6; Am 7-9 zu orientieren.
3.3. Die einzelnen Teile des Amosbuches
1) Die Völkerwort-Reihe. Sie umfasste ursprünglich nur die Sprüche gegen Damaskus (Am 1,3-5
2) Die Visionen-Reihe (→ Visionen
Zumindest die ersten vier Visionen bilden einen literarischen Zusammenhang, der keine Rekonstruktion eines früheren Textstadiums erlaubt. Auch bei dieser Visionenreihe wird man aufgrund der Kennzeichnung von Jakob als „klein“ am ehesten an eine Zeit denken, in der der große Staat der Zeit → Jerobeams II.
Die Visionenreihe (Am 7,1-8,2
Die Ausarbeitung der Visionenreihe v.a. in Am 8,4-14
3) Die Wortsammlung Am 3-6. Sie ist gegenüber den großräumigen Fünfer-Strukturen in Am 1-2 und Am 7-9 ganz anders aufgebaut und aus kleinen literarischen Einheiten sehr unterschiedlicher Form (Gattung) komponiert.
Der 1. Teil (Am 3-4) ist am ehesten durch die Höraufrufe (und Ähnliches in Am 3,9
Der 2. Teil (Am 5-6) umfasst eine konzentrisch aufgebaute Komposition (Am 5,1-17
In den beiden parallel aufgebauten Weherufen Am 5,18ff
Die in Am 5,1-17
4. Theologische Gewichtungen
Unabhängig davon, welche Texte auf den historischen Propheten zurückgehen, sind die folgenden Gedanken im Amosbuch von besonderem Gewicht.
4.1. Israel und die Völker
Die Reihe der Völkerworte (Am 1,3-2,16
4.2. Israel und sein Gott in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Das Buch Amos verwendet an einigen Stellen Überlieferungen, die im Einklang vor allem mit deuteronomistischen Texten die besondere Beziehung Jahwe-Volk durch die fundamentalen Gottestaten Exodus und Landgabe begründet und bestimmt sehen (Am 2,9-10
4.3. Die Forderung nach „Recht / Gerechtigkeit“
Die Forderung nach „Recht und Gerechtigkeit“ begegnet als Mahnung im Kontext der Kultkritik von Am 5,21ff
4.4. Die Kritik am sozialen und kultischen Verhalten
„Recht und Gerechtigkeit“ bilden Maßstab der Kritik des Amos, die man üblicherweise in Kritik am sozialen und am kultischen Verhalten Israels unterteilt, auch wenn sich diese Aspekte in den Texten überlagern.
1) Sozialkritik. Soziale Ungleichgewichte in der Gesellschaft werden drastisch kritisiert und gelten als Grund für die anstehende Katastrophe (bes. Am 2,6-8
2) Kultkritik. Die Kultkritik (bes. Am 4,4-5
Zumindest ab der deuteronomistischen Redaktion des Buches wird man die Kritik der Kultorte im Norden und Süden – genannt werden Bethel, Gilgal, Samaria, Dan und das judäische Beerscheba – so verstanden haben, als seien diese Kultorte illegitim, weil Gott ausschließlich Jerusalem als Kultort erwählt habe. Für frühere Phasen wird diese Sicht der Dinge kaum gelten.
Strittig ist, welches Ausmaß die Kritik an polytheistischen Verhaltensweisen einnimmt. Auf jeden Fall findet sich der Vorwurf des „Abfalls“ zu anderen Gottheiten, im deuteronomistischen Stil formuliert, im Judaspruch (Am 2,4
3) Weitere Kritikpunkte seien noch genannt: der Stolz auf militärische Leistung (Am 6,13
4.5. Ziel der Botschaft
Im Zentrum des Amosbuches steht – so eine breite Richtung der Forschung – die Gerichtsbotschaft von der Ankündigung des Endes Israels (Am 8,2
Ebenso deutlich ist aber auch, dass das Buchende dieses Gericht einschränkt auf eine bestimmte Phase der Existenz des Volkes: es reformuliert die Botschaft für Juda. Mit der Metapher der „Hütte Davids“, die durch Gottes Eingreifen wieder errichtet werden soll, ist im Blick, dass sich das Herrschaftsgebiet der Israeliten analog zum Reich Davids auch über Edom und alle Völker erstreckt, die zu Jahwe gehören. Diese Veränderung des Buchsinnes gehört zweifellos erst in die (nach-)exilische Zeit. Die Fortsetzung dieser Restituitonshoffnung mit der Erwartung paradiesischer Fruchtbarkeit des Landes und der Heilswende kann als Aufhebung voranstehender Drohworte verstanden werden. Gleiches gilt auch für die Heilswende für „mein Volk Israel“ (qua Zwölfstämmevolk) und für die neue Landgabe, die nie wieder widerrufen werden soll. Das Heil, das hier verheißen wird, folgt dem zuvor zu vollziehenden Gericht, da Gott sein Volk nicht (völlig) fallen lassen kann, denn er ist und bleibt in allem Jahwe, Israels Gott (→ Eschatologie
5. Zur Person des Amos
Die in Am 1,1
1) Zeit. Man kann das Wirken des Amos nur grob um 760 v. Chr. ansetzen. Am 1,1
Man hat die Datierung in die Zeit Jerobeams II. für einen Irrtum der Überlieferung gehalten. Eigentlich sei Jerobeam I. gemeint (Levin, 1995). Deswegen muss man die Zeit des wirklichen Auftretens allein aus inhaltlichen Merkmalen der Botschaft ableiten. Man sieht die Katastrophenankündigungen im Kontext des sog. Syrisch-ephraimitischen Krieges (um 734-732 v. Chr.), wobei manche weisheitlichen Worte älter sein können. Andere datieren sie in die Zeit des Endes von Samaria (722 v. Chr.). Auch für die Völkerwortreihe hat man an eine entsprechende „produktive“ Verarbeitung der assyrischen Expansion in prophetischem Geiste gedacht (Fritz, 1987; erheblich später – (nach-)exilisch – datiert Fischer, 2002). Die Unsicherheit hängt auch daran, dass wir über die Zeit Jerobeams II. kaum etwas wissen. Aber es liegt immerhin am nächsten, einen Text wie Am 6,13
2) Ort. Aufgetreten ist Amos mit großer Wahrscheinlichkeit im Nordreich, wie die häufige Rede über oder Anrede an die Orte → Samaria
Verdankt sich die judäische Perspektive des Amosbuches im Wesentlichen späterer redaktioneller Arbeit, so ist der Einschätzung des historischen Amos als Jerusalemer Kultprophet (aus weisheitlichen Kreisen Tekoas) ziemlich unwahrscheinlich (zu Lescow, 1998). Dass die späten Redaktionsschichten des Amosbuches dieses als ein Zeugnis für den Anspruch Jerusalems als alleinigem Kultort für Jahwe interpretieren, ist andererseits ebenso deutlich.
3) Beruf. Wenig konform sind in Am 1,1
Wolff (1969) hat diese Basisinformationen durch eine semantische Analyse der Worte so ausgelegt, dass Amos als Mensch bäuerlicher Provenienz zusätzlich zu den „weisen“ Kreisen gehörte, die ein bestimmtes Weltbild pflegten und tradierten. Analysen der Amos-Worte haben den weisheitlichen Hintergrund der vermuteten Kern-Botschaft des Amos (in Vergleichen, Weherufen u.a.) bestätigt.
Alles weitere hängt von den Entscheidungen darüber ab, wie man sich die Entstehung des Buches Amos vorstellt (s.o.). Betrachtet man das Prophetische in Amos eher als sekundäre Bearbeitung, so sieht man den historischen Amos als Weisen, der auf Grund des Verfalls des alten Sippenethos dem Staat insgesamt eine katastrophale Entwicklung prognostiziert. Hält man dagegen das Szenario von Am 7,10-17
6. Weiterwirkung – Rezeption
6.1. Innerhalb des Alten Testaments
Die Botschaft des Amos, bzw. der unter seinem Namen kursierenden Schrift, hat eine gewaltige Wirkung im alten Israel entfaltet. Folgende Gedanken und Motive des Amosbuches sind zu nennen:
▪ die → „Jahwe-Tags-Ankündigung
▪ die sog. Kultkritik, die in weiteren prophetischen Äußerungen ihre Aufnahme und ihr Echo findet (Am 5,21-27
▪ die metaphorische Rede vom Tod Israels (Am 5,2
▪ das ungeheure Wort vom „Kommen / Gekommensein des Endes Israels“ aus Am 8,1-2
▪ die Bedeutung der Vision für die Legitimation traditionssprengender prophetischer Inhalte (Am 7,7-8
▪ andere Amosworte mögen strukturelle Vorgaben für ähnliche Formulierungen geliefert haben, z.B. Am 5,19
Wenn man davon überzeugt ist, dass große Teile des Amosbuches spät sind, wird man gegebenenfalls die Abhängigkeitsverhältnisse umdrehen müssen.
Die griechische Septuaginta-Übersetzung (LXX) geht durchaus eigene Wege (zuletzt Park, 2001; Schart, 2006; → Septuaginta
6.2. Zwischentestamentliche und neutestamentliche Literatur
In der zwischen- und neutestamentlichen Literatur spielt Amos kaum eine Rolle. Das gilt für Qumran wie für das Neue Testament, aber auch für Sir 49,12
1) Qumran. Die Damaskus-Schrift (CD VII 14-18; → Qumran
In 4Q174 begegnet Am 9,11
2) Neues Testament. Im Neuen Testament wird Amos nur zweimal explizit zitiert. In der Rede des Stephanus wird Am 5,25-27
6.3. Jüdische und rabbinische Überlieferung
In den zeitlich nicht präzise ansetzbaren Schrift „Leben der Propheten“ (vgl. Schwemer, 1995/6, versus Satran, 1995) wird über Amos gesagt, er stammte aus Tekoa, sei von Amazja in Bethel gefoltert sowie von dessen Sohn tödlich getroffen worden und sei schließlich in seiner Heimat begraben worden (Schwemer, 1995/6). In der Ascensio Jesajae wird er mit dem Vater des Propheten Jesaja identifiziert (AscJes 4,22), ein Einfall, der nur aufgrund der griechischen Wiedergabe der beiden Namen möglich ist. Später scheint man Amasja auch als König aufgefasst zu haben (Isidor Hispalensis).
Die recht bunte Auslegung zum Amosbuch in der rabbinischen Literatur hat Routtenberg (1971; vgl. Blechmann, 1937) gesammelt. Sie belegt ein methodisch vielfältiges Assoziieren, Argumentieren und Spielen mit den Texten zur israelitisch-jüdischen Identitätsbehauptung (man vgl. die Ausführungen zu Am 9,7
6.4. Kirchengeschichte
Auch in der Alten Kirche spielt Amos eine geringe Rolle (vgl. Dassmann, Art. „Amos“, RAC Suppl. I, 2001). Über die Person äußern sich verschiedene Schriftsteller knapp (Clemens, Origenes, Augustin). Wichtige verlorene (aber zum Teil später verwendete) Kommentierungen stammen von → Origenes
Außerhalb dieser Kommentarwerke wird Amos wenig verwendet. Dassmann nennt die Stellen, die eine größere Rolle spielen: Am 4,13
Für Savonarola war Amos einer der entscheidenden Kritiker der eigenen Zeit im Italien um 1500 und Ankündiger des bevorstehenden Gerichts (vgl. Martin-Achard, 1984).
Eine Liste einschlägiger mittelalterlicher Kommentare findet sich bei Krause (1962, 133). Aus der Reformationszeit ist der Kommentar von Johannes Brenz hervorzuheben. Ansonsten spielt Amos in jener Zeit keine größere Rolle. Auch bei Luther bleibt er recht insignifikant (Krause, 1962). Eine gewisse Rolle spielt bei den recht knappen Ausführungen Luthers immerhin (deutsch bei Walch, 1987), dass das Israel des Amos auch die Kirche seiner Gegenwart ist.
6.5. Neuere Zeit
Amos wird in neuerer Zeit zum Advokaten der Armen und Entrechteten, der den Reichen bei Unbußfertigkeit das Gericht androht. Das passt einerseits in den westeuropäischen Marxismus der 60/70er Jahre des 20. Jh.s, aber auch in die Adaptionen des Propheten in der sog. Dritten Welt und in Äußerungen des Ökumenischen Rates der Kirchen. Vor allem Süd- und Mittelamerika, aber auch asiatische und afrikanische Länder sind hier zu nennen (Moon, 1985), wobei die Akzente der Rezeption sehr uneinheitlich sind (vgl. Carroll R., 2002). Auch in der BRD ist Amos in den 70er Jahren des 20. Jh.s wegen seiner Gesellschaftskritik zum Toppropheten aufgestiegen. Viele Autoren setzten die gesellschaftliche Situation dieser Jahrzehnte recht unvermittelt mit der Zeit des Amos gleich. Auch als Held einer größeren Erzählung ist er hervorgetreten (H. Koch, 1989).
6.6. Amos in der bildenden Kunst
Die Darstellung des Propheten hat eine lange, relativ insignifikante Tradition (Wandmalerei, Ikonostasen, Buchmalerei), in der Amos nur durch die Namensbeischrift von anderen Propheten (alten, bärtigen Männern) unterscheidbar ist; so z.B. auf dem Kölner Dreikönigsschrein (12. Jh.; Abb. 4). Im Gebetbuch der Hl. Elisabeth (13. Jh.) erscheint Amos über Jesaja als Prophet, der auf Christus verweist (Abb. 3). Neben der Ankündigungsszene („Sei gegrüßt, Maria, voll der Gnade“; Lk 1,28
Ein Bild von Nicolaes Maes aus dem 17.Jh. zeigt als Sinnbild von Vergänglichkeit eine alte, schlafende Frau (Abb. 5). Eine Eieruhr – Symbol der verrinnenden Zeit – stützt eine vom Licht angestrahlte Bibel. Aufgeschlagen ist Amos als der Prophet, der die Menschen an Tod und Gericht erinnert.
Auch in neuerer Zeit gewinnt Amos in der Kunst kaum Bedeutung; vgl. jedoch Gustave Doré und Georg Meistermanns Glasfenster in St. Gereon in Köln von 1980. Bei der Aufnahme von Bildmotiven aus der Botschaft des Amos sticht in meinen Augen ein Relief in der Kathedrale von Coventry hervor, das sich an Am 7,7-8
Literaturverzeichnis
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- Steins, G., 2004b, Amos 7-9 – das Geburtsprotokoll der alttestamentlichen Gerichtsprophetie?, in: F.-L. Hossfeld / L. Schwienhorst-Schönberger (Hgg.), Das Manna fällt auch heute. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger; HBS 44), Freiburg u.a., 585-608.
- Werlitz, J., 2000, Amos und sein Biograph. Zur Entstehung und Intention der Prophetenerzählung Am 7,10-17, BZ 44, 2000, 233-251.
5. Wirkung – Rezeption
- Blechmann, M., 1937, Das Buch Amos in Talmud und Midrasch. Diss. Würzburg.
- Carroll R., M.D., 1992, Contexts for Amos: Prophetic Poetics in Latin American Perspective (JSOT.S 132), Sheffield.
- Janssen, H., K. de Kort (Zeichner), 1987, Amos – Ein Schafzüchter aus Tekoa, der Prophet der Gerechtigkeit Gottes, Utrecht.
- Koch, H., 1989, Wenn der Löwe brüllt. Die Geschichte von Amos, dem Mann, der kein Prophet sein wollte. Eine dramatische Erzählung. Stuttgart, 8. Aufl.
- Krause, G., 1962, Studien zu Luthers Auslegung der Kleinen Propheten (BHTh 33), Tübingen.
- Lössl, J., 2001, Julian of Aeclanum´s Tractatus in Osee, Iohel, Amos, Aug(L) 51, 11-37.
- Moon, C.H.S., 1985, A Korean Minjung Theology. An Old Testament Perspective. Maryknoll, NY.
- Nägele, S., 1995, Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine auslegungsgeschichtliche Studie zu Amos 9,11 in der jüdischen und christlichen Exegese (AGJU 24), Leiden u.a.
- Routtenberg, H.J., 1971, Amos of Tekoa. A Study in Interpretation, New York.
- Satran, D., 1995, Biblical Prophets in Byzantine Palestine. Reassessing the Lives of the Prophets (SVTP 11), Leiden u.a.
- Schwantes. M., 1991, Das Land kann seine Worte nicht ertragen. Meditationen zu Amos (KT 105), München.
- Schwemer, A.M., 1995/6, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden Vitae Prophetarum, 2 Bde, Tübingen.
Abbildungsverzeichnis
- Amos (Säulenmalerei in der Kirche des serbischen Klosters Gračanica bei Priština; 14. Jh.).
- Amos mit Hirtenstab und Horn (Initiale „V“ [verba] in der Park Abbey Bible; 12. Jh.).
- Amos und Jesaja verheißen Christus (Gebetbuch der hl. Elisabeth; 13. Jh.).
- Amos (Dreikönigsschrein im Kölner Dom; 12. Jh.).
- Dösende Frau (Nicolaes Maes; um 1656).
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