Anthropomorphismus
(erstellt: September 2016)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/13433/
1. Begriff und Vorstellung
Der griechische Begriff „Anthropomorphismus“ bezeichnet in einem weiteren Sinne Vorstellungen oder Redeweisen, die von einer Gottheit in Analogie zu einem Menschen sprechen. In einem engeren Sinne meint er Vorstellungen, die speziell von der Gestalt (morphé) einer Gottheit in Analogie zu der eines Menschen (ánthropos) sprechen, während Anthropopathismus und Anthropopragmatismus die Analogie zu Gefühlen und Emotionen bzw. zum Handeln eines Menschen meinen. Von Anthropomorphismus ist der → Theriomorphismus
Anthropomorphismus kann in Texten und in Bildern auftreten. Mit ihm ist implizit oder explizit verbunden, den Gott oder die Göttin als Person vorzustellen. Religionswissenschaftlich wurde er in der Vergangenheit immer wieder aus der Personifikation seelischer Vorgänge (Animatismus), der Beseelung von Gegenständen, Orten oder Tieren (Animismus) oder der Vorstellung von göttlichen Kräften in Gegenständen oder Personen (Dynamis) hergeleitet. Neuerdings wird eher auf die Analogiebildungen zwischen den menschlichen Herrschern und Herrschaftsformen sowie den Gottheiten und der Götterwelt hingewiesen (Soziomorphismus; vgl. Handy).
Anthropomorphismus findet sich breit in polytheistischen Religionsformen, wird in monotheistischen dagegen in unterschiedlicher Intensität als Problem empfunden (→ Monotheismus
„Hätten die Rinder und Rosse und Löwen Hände wie Menschen, / Könnten sie malen wie diese und Werke der Kunst sich erschaffen, / Alsdann malten die Rosse gleich Rossen, gleich Rindern die Rinder / Auch die Bilder der Götter, und je nach dem eigenen Aussehn / würden sie auch die leibliche Form ihrer Götter gestalten.“ (Frg. B 17)
„Nur ein einziger Gott, unter Göttern und Menschen der größte, / Nicht an Gestalt den Sterblichen ähnlich und nicht an Gedanken.“ (Frg. B 23)
– hin zur Unterscheidung zwischen einem dogmatischen, abzulehnenden und einem symbolischen Anthropomorphismus als Erkenntnis per Analogie bei → Immanuel Kant
2. Anthropomorphismus im Alten Testament – Positionen der Forschung
Die alttestamentliche Wissenschaft bleibt in ihrer Erfassung des Anthropomorphismus im Schrifttum des antiken Israel und des frühen Judentums nicht unbeeinflusst von den Bewertungen, die das Phänomen philosophisch und theologisch erfahren hat. Exemplarisch werden im Folgenden Positionen seit dem 19. Jh. kurz dargestellt.
2.1. Entwicklungsmodelle des 19. und 20. Jahrhunderts
Beispielhaft stellt → Hermann Gunkel
„In vielen andern Religionen liegen solche [anthropomorphe – JvOo] Aussagen auf dem eigentlichen Niveau der Gottesanschauung; im AT fallen sie mehr auf, weil sich dort ein geistigerer Gottesbegriff, besonders bei den Propheten vorbereitet. Die eigentliche Stätte der A[nthropomorphis]men im AT sind die älteren Sagen […]. Neben den Sagen liebt die A[nthropomorphis]men die Poesie, die ja überall das Altertümliche zu erhalten strebt […]. Später, als die Religion geistiger und abstrakter wurde, besonders unter dem Einfluß des griechischen Geistes sind die A[nthropomorphis]men zurückgetreten und sind die anthropomorphischen Aussagen des AT vielfach umgedeutet worden.“ (Gunkel, 550f)
Gunkel ordnet den anstößigen Anthropomorphismus zweifach in die Vorstellung von sich höher entwickelnden Religionen ein. Zum einen gehört er zu den „naiven ... Anschauungen, wie sie der Jugendzeit des Menschengeschlechts eigentümlich sind“ (so prägnant in derselben Denkweise → Friedrich Delitzsch
Noch → Ernst Sellin
2.2. Theologische und hermeneutische Einordnungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
In einem erkennbar veränderten Klima nach dem Ende des Kampfes um das Alte Testament im Deutschland der NS-Herrschaft tritt eine Rechtfertigung anthropomorpher Rede in einer religions- oder AT-kritischen Debatte in den Hintergrund.
So kann → Gerhard von Rad
Horst Dietrich Preuß greift in seiner „Theologie des Alten Testaments“ (Preuß, 281) eine systematisch-theologische Denkfigur auf, nach der der Anthropomorphismus als Angleichung (Akkomodation) Gottes an das Denk- und Vorstellungsvermögen der Menschen zu verstehen ist. In scharfer Antithetik formuliert er: „Er [Gott – JvOo] will Beziehung zwischen sich und uns, uns und sich. So gibt er sich durch sein erwählendes Handeln auch in unsere Aussagebedingungen hinein, und doch gibt es nichts, womit man ihn vergleichen könnte.“ Erkenntnistheoretisch und theologisch bleiben hier viele Fragen offen.
Hermeneutisch grundsätzlicher versteht Otto Kaiser den (alttestamentlichen) Anthropomorphismus. Menschliche Rede über Gott könne entweder als theologia negationis Gottes Transzendenz und fundamentale Andersartigkeit durch die Verneinung jeder Analogie Gottes mit der Weltwirklichkeit aussagen und ihn damit letztlich schweigend verehren. Oder sie greife zu anthropomorpher Rede, die metaphorisch und nicht begrifflich Gott positiv in Analogie zur Weltwirklichkeit beschreibe. Gott werde dabei nicht in seinem Wesen erfasst, sondern in seiner Beziehung zu Welt und Mensch beschrieben (Kaiser, 313-316). Dass Kaiser dabei die historische und kulturelle Reichweite solcher Anthropomorphismen mit im Blick hat, macht die weitergehende Einschränkung deutlich: „Sie [Anthropomorphismen – JvOo] haben die Aufgabe, das Verhältnis Gottes in einem bestimmten Augenblick zu einer bestimmten innerweltlichen Situation zum Ausdruck zu bringen.“ (315)
Rolf Rendtorff kommt in seinem kanonischen Entwurf einer alttestamentlichen Theologie auf den Anthropomorphismus nur unter dem Aspekt der Anschaulichkeit des Zeugnisses von Gott zu sprechen. Dessen Kritik müsse die Theologie des Altes Testaments nicht beschäftigen (Rendtorff, 182).
Exegetisch wie theologisch anregend profiliert die kleine Studie „Die Reue Gottes“ von Jörg Jeremias die anthropopathische Rede im alttestamentlichen Schrifttum auch in ihrem Kontrast zur Wirkungsgeschichte. Wird in der Theologiegeschichte der Topos häufig deshalb als anstößig empfunden, weil damit Gottes Willkür Tor und Tür geöffnet würde, so formulieren fast alle alttestamentlichen Stellen (Ausnahme einzig Jer 18,7-10
2.3. Anthropomorphismus auf dem Hintergrund von Bild- und Körperstudien – Andreas Wagner
Die Arbeiten Wagners markieren insofern ein neues Verstehen des alttestamentlichen Anthropomorphismus (→ Körper
1. Die These einer zunehmenden Vergeistigung der Gottesstellung, u.a. im Zusammenhang der Entwicklung einer monotheistischen Denkweise, lässt sich nicht aufrechterhalten. Der alttestamentliche Monotheismus bedient sich ohne Scheu der Vorstellungen vom Körper Gottes (186).
2. Die spezifische Leistungsfähigkeit anthropomorpher Gottesvorstellung liegt nach Wagner darin, den einen Gott anschaulich als kommunikationsfähigen und handelnden zur Sprache zu bringen: „der alttestamentliche Gott ist kein ferner, weltabgewandter Gott, sondern ein mit den Menschen kommunizierender und in der Welt handelnder Gott.“ (156)
3. Das Alte Testament verknüpft die anschauliche Rede vom weltzugewandten Gott mit dem Verbot des Kultbildes: „Im Netz des Sprachbildes vom Körper Gottes […] bleibt Gott präsent, fassbar, tritt als Gegenüber des Menschen auf, ohne in einem Kultbild festgelegt zu sein.“ (157)
4. Die alttestamentliche Zurückhaltung gegenüber Theriomorphismen erklärt sich nach Wagner daraus, dass die Nutzung von Tier- und Mischgestalten zur Darstellung der Gottheit im Alten Orient die Fremdheit und Andersartigkeit der Götter hervorhebe. Diese Betonung der Distanz und Unzugänglichkeit widerspreche den Grundanliegen des alttestamentlichen Redens von Gott (187f).
3. Anthropomorphismen im Alten Testament
Das Alte Testament redet von Gott in menschlicher Gestalt, also von Gottes Körper, identifiziert ihn und sein Handeln mit Rollen aus dem menschlichen Sozialleben und vergleicht ihn mit Vorgängen im Erfahrungsumfeld der Adressaten. Die Anthropomorphismen werden dabei weder in einem Gegensatz zur monolatrischen oder monotheistischen Verehrung und Denkweise gesehen noch stehen sie in Spannung zur menschen- und weltüberlegenen Andersartigkeit Gottes. Sie finden sich breit gestreut über die Literaturen, Gattungen und Zeiten.
3.1. Gott in Menschengestalt – Gottes Körper
In großer Selbstverständlichkeit und Breite ist von Gott und seinem Handeln durch die Nennung von Körperteilen die Rede. Die Texte spiegeln ein Körperbild wider, das sich aus einer Fülle von Einzelsegmenten zusammensetzt, jedoch an keiner Stelle im Sinn eines Gesamtbildes synthetisiert wird. Am häufigsten ist dabei von Gottes Gesicht (פָּנִים pānîm, 598 Belege), seiner Hand (יָד jād, 218 Belege), seiner Nase (אַף ’af, 162 Belege) und seinen Augen (עַיִן ‘ajin, 123 Belege) die Rede. Ebenfalls noch mehrfach wird von Gottes Mund (פֶּה pæh, 57 Belege), seinem Arm (זְרוֹעַ zərôa‘, 42 Belege), seiner Rechten (יָמִין jāmîn, 34 Belege), seinem Ohr (אֹזֶן ’oṣæn, 28 Belege), seiner Kehle / Hals (נֶפֶשׁ næfæš; 16 Belege) und seinem Fuß / Bein (רֶגֶל rægæl, 13 Belege) gesprochen. Auffällig ist dabei, dass die jeweiligen Körperteile Gottes mit der gleichen Häufigkeit erwähnt werden, wie dies bei den entsprechenden Körperteilen von Menschen der Fall ist (vgl. Wagner 107; → Körper
Selten vorkommend (1-4 Belege), aber doch verwendet, ist die Rede von Gottes Handfläche (כַּף kaf, 4), den Fingern (אֶצְבַּע ’æṣba‘, 3), der Lippe (שָׂפָה śāfāh, 3), der linken Hand / Seite (שְׂמֹאל śəmo’l, 2), der Brust / Busen (חֵיק ḥêq, 2), dem Bauch (חֹמֶשׁ ḥomæš, 1), der Zunge (לָשׁוֹן lāšôn, 1), der Seite (צַד ṣad, 1), dem Zahn (שֵׁן šen, 1), dem Rücken (אָחוֹר ’āḥôr, 1+1), dem Nacken (עֹרֶף ‘oræf, 1), der Ferse (עָקֵב ‘āqev, 1), den Augenlidern (עַפְעַפַּיִם ‘af’appajim, 1), der Pupille (אִישׁוֹן ’îšôn, 1), der Fußsohle (כַּף־רֶגֶל kaf rægæl, 1), der hohlen Hand (חֹפֶן ḥofæn, 1+1), der Hüfte (מָתְנַיִם mātnajim, 1) und dem Unterleib (מֵעֶה me’æh, 1) (nach Zählung Wagner, 137-138). Dies dokumentiert erneut die Selbstverständlichkeit, mit der auf Körperbeschreibungen anthropomorph zurückgegriffen wird.
Bezeichnend ist weiter die Zusammenstellung der Körperteile, die auf den Menschen bezogen verwandt werden, jedoch nie auf Gott Anwendung finden (vgl. die komplette Liste bei Wagner 135-136). Alttestamentlich wenig überraschend ist es, dass keine geschlechtsbezogenen Körperteile im Zusammenhang mit Gott zur Sprache kommen (Lende, Gesäß, Hüfte, Leiste, Scham, Schamteile, Penis, Hoden, Vorhaut). Damit wird im Unterschied zu geschlechtlich klar einzuordnenden Gottheiten eine Identifikation JHWHs mit einem Geschlecht vermieden und zugleich eine Distanz zu sexuell konnotierten Kulten gewahrt.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass Körperbegriffe, die detailliert den → Kopf
Körperteile Gottes werden nicht mit einem beschreibenden, sondern mit einem funktionalen Interesse verwandt. So bringt ein „leuchtendes Angesicht“, das der König (Spr 16,15
Auch das am zweithäufigsten im Alten Testament erwähnte Körperteil Gottes, die → Hand
Durchgängig mit einer Emotion Gottes und der ihr entsprechenden Handlung verknüpft, ist die Rede von Gottes → Nase
Unmittelbar auch für unsere heutige Vorstellung einleuchtend ist die Rede von Gottes Auge(n), seinen Ohren und seinem Mund sowie die ihnen entsprechenden Verben sehen, hören, sprechen. Sie stehen durchgängig für seine Wahrnehmungsfähigkeit und seinen Wahrnehmungswillen (Ps 94,6
Die funktionale Dimension in der Rede von den Körperteilen Gottes wird erneut deutlich, wenn von Gottes Füßen, seinem Arm und seiner Rechten die Rede ist. Seine Füße bringen Machtausübung und Präsenz (Ez 43,7
Die Parallelität von menschlichem und göttlichem Körper wird weiter in der Anwendung der næfæš-Vorstellung auf Gott deutlich. So wird mit diesem, althebräisch komplexen und jeweils durch seinen Kontext näher bestimmbaren Begriff, ganz analog zur Rede beim Menschen, die vitale Präsenz und Potentialität Gottes ausgedrückt. Wenn Gott sich gegen etwas wendet oder etwas hasst, dann ist es seine næfæš, die agiert (Lev 26,30
3.2. Rollenzuschreibungen
Gott und sein Handeln erfasst das Alte Testament auch unter Rückgriff auf Rollen aus dem sozialen und politischen Leben des eigenen Erfahrungsraumes. Die Auswahl ist dabei ebenso naheliegend wie selektiv. Gehäuft findet sich verbal und substantivisch die Identifikation Gottes mit einem König (→ Königtum Gottes
Schließt die Rolle des Königs schon die Sicherung des Rechts und der Gerechtigkeit, der ṣədāqāh, mit ein, so macht die Kennzeichnung Gottes als Richter dies noch einmal explizit. Wiederholt wird er direkt als Richter bezeichnet (meist mit Part. von שׁפט špṭ, u.a. Ps 50,6
Soziale wie politische Macht und Herrschaft bringt der Begriff אָדוֹן ’ādon „Herr / Gebieter“ (Gegensatz: עֶבֶד ‘ævæd „Knecht / Sklave“) zum Ausdruck und kennzeichnet damit ein Macht- und Herrschaftsverhältnis zwischen Personen, das, anders als der Begriff בַּעַל ba‘al „Herr / Besitzer“, nicht auf den Besitz und Eigentumsaspekt konzentriert ist. In der um das Possessivsuffix ergänzten Form אֲדֹנָי ’ādonǎj wird der Begriff exklusiv für Gott verwandt (ca. 440 Belege, davon 315 in Verbindung mit dem Tetragramm JHWH).
Der soziomorphe Zugriff auf Rollen des direkten sozialen Umfeldes von Familie und Sippe findet sich in naheliegender Weise ebenfalls, auch wenn diese Redeweisen erkennbar weniger und erst nach dem Ende des Königtums auftauchen. So tritt in Jes 63,16
Ist im Vergleich zur späteren christlichen Tradition schon die zurückhaltende und weitgehend späte Verwendung der Vaterrolle für Gott auffällig, so ist mit Blick auf eine Mutterrolle keine einzige, direkte Übertragung auf Gott feststellbar. Einzig die indirekte Parallelisierung des zeugenden Vaters und der in Wehen liegenden Mutter mit Gott als dem Schöpfer Israels in Jes 45,10
Immer wieder greifen die Verfasser auch auf Tätigkeiten und Berufe zurück, die aus der Lebenswelt des 1. Jahrtausends v. Chr. in der Levante bekannt sind, und verwenden sie, um Gottes Tun zu kennzeichnen. Dabei kann JHWH ebenso als Krieger (אִישׁ מִלְחָמָה ’îš milḥāmāh, Ex 15,3
3.3. Vergleiche
Neben den Rollenzuschreibungen und teilweise in fließendem Übergang zu ihnen findet sich eine Fülle an Vergleichen, die Gott und sein Wirken analog zu menschlichen Erfahrungswelten aussagen. Der schon erwähnte Trost bzw. das Erinnern der Mutter (Jes 66,13
3.4. Der menschen- und weltüberlegene Gott
Mit der Perserzeit und dem sich etablierenden Judentum verbinden sich literarische und theologiegeschichtliche Transformationen, wie sie anhand der Großwerke von → Deuteronomium
3.5. Theomorphismus – Der Mensch als Bild Gottes
Zu einer ganz eigenen Ausprägung von theologischer und anthropologischer Rede gelangt die → Priesterschrift
4. Einordnungen
Anthropomorphismen finden sich breit verteilt über die verschiedenen Literaturgattungen des Alten Testaments hinweg. Gehäuft finden wir sie in den Psalmen, in der Prophetie, in Erzählungen und in der Apokalyptik, seltener in Gesetzestexten und in Kultgesetzen. Entgegen früheren Versuchen einer Einordnung des Anthropomorphismus als einer frühen, unausgereiften Stufe der israelitischen Religiosität zeigen sich auch im Bereich der Prophetie oder nach Ausbildung des Monotheismus keine Tendenzen einer Vergeistigung der Gottesvorstellung oder seiner andersartigen Eliminierung des Anthropomorphismus. Wir begegnen im Alten Testament vielmehr einer sich aus polytheistischer Glaubensweise heraus entwickelnden monotheistischen Gottesrede (Dtn 4; Jes 40-52), verbunden mit verstärkt theozentrischen Konzeptionen (→ Theokratie
Anthropomorphismus kann im Alten Testament daher nicht allein als hermeneutisch unumgänglich verstanden werden, da menschliche Rede von und über Gott immer auf Analogiebildungen zur Welterfahrung des Menschen angewiesen ist (Kaiser, Wagner). Die Breite und an zentralen Stellen zu findende Verwendung anthropomorpher Redeweise machen vielmehr deutlich, dass der Anthropomorphismus in diesen Traditionen nicht als hermeneutisches Übel, sondern als theologisch gewolltes Element der Rede von Gott verstanden wird. Dazu gehört etwa die Anthropologie der Priesterschrift (Gen 1) und der Psalmen (Ps 8) mit ihrer Übertragung der Repräsentation Gottes auf den Menschen (→ Gottesebenbildlichkeit
Neuere Arbeiten versuchen eine klassifizierende Differenzierung von Anthropomorphismen im Alten Testament. So unterscheidet Annette Schellenberg zwischen wörtlichen und metaphorischen Aussagen (Schellenberg, 253-254). Anthropomorphe Rede sei weitestgehend metaphorisch und nur an wenigen Stellen wörtlich gemeint. Dabei bleibt zu fragen, ob eine Differenzierung zwischen beschreibend-darstellendem und funktionalem Anthropomorphismus den Sachverhalt nicht besser trifft.
Nahe bei dieser Unterscheidung liegt der Versuch von Esther J. Hamori, die im Zusammenhang der Analyse der Theophanien von Gen 28,1-15
Eine Typologie schlägt Anne K. Knafl vor, wenn sie zwischen körperlichem, auf ein Gegenüber bezogenem („proximate“), interaktivem Figuren- oder Rollenanthropomorphismus, sozialem und mittelbarem Anthropomorphismus unterscheidet.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1908-1914.
- Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel et al. 1971-2003.
2. Weitere Literatur
- Delitzsch, F., 1902, Bibel und Babel. Ein Vortrag, Leipzig.
- Eichrodt, W., 1935, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, Gott und Welt, Leipzig.
- Hamori, E.J., 2008, „When Gods were Men“. The Embodied God in Biblical and Near Eastern Literature (BZAW 384), Berlin / New York.
- Handy, L.K., Among the Host of Heaven: The Syro-Palestinian Pantheon as Bureaucracy, Winona Lake 1994.
- Hartenstein, F.,Das Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34 (FAT 55), Tübingen 2008
- Jeremias, J., 1997, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellungen, 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn.
- Kaiser, O., 1998, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 2, Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen, Göttingen.
- Knafl, A.K., 2014, Forming God. Divine Anthropomorphism in the Pentateuch (Siphrut 12), Winona Lake.
- Martin, E., 2012, Theriomorphismus im Alten Testament und Alten Orient. Eine Einführung, in: dies., Tiergestaltigkeit der Göttinnen und Götter zwischen Metapher und Symbol (BThSt 129), Neukirchen-Vluyn, 1-36.
- Preuß, H.D., 1991, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart et al.
- Rendtorff, R., 2001, Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf, Bd. 2, Thematische Entfaltung, Neukirchen-Vluyn.
- Schellenberg, A., 2011, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich.
- Schwab, E., 1991, Die Tierbilder und Tiervergleiche des Alten Testaments. Material und Problemanzeigen, BN 59, 37-43.
- Sellin, E., 1933, Theologie des Alten Testaments, Leipzig.
- Uehlinger, Chr., 1993, Audienz in der Götterwelt. Anthropomorphismus und Soziomorphismus in der Ikonographie eines altsyrischen Zylindersiegels, UF 24, 339-359.
- von Rad, G., 1969, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, 6. Aufl., München.
- von Rad, G., 1987, Das 1. Buch Mose. Genesis (ATD 2-4), 12. Aufl., Göttingen / Zürich.
- Wagner, A., 2010, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh.
- Waschke, E.-J., 2009, Die Bedeutung der Königstheologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugange zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen, 235-252.
- Zimmerli, W., 1985, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, 5. Aufl., Stuttgart u.a.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)