Antijudaismus (AT)
in der alttestamentlichen Wissenschaft
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(erstellt: Januar 2007; letzte Änderung: Juni 2009)
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1. Einleitung
1.1. Eingrenzung des Themas
Das Thema „Antijudaismus in der alttestamentlichen Wissenschaft“ ist so umfassend, dass hier nur eine Schneise geschlagen werden kann. Dies soll an Hand der deutschen primär protestantischen Psalmenkommentare des 19. und 20. Jahrhunderts geschehen. Überblicksartikel zum Thema gibt es meines Wissens bisher keine (s. jedoch Bauer, 2009).
1.2. Die Begriffe „Antijudaismus“ und „Antisemitismus“
Unter Antijudaismus verstehe ich im Folgenden eine primär religiös, genauer christlich-theologisch begründete Judenfeindschaft im Gegensatz zu Antisemitismus als einer primär nationalistisch-rassistisch begründeten. Eine strikte Trennung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus ist jedoch nicht möglich, weil beides sich für Juden in der Praxis negativ auswirkte und auswirkt (vgl. von Braun, 8f). Deshalb können die Adjektive antijudaistisch und antisemitisch nur akzentuell verwendet werden, mit antijüdisch als Oberbegriff.
1.3. Antijudaistische Modelle
In Kommentaren zum Alten Testament begegnen klassische Modelle des christlichen Antijudaismus, die Israel oder das Judentum negativ bewerten (Klappert, 12):
a) das Substitutionsmodell (die Kirche ersetzt Israel, s. 4.),
b) das Typologiemodell (Israel als Vorabbildung der Kirche, s. 4.),
c) das Illustrationsmodell (Israel als Negativfolie der Kirche, vgl. Abramowski, II, 136),
d) das Subsumtionsmodell (Israel löst sich in der Menschheit auf),
e) ein religionsgeschichtliches Modell (vgl. de Wette, 1813-16, s. 3.1.), das zwischen vorexilischem Hebraismus oder Israel (positiv) und nachexilischem Judaismus oder Judentum (negativ) unterscheidet und Ersterem natürliche Religiosität, Spiritualität und lebendige prophetische Wortfrömmigkeit zuerkennt (hieran knüpft die Kirche an), Letzterem jedoch nur noch verholzte Gesetzlichkeit und tote Buchstabenfrömmigkeit, und
f) die Ahasveruslegende (s. 6.).
2. Die Sprache des Antijudaismus
In den Kommentaren finden sich antijüdische Sprach- und Stilmittel, wie sie N. Hortzitz im Deutschen von der Frühen Neuzeit bis in die NS-Periode analysiert hat. Gemeint sind primär einzelne Wörter und Phrasen mit ihren Konnotationen, Gefühlswerten, impliziten Appellen und Assoziationsfeldern, die die suggestive Kraft der Polarisierung (Fremd-Eigen-Zeichnung) besitzen und den Leser / Hörer oft unbewusst wertend beeinflussen (Hortzitz, 19ff). Im Folgenden nenne ich für jedes Stilmittel mindestens ein Beispiel, zum Teil für spezifisch antijudaistische Begriffe, Bezeichnungen oder häufig vorkommende Wortfelder, wie „Gesetzlichkeit“ (Juden vertrauen auf ihre Werke), Begriffe mit „-sucht / -süchtig“ als zweiter Wortkomponente (Assoziation Krankheit), „Weltherrschaft“ (traditioneller Mythos der Judenfeindschaft), „Rache / Vergeltungslehre“ (negative Assoziation), „Partikularismus“ (Judentum nur als Nationalreligion), „Spätjudentum“ (nachexilisches Judentum als Auslaufmodell) und Sonstige:
Ironie: „mit ihm [dem Psalm] könnte man einen Ketzer eher mürbe machen als mit sämtlichen sieben Bußpsalmen [Ps 119
Affektive Wort(neu)bildungen: „nomistische Diesseitsreligion“ (Duhm, XXIX), „Lohnsucht“ (Duhm, XXVIII), „Selbstsucht [Ps 26,1
Hyperbeln: a) steigernde Adjektive: „peinliche Gesetzesbefolgung [Ps 19,14
Synekdochen: „wie der Spott der Völker ringsum dem stolzen Juden am Herzen frißt [Ps 79,12
(Pflanzen-)Metaphern: „religiöse[n] und nationale[n] Treibhauspflanze [= das nachexilische Judentum]“ (Abramowski, I, 204).
Sonstige: „Es wird ja jetzt wieder rabbinischer Aberwitz für geistreich gehalten, und das Gegentheil des Geschmackes und der gesunden Vernunft darf sich spreizen als Wissenschaft.“ (Hitzig, I, IV).
3. Antijudaistisch interpretierte Psalmengattungen
3.1. Torapsalmen
Die drei klassischen Torapsalmen sind Ps 1
3.2. Königspsalmen
Die drei klassischen Königspsalmen sind Ps 2
3.3. Feindpsalmen
Die drei klassischen Feindpsalmen sind Ps 69
3.4. Weisheitspsalmen
„Rache“ vergleichbar kommen die Begriffe „Vergeltungslehre“, „-glauben“, „-dogma“, „-schema“, „-theorie“, „-anschauung“ und „-auffassung“ in den Kommentaren häufig vor. Die grundsätzlichsten Argumente dazu begegnen im Kontext der Weisheitspsalmen 37 (49) und 73. Bereits 1955 hat K. Koch jedoch gezeigt, dass es im Alten Testament keine Vergeltungslehre gibt (→ Vergeltung
4. Das Typologiemodell
Das gattungsübergreifende Typologiemodell arbeitet mit heilsgeschichtlichen Analogien zwischen Altem und Neuem Testament und enthält als konstitutives Element die Steigerung. Psalmen, die häufig typologisch interpretiert werden, sind die Königspsalmen Ps 2
Psalmengattungsübergreifend finden sich indirekte Antijudaismen auch in einigen Kommentaren zu Psalmen, in denen die Völker eine Rolle spielen (Ps 24
5. Katholische und jüdische Psalmenkommentare im Vergleich zu protestantischen
Im Vergleich zu den 24 in der Tabelle aufgelisteten protestantischen Kommentaren finden sich in den 9 im Literaturverzeichnis genannten katholischen Kommentaren bei oberflächlicher Betrachtung quantitativ wesentlich weniger Antijudaismen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Kommentare, die alle in heilsgeschichtlich-typologischer Tradition stehen, weniger antijudaistisch wären. Einige Ausführungen von Wiesmann / Zenner zur Bedeutung des Psalters sind entlarvend: „Das Ideal eines kirchlichen Gesangbuches hat er gewiß nicht erreicht, aber wenn man diese Liedersammlung mit den Leistungen der christlichen Kirche vergleicht, muß man sie als ein für jene Zeit ganz bewunderungswürdiges Werk anerkennen. Endlich ist der Psalter in den Dienst der christlichen Gemeinde übergegangen. … So ist er denn ein Trost- und Erbauungsbuch für die Christen aller Zeiten und aller Zonen geworden.“ (I, 10). Mit anderen Worten, seit und neben der Kirche kann es eigentlich keine jüdische Gemeinschaft mehr geben, in der der Psalter eine Rolle spielt. Die Kirche hat Israel so selbstverständlich substituiert, dass darüber kein Wort mehr verloren zu werden braucht. Antijudaismen, die zumindest noch von einer Auseinandersetzung zeugen, sind gar nicht mehr notwendig, weil das Judentum eine prinzipiell vergangene Größe ist.
In den drei jüdischen Kommentaren finden sich erwartungsgemäß keine Antijudaismen. Ehrlich lässt an wenigen Stellen jedoch erkennen, dass er einem negativen Pharisäerklischee verhaftet ist (9, 378).
6. Die Ahasveruslegende
In je einem protestantischen und einem katholischen Kommentar findet sich die Ahasveruslegende. In ihr geht es um einen Juden namens Ahasverus, der Jesus in der Stunde seiner Not zurückgewiesen haben soll. Zur Strafe sei diesem Juden, der als Verkörperung aller Juden anzusehen ist, ewige Wanderschaft auferlegt worden, die schon sehr früh mit dem unsteten Wandern in Verbindung gebracht wurde, zu dem Gott Kain in Gen 4,12
Literaturverzeichnis
1. Protestantische Psalmenkommentare
Zitiert ist immer nach der Auflage, die nicht in Klammern steht; Ausnahmen sind im Text signalisiert.
- Abramowski, R., 1938/39, Das Buch des betenden Volkes, Psalmen I, Das Buch des betenden Gottesknechts, Psalmen II (BAT XIV/XV), Stuttgart
- Baethgen, F., 1892 (2. Aufl. 1897 [bearb.], 3. Aufl. 1904 [nochmals bearb.]), Die Psalmen (HK), Göttingen
- Bertholet, A., 4. Aufl. 1923, Das Buch der Psalmen, in: E. Kautzsch, Die Heilige Schrift des Alten Testaments, II, Tübingen, 113-276
- Delitzsch, F., 4. bearb. Aufl. 1883 (1. Aufl. 1859/60 [2 Bd.], 2. Aufl. 1867 [2 Bd., neue Ausarbeitung], 3. Aufl. 1873 [2 Bd.], 5. Aufl. 1894), Biblischer Commentar über die Psalmen, Leipzig
- Duhm, B., 1899 (2. Aufl. 1922 [bearb.]), Die Psalmen (KHC XIV), Tübingen
- Ewald, H., 1835, Die poetischen Bücher des Alten Bundes. 2. Teil. Die Psalmen, Göttingen
- Gerstenberger, E.S., 1988, Psalms, I. With an Introduction to Cultic Poetry (FOTL XIV), Grand Rapids
- Gerstenberger, E.S., 2001, Psalms, II and Lamentations (FOTL XV), Grand Rapids
- Gunkel, H., 5. Aufl. 1968 (1.-3. Aufl. 1892, 1897, 1904 von Fr. Baethgen; 4. Aufl. 1926 von Gunkel), Die Psalmen (HK), Göttingen
- Hitzig, F., 1863/65, Die Psalmen, I-II, Leipzig, Heidelberg
- Hengstenberg, E.W., 2. Aufl. 1849 / 1850 / 1851 / 1852 (1. Aufl. 1842 / 1843 / 1844 / 1845 [IV/1] / 1847 [IV/2]), Commentar über die Psalmen, I-IV, Berlin
- Hupfeld, H., 2. Aufl. 1867 / 1868 / 1870 / 1871 (bearb. Von E. Riehm), (1. Aufl. 1855-62; 3. Aufl. 1888 [bearb. Von D.W. Nowack, 2 Bd.]), Die Psalmen, I-IV. Gotha
- Kautzsch, E., 3. bearb. Aufl. 1910 (1. Aufl. 1894, 2. Aufl. 1896, Freiburg, Leipzig), Das Buch der Psalmen (HSAT [K] II), Tübingen
- Keßler, H., 2. Aufl. 1899, Die Psalmen (KK, AT VI), München
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- Olshausen, J., 1853, Die Psalmen (KEH XIV), Leipzig
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- Stärk, W., 1911, Lyrik (Psalmen, Hoheslied und Verwandtes) (SAT III, Lyrik und Weisheit, Bd. I), Göttingen
- de Wette, W.M.L., 4. bearb. Aufl. 1836 (1. Aufl. 1811, 2. Aufl. 1823, 3. Aufl. 1829, 5. Aufl. 1885 [bearb. G. Baur]), Commentar über die Psalmen, Heidelberg
- Weiser, A., 4. bearb. Aufl. 1955 (1. Aufl. 1935, 2. verm. Aufl. 1939, 3. wesentl. neubearb. Aufl. 1950, 5. verb. Aufl. 1959, 6. Aufl. 1963, 7. Aufl. 1966, 8. Aufl. 1973, 9. Aufl. 1979, 10. Aufl. 1987), Die Psalmen (ATD XIV/XV), Göttingen
2. Katholische Psalmenkommentare
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- Deissler, A., 1. Aufl. 1963 / 1964 / 1965 (7. Aufl. 1993), Die Psalmen, I-III, Düsseldorf
- Groß, H. / Reinelt, H., 1978/80, Das Buch der Psalmen, I-II (GSL.AT 9/1-2), Düsseldorf
- Herkenne, H., 1936, Das Buch der Psalmen (HSAT V/2), Bonn
- Kalt, E., 1935, Die Psalmen (HBK VI), Freiburg
- Leimbach, K. A., 3./4. Aufl. 1921/22, Biblische Volksbücher. Ausgewählte Teile des alten Testaments. Die Psalmen, I-II, Fulda
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- Peters, N., 1930, Das Buch der Psalmen, Paderborn
- Wiesmann, H. / Zenner, J. K., 1906/07, Die Psalmen nach dem Urtext, I: Übersetzung und Erklärung, II: Sprachlicher Kommentar, Münster
3. Jüdische Psalmenkommentare
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4. Sekundärliteratur
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- Bauer, U.F.W., 1998, Anti-Jewish Interpretations of Psalm 1: According to Luther and in Modern German Protestantism, JHS 2; im Internet
- Bauer, U.F.W., 2009, Rachgier – Lohnsucht – Aberwitz. Eine Analyse antijudaistischer Interpretationen und Sprachmuster in Psalmenkommentaren des deutschen Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert (Altes Testament und Moderne, 22), Münster
- Dan, J. u.a., Art. Antisemitismus / Antijudaismus, in: RGG 4. Aufl., I, 556-574
- Heussi, K., 4. Aufl. 1919, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen
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- Koch, K., 1955, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, ZThK 52, 1-42.
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- Schreckenberg, H., 4. Aufl. 1999, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jh.), Frankfurt/M. / Berlin
- von Braun, Ch. / Heid, L. (Hgg.), 1990, Der ewige Judenhass. Christlicher Antijudaismus. Deutschnationale Judenfeindlichkeit. Rassistischer Antisemitismus, Stuttgart / Bonn
- Wette, W.M.L. de, 1813-16, Biblische Dogmatik Alten und Neuen Testaments, oder kritische Darstellung der Religionslehre des Hebraismus, des Judenthums und Urchristentums, I-II, Berlin
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