Aufstiegserzählung
(erstellt: Januar 2006)
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1. Inhalt
1.1. Abgrenzung
Bereits 1926 hat Leonhard Rost in seiner Studie „Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids“ vermutet, dass der von ihm ausgegrenzten → Thronfolgegeschichte
Setzt man eine eigenständige Aufstiegserzählung voraus, so ergeben sich Probleme bei der Bestimmung ihrer Grenzen, zumal sie mit dem Kontext auf vielfältige Weise verzahnt ist.
Vielfach wird der Beginn der Aufstiegserzählung in 1Sam 16,14ff
Der Schluss der Aufstiegserzählung wird von manchen in 2Sam 5,10
Wenn man 1Sam 16,14
1.2. Inhaltliche Schwerpunkte
Bei der Darstellung der inhaltlichen Schwerpunkte der Aufstiegserzählung zeigen sich an verschiedenen Stellen Spannungen, Widersprüche und Dubletten, die sie als eine Sammlung disparater Erzählungen erscheinen lassen: Kommt David nach 1Sam 16,14ff
In dem Maß, in dem Davids militärische Erfolge und Beliebtheit beim Volk zunehmen, wird nach 1Sam 18 Sauls Missgunst geweckt, so dass dieser – unter dem Einfluss eines von Gott gesandten „bösen Geistes“ (1Sam 18,10
Zunächst begibt sich David zu Samuel nach Rama, wo er vor den ihm nachgesandten Boten Sauls dadurch gerettet wird, dass diese jeweils in „prophetische Ekstase“ geraten (Gleiches erlebt auch Saul selbst, als er den Ort des Geschehens aufsucht; 1Sam 19,18-24
Auf seiner Flucht gelangt David nach Nob, wo er vom Priester Ahimelech mit heiligen Broten (die als vegetabilische Opfer im Heiligtum auflagen; Luther: „Schaubrote“) versorgt wird und das Schwert des Philisters Goliat erhält (1Sam 21,2-10
David sammelt eine Gruppe von ca. 400 Männern um sich, die durch Schulden und andere Notlagen an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind. Sie bilden den Kern einer schlagkräftigen Truppe von „Freischärlern“, durch die er sich eine militärische Machtstellung verschafft: So besiegt er nach einem Aufenthalt bei den Moabitern (1Sam 22,3-5
Auf seinen Wegen durch die judäische Wüste gelingt es ihm immer wieder, Saul zu entkommen. Thematisch eng verwandt sind die Erzählungen 1Sam 24 und 1Sam 26, die davon berichten, wie David das Leben seines Verfolgers schont, obwohl er ihn töten konnte: zunächst in einer Höhle bei En-Gedi, dann in der Wüste Sif, als er sich zusammen mit → Abischai
Diese beiden Episoden rahmen die Erzählung von David und Abigajil, Nabals Frau. Auch dem Herdenbesitzer Nabal, der sich geweigert hat, David und seinen Leuten etwas von seinem Reichtum abzugeben, tut er aufgrund der Fürsprache Abigajils nichts zuleide. In der Erzählung wird hervorgehoben, dass Nabal ohne fremde Einwirkung stirbt und Abigajil völlig rechtmäßig Davids Frau wird. In 1Sam 27 wird berichtet, dass sich David vor Saul ins Gebiet der Philister zurückzieht und bei Achisch von Gat Zuflucht sucht. Er wird von diesem mit dem Ort Ziklag belehnt. Von dort aus unternimmt er Beutezüge gegen nichtjudäische Bevölkerungsgruppen.
Die Darstellung von 1Sam 28-31 läuft auf die militärische Auseinandersetzung zwischen Philistern und Israeliten und damit auf das Ende Sauls zu. Vor dem Zusammenstoß wird von dessen Besuch bei einer Totenbeschwörerin in En-Dor berichtet, bei der ihm der von den Toten herauf geholte Samuel dessen Tod und den seiner Söhne vorhersagt (1Sam 28). David selbst muss nach 1Sam 29 nicht an der Schlacht teilnehmen, weil ihm die Philisterfürsten misstrauen. Die inzwischen nach Ziklag und in den Negev eingefallenen Amalekiter werden von David verfolgt und vernichtend geschlagen (1Sam 30). Mit 1Sam 31 wird der Faden von 1Sam 29 wieder aufgenommen. Dabei richtet sich das Augenmerk ganz auf das Ergehen Sauls. Nach der Niederlage der Israeliten wird er von den Philistern bedrängt. In dieser ausweglosen Situation fordert er seinen Waffenträger dazu auf, ihn zu töten. Als dieser sich weigert, stürzt sich Saul in sein eigenes Schwert.
Eine Doppelung gegenüber dieser Schilderung von Sauls Tod stellt die Erzählung von 2Sam 1 dar. Hier wird David von einem aus der Schlacht entronnenen Amalekiter berichtet, der verletzte Saul habe ihn aufgefordert, ihn zu töten, was dieser dann auch getan habe. Daraufhin lässt David den vermeintlichen Königsmörder umbringen, wobei wieder betont wird, dass niemand gegen den Gesalbten JHWHs die Hand erheben darf (2Sam 1,14
2Sam 2-5 beschreibt, wie David die Herrschaft über Juda und (Nord-)Israel erlangt und schließlich Jerusalem erobert. Zunächst begibt er sich nach Hebron, wo er von den Judäern zum König gesalbt wird (2Sam 2,4
In 2Sam 4 wird erzählt, dass Isch-Baal von zwei Truppenführern ermordet wird. Der Bericht über dessen Tod und Davids Reaktion darauf wird mit den entsprechenden Vorgängen bei Saul parallelisiert: Als die Mörder David den Kopf Isch-Baals bringen, erhalten sie nicht den erhofften Lohn, sondern werden wie der Amalekiter in 2Sam 1 hingerichtet. Daraufhin begeben sich die Vertreter der Nordstämme zu David nach Hebron und setzen ihn zum König über sich ein. Anders als bei der Erhebung Davids über den Süden ist hier von einem Bundesschluss die Rede (2Sam 5,3
2. Einheitlichkeit
Die in der Aufstiegserzählung verarbeiteten Materialien wirken zunächst disparat und z.T. widersprüchlich. Auffallend sind in diesem Zusammenhang vor allem die verschiedenen Doppelungen (unterschiedliche Darstellungen, wie David in Sauls Dienste kommt [1Sam 16f
● Die sog. „Mitseinsformel“ zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Komplex (1Sam 16,18
● Auffallend sind die vielen Orakelbefragungen, die David vor wichtigen Entscheidungen vornimmt (1Sam 23,2
● Ferner sind die Erzählungen in 1Sam 19ff durch eine Art „Flucht-Itinerar“ miteinander verknüpft. Dabei spielen die hebr. Verben ברח (bārach; „fliehen“; 1Sam 19,12
Diese Beobachtungen werden z.T. kompositionskritisch gedeutet. Man geht davon aus, dass der Verfasser die ihm vorliegenden Einzelüberlieferungen in eine chronologische Abfolge gebracht und an verschiedenen Stellen Resümees und Kommentare eingefügt hat. So versuchte Weiser (1966) aufzuzeigen, wie der Autor die disparaten Überlieferungen mit einer spezifischen theologischen Akzentsetzung zu einem einheitlichen Komplex verbunden hat. Dieser Ansatz wurde von Grønbæk (1971) breit ausgebaut.
Andere Modelle legen demgegenüber eine Ergänzungshypothese zugrunde. Danach sei eine ältere Grundschicht durch eine jüngere Erweiterungsschicht ergänzt worden. So geht Nübel (1959) von einer umfangreichen Bearbeitung aus, die das Bild Sauls königskritisch einfärbt und in David das Ideal eines frommen Herrschers sieht, der sein Ziel ohne Blutvergießen erreicht. Nach Mildenberger (1962) hat ein nebiistischer Bearbeiter (nach hebräisch nābi’: Prophet), der in nordisraelitischen Prophetenkreisen verwurzelt gewesen sei und nach 722 v. Chr. in Jerusalem gewirkt habe, den Untergang des Nordreichs zu deuten versucht und das davidische Königtum als Heil schaffende Macht beschrieben, durch die JHWH seinem Volk weiterhin zugewandt bleibe. Einen Konsens im Blick auf den Grundtext haben die Forscher nicht erzielen können.
Was die Verklammerungen mit anderen Erzählkomplexen außerhalb der Aufstiegserzählung betrifft, so hat Veijola (1975) ausgehend von einer Analyse von 1 Kön 1f zu zeigen versucht, dass bestimmte Texte der Aufstiegserzählung mit der von ihm herausgearbeiteten Erweiterungsschicht in 1 Kön 1f sprachlich und inhaltlich verwandt sind, und sie deuteronomistischer Redaktion zugewiesen (so vor allem Aussagen Davids, die seine Unschuld den Sauliden gegenüber hervorheben [2Sam 3,28f
3. Tendenz
Betrachtet man die Aufstiegserzählung in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt, so wird eine Tendenz zur Legitimierung von Davids Königtum deutlich. Es wird beschrieben, wie er den ihm vorgezeichneten Weg trotz aller Hindernisse, Bedrohungen und Feindseligkeiten bis zum Ziel geht. Dabei wird, wie bereits der inhaltliche Überblick (1.2) gezeigt hat, immer wieder seine Unschuld hervorgehoben. Trotz aller Nachstellungen Sauls weigert er sich, den Gesalbten JHWHs anzutasten (1Sam 24; 1Sam 26), und stimmt nach dessen Tod ein Klagelied auf ihn und seinen Sohn Jonatan an (2Sam 1); auch die Mörder Isch-Baals lässt er hinrichten (2Sam 4). David soll somit offenbar gegen mögliche Verdächtigungen und Anklagen in Schutz genommen werden.
Dass ihm das Königtum zusteht und er dieses Ziel auch erreichen wird, wird in der Aufstiegserzählung mehrfach hervorgehoben: Zum ersten Mal erscheint eine entsprechende Aussage im Mund Sauls (1Sam 18,8
Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die auf David bezogene formelhafte Wendung „JHWH war mit ihm“, die den theologischen Hintergrund seiner Legitimation transparent macht. Das erste Mal erscheint sie bei der Empfehlung Davids vor Saul in 1Sam 16,18
Lemche (1978) vermutet, dass hinter dieser prodavidischen Darstellung das ernüchternde Bild eines Realpolitikers zum Vorschein komme, der skrupellos seine Weg gehe, wie etwa der Mord Sauls an den Priestern von Nob zeige, für den David Verantwortung trage. Nach Dietrich (1995) handelt es sich dabei um eine „Hermeneutik der Verdächtigung“, die konträr zu den Aussageabsichten des literarischen Zeugnisses vorschnell historische Hypothesen errichten wolle.
4. Zeit / Ort
Die Mehrheit der Forscher rechnete bisher mit einer frühen Entstehungszeit, nämlich z. Zt. Davids (Nübel 1959: Grundschrift; Brueggeman 1985), Salomos (Weiser 1966; Mommer 1987) oder kurz nach der Reichsteilung (Mildenberger 1962: Grundschrift; Grønbæk 1971). Demgegenüber vertritt Conrad (1972) die Auffassung, bei der Erzählung handle es sich um eine Reaktion auf die blutige Revolution Jehus 845 v. Chr. Der Verfasser habe dem Usurpator den gewaltlosen David gegenüber gestellt, der seine Chance geduldig abwarten konnte. Van Seters (1983) schlägt eine nachdeuteronomistische Datierung vor.
Als Ort der Entstehung wird entsprechend der auf David und sein Königtum konzentrierten Thematik im Allgemeinen der davidische Königshof angenommen.
Literaturverzeichnis
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- Rost, L., 1926, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (BWANT 42), Stuttgart; auch in: ders., Das kleine Credo und andere Studien zum Alten Testament (Heidelberg 1965), 119-253
- Schicklberger, F., 1974, Die Davididen und das Nordreich: Beobachtungen zur sog. Geschichte vom Aufstieg Davids, BZ 18, 255-263
- Smend, R., 1984, 3. Aufl., Die Entstehung des Alten Testaments (ThW 1), Stuttgart u.a.
- Stoebe, H.J., 1973, Das erste Buch Samuelis (KAT 8,1), Gütersloh
- Stolz, F., 1981, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich
- van Seters, J., 1983, In Search of History: Historiography in the Ancient World and the Origins of Biblical History, New Heaven, London
- Veijola, T., 1975, Die ewige Dynastie: David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (AASF B/193), Helsinki
- Weiser, A., 1966, Die Legitimation des Königs David: zur Eigenart und Entstehung der sogen. Geschichte von Davids Aufstieg, VT 16, 325-354
Abbildungsverzeichnis
- König David (Tiberius Psalter, um 1050 n. Chr.).
- David tötet Goliat (Caravaggio, 1573-1610 n. Chr.).
- David spielt die Harfe vor Saul (Lucas van Leyden; 1509).
- Abigajil unterwirft sich David (Rudolf von Ems, 13. Jh. n. Chr.).
- Sauls Tod in den Gilboabergen (Pieter Brueghel der Ältere; ca. 1525-1569).
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