Becher
(erstellt: Oktober 2008)
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1. Einleitung
Der Becher (hebr. kôs; verwandte Begriffe sind: gāvîa‘ „Schale / Trinkschale“; qubba‘at „Becher“; saf „Schale“; sefæl „Schale / Becher“) ist als Gebrauchsgegenstand ein Trinkgefäß für Wasser und Wein (Gen 40,11
Im Alten Orient wurde der Becher als Trinkgefäß im Totenkult verwendet, um den Toten zu versorgen (vgl. das Totenmahl auf der Grabstele aus Nerab; 7. Jh. v. Chr.; TUAT II, 574). Auf einen Wahrsagebecher spielt Gen 44,5
Im Alten Testament findet der Becher besonders in der Bildsprache der Propheten und Psalmen Verwendung und erweist sich dort als ein ambivalentes Motiv: Den wenigen Belegen für den Becher als Heilsmotiv (der Becher als Symbol der Lebensfülle) stehen zahlreiche Belege für den Becher als Unheilsmotiv (Zorn- oder Taumelbecher) gegenüber.
2. Der Becher als Unheilsmotiv
In der prophetischen Verkündigung aus spätvorexilischer und exilischer Zeit ist das Bechermotiv negativ konnotiert: der Zornbecher (kôs hachemāh Jes 51,17
Die Auswirkungen des Trinkens aus dem Becher zeigen sich in Trunkenheit (šākhar Jer 25,27
Zum Motivfeld des Zorn- bzw. Taumelbechers gehören im weiteren Sinne auch die Texte, die zwar nicht explizit einen Becher erwähnen, denen aber aufgrund des Sprachgebrauchs und der Motivik (Metapher des Trinkens bzw. die entsprechenden Auswirkungen Trunkenheit; Taumeln u.ä.) eine vergleichbare Vorstellung zugrunde liegt (vgl. Jes 63,6
Die traditionsgeschichtliche Herkunft der Zorn- und Taumelbechermotivik ist umstritten. Diskutiert werden inneralttestamentliche und altorientalische Herleitungen. Mögliche Erklärungsversuche der Forschung sind u.a.:
1. Ein „genuin israelitischer Hintergrund“ (Schunck, 330): Der Festbecher im Heiligtum sei von den Propheten ins Gegenteil (Zornbecher; Taumelbecher) verkehrt und der Festtag JHWHs zu einem Unheilstag umgeprägt worden (Gressmann, Eschatologie, 134f.; Schunck, 326f.330; → Tag JHWHs
2. Die altorientalische Vorstellung, dass der Hauptgott als Schicksalsgott dem Menschen einen „Lebens- oder Todesbecher“ reiche (Gressmann, Festbecher, 61).
3. Die Herkunft aus der Kultsprache, z.B. die Annahme eines kultischen Ordalverfahrens, nach dem das Trinken aus dem Becher über Schuld oder Unschuld entscheidet (vgl. Mayer, ThWAT IV, 110 unter Berufung auf Beyerlin; → Ordal
4. Eine Herleitung aus den verschiedenen Bechervorstellungen der ugaritischen Mythologie, nach denen der Becher als umfassendes Symbol für Heil und Unheil, Segen und Fluch, Leben und Tod fungiere. Der „verbindende Rahmen“ für alle Bechertexte, die jeweils einzelne Aspekte herausheben, sei das göttliche Festmahl. Im Alten Testament überwiege der Gerichtsgedanke; der „Becher des Zornes“, die „Umkehrung einer positiven Symbolik aus alter, mythischer Tradition“, sei ein „genuin-israelitisches Motiv“ (Fuchs 2000, 71.82ff.).
5. Der „Zornbecher“ als „Konglomerat aus unterschiedlichen Einflüssen und Epochen“, der von dem Mythologem „(Glut-)Becher des Sonnengottes“ geprägt sei (Fuchs 2004, 26.28): Der Zornbecher stelle „den End- und Höhepunkt einer konsequenten inneren Entwicklung dar, die über den ‚Glutbecher‘ des alles sehenden, gerechten Richters Sonne zum bekannten Topos der prophetischen Gerichts- und Strafpredigt geführt hat“ (Fuchs 2004, 125).
6. Gegenüber diesen verschiedenen Positionen hält Seidl die Herkunft des Bechermotivs „trotz der beigebrachten ugaritischen Parallelen weiter nicht eindeutig klärbar“ (Seidl, 149). (Zu weiteren Positionen der Forschungsgeschichte s. Seidl, 4ff.; Brongers, 181ff.).
3. Der Becher als Heilsmotiv
Die wenigen Belege, in denen das Bechermotiv positiv konnotiert ist, finden sich in den Psalmen. Im Kontext tempeltheologischer Motivik wird der Becher zum Heils- und Lebenssymbol (s. dazu Liess).
Im Hintergrund des Bechermotivs in Ps 23,5
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
2. Weitere Literatur
- Brongers, H.A., Der Zornesbecher, in: Vink, J.G. u.a., The Priestly Code and Seven Other Studies (OTS XV), Leiden 1969, 177-192
- Diller, C., „Du füllst mir reichlich den Becher …“. Der Becher als Zeichen der Gastfreundschaft am Beispiel von Ps 23, in: dies. / Mulzer, M. / Ólason, K. (Hgg.), Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Beiträge zur Syntax, Sprachaktanalyse und Metaphorik im Alten Testament (Schülerfestschrift H. Irsigler; ATSAT 76), St. Ottilien 2005, 81-104
- Ehlers, K. [= Liess, K.], „JHWH ist mein Becheranteil“. Zum Bechermotiv in den Psalmen 16; 23 und 116, in: Michel, A. / Stipp, H.-J. (Hgg.), Gott – Mensch – Sprache (Schülerfestschrift W. Groß; ATSAT 68), St. Ottilien 2001, 45-63
- Fuchs, G., Das Symbol des Bechers in Ugarit und Israel. Vom „Becher der Fülle“ zum „Zornesbecher“, in: Graupner, A. u.a. (Hgg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn 2000, 65-84
- Fuchs, G., Der Becher des Sonnengottes. Zur Entwicklung des Motivs „Becher des Zorns“ (Beiträge zum Verstehen der Bibel 4), Münster 2003
- Gressmann, H., Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie (FRLANT 6), Göttingen 1905
- Gressmann, H., Der Festbecher, in: Jirku, A. (Hg.), Beiträge zur Religionsgeschichte und Archäologie Palästinas (FS E. Sellin), Leipzig 1927, 55-62
- Schunck, K.-D., Der Becher Jahwes: Weinbecher – Taumelbecher – Zornesbecher, in: Graupner, A. u.a. (Hgg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn 2000, 323-330
- Seidl, Th., „Der Becher in der Hand des Herrn“. Studie zu den prophetischen „Taumelbecher“-Texten (ATSAT 70), St. Ottilien 2001
Abbildungsverzeichnis
- Verschiedene Becher- und Gefäßformen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Totenmahl (Grabstele des Si’gabbar aus Nerab; 7. Jh. v. Chr.).
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