Beerscheba
Andere Schreibweise: Beerseba; Beersheba; Beer-sheba; Beersheva
(erstellt: Januar 2006; letzte Änderung: November 2010)
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1. Name
Der Name Beerscheba (hebräisch בְּאֵר שֶׁבַע bə’er šæva‘) bedeutet entweder „Brunnen des Schwurs / Schwurbrunnen“ (bə’er „Brunnen“ + šb‘ „schwören“, Gen 21,31-32
2. Biblische Überlieferung
2.1. Erzelternerzählungen der Genesis
Beerscheba ist die einzige Ortsangabe, die bei allen drei Erzvätern → Abraham
Abraham. Der Ortsname Beerscheba taucht erstmals Gen 21,14
Die Erzählführung in Gen 20-22 mit den Ortswechseln Abrahams, dem Pflanzen eines Baums, verbunden mit der Ausrufung des JHWH-Namens, der Trennung von Abimelech und dem endgültigen Wohnen in Beerscheba entspricht derjenigen von Gen 12-13: Aufbruchsnotiz (Gen 12,9
Isaak. Bei der Ankunft Abrahams in Beerscheba (Gen 22,19
Jakob. Der Altarbau in Beerscheba durch Isaak ist wiederum erzählerische Voraussetzung für die Gen 46,1
Drei Textbelege, die Beerscheba nennen und die sich jeweils einer Erzelterngeneration zuordnen lassen, zeigen somit paradigmatisch die Funktion des Ortsnamens bei der literarischen Verbindung der Erzelterngeschichten: Gen 22,19
Die in Gen 26,23
2.2. Bezeichnung der Südgrenze Judas
In formelhaften Wendungen kennzeichnet Beerscheba die Südgrenze des von Juda bzw. von Juda und Israel beanspruchten Territoriums. Die Formulierung „von Geba bis Beerscheba“ (2Kön 23,8
2.3. Ortslisten in den Büchern Josua und Nehemia
In den Ortslisten des → Josuabuchs
Neh 11,25-30
2.4. Elia auf dem Weg zum Gottesberg
1Kön 19,3
2.5. Amosbuch
Beerscheba ist zwei Mal im → Amosbuch
Am 8,14
3. Lage und Lokalisierung
3.1. Bīr es-Seba‘
Die alttestamentlichen Belege und die außerbiblischen Dokumente, in denen Beerscheba genannt ist, deuten auf eine Lage des Ortes im Süden Palästinas. 2Sam 24,7
3.2. Tell es-Seba‘
Das alttestamentliche Beerscheba ist auf dem ca. 4 km weiter östlich gelegenen Siedlungshügel Tell es-Seba‘ zu finden (Koordinaten: 1343.0726; N 31° 14' 42'', E 34° 50' 26''
Die bereits 1915 von den britischen Offizieren Charles Leonard Woolley und Thomas E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) vorgeschlagene und in der englischsprachigen Forschung weitgehend akzeptierte Gleichsetzung des alttestamentlichen Beerscheba mit Tell es-Seba‘ wird in der deutschsprachigen Palästinawissenschaft mehrheitlich abgelehnt. Stattdessen wird der alttestamentliche Ort wie die Siedlung der römisch-byzantinischen Zeit in Bīr es-Seba‘ gesucht. Dabei wird auf die Erzelterngeschichten der Genesis verwiesen, wo Beerscheba ein unbefestigter Lager- und Kultplatz sein soll. Gen 26,33
4. Geschichte
4.1. Kupfersteinzeit (4. Jt.)
Die archäologisch fassbare Geschichte der Region von Beerscheba beginnt in der Kupfersteinzeit (Chalkolithikum, 4. Jt. v. Chr.). Im Bereich von Bīr es-Seba‘ sowie in den benachbarten Trockentälern wurden mehrere Siedlungsplätze aus dieser Periode gefunden. Sie bestehen aus gruben- oder höhlenartigen Wohn- und Funktionseinheiten. Teilweise sind auch oberirdische Gebäude nachgewiesen. Einzelne Siedlungsplätze lassen eine handwerkliche Spezialisierung erkennen (Metallverarbeitung, Knochenschnitzereien).
4.2. Eisenzeit I/II (11./10. Jh. v. Chr.) und frühe Eisenzeit II (10./9. Jh. v. Chr.)
Über die Geschichte von Beerscheba selbst geben die Ausgrabungen Auskunft, die von 1969 bis 1976 auf Tell es-Seba‘ und seit 1962 in unregelmäßiger Folge in Bīr es-Seba‘ durchgeführt wurden bzw. werden. Die ältesten Funde stammen aus der Übergangsphase von der Eisenzeit I zur Eisenzeit II (spätes 11. oder frühes 10. Jh. v. Chr.). Da in Bīr es-Seba‘ aus dieser Zeit nur wenige Mauerreste ergraben wurden, kann über das Aussehen der Siedlung keine Aussage gemacht werden. Das älteste eisenzeitliche Stratum (Stratum IX) auf Tell es-Seba‘ besteht aus Gruben, die möglicherweise noch aus der Kupfersteinzeit stammen. Sie wurden im 11./10. Jh. v. Chr. für Vorratshaltung und für saisonale Aufenthalte genutzt. Erste steinfundamentierte Architektur ist aus dem 10. und dem frühen 9. Jh. v. Chr. nachgewiesen (Straten VIII-VI). Die Ausgräber rekonstruieren die Anlage von Stratum VII zu einem ca. 83 x 60 m großen Ring aus Häusern um einen unbebauten Innenhof („enclosed settlement“). Die beschriebene Rekonstruktion folgt dem Muster zeitgleicher Anlagen, die im zentralen Negev ergraben wurden. Sie bleibt jedoch hypothetisch, da auf Tell es-Seba‘ aus Stratum VII lediglich einige Mauerreste von vielleicht fünf Gebäuden freigelegt wurden.
4.3. Eisenzeit II (9.-6. Jh. v. Chr.)
4.3.1. Stratum V/IV (9./8. Jh. v. Chr.)
4.3.2. Stratum III/II (8./7. Jh. v. Chr.)
Eine Änderung im Siedlungsaufbau ist erst mit Stratum III zu verzeichnen, wobei sich wiederum das nachfolgende Stratum II kaum von den Befunden aus Stratum III unterscheidet. Daher sollte besser von Stratum III/II die Rede sein. Anstelle der massiven Stadtmauer von Stratum V/IV wurde in Stratum III/II eine Mauer in Kasemattenbauweise errichtet (→ Befestigungsanlagen
An der Nordost-Spitze des Tell wurde eine Anlage zur → Wasserversorgung
Die Ausgräber nehmen an, dass Stratum II im Jahr 701 v. Chr. beim Feldzug des assyrischen Großkönigs → Sanherib
Archäologische Reste aus dem 7. Jh. v. Chr. wurden auch außerhalb der befestigten Anlage auf einem Hügelkamm über dem Wādī es-Seba‘ gefunden. Außerdem sind aus dem 7. Jh. v. Chr. Reparaturarbeiten an den Befestigungsanlagen nachgewiesen (Stratum I). Die Ausgräber erklären diesen Befund als einen Hinweis darauf, dass die Bewohner der Stadt im 7. Jh. v. Chr. einen Neuaufbau versuchten, der jedoch misslang oder aus unbekannten Gründen abgebrochen wurde. Naheliegender ist jedoch die Annahme, dass die städtische Anlage im 7. Jh. v. Chr. weiter bestand und um eine extramurale Siedlung erweitert wurde. Diese Interpretation, die einen Siedlungshöhepunkt in der Geschichte Beerschebas im 8./7. Jh. v. Chr. voraussetzt, trifft sich mit dem Befund aus dem gesamten Negev. Auch in Bīr es-Seba‘ ist nach der Besiedlung im 11./10. Jh. v. Chr. erst wieder für das 8./7. Jh. v. Chr. eine Siedlungstätigkeit nachgewiesen. Die verstärkte Siedlungsaktivität im gesamten Negev im 8. und 7. Jh. v. Chr. hängt damit zusammen, dass die assyrischen Großkönige über ihre Vasallen, zu denen auch die Könige von Juda sowie edomitische und arabische Gruppen gehörten, den lukrativen Handel mit Arabien kontrollierten, der u.a. auf Handelswegen vom Roten Meer (Golf von Aqaba) durch den Negev zum Mittelmeer nach Gaza verlief.
4.4. Nacheisenzeitliche Besiedlung
Aus der Dokumentation der nacheisenzeitlichen Reste lässt sich erkennen, dass in spätpersischer (4. Jh. v. Chr.), in hellenistischer (3./2. Jh. v. Chr.) und in frührömischer Zeit (1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.) weiterhin befestigte Gebäude auf dem Siedlungshügel standen. Sie werden als Festungen oder befestigte Residenzen gedeutet. Über vierzig aramäische Ostraka aus persischer Zeit und eine ähnlich große Anzahl gestempelter Amphoren-Henkel aus hellenistischer Zeit zeigen, dass Tell es-Seba‘ weiterhin ein wichtiger Stützpunkt für den Handelsverkehr zwischen Arabien und dem Mittelmeer war.
In spätrömischer und byzantinischer Zeit (2.-7. Jh. n. Chr.) wurde der Hauptsiedlungsplatz nach Bīr es-Seba‘ verlagert. Für die Anlage einer flächigen Siedlung war dort mehr Platz. Zudem war die Wasserversorgung, die in der römischen Kultur eine große Rolle spielte, durch die Wasserstellen gesichert. Die große Vignette auf der Mosaikkarte von Madeba (6. Jh. n. Chr.) lässt erschließen, dass der Ort weiterhin von überregionaler Bedeutung war. Auch die Beschreibungen der Reisenden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert weisen auf eine großflächige Besiedlung hin. Neuere Ausgrabungen erbrachten u.a. ein Militärlager aus römischer sowie Gebäudereste und eine Vielzahl von Gräbern aus byzantinischer Zeit.
4.5. Religionsgeschichte
4.5.1. Textzeugnisse
Die Erwähnungen Beerschebas in den Erzelternerzählungen scheinen darauf zu weisen, dass der Ort ein Kultplatz war. Abraham errichtet eine Tamariske und ruft den Namen JHWHs aus (Gen 21,33
4.5.2. Archäologische Zeugnisse
In einer der Mauern der Pfeilerhäuser von Tell es-Seba‘ Stratum III/II wurden in sekundärer Verbauung sauber zugehauene Steine gefunden. Sie wurden von den Ausgräbern zu einem sog. Hörneraltar rekonstruiert (→ Altarhörner
4.5.3. Zusammenhang mit der Reform Hiskias?
Der Abriss des Hörneraltars und die sekundäre Verbauung seiner Einzelteile wird gerne mit der 2Kön 18,4
Einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Zerstörung des Altars in Beerscheba und der „Kultreform“ Hiskias stehen jedoch gewichtige Argumente entgegen. 2Kön 18,4
4.5.4. „Wallfahrtsheiligtum“ für die Bewohner Israels?
Die Amostexte, die Beerscheba erwähnen, werden mitunter so verstanden, als hätte es im 8. Jh. v. Chr. eine spezielle Verbindung zwischen dem „Nordreich“ Israel, an dessen Bewohner die Worte gerichtet sind, und Beerscheba gegeben etwa in dem Sinn, dass der Ort im Negev ein „Wallfahrtsheiligtum“ für Israeliten war. Einer solchen Deutung stehen die äußerst schwierige Deutung der Texte und die Datierung der Worte in die Zeit nach dem 8. Jh. v. Chr. entgegen. Die erzählerische Verbindung vom Königreich Israel zum Negev (vgl. 1Kön 19,3
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Abbildungsverzeichnis
- Karte zur Lage von Beerscheba. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Tell es-Seba‘ Stratum VII. Aus: Jericke 1997, 175 Fig. 21
- Tell es-Seba‘ Aus: Jericke 1997, 167 Fig. 19
- Tell es-Seba‘: Vierkammer-Stadttor und Pfeilerhäuser der Eisenzeit II. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2010)
- Das Zisternensystem von Tell es-Seba‘ wird vom nahen Wadi gespeist und ist über einen Schacht erreichbar. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2010)
- Tell es-Seba‘: Dreiraumhäuser aus Stratum II (8./7. Jh. v. Chr.). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1984)
- Hörneraltar (rekonstruiert) im Museum von Be’er Ševa‘. © Detlef Jericke, Foto 1984
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