Begehren (AT)
(erstellt: Februar 2009)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/14804/
1. Definition
(1) Unter „Begehren“ versteht man ein Verhalten oder Handeln, welches darauf zielt, sich ein Objekt, das als begehrenswert wahrgenommen wird, auf Zeit oder auf Dauer anzueignen.
(2) Das Alte Testament kennt keine spezifische Bezeichnung für „Begierde“, das böse Begehren. Während das Wesen der Begierde wohl bekannt ist und scharf verurteilt wird (v.a. Ex 20,17
2. Hebräische Begriffe
Als Termini mit der Grundbedeutung „begehren“ begegnen im Alten Testament überwiegend die beiden ausschließlich im westsemitischen Sprachraum verbreiteten Verben חמד chmd und אוה ’wh sowie deren substantivische Ableitungen. chmd und ’wh sind synonym. Sie können sich gegenseitig ergänzen (vgl. Gen 3,6
(1) Der Wortstamm חמד chmd lässt sich übersetzen mit „begehren“ oder „etwas begehrenswert finden“. chmd begegnet im Alten Testament 21-mal, wobei sich im Pentateuch sechs Belegstellen finden lassen (Genesis, Exodus, Deuteronomium), eine in den Geschichtsbüchern (Josua), acht in den Weisheitsbüchern (Psalmen, Sprüche, Hohelied) und sechs in den Prophetenbüchern (Jesaja, Micha). Zusätzlich wird chmd 44-mal in substantivierter Form verwendet: 5-mal chæmæd „Anmut / Schönheit“, 16-mal chæmdāh „Begehrenswertes / Kostbarkeit“, 9-mal chǎmudôt „Kostbarkeiten“, 13-mal machmād „Gegenstand des Begehrens / Anmut / Kostbarkeit“, 1-mal machǎmod „Kostbarkeit / Schatz“.
Primär bezieht sich chmd mit seinen Nominalbildungen auf Konkreta (Personen und Dinge), erst in späterer Zeit wird es auch auf Abstrakta (vgl. Spr 1,22
(2) Dieselbe Grundbedeutung wie chmd weist das Verb אוה ’wh auf. ’wh kann übersetzt werden mit „begehren / wollen / wünschen“. Die insgesamt 27 Vorkommen vom ’wh verteilen sich auf alle Kanonteile des Alten Testaments.
(3) Bedeutungsverwandt mit den Nominalbildungen von chmd und ’wh ist das ausschließlich in den poetischen Texten des Alten Testaments belegte הוה hawwāh, das stets das gottwidrige, böse Verlangen im Sinne von „Gier“ oder „Begierde“ (vgl. Spr 10,3
(4) Das Bedeutungsspektrum von chmd und ‘wh wird sowohl von בחר bchr als auch von חשׁב chšb berührt, wobei bchr von seiner Grundbedeutung her „wählen / auswählen / erwählen“ meint und chšb „planen / rechnen / denken“.
(5) Die Septuaginta übersetzt chmd und ‘wh überwiegend mit epithyméō „begehren / (leidenschaftlich) verlangen“. Die ursprüngliche Bedeutung von epithyméō dürfte „den Sinn auf etwas richten“ gewesen sein. Erst seit Platon (4. Jh. v. Chr.) wurde es zunehmend als „unbeherrschtes Begehren“ verstanden im Unterschied zum vernünftigen Wollen.
3. Begehrenswerte Objekte
Als begehrenswerte Objekte begegnen im Alten Testament folgende: Kostbare Gegenstände (1Kön 20,6
Begehren wird an einigen wenigen Stellen ohne ausgedrücktes Objekt verwendet. Folgende Subjekte werden an diesen Stellen genannt: Gott (Hi 23,13
4. Ethische Beurteilung
(1) Begehren gehört zur menschlichen Existenz und wird im Alten Testament grundsätzlich positiv beurteilt. Legitimes Begehren soll Erfüllung finden (Spr 13,12
(2) Das Alte Testament kennt jedoch auch negative Formen des Begehrens: Als Subjekt des Begehrens wird eine tadelnswerte Person genannt (u.a. Hi 20,20
Das Alte Testament versucht, das unerlaubte Begehren durch Verbote einzugrenzen (Ex 20,17
5. „Begehren“ im Dekalog (Ex 20,17; Dtn 5,21)
→ Dekalog
(1) Dtn 5,21
(2) Im Unterschied zum 6. Gebot des Dekalogs (Zählung nach der Dtn-Fassung) „du sollst nicht ehebrechen“, in welchem der punktuelle und in der Regel geheime „Einbruch“ eines Mannes in die Ehe eines anderen (d.h. der geschlechtliche Umgang mit der Verlobten oder Ehefrau eines anderen) verboten wird, geht es im 9. Gebot des Dekalogs (Zählung nach der Dtn-Fassung) „du sollst nicht begehren (chmd) die Frau deines Nächsten“ (Dtn 5,21
(3) Während es beim Diebstahlverbot Dtn 5,19
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
- Theological Wordbook of the Old Testament, 2. Aufl., Chicago 1981
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Bibeltheologisches Wörterbuch, 4. Aufl., Graz u.a. 1994
- New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
- Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids 2000
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
2. Weitere Literatur
- Aaron, D.H., 2006, Etched in Stone: The Emergence of the Decalogue, New York / London
- Cassuto, U., 1987, A Commentary on the Book of Exodus, Jerusalem
- Coates, J.R., 1934, Thou shalt not covet, ZAW 52, 238-239
- Dohmen, C., 2004, Exodus 19-40 (HThK.AT), Freiburg
- Frevel, C., u.a. (Hgg.), 2005, Die Zehn Worte (QD 212), Freiburg
- Gordon, C.H., 1963, A Note on the Tenth Commandment, JBR 31, 208-209
- Graupner, A., 2001, Die zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik. Anmerkungen zum gegenwärtigen Stand der Forschung, in: H. Graf Reventlow (Hg.), Weisheit, Ethos und Gebot (BThSt 43), Neukirchen-Vluyn, 61-95
- Hirsch, S.R., 1912, Der Pentateuch, 2. Teil: Exodus, 5. Aufl., Frankfurt
- Hossfeld, F.L., 1982, Der Dekalog: seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen (OBO 45), Fribourg u.a.
- Houtman, C., 1993, Exodus, Bd.1 (Historical commentary on the old testament), Leuven
- Jacob, B., 1997, Das Buch Exodus, Stuttgart
- Köckert, M., 2007, Die Zehn Gebote, München
- Lage, F., 2006, Los dos últimos mandamientos del Decálogo: „no desearás“ – „no codiciarás“, Mor 29, 7-37
- Miller, P.D., 2004, Divine Command and Beyond: The Ethics of the Commandments, in: W.P. Brown (Hg.), The Ten Commandments: The Reciprocity of Faithfulness, Louisville / London, 12-32
- Moran, W.I., 1967, The Conclusion of the Decalogue (Ex 20,17 = Dtn 5,21), CBQ 29, 543ff
- Nielsen, E., 1995, Deuteronomium (HAT 6), Tübingen
- Nocquet, D., 2003, Les Dix Paroles, patrimoine universel. Réflexions sur le décalogue et la loi dans l’Ancien Testament, MscRel 60, 21-33
- Okoye, J.C., 2008, The Bible and the Ten Commandments: The Tenth Commandment: Deuteronomy 5:21, TBT 46, 111-116
- Rad, G. von, 1968, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium (ATD 8), 2. Aufl., Göttingen
- Schmidt, W.H., 1993, Die Zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik (EdF 281), Darmstadt
- Schwienhorst-Schönberger, L., 2000, Die Zehn Gebote – Der Freiheit eine Form geben, WUB 17, 9-15
- Sivan, H., 2004, Between Woman, Man and God: A New Interpretation of the Ten Commandments, New York / London
- Upchurch, C., 2008, The Bible and the Ten Commandments: The Ninth Commandment: Digging for Gold in Covenant Relationships, TBT 46, 39-43
- Van Harn, R.E. (Hg.), 2007, The Ten Commandments for Jews, Christians and Others, Grand Rapids
- Veijola, T., 2004, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium 1,1-16,17 (ATD 8,1), Göttingen
- Wright, C.J.H., 1998, Deuteronomy, 2. Aufl., Peabody
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)