Berufung / Berufungsbericht (AT)
(erstellt: August 2010)
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1. Die Berufung im Rahmen des Vorgangs der Amtsübertragung
Unter Berufung versteht man die Beauftragung einer Person mit einem Amt durch eine Person, die dazu legitimiert ist, dieses Amt zu besetzen. Die Berufung ist der zweite Schritt innerhalb eines dreischrittigen Verfahrens der Übertragung eines Amtes. Als erstes muss eine Person ausgewählt werden, der man die Versehung des Amtes zutraut (Erwählung). Zweitens muss dieser Person das Amt übertragen werden (Berufung). Drittens muss der neue Amtsinhaber oder die neue Amtsinhaberin nun denjenigen präsentiert werden, denen er oder sie in diesem Amt vorsteht, damit diese wissen, wem sie nun verpflichtet sind (Einsetzung, → Investitur
Grundsätzlich setzt das Verfahren der Berufung eine Hierarchie voraus: Ein Übergeordneter beruft jemanden in ein untergeordnetes Amt. Ein Amt kann sich der Amtsträger nicht selbst anmaßen, sondern es muss durch die nächst höhere Ebene in einem legitimen Verfahren zugeteilt werden. Ebenso wenig können die Untergebenen jemanden berufen, dazu ist nur die höhere Hierarchieebene befugt.
Wenn die übergeordnete Stelle aber nicht völlig despotisch vorgeht, so wird in diesem Verfahren immer auch eine Berücksichtigung der jeweils untergeordneten Ebene stattfinden. Bereits bei der Erwählung wird normalerweise darauf gezielt, jemanden zu finden, der dem Amt auch gewachsen ist. Ebenso wird die Berufung nicht völlig gegen den Willen dessen erfolgen, der das Amt übernehmen soll. Und schließlich wird die Investitur nicht völlig an einer möglichen Akzeptanz des Amtsinhabers bei den Untergebenen vorbei geschehen, damit die mit dem Amt verbundenen Befugnisse nicht völlig gegen die Einsicht der Untergebenen ausgeübt werden. Gelegentlich ist die Besetzung des Amtes auch auf die Zustimmung oder zumindest die Akklamation der untergebenen Ebene angewiesen.
1. Im Rahmen der Auswahl einer Person (Erwählung) ist es ein wichtiges Thema, ob der oder die zu Berufende für die Aufgaben des Amtes auch geeignet ist (vgl. das mehrstufige Verfahren bei der Auswahl Davids in 1Sam 16,6-12
2. Die eigentliche Berufung, der zweite Schritt, besteht darin, dass der Repräsentant der übergeordneten Ebene dem Berufenen mitteilt, dass ihm ein Amt rechtswirksam übertragen wird. In der Regel geschieht die Amtsübertragung durch einen performativen Sprechakt, z.B. in Ex 3,10
3. Zur Berufung muss, das ist der dritte Schritt, die Investitur hinzutreten. Der Amtsinhaber bezieht seine Legitimität weder aus der Zustimmung der untergeordneten Personen noch aus der Qualität der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben, sondern aus der Autorität des Amtes. Deshalb müssen diejenigen, auf die das Amt bezogen ist, von der legitimen Amtsübertragung durch die übergeordnete Stelle erfahren. Damit ist in jeder Situation eindeutig, wer die notwendigen Entscheidungen trifft.
Anders als bei politischen Ämtern in modernen Demokratien, wird im Alten Testament ein Amt grundsätzlich unbefristet übergeben. Ein Amt kann aber auf die Wahrnehmung einer ganz bestimmten einmaligen Aufgabe konzentriert sein, nach deren Erledigung das Amt zu existieren aufhört. Eine einseitige Niederlegung des Amtes durch den Amtsträger ist nicht vorgesehen. Ein Amtsträger kann in ganz ungewöhnlichen Ausnahmefällen um die Entbindung von dem ihm übertragenen Amt ersuchen (1Kön 19,4
2. Terminologie
2.1 Das Verb קרא „rufen“
Im Alten Testament wird der Akt der Berufung durch das Verb קרא qr’ „rufen“ bezeichnet. Das Verb hat einen erheblich weiteren Bedeutungsumfang, bezeichnet aber, wenn es in dem entsprechenden Kontext gebraucht wird, im technischen Sinn den Akt der Berufung. Als Phänomen steht im Hintergrund, dass der Höhergestellte jemanden aus der Menge zu sich „ruft“, der dadurch zu ihm gehört und in seinem Namen Dinge selbstständig erledigen kann. Das Verb „rufen“ ist auch im Falle einer Berufung durch Gott geeignet, das Phänomen zu fassen. Die Berufung → Samuels
In einem Fall wird das Verb auch substantiviert gebraucht: In Jes 48,12
In späten Texten der priesterschriftlichen Tradition (→ Priesterschrift
2.2 Abgrenzung von Synonymen
Im Zusammenhang mit Berufungen werden verschiedene andere Verben gebraucht, die sich zum Teil vom Bedeutungsumfang her überschneiden oder berühren, aber gegenüber dem Verb קרא qr’ „rufen“ im technischen Sinn abzugrenzen sind.
1. Amtseinführung. Das Verb צוה ṣwh „bestimmen“ wird so gebraucht, dass jeweils die ernennende Person und das Amt, für das jemand bestimmt wird, genau bezeichnet werden: In 2Sam 6,21
Im Falle des Königs ist der Berufungsvorgang so sehr standardisiert, dass sogar ein charakteristischer → Ritus
2. Erwählung. Der Akt der Berufung wird terminologisch von dem der Erwählung klar unterschieden. Für die Erwählung gibt es den terminus technicus בחר bḥr „erwählen“ (2Sam 6,21
Das Verb לקח lqḥ mit der Präposition מן min „wegnehmen von“ spricht ebenfalls den Akt der Erwählung an: In 2Sam 7,8
3. Berufung. Das Verb שׁלח šlḥ „senden“ bezeichnet die Erteilung des Auftrags an den Berufenen. Dies ist ein Teilmoment der Berufung, nicht aber die Berufung selbst. Nicht selten hat man aber das Gefühl, dass dieser Teilaspekt als pars pro toto für die Amtsübertragung als Ganze benutzt wird (Ex 3,10
4. Investitur. In Ex 18 wird berichtet, dass Mose auf Anraten seines Schwiegervaters sorgfältig ausgewählten Männern das Amt übertrug, als „Häupter“ zu fungieren: „Mose gab (ntn) sie als Häupter über das Volk“ (Ex 18,25
Verschiedentlich wird das Verb עור ‘wr Hifil „erwecken“ als Bezeichnung für den Akt der Berufung diskutiert (Jes 41,25
Grundsätzlich ist zu beachten, dass die alttestamentlichen Texte, die von Berufungen berichten, nur selten eine festgelegte Terminologie verwenden. Ihr Fokus liegt in aller Regel darauf, der Leserschaft das Phänomen der Berufung vor Augen zu stellen und die relevanten Besonderheiten des konkreten Einzelfalles zu erwähnen.
2.3 Personen, von denen Berufungen berichtet werden
Im Alten Testament sind viele Ämter genannt, auch gibt es Beschreibungen, wie jemand ausgewählt, berufen und in sein Amt eingesetzt wurde. Nirgends gibt es aber systematische und vollständige Berichte. Ebensowenig kann man davon ausgehen, dass in allen Fällen, in denen eine Berufung im Blick ist, auch das maßgebliche Verb קרא qr’ „rufen“ gebraucht wird. Will man also einen Einblick gewinnen, wer im Alten Testament dezidiert als berufen gilt, muss man das Phänomen der Amtsübertragung zum Maßstab für die Auswahl der Fälle nehmen. Eine Amtsübertragung wird nur in wenigen Fällen berichtet.
Erstens sind militärische Führer zu nennen: → Mose
Zusammenfassend kann man sagen, dass von → Priestern
3. Die Berufung durch Gott
3.1 Die vermittelte Berufung
Die Ausübung eines Amtes ist eine Form von Herrschaft. In der Antike ist jegliche Herrschaft von Menschen über Menschen selbstverständlich nur von Gott her begründbar. So ist auch im Alten Testament die Berufung in ein Amt letztlich etwas, was auf Gott selbst zurückgeführt wird. Unterscheiden kann man solche Berufungen, die unmittelbar durch Gott mit direkter Anrede an den Berufenen vorgenommen werden (→ Mose
3.2 Die unmittelbare Berufung durch Gott
Die Berufung durch die direkte Anrede des Berufenen durch Gott selbst ohne die Beteiligung vermittelnder Institutionen und ohne Zeugen gibt es nur in wenigen Fällen. Es ist vor allem ein Amt, das mit einer direkten Berufung durch Gott selbst rechnet: das Prophetenamt. Das Prophetenamt unterscheidet sich deutlich von anderen Ämtern, weshalb es problematisch ist, überhaupt von einem Amt zu sprechen. Die Prophetie stellt keine dauerhafte Institution dar. Nur in Ausnahmen ist überliefert, dass Propheten einen Nachfolger haben oder für die Amtsübertragung sogar selbst sorgen (→ Elia
4. Die Gattung „Berufungsbericht“
4.1 Die Beschreibung der Formelemente der Gattung
Verschiedene Berufungsberichte, sowohl aus der Fremd- als auch aus der Eigenperspektive, sind im Alten Testament erhalten. Die große Bedeutung, die solche Berichte für die Amtsausübung hatten, lässt sich noch daran erkennen, dass diese Berichte innerhalb der jeweiligen Buchkontexte eine kompositorisch herausgehobene Stellung besitzen. Am deutlichsten erkennbar ist das im Falle des Jeremia- und Ezechiel-Buches, wo der Berufungsbericht sogleich zu Beginn dargeboten wird (Jer 1,4-10
Klassischerweise werden die folgenden Texte als ausgeführte Berufungsberichte eingestuft: Zu den Selbstberichten zählen die Berufung → Jesajas
Gideon
Aus dem Vergleich der Berichte lässt sich eine Gattung erschließen, mit Hilfe derer Berufungen in Worte gefasst wurden. Dabei ist es notorisch schwierig, aus den vielfältigen und verschiedenen Einzelexemplaren das zu Grunde liegende Textmuster zu erschließen. Sowohl Richter (1970) als auch Vieweger (1986) haben einige dieser Berichte untersucht und den gemeinsamen Textaufbau beschrieben (Richter, 139; Vieweger, 90). Ihnen folgend kann man in einem Berufungsbericht typischerweise die folgenden Elemente unterscheiden (die besonders umfangreich ausgeführte Moseberufung möge als Beispiel dienen):
1. Angabe der Umstände, unter denen die Intervention Gottes sich ereignete. Regelmäßig handelt es sich um eine Notlage für das Volk Israel (Ex 2,23
2. Göttlicher Auftrag an die berufene Person. a) Dieser erfolgt im Modus direkter Anrede an die berufene Person (Ex 3,4
3. Regelmäßig fühlt sich der Berufene nicht in der Lage, das Amt wahrzunehmen, und formuliert einen Einwand, in dem er auf seine Unfähigkeit verweist. Mose schaltet sogar fünf Einwände hintereinander (Ex 3,11
4. Gott entkräftet den Einwand: a) Er versichert, dass der Berufene des göttlichen Beistandes gewiss sein kann (Ex 3,12
Eine ausdrückliche Annahme der Berufung fehlt, es reicht, dass der Berufene keinen weiteren Einwand mehr vorbringt.
4.2 Sitz im Leben der Gattung
Da die Berufung ein einmaliger Akt ist, von der her sich die Legitimität eines Amtsträgers auf Dauer, im Idealfall zeitlebens, bestimmt, ist die Erinnerung an diesen Akt für alle Beteiligten, sowohl für die übergeordnete Stelle als auch für den Amtsträger selbst als auch für die Untergebenen wesentlich. Insbesondere dann, wenn die Legitimität eines Amtsträgers bestritten wird, ist der Verweis auf die legitime Berufung von entscheidender Bedeutung. Dieser Zwang zur Legitimation von Amtsträgern brachte offensichtlich die Textgattung des Berufungsberichts hervor (Vieweger, 106-107).
Grundsätzlich gibt es zwei Perspektiven. Am einfachsten ist es, wenn jemand, der in der gegebenen Situation dazu in der Lage und vertrauenswürdig ist, die Berufung des Betreffenden durch eine Darstellung seiner Berufung bestätigt. Das geschieht im Fremdbericht. Sollte eine dritte Seite nicht greifbar sein, muss ein Selbstbericht in der Ich-Form genügen. Dieser hat es naturgemäß dann besonders schwierig, Zustimmung zu erhalten, wenn die Berufung in einem zeugenlosen Zwiegespräch mit Gott geschah, wie regelmäßig im Falle von Propheten. Der angegriffene Prophet muss darauf vertrauen, dass sein Bericht dem Gegenüber so authentisch und vertrauenswürdig klingt, dass dieser nicht bezweifelt, dass er tatsächlich von Gott berufen wurde und nicht aus eigenem Antrieb das Amt übernommen hat.
Ein Beispiel, wie ein Berufungsbericht in eine Auseinandersetzung eingebettet war, bietet die Episode von → Amos
4.3 Die Berufung des Jona
Die → Jonaschrift
5. Alttestamentliche Berufungstexte als Vorbild für Berufungen im Neuen Testament
Im Neuen Testament spielen die zentralen Ämter des Alten Testaments eine große Rolle, allen voran das Königsamt. Kern des neutestamentlichen Zeugnisses ist es, dass der Galiläer Jesus von Nazareth von Gott zum Christus, also zum gesalbten König Israels, berufen worden sei. Dieser Anspruch ist von den allermeisten Zeitgenossen vehement abgelehnt worden. Die Evangelisten, allen voran → Markus
Hinter dieser Erzählung ist kaum mehr ein historischer Kern auszumachen, außer dass Jesus sich von Johannes taufen ließ. Es ist erstaunlich, dass auch sonst kaum Spuren eines vom historischen Jesus verwendeten Berufungsberichtes überliefert sind. Der einzige Hinweis könnte sich hinter der kryptischen Notiz verbergen: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,18
Der → Hebräerbrief
Auch die Berufung des → Paulus
Alle diese Bezüge lassen die gleiche Überzeugung deutlich werden, dass nämlich die Amtsträger der christlichen Gemeinde in Kontinuität zu denjenigen Israels stehen und durch denselben Gott berufen und mit demselben Geist begabt sind.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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