Besitz (AT)
(erstellt: April 2012)
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1. Terminologie
1.1. Besitzen. Das Hebräische hat kein Verb, das „haben“ oder „besitzen“ bedeutet. Es kann ein Besitzverhältnis nur mit der Präposition לְ lə bezeichnen, die eine Zuordnung ausdrückt. Das kann im Nominalsatz ohne jede weitere Ergänzung geschehen: „Er besaß 3.000 Schafe“ oder „ihm gehörten 3.000 Schafe“ heißt wörtlich nur „ihm (לוֹ lô) 3.000 Schafe“ (2Sam 25,2
1.2. Besitzer. Wenn es auch kein Verb gibt, das dem „haben / besitzen“ anderer Sprachen entspricht, hat das Hebräische durchaus eine Reihe von Nomina, die Besitzverhältnisse ausdrücken. Auf der Seite der besitzenden Person ist das Nomen בַּעַל ba‛al zu nennen. Es heißt wörtlich „Herr“. Mit diesem Wort gebildet werden Zusammensetzungen wie „der Besitzer des Rindes“ (Ex 21,28
1.3. Besitz. Auf Seiten der besessenen Sache findet sich ein ganzes Spektrum von Termini, die jeweils unterschiedliche Aspekte hervorheben. קִנְיָן qinjān von der Wurzel קנה qnh „erwerben“ sieht im Besitz das Erworbene (Gen 31,18
2. Schutz des (mobilen) Besitzes
Bekanntlich gehört das Verbot des → Diebstahls
Mit dem Mantel ist das wichtigste der persönlichen Besitztümer eines Israeliten oder einer Israelitin genannt. Dieser Mantel wird zum Pfand gegeben, ist also wertvoll genug, um diese Funktion erfüllen zu können; zugleich ist er aber ein so lebenswichtiger persönlicher Besitz, dass er abends dem Besitzer zurückgegeben werden soll (Ex 22,25f
3. Eigentum an Menschen
Anders als in der Moderne können zum möglichen Besitz auch Menschen gehören. Zwar ist es, wie erwähnt, verboten, einen Menschen zu stehlen und als → Sklaven
3.1. Schuldsklaverei. Die verbreitetste Form ist die Schuldsklaverei. Sie tritt ein, wenn zur Aufnahme eines Darlehens Familienmitglieder verpfändet werden. Dabei lassen die Texte nicht genau erkennen, ob der Eintritt in die Schuldsklaverei bereits erfolgt, sobald das Darlehen gegeben wird – sozusagen als Sicherheit –, oder erst, wenn es nicht zurückgezahlt werden kann – wobei der oder die Versklavte dann die Schuld abzuarbeiten hätte. Jedenfalls ist immer Verarmung der Auslöser, wie sowohl die erzählten Beispiele (2Kön 4,1-7
3.2. Dauersklaverei. Neben der befristeten Schuldsklaverei gibt es Dauersklaverei. In sie geraten Kriegsgefangene. Auch Schuldsklavinnen und Schuldsklaven haben die Möglichkeit, sich nach Ablauf ihrer Sechsjahresfrist in Dauersklaverei zu begeben (Ex 21,5f
Dass die Verfügungsgewalt über Sklaven und Sklavinnen unbeschränkt ist, sie also im umfassenden Sinn Eigentum ihrer Herrschaft sind, belegt das Beispiel Hagars. Sie kann von ihrer Herrin dem Ehemann zum Zweck der Zeugung von Kindern gegeben, samt Kind aber auch aus dem Haus vertrieben und im wahrsten Sinn des Wortes „in die Wüste geschickt“ werden (Gen 16
4. Grundeigentum
Der wichtigste Besitz in der agrarisch geprägten Gesellschaft des antiken Israel ist das Eigentum an Grund und Boden (→ Land
Diese Gesetzgebung ist bereits eine Reaktion auf eine Entwicklung der Besitzverhältnisse, die in die entgegengesetzte Richtung verläuft. Spätestens seit dem 8. Jh. v. Chr. lässt sich nämlich eine deutliche Tendenz beobachten, Grundbesitz in den Händen Weniger zu akkumulieren. Jes 5,8
Die weitere → Sozialgeschichte
5. Besitz und Glück in der Weisheit
Die weisheitlich geprägte Literatur Israels (→ Weisheit
Allerdings gilt das nicht, wenn Besitz nicht durch Fleiß, sondern durch Unrecht erworben ist (Spr 10,2
Angesichts der Ambivalenz des Besitzes verwundert es nicht, dass Spr 30,7-9
→ Kohelet
Nach Kohelet ist die angemessene Haltung dem Besitz gegenüber, ihn als Geschenk Gottes zu genießen – und dass der Mensch genießen kann, ist selbst wieder ein Gottesgeschenk (Pred 3,13
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979 (Art. Eigentum)
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996 (Art. Property)
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Art. Besitz und Eigentum)
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Art. Eigentum I. Altes Testament)
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Art. Eigentum)
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. u.a. 1993-2001 (Art. Eigentum)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007 (Art. Eigentum II. Altes Testament)
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006 (Art. Besitz / Gut / Eigentum)
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 (Art. Eigentum)
2. Weitere Literatur
- Alt, Albrecht, 1968, Das Verbot des Diebstahls im Dekalog, in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel. Erster Band, 4. Aufl., München, 333-340
- Dearman, John Andrew, 1988, Property Rights in the Eighth-Century Prophets (SBL.DS 106), Atlanta, Georgia
- Dušek, Jan, 2007, Les manuscripts araméens du Wadi Daliyeh et la Samarie vers 450-332 av. J.-C. (Culture and history of the ancient Near East 30), Leiden / Boston
- Fromm, Erich, 21. Aufl. 1992, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, übers. v. Brigitte Stein (dtv 30048), München
- Gerleman, Gillis, 1977, Nutzrecht und Wohnrecht. Zur Bedeutung von אחזה und נחלה, ZAW 89, 313-325
- Gropp, Douglas M. (Hg.), 2001, Discoveries in the Judaean Desert. Wadi Daliyeh II. The Samaria Papyri from Wadi Daliyeh (DJD XXVIII), Oxford
- Horst, Friedrich, 1961a, Das Eigentum nach dem Alten Testament, in: ders., Gottes Recht (ThB 12), München, 203-221
- Horst, Friedrich, 1961b, Zwei Begriffe für Eigentum (Besitz): נַחֲלָה und אֲחֻזָּה, in: A. Kuschke (Hg.), Verbannung und Heimkehr (FS W. Rudolph), Tübingen, 135-156
- Kessler, Rainer, 2009a, Gott und König, Grundeigentum und Fruchtbarkeit, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 167-184
- Kessler, Rainer, 2009b, Arbeit, Eigentum und Freiheit. Die Frage des Grundeigentums in der Endgestalt der Prophetenbücher, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 231-250
- Kessler, Rainer / Loos, Eva (Hgg.), 2000, Eigentum: Freiheit und Fluch. Ökonomische und biblische Einwürfe (KT 175), Gütersloh
- Westbrook, Raymond, 1991, Property and the Family in Biblical Law (JSOT.S 113), Sheffield
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