Betrug
(erstellt: Februar 2015)
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1. Definition und Terminologie
Betrug ist die absichtliche Täuschung eines anderen zu dessen Schaden. Das Subjekt des Betruges ist dabei auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Die ethische Qualifizierung dieser Handlung fällt grundsätzlich negativ aus und wird auch als Verstoß gegen die Gerechtigkeitsnorm gedeutet (Hoppe, 1994, 339). Insofern ist der Betrug vom verwandten Wortfeld der „List“ deutlich zu unterscheiden, da hier positive Konnotationen die eigentliche Handlung und deren Akteur begleiten.
Wesentliches Element des Betrugs ist der Handlungs- bzw. Ausführungsaspekt der als Betrug qualifizierten Tat, weshalb das Wortfeld „Betrug“ von semantisch eng verwandten, reinen verba dicendi abzugrenzen ist („lügen“, in bestimmten Zusammenhängen auch „täuschen“; → Lüge / Lügen
Das deutsche Lexem „Betrug“ / „betrügen“ hat im Hebräischen kein einheitliches Äquivalent. Die unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen und Bedeutungsaspekte werden über ein weites Wortfeld beschrieben. Nur die jeweiligen Kontexte machen deutlich, in welcher Hinsicht von einem „Betrug“ die Rede ist / sein kann. Oft ist nur über den Kontext auszumachen, ob „Betrug“ oder „List“ (wenn man „List“ als Synonym für „Schläue“ versteht, vgl. Spr 12,23
Das Wortfeld „Betrug“ / „betrügen“ wird vor allem über die Wurzel רמה rmh II (Piel) ausgedrückt, die allerdings ein wesentlich weiteres Bedeutungsspektrum hat: verleumden, täuschen, betrügen, überlisten, im Stich lassen, verraten (Kartveit, 1993, 523-527). Von ihr werden drei Nomina gebildet, רְמִיָּה rəmijjāh (15-mal), מִרְמָה mirmāh (40-mal), תַּרְמִית tarmît (5-mal), die in ihrer semantischen Breite auch, aber nicht ausschließlich den Tatbestand des Betruges abdecken. In der → Septuaginta
Die Wurzel עקב ‘qb (Qal) kann auch einen betrügerischen Vorgang bezeichnen, nämlich in Gen 27,36
2. Zerbrechen von Beziehungen
2.1. Handelsgeschäfte
Bei Handels- und Tauschgeschäften konnte man sich durch ungenaue Gewichtssteine einen Vorteil verschaffen (Lev 19,36
2.2. Subjekte des Betruges
Subjekt des Betrügerischen sind einerseits gesetzlose oder zwielichtige, also deutlich negativ qualifizierte Einzelpersonen oder korrupte Institutionen (Königtum, Priestertum, Prophetenamt). „Israel“ selbst werden betrügerische Absichten und Taten vorgeworfen: In Hos 12,1
Mitnichten bleibt das Wortfeld aber auf diese Handlungsträger beschränkt. Auch im Umfeld von besonderen biblischen Charakteren, die als Glaubensvorbilder oder theologisch sowie historisch bedeutsame Einzelpersonen angesehen werden, wird von betrügerischen Taten berichtet: → Jakob
Die biblischen Figuren glänzen eben nicht eindimensional durch ethisch unfehlbares Verhalten, sondern bekommen so eine gewisse Tiefendimension eingezeichnet. Die „Erwählung“ einer besonderen Einzelfigur oder einer gesamten Gruppe („Israel“) geschieht gerade nicht wegen herausragender, moralisch einwandfreier Eigenschaften, sondern auf Grund Gottes andauernder Zuwendung, auch wenn jene sich abwenden (Rendtorff, 1977, 319-327; Hensel, 2011, 316-318).
2.3. Folgen des Betruges
Betrügerische Verhaltensweisen können auf der Beziehungsebene schweren Schaden verursachen (Gen 27; Gen 29,25
3. Jakob, der „Betrüger“
In keiner anderen Erzählung des Alten Testaments spielt der Betrug eine so zentrale Rolle wie in den Geschichten um den Erzvater → Jakob
3.1. Gen 25,19-26: „Fersenpacker“
Gen 25,19-26
3.2. Gen 25,29-34: Kauf des Erstgeburtsrechts
Die Erzählung Gen 25,29-34
Jakob besitzt nun zwar das Erstgeburtsrecht, doch ist seine Rolle innerhalb der Erzählung mehr als dubios, da er die Schwächesituation seines Bruders Esau, der hier als sehr grobschlächtig gezeichnet wird, ausnutzt, um über dessen Schwur an das Erstgeburtsrecht zu gelangen (Jacob, 2000, 545-546). Jedoch scheint schließlich Jakob das Erstgeburtsrecht auf legale Weise erworben zu haben. Die Kritik an Jakob erfolgt höchstens subtil, wobei der Erzähler wohl nicht auf eine moralische Wertung des Geschehenen abzielt. In Gen 27,36
3.3. Gen 27,1-28,5: Erschleichen des Erstgeburtssegens
Gen 27,1-28,5
Aus der Schilderung des „Segensbetrugs“ geht klar hervor, dass das Tun Rebekkas und Jakobs keineswegs beschönigt werden soll. Isaak (Gen 27,35
Unterstrichen wird der Betrug Jakobs durch das Wortspiel יַעֲקֹב ja‘ǎqov „Jakob“ – עָקֵב ‘āqev „Ferse“ – עקב ‘qb „betrügen / hinterherschleichen“). Die Erwähnung des „fersenpackenden“ Säuglings Jakob in Gen 25,26
3.4. Gen 28,10-35,29: Vom „Fersenschleicher“ zum „Gottesstreiter“
Darum hebt die Erzählung in der Bethel-Episode (Gen 28,10-22
Die Jabbok-Episode (Gen 32,23-32
Nach dieser göttlich begründeten Wiedergutmachung des Betruges kann nun auch eine Versöhnung zwischen Esau und Jakob stattfinden (Gen 33,1-11
Die Konflikte der beiden Brüder werden mit Esaus Akzeptanz von Jakobs Segen besiegelt (Gen 33,11b
3.5. Hos 12,4: Israel als Erbe des Betruges
Das moralische Urteil fällt in Gen 25-36 nicht so stark aus wie in Hos 12,4
3.6. Jer 9,3: „Jakobsbetrug“ und Volksschuld
Innerhalb der Klagen Jeremias über die Verschlagenheit des eigenen Volkes (Jer 8-9) spielt Jer 9,3
Literaturverzeichnis
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