Deutsche Bibelgesellschaft

Blut / Blutriten

(erstellt: Juli 2017)

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1. Etymologie und einleitende Überlegungen

Das hebräische Wort für „Blut“ ist das zweiradikalige Substantiv דָּם dām (verwandt mit akkadisch dāmu, ugaritisch dm, aramäisch dam und dĕma sowie arabisch damun). Im Alten Testament werden verschiedentlich textliche Assoziationen zum Begriff „Leben“ hergestellt (Avishur), und terminologische Anklänge liegen zu אָדָם ’ādām „Mensch / Mann“ ebenso vor wie zu אֲדָמָה ’ǎdāmāh „Erde / Boden“ (vgl. auch den Ausdruck „Menschenblut“ in Gen 9,6; Hab 2,8.17; dazu Bergman / Kedar-Kopfstein). Die Synekdoche „Fleisch und Blut“ bezeichnet die Kreatürlichkeit des Menschen u.a. mit Blick auf dessen Vergänglichkeit (Jes 58,7; Neh 5,5; Sir 14,18 [Lutherbibel: Sir 14,19]; Sir 17,31 [Lutherbibel: Sir 17,30]; s.a. äthHen 15,4; Mt 16,17). Ähnliches gilt für Tiere, deren Lebenskraft gleichfalls im Blut zu finden ist; so das → Heiligkeitsgesetz in äußerster Verdichtung in der Gleichung „Leben ist Blut“ (Lev 17,11.14; vgl. Cortese, 1650). → Pflanzen gelten dementsprechend, da sie kein Blut haben, in der Kosmologie des Alten Testaments nicht als Lebewesen.

Die konzeptionelle Nähe von Blut und Lebenskraft kommt auch außerhalb des Alten Testaments zum Ausdruck, z.B. in diversen altorientalischen Schöpfungsmythen. Sie ist ebenfalls als Grund für das Verbot von Blutverzehr (Gen 9,4; Lev 7,23.26; Lev 17,10-14; Dtn 12,16.23; ferner Apg 15,20.29) zu betrachten, das stets auch für das Fett (חֵלֶב ḥelæv) von Tieren gilt, welches allein Gott zusteht (→ Fett 3.; vgl. Hieke, 71). Aufgrund dieses Bedeutungsspektrums kann Blut menschliche Verwandtschaft oder Sippenzugehörigkeit bezeichnen (4Makk 13,20); Blutsbruderschaft konnte im alten Orient geschlossen werden, indem die beteiligten Parteien ihr Blut vermischten oder gegenseitig tranken. War Blutvergießen ohnehin nur mit Einschränkung und mit göttlicher Zustimmung zulässig (→ Blutschuld), so war speziell → Blutrache zu üben, wenn ein Mitglied der eigenen Sippe durch vorsätzliche Tötung (Ri 8,18) oder andere Formen der Schändung wie Vergewaltigung (Gen 34,31) bzw. Körperverletzung (Ri 16,21.28) zu Schaden kam. Schließlich wird als → Blutschande heterosexueller Geschlechtsverkehr zwischen nahen blutsverwandten Personen mit wenigstens 25% gemeinsamen Genen bezeichnet (der entsprechende Terminus bei geringeren Verwandtschaftsgraden ist Konsanguinität).

Wenn Blut also mit Leben gleichgesetzt wurde, dann ist auch klar: Blutverlust bedeutet Tod. Im Gefäßsystem eines erwachsenen Menschen befinden sich ca. 70 bis 80 ml Blut pro Kilogramm Körpergewicht – das entspricht insgesamt ca. 5 bis 6 Litern. Schon der Verlust von mehr als 1000 ml beeinträchtigt die Lebenskraft bzw. Vitalität spürbar. Die Kulturen des Alten Vorderen Orients waren vorwiegend nomadisch und agrarisch geprägt, und Kampfhandlungen bzw. Kriege zwischen verschiedenen Stämmen und Völkern kamen häufig vor; deshalb war dieser Zusammenhang damaligen Menschen vertraut. Herdentiere wurden in der Regel vor Ort durch die Methode der → Schächtung (שׁחט šḥt; LXX: σφάζω) geschlachtet, wobei ihre Halsschlagader mit einem raschen Schnitt durchtrennt wurde, damit das Tier weit möglichst ausbluten konnte (Lang, 515; Milgrom, 154f.716f.; Eberhart, 2002, 26f.; Hieke, 171). Erst danach war das Fleisch zum Verzehr geeignet. Außerdem war die Wendung „Blut vergießen“ (שׁפך דָּם špk dām; Gen 9,6; Num 35,33; Ez 18,10 u.ö.) Kurzformel für gewaltsame Tötung und Mord. Damit steht der hebräische Begriff „Blut“ gleichermaßen für „Leben“ und „Tod“ und hat insgesamt ein dialektisches Bedeutungsspektrum.

2. Blut im religionsgeschichtlichen Umfeld

Eine der ältesten Beschreibungen von Blutritualen findet sich z.B. in griechischen Epen. Die dem griechischen Dichter Homer zugeschriebene Odyssee (10,524ff.; 11,34ff.) erwähnt eine nekromantische Zeremonie des Odysseus, der in den Hades vorstößt und dort zunächst Milch, Honig und Wein, schließlich aber auch das Blut eines Widders darbringt. Die den Hades bewohnenden Totengeister dürsten nach diesem „schwarzen, dampfenden“ Blut, durch welches sie kurzfristig den Odem des Lebens wiedererlangen (Gabriele, 34). Gemäß ägyptischer Mythologie wird ein Götterpaar aus Beschneidungsblut geschaffen (Wißmann, 727). Solche Mythen vermitteln ihrerseits dialektische Assoziationen, die die Nennung von Blut sowohl mit Leben als auch mit Tod hat. Derartige Vorstellungen waren demnach universelle Konventionen der Kulturen und Religionen des Alten Vorderen Orients und darüber hinaus. Dieses Verständnis der Bedeutung von Blut gilt auch noch später in anderen Kulturräumen. Für Johann Wolfgang von Goethe z.B. war Blut „ein ganz besonderer Saft“ (Mephisto in Faust I, Studierzimmer II; vgl. Schneidewind, 5); noch heute kann ferner in den First-Nations-Kulturen Nordamerikas („Indianern“) Menstruationsblut als „very powerful medicine“ (Buck, 14) bezeichnet werden.

3. Blutriten im Alten Testament

Spezielle Blutriten werden im Alten Testament verschiedentlich erwähnt, so beim Passafest, bei Reinigungsritualen und im Rahmen von kultischen Opferritualen.

3.1. Passaritual

In der priesterlichen Tradition werden Passaordnung und Passaritual als direkte Anweisung JHWHs an → Mose (Ex 12,1) präsentiert (→ Passa). Der Hausvater hatte die Aufgabe, für die an oder in seinem Haus versammelte Festgemeinschaft das Passalamm am Feuer zu braten (Ex 12,9); es war mit ungesäuertem Brot und bitteren Kräutern zu essen (Ex 12,8). Im Rahmen dieser Ordnung wird auch der Blutritus beschrieben: „Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie es essen“ (Ex 12,7; → Tür / Türpfosten). Nach Ex 12,22 geschah das mit einem Bündel → Ysop. Diesem Ritus ist eine explizite Deutung beigegeben: das Blut des Passalammes soll die Israeliten vor dem Bedrohungspotential der zehnten Plage bewahren. „Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich (sc. JHWH) das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage“ (Ex 12,13). Damit erscheint das Passa auf dieser Traditionsstufe als apotropäisches Ritual, dessen zentrale Funktion im Blutritus lag. Als Zeichen des Lebens vermochte es, Verderben und Tod von Israel fernzuhalten (→ Apotropäische Riten).

3.2. Reinigungsrituale

In Lev 14,4.6.49.51f. werden Blutriten zur Reinigung von Personen und Häusern beschrieben. Dazu ist ein Vogel zu schlachten; dann wird ein zweiter, lebendiger Vogel zusammen mit Zedernholz, scharlachfarbener Wolle und Ysop in das Blut des ersten Vogels getaucht und siebenmal auf die verunreinigte Person bzw. das Haus gesprengt, um diese zu reinigen und zu entsühnen. Der zweite Vogel soll nun „ins freie Feld“ fliegen. Dieser komplexe Ritus kann als komplementärer Vorgang interpretiert werden, bei dem das mit „Aussatz“ bezeichnete Krankheitsphänomen durch Blutapplikation zunächst gelöst und auf den lebendigen Vogel übertragen wird, der es dann wegtransportiert. Der Blutritus würde dann zu einem Eliminationsritual mit konzeptionellen Parallelen zum Asaselbock-Ritual am Großen Sühnetag (Lev 16,20-22) gehören (→ Sündenbock / Asasel; → Jom Kippur; vgl. Eberhart, 2002).

3.3. Kultische Opferrituale

Blutriten kommen auch bei Tieropferarten vor (→ Qorban). Die diesbezüglich ausführlichsten Bestimmungen finden sich in Lev 1-5, denen zufolge das Blut von allen vierbeinigen Opfertieren abseits vom Brandopferaltar durch → Schächtung gewonnen wird (Lev 1,5.11; Lev 3,2; Lev 4,4.15 u.ö.). Bei den meisten Opferarten findet dieses Blut dann aber keine weitere rituelle Verwendung. Es ist stattdessen an der Basis des Brandopferaltars auszugießen (זרק zrq, LXX: προσχέω), wo Abflusseinrichtungen in Form von Rinnen und Löchern am Altarsockel das Versickern im Boden sicherstellten (rabbinischen Texten zufolge gelangt am Jerusalemer Tempel Opferblut in einen Kanal und floss von dort in den Kidronbach ab; s. Mischna, Traktat Joma 5,6; Mischna, Traktat Middot 3,2; vgl. Margueron, 237-240). Ausschließlich beim Sündopfer (חטאת ḥaṭṭā’t) nimmt der amtierende Priester vor der Blutausgießung einen detaillierten Blutapplikationsritus im Zeltheiligtum vor; er soll „mit seinem Finger (in das Schächtblut) hineintauchen und siebenmal sprengen vor JHWH, an den Vorhang. Und er soll etwas von dem Blut an die Hörner des Altars tun, der vor JHWH steht in der Stiftshütte“ (Lev 4,17-18). Der so beschriebene Blutritus – er erscheint verkürzt in Lev 4,25.30.34 – bewirkt in Verbindung mit der Verbrennung des Fettes (חֵלֶב ḥelæv) des Opfertieres auf dem Brandopferaltar (→ Fett 2.) → Sühne (כִּפֶּר kippær) sowie Vergebung (נִסְלַח nislaḥ) für die Opfergeber (Lev 4,20.26.31.35). Am Großen Sühnetag am zehnten Tischri (→ Jom Kippur) sprengt der Hohepriester einen Teil des Schächtblutes im Allerheiligsten auf und vor die Sühnebedeckung (כַּפֹּרֶת kapporæt, Lev 16,14-15).

Wird Schächtblut des Sündopfers ausschließlich an das Heiligtum und sein Inventar gesprengt oder gestrichen, so finden außerhalb der Opfergesetze von Lev 1-5 auch Rituale Erwähnung, bei denen Blutriten an Menschen durchzuführen sind. Dazu gehört die Priesterweihe → Aarons und seiner Söhne, bei der das Blut von Einsetzungsopfern an die Priesteramtskandidaten zu applizieren ist (Ex 29,19-28.31-34; Lev 8,22-32). Beim Reinigungsritual in Lev 14 wird nach anfänglicher Waschung mit Wasser das Blut des Schuldopfers (אָשָׁם ’āšām) an die zu reinigende Person gestrichen (Lev 14,14), an die abschließend noch Salböl appliziert wird. Beim Sinaibund bringt Mose Brandopfer und Gemeinschafts-Schlachtopfer dar (→ Bund). Er nennt deren Schächtblut „Blut des Bundes“ (דַּם־הַבְּרִית dam habbərît; LXX: αἷμα τῆς διαθήκης, Ex 24,8) und sprengt es auf die Israeliten, woraufhin einige von ihnen auf den Berg Sinai steigen und eine visio dei erleben (Ex 24,9-11; an diesen Bund knüpft die Abendmahlstradition mit dem Einsetzungswort „das ist mein Blut des Bundes“ in Mk 14,24 an; [→ Mahl / Mahlzeit NT, § 4.3]).

Zur Deutung solcher Blutapplikationsriten ist oft auf Lev 17,11 verwiesen worden: „Denn des Leibes Leben ist im Blut und ich (sc. JHWH) habe es euch für den Altar gegeben, dass ihr damit entsühnt werdet. Denn das Blut ist die Entsühnung, weil das Leben in ihm ist“. Kultische Blutapplikationsriten bewirken also kraft des dem Blut innewohnenden Leben → Sühne (כִּפֶּר kippær). Diese Interpretation ist weitgehend kongruent mit anderen explizit in alttestamentlichen Texten anzutreffenden Deutungen: „reinigen“ (טִהַר ṭihar), „weihen“ (קִדֵּשׁ qiddeš, Lev 16,19), „entsündigen“ (חִטֵּא ḥiṭṭe’) und „weihen“ (קִדֵּשׁ qiddeš, Lev 8,15). Lediglich beim Sinaibund in Ex 24 fehlen solche Interpretamente; erst in späteren Targumim finden sich entsprechende Ausdeutungen: „… und er (sc. Mose) sprengte (das Blut) auf den Altar, um für das Volk zu sühnen“ (ודרק על מדבחא לכפרא על עמא, Targum Pseudo-Jonatan zu Ex 24,8; ähnlich Targum Onkelos; Targum Jeruschalmi I).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
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  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
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2. Weitere Literatur

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  • Buck, G.D., 2001, Healing Story. A Bold Woman in the Crowd, Consensus 27/2, 11-25
  • Cortese, E., 1998, Art. Blut, in: RGG, 4. Aufl., Bd. 1, Tübingen, 1648-1650
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  • Eberhart, C., 2006, The Term „Sacrifice“ and the Problem of Theological Abstraction. A Study of the Reception History of Genesis 22:1-19, in: C. Helmer (Hg.), The Multivalence of Biblical Texts and Theological Meanings (Symposium Series 37), Atlanta, 47-66
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  • Margueron, J.-C., 1991, L’espace sacrificiel dans le Proche-Orient ancien, in: R. Étienne / M.-Th. Le Dinahet (Hgg.), L’espace sacrificiel dans les civilisations méditerranéennes de l’antiquité. Actes du Colloque tenu à la Maison de l’Orient, Lyon, 4-7 juin 1988 (Publications de la Bibliothèque Salomon-Reinach 5), Paris, 235-242
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  • Milgrom, J., 1991, Leviticus 1-16. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 3), New York
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  • Schneidewind, F., 1999, Das Lexikon rund ums Blut. Der rote Lebenssaft in Mystik und Mythologie, Magie und Medizin, Religion und Volksglaube, Legende und Literatur, Berlin
  • Watts, J.W., 2013, Leviticus 1-10 (HCOT), Leuven u.a.
  • Wißmann, H., 1980, Art. Blut I. Religionsgeschichtlich, in: TRE, Bd. 6, Berlin u.a., 727-729

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