Buch des Lebens
(erstellt: Februar 2014)
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1. Altes Testament
Hinter der Rede von einem Buch steht die Vorstellung, dass etwas Geschriebenes sicher verbürgt ist - zumal, wenn es von Gott geschrieben ist. Das gilt auch für das Buch des Lebens (סֵפֶר חַיִּים sefær ḥajîim), von dem im Alten Testament explizit nur einmal (Ps 69,29
Die → Septuaginta
Im Alten Testament ist von verschiedenen Büchern die Rede, die grob zwar unter dem Begriff „Buch des Lebens“ subsumiert werden können, aber auf unterschiedliche Vorstellungen zurückgreifen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Gott zugeschrieben werden und sich dem menschlichen Zugriff entziehen. Sie werden deshalb gelegentlich als himmlische Bücher bezeichnet (Haag, 393; Hossfeld / Reuter, 942).
Der Begriff סֵפֶר sefær „Buch“ kann sowohl den Inhalt eines Schriftstücks, als auch das Medium bezeichnen, also z.B. einen Brief (2Sam 11,14
In der Bibliothek Gottes findet sich 1) das pränatale Tagebuch eines Menschen, welches als Schicksalsbuch aufgefasst werden kann, 2) ein Buch der Erinnerung an die Werke jedes Menschen und 3) ein Namensverzeichnis. Letzteres ist das Buch des Lebens, welches mit den anderen beiden Büchern insofern in Verbindung steht, als die Namen entweder aufgrund der determinierenden Vorhersehung Gottes oder der Werke der Betroffenen eingetragen werden (Koep 1953, 128).
1.1. Das Buch des Schicksals
Unter dem biblisch nicht belegten Begriff „Schicksalsbuch“ lassen sich das Tagebuch des Einzelnen bei Gott und der bei ihm verzeichnete Plan für die Nationen fassen. Beide gehen davon aus, dass es eine göttliche Bestimmung gibt, welche über das göttliche Vorherwissen hinausgeht.
Das Schicksalsbuch wird von mesopotamischen Schicksalstafeln abgeleitet (Hossfeld / Reuter 1986, 942), auf denen das Schicksal der Welt verzeichnet ist und durch die göttliche Kräfte wirken (TUAT III, 445; Anzu-Epos). Als Fluch konnte ausgesprochen werden, jemanden von diesen Schicksalstafeln zu streichen (TUAT I, 176; Die Vasallenverträge Asarhaddons mit medischen Fürsten § 105).
In Ps 139
Wenn → Daniel
1.2. Das Buch der Erinnerung
Die Gottesfürchtigen trösten sich damit, dass sich Jahwe ihrer misslichen Situation bewusst ist und vor ihm ein Buch der Erinnerung geschrieben wird (Mal 3,16
Hier schließt sich die Vorstellung von einem aufgeschriebenen Gericht (מִשְׁפָּט כָּתוּב mišpāt kātuv) an, d.h. von einem Gericht, das auf Schriftliches zurückgreift (Ps 149,9
1.3. Das Buch des Lebens
1.3.1. Diesseitiges Leben
Bei den → Volkszählungen
Dieser Vorstellung entspricht die an Gott gerichtete Bitte des Psalmenbeters, die Widersacher aus dem Buch des Lebens zu streichen, so dass sie dort nicht zusammen mit den Gerechten stehen (Ps 69,29
Wenn → Mose
Als → Abigail
Nach anderen handelt es bei dem Bündel jedoch um einen Amulett-Beutel (Schroer 1992, 108) oder den Beutel eines Hirten, in dem er Steine zum Viehzählen hatte (Stolz 1981, 161).
Das Heil eines zukünftigen Friedensreiches, also eine eschatologische Perspektive (→ Eschatologie
In all diesen Zusammenhängen ist das Buch des Lebens mit dem gegenwärtigen Leben verbunden. Alle Lebenden sind in diesem Buch eingetragen, so dass die Streichung den physischen Tod nach sich zieht.
1.3.2. Jenseitiges Leben
Dort, wo eine eschatologisch-apokalyptische Weltsicht (→ Eschatologie
Bei einem Gericht am Ende des Weltzeitalters werden Bücher aufgetan (Dan 7,10
1.4. Zusammenfassung
Das Buch des Lebens zeichnet sich als Teil der himmlischen Bibliothek gegenüber dem Buch des Schicksals und dem Buch der Erinnerung dadurch aus, dass es ein Namensverzeichnis bietet. Es bringt die Zugehörigkeit zu Gott und seinem Volk dauerhaft zum Ausdruck. Diese Vorstellung kann auf die verschiedenen Kontexte einer gegenwärtigen, eschatologischen oder apokalyptischen Gemeinschaft angewandt werden. Dort wo das Buch des Lebens mit einem Auferstehungsglauben verbunden wird, bewahrt das Buch den Namen bei dem Gott die Toten ins Leben ruft (Frettlöh 2007, 59).
Gott ist der Schreiber des Buches des Lebens. Er trägt die Namen ein. Er kann sie aber auch wieder austragen, so auch in einer Handschrift des Jubiläenbuches (B 61; Berger 1973ff, 502) Seit es ab dem 2. Jh. v. Chr. zu einem ausgeprägten Engelsglauben kam, konnte die Aufgabe des Schreibens auch auf → Engel
2. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit
2.1. Henochbuch
→ Henoch
Nach dem äthiopischen Henochbuch (1Henoch) sind die Namen der Gerechten vor Gott aufgeschrieben (1Hen 104,1), ebenso die Sünden der Sünder (1Hen 104,7; vgl. 1Hen 89,61-64 u.ö.). Es handelt sich um ein Gerichtsbuch und um ein Schicksalsbuch, denn die Tafeln des Himmels enthalten das gesamte Weltgeschick (1Hen 81,1-2). Alle Taten der Menschen, die sie in diesem Zeitalter bis zur Generation der → Ewigkeit
Das sog. hebräische Henochbuch (3Henoch) knüpft an die Vorstellung von einem Gerichtsbuch in Dan 7,10
An das Buch des Schicksals knüpft die Vision des himmlischen Thrones an. Die gesamte Schöpfung ist am göttlichen Thron der Herrlichkeit angeschrieben (3Hen 41,1-4) und alle Taten der Vergangenheit und der Zukunft sind auf den Vorhang des Thrones (3Hen 45,1) geschrieben. Auf das Herz Gottes sind 72 Namen geschrieben (3Hen 48,1), doch scheinen dies keine Personennamen, sondern Namen Gottes zu sein, mit denen ihn die Engel preisen.
2.2. Jubiläenbuch
Das → Buch der Jubiläen
An die Namen im Buch des Lebens erinnert, dass Abraham „als Freund des Herrn auf den Tafeln des Himmels aufgeschrieben ist“ (Jub 19,9). Das Buch des Lebens wird mit dem Buch der Werke verbunden, denn wer sich an die Gebote hält, wird ein „Freund und Gerechter auf den Tafeln des Himmels“ (Jub 30,20). So werden die Kinder Israels, wenn sie sich an die Gebote halten „als Freunde aufgeschrieben werden“ (Jub 30,21.22). Die Gerechten werden zum innerweltlichen Gerichtsvollstrecker und in einem Buch der Werke werden ihre Taten gerechtfertigt. Als beispielsweise „die Söhne Jakobs die Sichemiten töteten, stieg für sie eine Schrift zum Himmel, dass sie Gerechtigkeit taten und Rechtes und Rache an den Sündern und dass es aufgeschrieben werde zum Segen“ (Jub 30,23).
Jub 36,9.10 kennt einen zukünftigen Tag des Gerichts, an dem derjenige, der Böses gegen seinen Bruder tut, nicht nur sein irdisches Leben verliert, vielmehr wird er auch „ausgetilgt werden aus dem Buch der Ermahnung des Menschen und nicht hinaufgehen in das Buch des Lebens, sondern in das Buch dessen, der vernichtet werden wird.“ Hier gibt es nicht nur eine Vernichtung durch Streichung im Buch des Lebens, sondern ein Buch der Vernichtung. Dass auch die Vernichtung auf den Tafeln des Himmels aufgeschrieben ist, verbindet das Motiv eines Tage-, Werk- und Lebensbuches zu einem Schicksalsbuch. So verflucht → Isaak
Als Tage- oder Schicksalsbuch ist der Name Isaaks bereits vorgeburtlich auf den Tafeln des Himmels eingetragen (Jub 16,3) und Gottes Bestimmung für Juda und Levi (Jub 31,32) bzw. die Nachkommenschaft (Jub 32,21.22) Jakobs ist festgelegt.
3. Neues Testament
Das Neue Testament spricht mehrfach vom Buch des Lebens, vor allem in der → Apokalypse des Johannes
Die Christen bilden im Horizont der eschatologisch-apokalyptischen Erfüllung die Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind (Hebr 12,23
In der Offenbarung des Johannes wird dieses himmlische Verzeichnis in einem eschatologisch-apokalyptischen Horizont gesehen. Mit Blick auf ein kommendes Gericht bekennt sich Jesus zu denjenigen, deren Namen im Buch des Lebens eingetragen sind, wobei die Drohung im Raum steht, dass einzelne Namen gestrichen werden und die himmlische Bürgerliste so einer Revision unterzogen wird (Apk 3,5
Wenn vom Lebensbuch des Lammes die Rede ist, so dient das Lamm als Metapher für Jesus als Erlöser. Sein Name ist den Glaubenden neben dem des Vaters auf die Stirn geschrieben (Apk 14,1
Zu dem Verzeichnis der Namen im Buch des Lebens tritt das Buch der Werke, welches dem Gericht Gottes zugrunde liegt (Apk 20,12
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
- Encyclopaedia of the Bible and its Reception, Berlin 2009ff.
- Wörterbuch Alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013
2. Weitere Literatur
- Berger, K., 1973ff, Das Buch der Jubiläen, in: H. Lichtenberger (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit (JSHRZ II/3), 275-575, Gütersloh
- Biberstein, K., 2009, Jenseits der Todesschwelle. Die Entstehung der Auferweckungshoffnungen in der alttestamentlich-frühjüdischen Literatur, in: A. Berlejung / B. Janowski (Hgg.), Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt. Theologische, religionsgeschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte (FAT 64), Tübingen, 423-446
- Billerbeck, P., 1924, Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und die Apostelgeschichte (Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch), Bd. 2, München
- Frettlöh, M.L., 2007, Buch des Lebens. Zur Identifikation und vieldeutigen Aktualität einer biblischen Metapher, in: K. Schiffner / K. Wengst / W. Zager (Hgg.), Fragmentarisches Wörterbuch. Beiträge zur biblischen Exegese und christlichen Theologie (FS H. Balz), Stuttgart, 58-71
- Frettlöh, M.L, 2005, „Ja den Namen, den wir geben, schreib’ ins Lebensbuch zum Leben“: entdualisierte Eschatologie, in: R. Heß / M. Leiner (Hgg.), Alles in allem: eschatologische Anstöße (FS J. Christine Janowski), Neukirchen-Vluyn,133-165
- Haag, H., 1984, Art. כָּתַב kātab, in: ThWAT IV, Stuttgart, 385-397
- Hofmann, H., 1984, Das sogenannte hebräische Henochbuch (BBB 58), Königstein/Ts. / Bonn
- Hossfeld, F.L. / Reuter, E., Art. סֵפֶר sepær, in: ThWAT V, Stuttgart 1986, 929-944
- Koep, L., 1952, Das himmlische Buch in Antike und Christentum. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur altchristlichen Bildersprache (Theophaneia 8), Bonn
- Kyle McCarter, P., 1980, 1 Samuel. A New Translation with Introduction, Notes and Commentary (AncB 8), Garden City (NY)
- Nickelsburg, G.W.E., 2001, 1Enoch 1. A Commentary on the Book of 1 Enoch, Chapters 1-36; 81-108 (Hermeneia), Minneapolis
- Oegema, G.S., 2005, Das Buch der Jubiläen, in: H. Lichtenberger (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit (JSHRZ VI Supplementa), Gütersloh, 78-96
- Schroer, S, 1992, Die Samuelbücher (NSK.AT 7), Stuttgart
- Segal, M., 2007, The Book of Jubilees. Rewritten Bible, Redaction, Ideology and Theology, (Supplements to the Journal for the Study of Judaism 117), Leiden
- Stolz, F., 1981, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBAT 9), Zürich
- Tur-Sinai, N.H., 1957, The Book of Job. A New Commentary, Jerusalem
- Volz, P., 1934, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter nach den Quellen der rabbinischem apokalyptischen und apokryphen Literatur, Tübingen
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