Deutsche Bibelgesellschaft

Charisma (AT)

(erstellt: Dezember 2012)

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1. Definition

Max Weber hat 1922 den Begriff Charisma (von griechisch χάρισμα charisma „Gabe“) folgendermaßen definiert: „‚Charisma‛ soll eine als außeralltäglich … geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‛ gewertet wird (Weber, 5. Aufl. 1976, 140). Folgt man dieser Definition, dann gibt es für Charisma kein hebräisches Äquivalent, da die Gabe des Geistes Gottes (→ Geist) nur einen Teil der Phänomene abdeckt, die als Charisma zu beschreiben sind. Dabei ist zwischen dem persönlichen Charisma und dem Amtscharisma, das dem Träger erst bei der Einsetzung in sein Amt verliehen wird, zu unterscheiden. Das persönliche Charisma ist an eine bestimmte Person gebunden und kann in der Regel nicht übertragen werden.

2. Das Charisma von Heerführern der vorstaatlichen Zeit und der Könige

2.1. Die charismatischen Heerführer der Richterzeit

In den ältesten Überlieferungen des → Richterbuches wird von lokal begrenzten Konflikten erzählt, in denen charismatische Heerführer die Feinde besiegten. Die literarische Analyse und die Datierung der Erzählungen sind heftig umstritten. Darauf kann hier nicht eingegangen werden. Das Auftreten dieser Heerführer wird unterschiedlich beschrieben.

1. Berufung. Nach Ri 4f. bestimmte die Charismatikerin → DeboraBarak zum militärischen Führer (Ri 4,6ff.; Ri 5,12). Sie wird in Ri 4,4a als Prophetin bezeichnet. Ri 4,4b.5, wonach sie Israel richtete, ist ein Zusatz.

2. Geistbegabung.Gideon wurde nach der ältesten Überlieferung, die m.E. aus Ri 6,33-8,3 rekonstruiert werden kann, zum Führer gegen die → Midianiter, nachdem ihn der Geist JHWHs bekleidete (anders z.B. Becker, 160ff). Er versammelte daraufhin seine Sippe Abieser (Ri 6,34) und schlug die Midianiter mit 300 Männern (Ri 7,16ff.*). Die Ausweitung des Aufgebots auf mehrere Stämme (Ri 6,35) und seine Reduzierung (Ri 7,2-8) gehören m.E. nicht zur ältesten Überlieferung.

3. Militärische Fähigkeit.Jeftah (Ri 11) wurde zum Heerführer gegen die → Ammoniter, weil er bereits als Anführer einer Gruppe von Freischärlern seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte (Ri 11,1-11*.32.33a*). Deshalb machten ihn die Ältesten Gileads zum Anführer und Haupt in → Gilead. Bei seiner Begabung mit dem Geist JHWHs in Ri 11,29 wird m.E. bereits der sehr späte Abschnitt Ri 11,12-28 vorausgesetzt. Sie soll begründen, warum Jeftah nach den dort geschilderten Verhandlungen jetzt militärisch gegen die Ammoniter vorging.

Barak und Gideon waren nur bis zum Sieg über die Feinde Führer. Jeftah blieb zwar auf Lebenszeit „Haupt“ in Gilead, aber er bekam keinen Nachfolger. Das Charisma war auch bei ihm an seine Person gebunden. Ein charismatischer Heerführer der Richterzeit wurde somit ursprünglich entweder von einer Charismatikerin berufen oder mit dem Geist JHWHs begabt oder er hatte sich bereits militärisch bewährt.

Otniel (Ri 3,7-11) und → Ehud (Ri 3,12-30) waren keine charismatischen Heerführer. Der Abschnitt über Ehud geht auf eine Überlieferung zurück, in der nur von der Ermordung des Moabiterkönigs → Eglon durch Ehud erzählt wurde (Ri 3,15-26*). Ri 3,7-11 stammt von der Deuteronomistik (→ Deuteronomismus). Danach wurde Otniel durch den Geist JHWHs nicht nur zum Retter vor einem Feind, sondern auch zum politischen Führer Israels auf Lebenszeit (Ri 3,10f.). Auch nach der (exilischen) Ältestenschicht in Num 11 (V. 10*-17.24*.25.30.33b*) ist der Geist (JHWHs) das Charisma zur Führung Israels (vgl. Schmidt, 2004, 20ff; → Älteste). Danach nahm JHWH etwas von dem Geist, der auf → Mose war, und legte ihn auf 70 Älteste. Ihre Ekstase (Num 11,25) soll zeigen, dass sie tatsächlich an diesem Geist Anteil hatten und deshalb Mose bei der Führung des Volkes unterstützen konnten. Die Geistbegabung von Otniel und der 70 Ältesten entspricht einem Amtscharisma.

2.2. Das Charisma von Saul und David

2.2.1. Saul. Die drei Möglichkeiten für das persönliche Charisma von Heerführern in der Richterzeit sind auch in Erzählungen über → Saul und → David belegt. Nach 1Sam 11,1-11*(15*?) wurde Saul in ähnlicher Weise wie Gideon zum charismatischen Heerführer. Als Saul gehört hatte, dass Ammoniter Jabesch-Gilead bedrängten, drang der Geist Gottes auf ihn ein (1Sam 11,6). Er versammelte ein Heer und besiegte die Ammoniter. Nach 1Sam 11,15 wurde Saul daraufhin in → Gilgal zum König gemacht, aber hier gehört zumindest seine Einsetzung als König nicht zum Grundbestand. Allerdings wurde m.E. Saul später König, weil er sich in der Befreiung von Jabesch-Gilead als charismatischer Heerführer bewährt hatte (vgl. Schmidt, 1982, 75f). Nach dem Grundbestand in 1Sam 9,1-10,16* (vgl. zu ihm Schmidt, 1982, 77 Anm. 25) forderte ein Seher Saul zu kriegerischen Taten auf, weil Gott mit ihm war, und Gott verwandelte sein Herz, als er den Seher verließ (1Sam 10,7.9). Gott gab Saul somit ein mutiges Herz, damit er seine Fähigkeit, Kriege zu führen, nutzte. Der Seher hat hier eine ähnliche Funktion wie Debora in Ri 4f. Die Erzählung wurde bereits vordeuteronomistisch (dagegen nach Kaiser, 2010, 533f, von DtrP [→ Deuteronomistisches Geschichtswerk]) um die Berufung und → Salbung Sauls durch → Samuel, der mit dem Seher identifiziert wurde, erweitert.

2.2.2. David. Eine Analogie besteht zwischen Jeftah und David. Über den historischen David werden gegenwärtig sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Aber m.E. ist weitgehend an der traditionellen Auffassung (vgl. zu ihr Donner, 214ff) von dem Aufstieg Davids zum König festzuhalten (anders z.B. Fischer → David, 4.3.). Danach war David zunächst ein erfolgreicher Offizier Sauls, musste dann aber vor Saul nach Juda fliehen, und wurde dort zum Anführer einer Truppe von Freischärlern (1Sam 25), mit der er schließlich in den Dienst eines Herrschers der → Philister trat (1Sam 27; 1Sam 29f.). David wurde also wegen seines militärischen Charismas zunächst König über Juda (2Sam 2,1-4) und später auch über Israel (2Sam 5,3). Die Erzählung von der Salbung Davids (1Sam 16,1-13, vgl. 2.3) und die Texte, nach denen ihm JHWH das Königtum zugesagt hatte (1Sam 25,30 u.a.) entstanden erst lange nach David. Mit Saul und David wurden Männer Könige, die zuvor ihr militärisches Charisma erwiesen hatten. Diese außeralltägliche Fähigkeit zeigte, dass Gott mit ihnen war.

2.3. Das Charisma der Könige von Israel und Juda

2.3.1. Israel. Das persönliche Charisma war auch für die Thronbesteigung einiger Könige des Nordreichs Israel von wesentlicher Bedeutung. Nach der fragmentarischen Überlieferung in 1Kön 11,26-28.40 hatte sich sein erster König → Jerobeam I. unter Salomo als tüchtiger Mann erwiesen und gegen Salomo einen (gescheiterten) Aufstand gewagt. Deshalb wurde er nach der Reichstrennung König des Nordreichs. Die Erzählung von seiner Designation durch den Propheten → Ahija von Silo (1Kön 11,29-39) geht auf Deuteronomisten zurück. Auch nach Jerobeam I. war im Nordreich zunächst wichtig, dass der König über ein persönliches Charisma verfügte. Rebellen, die den regierenden König ermordeten, konnten sich aber nur als König durchsetzen, wenn ihr Charisma anerkannt wurde. So regierte z.B. → Omri erst über das ganze Nordreich als der Gegenkönig → Tibni gestorben war (1Kön 16,15ff.). Die Herrschaft der Dynastie → Omris wurde von der Revolution → Jehus beendet (2Kön 9,1-10,27*), dessen Dynastie fast 100 Jahre regierte. Nach dem Tod Jerobeams II. (747/46 v. Chr.) wurde das persönliche Charisma wieder zu einem wichtigen Kriterium für den Herrscher. Von den fünf Königen vor → Hoschea, dem letzten König des Nordreichs, wurden vier ermordet. Der Prophet → Hosea hat den Rebellen Machtgier vorgeworfen und die Königsmorde verurteilt (Hos 7,3-7). Aber die Rebellen waren der Auffassung, dass sie über die Fähigkeit (das Charisma) verfügten, die durch die Expansion der Assyrer entstandene Krise besser bewältigen zu können als der regierende König. Sie konnten sich durchsetzen, wenn dieser Anspruch anerkannt wurde (vgl. dagegen das Scheitern → Schallums, der nur einen Monat regierte, 2Kön 15,13f.). Sie mussten freilich ihr Charisma während ihrer Regierung bestätigen. Der König → Pekach wurde 732 v. Chr. nach der Niederlage gegen die Assyrer ermordet, weil sein persönliches Charisma nicht mehr überzeugte. Obwohl es dafür keine Belege gibt, legt es die altorientalische Königsideologie nahe, dass auch den Königen des Nordreichs bei Regierungsantritt ein Amtscharisma verliehen wurde. Aber dort entschied mehrfach das persönliche Charisma darüber, wer als König regierte.

2.3.2. Juda. Dagegen spielte in Juda, wo bis zum Untergang des Staates (587 v. Chr.) die Dynastie Davids herrschte, das persönliche Charisma des Königs keine Rolle. Schon → Salomo war nicht wegen seines Charismas König geworden, sondern weil David seine Einsetzung befohlen hatte (1Kön 1). Auch in der Erzählung von dem Traum Salomos in → Gibeon (1Kön 3,4-15) wird vorausgesetzt, dass Salomo nicht wegen seines persönlichen Charismas König wurde. Ihr vordeuteronomistischer Grundbestand ist im Einzelnen umstritten, deutlich ist aber, dass in ihm der König Salomo von Gott „ein hörendes Herz, um zwischen gut und böse zu unterscheiden“ erbat (1Kön 3,9a*) und dass ihm Gott „ein weises und verständiges Herz“ gab (1Kön 3,12a*). Damit erhielt Salomo von Gott das Amtscharisma, durch das er als König die richtigen Entscheidungen treffen konnte.

Die Erzählung wird verschiedentlich für deuteronomistisch gehalten (so z.B. Fritz, 41). Dagegen spricht aber schon der Wechsel zwischen Elohim (1Kön 3,5b.11) und JHWH bzw. אֲדֹנָי „Herr“ (1Kön 3,5a.7.10a.15b). Außerdem ist es schwer vorstellbar, dass ein Deuteronomist den Traum nicht in Jerusalem, sondern in Gibeon lokalisierte. Deshalb ist damit zu rechnen, dass ein Grundbestand der Erzählung später von der Deuteronomistik erheblich erweitert wurde.

In Juda wurde eine Königsideologie entwickelt, nach der dem König bei seiner Thronbesteigung ein Amtscharisma verliehen wurde. Sie ist vor allem in den Königspsalmen (→ Psalmen) belegt. Nach Ps 2,7 erklärte JHWH den König bei seiner Thronbesteigung zu seinem Sohn (vgl. 2Sam 7,14f.). Damit sagte ihm JHWH seinen besonderen Schutz und Beistand zu. Nach Ps 2,8f. versprach JHWH im Rahmen des Krönungsrituals dem König den Sieg über Völker. In Fürbitten für den neuen König heißt es in Ps 72,1b.2: „‚JHWH‛, deine Rechtsanweisungen gib dem König und deine Gerechtigkeitstat dem Sohn des Königs. Er richte dein Volk mit Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht.“ Das Amtscharisma des Königs besteht somit vor allem darin, dass er Völker besiegen kann und im Inneren Recht und Gerechtigkeit durchsetzt. In vorexilischen Königspsalmen ist nicht belegt, dass dem König bei seiner Salbung der Geist JHWHs als Amtscharisma verliehen wurde. Das wird aber in der spät-vorexilischen oder deuteronomistischen Erzählung von der Salbung des jungen David durch Samuel (1Sam 16,1-13) vorausgesetzt. Danach drang auf David nach seiner Salbung der Geist JHWHs ein „von dem Tag an und weiterhin“. David wurde somit schon als dem verborgenen König der Geist JHWHs als Amtscharisma zuteil. Dem entspricht, dass nach 1Sam 16,14 der Geist JHWHs von Saul gewichen war. Das legt es nahe, dass noch in vorexilischer Zeit der Geist JHWHs als Amtscharisma des judäischen Königs galt. Dafür spricht auch, dass in der exilisch-nachexilischen Herrscherverheißung Jes 11,1-5 der Geist JHWHs das Amtscharisma des Regenten ist (Jes 11,2). Es wird hier mit „ein Geist der Weisheit und der Einsicht, ein Geist des Rates (oder Planens) und der Stärke, ein Geist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs“ erläutert. Diese Beschreibungen entsprechen der vorexilischen Königsideologie. Auch in der ebenfalls exilisch-nachexilischen Verheißung Jes 9,1-6 gehen die Namen, die man nach Jes 9,5 dem Herrscher bei seiner Thronbesteigung geben wird („Wunderplaner, Gottheld, Ewigvater, Friedefürst“) auf die judäische Königsideologie zurück und beschreiben sein Amtscharisma.

3. Das Charisma der Propheten

3.1. Das Charisma der Propheten als persönliches Charisma

Das Charisma der Propheten (→ Prophetie; → Prophetie im Alten Orient) war ein persönliches Charisma. Das gilt sowohl für die am Tempel (Kultpropheten) und am Königshof (Hofpropheten) wirkenden Propheten als auch für jene Propheten, die mit keiner Institution verbunden waren. Ihr Charisma bestand darin, dass sie von Gott durch → Visionen, → Träume oder → Auditionen mit einer Botschaft an Einzelne oder an das Volk beauftragt wurden. Darin unterschieden sie sich von den Priestern. Priester wurde man durch die Abstammung von einer priesterlichen Familie und den Priestern wurde bei ihrer Einsetzung auch kein Amtscharisma verliehen. Weil Gott den Propheten einen engen Kontakt zu sich gewährte, konnten sie Anfragen über das künftige Geschick beantworten (vgl. z.B. 1Kön 14*; Jer 38,14ff.; Mi 3,5ff.) und mit ihrer Fürbitte Gott positiv beeinflussen (Gen 20,7; Jer 37,3 u.a.). So verbot Gott z.B. nach Jer 14,11ff.; Jer 15,1ff. (→ Jeremia) die → Fürbitte für das Volk, weil das Unheil nicht mehr abzuwenden war. Als persönliches Charisma war das Charisma auch bei den Propheten an ihre Person gebunden und konnte nicht übertragen werden.

Von einer Ausnahme wird in 2Kön 2,1-15 erzählt. Danach erbat und erhielt → Elisa zwei Anteile (das Erbe des Erstgeborenen, vgl. Dtn 21,15-17) an dem Geist → Elias. Aber auch hier übertrug nicht Elia selbst seinen Geist auf Elisa. Mit dieser Erzählung wurde begründet, dass Elisa der legitime Nachfolger Elias war.

Im Unterschied zu dem persönlichen Charisma militärischer Führer und Könige war das Wirken der Propheten nicht davon abhängig, dass ihr Charisma anerkannt wurde. Die vorexilischen Schriftpropheten redeten, obwohl ihre Verkündigung von den meisten ihrer Zeitgenossen nicht ernst genommen wurde. Da es für das prophetische Charisma keine objektiven Kriterien gab, konnten sich gleichzeitig auftretende Propheten in ihrer Verkündigung widersprechen. Das ist der Grund für den Konflikt zwischen den sog. wahren und falschen Propheten (vgl. z.B. Jer 23,16ff.; Jer 28).

3.2. Das prophetische Charisma und der Geist JHWHs

In 1Sam 10,10ff.; 1Sam 19,18ff. wird von der Begegnung Sauls mit einer Gruppe von ekstatischen Propheten erzählt, deren Ekstase von dem Geist Elohims bewirkt wurde. Ein Wort wird von diesen Propheten nicht erwähnt. Es gab aber Propheten, die in → Ekstase redeten und sich dabei auf den Geist JHWHs beriefen (vgl. 1Kön 22,10-12.19-25). Nach Jer 29,24ff. führte am Jerusalemer Tempel ein Priester die Aufsicht über „jeden Verrückten und als ekstatischer Prophet Auftretenden“. Die ekstatische Prophetie galt als problematisch, weil man der Ekstase skeptisch oder ablehnend begegnete. Zu den ekstatischen Propheten wurden von ihren Gegnern zu Unrecht auch Hosea (Hos 9,7, vgl. „Mann des Geistes“) und Jeremia (Jer 29,24ff.) gerechnet. Aber weder von diesen beiden Männern, noch von anderen vorexilischen Schriftpropheten ist sonst belegt, dass sie bei ihren Worten in Ekstase waren. Von ihnen wird auch nie erwähnt, dass sie von dem Geist JHWHs ergriffen wurden (in Mi 3,8 ist „mit dem Geist JHWHs“ sekundär).

Das gilt mit Ausnahme von Ez 11,5 auch noch für das Buch → Ezechiel. An den anderen Stellen, wo der Geist auf Ezechiel einwirkt, ist er nicht das persönliche Charisma des Propheten, sondern er versetzt ihn an einen anderen Ort (Ez 3,12.14; Ez 8,3 u.ö.). Diese Vorstellung von dem Wirken des Geistes hat ihre nächsten Parallelen in 1Kön 18,12; 2Kön 2,16.

Wie u.a. der Zusatz „mit dem Geist JHWHs“ in Mi 3,8 und die Stelle Neh 9,30 zeigen, hielt man in nachexilischer Zeit den Geist JHWHs für das Charisma aller Propheten. Nun galt die Prophetie als eine außerordentlich wertvolle Gabe, die JHWH durch seinen Geist schenkt. In der Fortschreibung der Ältestenschicht von Num 11* in Num 11,26-29 (vgl. Schmidt, 2004, 27f.) wünscht → Mose in Num 11,29, dass durch die Gabe des Geistes JHWHs das ganze Volk zu Propheten werden möge. Nach Jo 3,1f. wird JHWH seinen Geist auf alle Glieder des Volkes ausgießen, und er wird Weissagungen, Träume und Visionen bewirken. Damit werden also alle zu Propheten werden, die ohne Mittler mit Gott verbunden sind. Dass damals der Prophetie große Bedeutung zukam, geht auch aus späteren Erweiterungen der → Hiobdichtung hervor. In den sekundären Elihureden (Hi 32-37) betont → Elihu in Hi 32,8, dass Geist und Atem Gottes den Menschen Einsicht geben. Nach Hi 4,12-16 wurde Elifas eine Vision und Audition zuteil. Im Unterschied zur früheren Weisheit werden hier die weisheitlichen Erkenntnisse nicht mehr nur mit Tradition und eigener Erfahrung begründet, sondern auch mit dem Wirken des Geistes Gottes oder einer göttlichen Offenbarung, wie sie für Propheten charakteristisch sind.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Becker, U., Richterzeit und Königtum. Redaktionsgeschichtliche Studien zum Richterbuch (BZAW 192), Berlin / New York 1990
  • Donner, H., Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 1 (GAT 4/1), 2. Aufl., Göttingen, 1995
  • Fritz, V., Das erste Buch der Könige (ZBK.AT 10/1), Zürich 1996
  • Kaiser, O., Der historische und der biblische König Saul (Teil I), ZAW 122 (2010), 520-545
  • Kaiser, O., Der historische und der biblische König Saul (Teil II), ZAW 123 (2011), 1-14
  • Kedar-Kopfstein, B., Die Wechselbeziehung zwischen Charisma und Institution, in: A. Lange u.a. (Hgg.), Mythos im Alten Testament und seiner Umwelt (FS H.-P. Müller; BZAW 278), Berlin / New York, 1999, 118-126
  • Saur, M., Die Königspsalmen. Studien zur Entstehung und Theologie (BZAW 340), Berlin / New York 2004
  • Scherer, A., Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn 2005
  • Schmidt, L., König und Charisma im Alten Testament, KuD 28 (1982), 73-87
  • Schmidt, L., Das vierte Buch Mose. Numeri. Kapitel 10,11-36,13 (ATD 7/2), Göttingen 2004
  • Weber, M., Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 3. Aufl., Tübingen 1968, 475-488
  • Weber, M.., Wirtschaft und Gesellschaft (1922), 5. Aufl., Tübingen 1976
  • Wolff, H.W., Prophet und Institution im Alten Testament, in: T. Rendtorff (Hg.), Charisma und Institution, Gütersloh 1985, 87-101

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