Deutsche Bibelgesellschaft

Duhm, Bernhard

(1847-1928)

(erstellt: November 2007)

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1. Leben

Bernhard Duhm, einer der bedeutendsten evangelischen Alttestamentler des 19. und beginnenden 20. Jh.s, wurde am 10.10.1847 in Bingum (Ostfriesland) als Sohn eines Bierbrauers geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Aurich nahm er 1867 das Theologiestudium in Göttingen auf und hatte nach dem Examen eine Repetentenstelle am dortigen Theologischen Stift inne. 1873 wurde er in Göttingen Privatdozent, 1877 außerordentlicher Professor. Im gleichen Jahr heiratete er, doch starb seine Frau schon nach sieben Jahren, so dass er seine drei Söhne allein erziehen musste. Einen Lehrstuhl erhielt Duhm erst 1889 in Basel, nachdem ihm die dortige Theologische Fakultät schon 1885 die Ehrendoktorwürde verliehen hatte. Diesen Lehrstuhl hatte Duhm – es gab damals keine Altersgrenze – noch inne, als er am 1.9.1928 80jährig als Fußgänger von einem Auto überfahren wurde und verstarb.

2. Werk

Bernhard Duhm hat die Prophetenforschung in neue Bahnen gelenkt. Er hat nicht nur die Selbständigkeit der → Gottesknechtslieder und → Tritojesajas erkannt, sondern dem Prophetenbild des 20. Jh.s insgesamt seinen Stempel aufgedrückt.

Programmatisch ist für Duhm, der mit → Julius Wellhausen (1844-1918) – einem anderen berühmten Kind der Göttinger Fakultät – befreundet war, schon sein Erstlingsbuch von 1875. Hier wird die Einsicht, die Wellhausen am Pentateuch gewonnen hatte und die sich in dem berühmten Satz Lex post prophetas (das Gesetz ist nach den Propheten entstanden) verdichtet hat, im Blick auf die Prophetie expliziert. Bereits der Titel „Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion“ formuliert die völlig neue Sicht: Grundlage der israelitischen Religion ist nicht die Gesetzgebung des Mose, sondern die Theologie der Propheten. Die neuere Urkundenhypothese der → Pentateuchforschung mit ihrer Spätdatierung des Gesetzes sowie der → Priesterschrift führte bei Duhm dazu, dass er die Prophetie ganz neu in den Blick nahm. Für ihre Priorität sprach auch eine grundsätzliche Überlegung. Duhm konnte es sich nicht vorstellen, dass sich eine innerliche Religion aus festen Formen und Gesetzen, die er unter Berufung auf Paulus als zwanghafte Befolgung äußerlicher Regeln negativ wertete, entwickelt haben sollte. Deswegen war es für ihn zwingend, dass die Prophetie am Anfang der Religion Israels stand und die Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion bildete (vgl. Reventlow, 1988, 262f).

Damit wird Israel, werden die Propheten vom Vorwurf der Gesetzlichkeit befreit. Sie sind nicht vom Gesetz bestimmt, das erst in der Esra-Zeit „dazwischengekommenen“ ist (vgl. Röm 5,20), sondern von ihrer unmittelbaren Beziehung zu Gott. In den Propheten sieht Duhm wie schon → Heinrich Ewald (1803-1875), der ihn in Göttingen tief beeindruckt hatte, gottbezogene Persönlichkeiten, lebendige Individuen, gottbegnadete Einzelgänger. Dieses Prophetenbild ist vom deutschen Idealismus und seinem Anliegen geprägt, zwischen menschlichem und göttlichem Geist zu vermitteln. Die Propheten erscheinen als große, freie Persönlichkeiten, die von Gottes Geist getrieben sind und seine Stimme kompromisslos vertreten. Sie haben die Religion Israels auf eine neue Entwicklungsstufe gestellt, indem sie sie von der Naturgebundenheit zur Sittlichkeit geführt, d.h. der Ethik eine neue Bedeutung gegeben haben – der Ethik, die Duhm im Gefolge der Aufklärung und im Geist des 19. Jh.s als wichtiges Zentrum der Religion betrachtet. Die Entwicklung beginnt bei Amos und erreicht bei Jesaja einen ersten Höhepunkt. Jeremia ist es dann, der nicht mehr die Beziehung Gott – Volk ins Zentrum stellt, sondern Gott – Individuum. Die Prophetie ist somit der „Beginn der geistigen Weltgeschichte“ (Duhm, 1916, 8). Das Anliegen dieser Propheten ist es, „die Religion von der Sinnlichkeit zu befreien, in die sie der Kult mit seiner Förderung des Trieblebens und seinen magischen und mantischen Anhängseln hinabgezogen hatte, und sie auf die Höhe des sittlichen Verkehrs zwischen freien Persönlichkeiten zu erheben“ (Duhm, 1916, 142). Mit Ezechiel beginnt für Duhm schon die Zeit der Gesetzlichkeit. Er „hat das Verdienst, die Idee der Propheten in Gesetze und Dogmen umgesetzt und die geistig freie und sittliche Religion vernichtet zu haben“ (Duhm, 1875, 263). Gesetzlichkeit gilt Duhm als Verfälschung der Prophetie durch das Judentum – eine Sicht, die das 20. Jh. prägte, deren antijüdischer Charakter aber zunächst kaum wahrgenommen wurde.

Aufgrund dieses Prophetenbilds macht Duhm es sich zum Ziel, „in die Persönlichkeit des Schriftstellers selber so tief wie möglich einzudringen“ (so im Vorwort seines Jesajakommentars). Deswegen will er mit Hilfe der Literarkritik zur ipsissima vox, zu den ureigenen Worten der Propheten, vorstoßen und alle sekundären Zufügungen ausschneiden und streichen. Echt oder unecht? – diese Frage verbunden mit einem deutlichen Werturteil ist für die Prophetenforschung des 20. Jh.s weithin von zentraler Bedeutung, und selbst da, wo man das Werturteil inzwischen aufgegeben hat, hat die Terminologie „echt – unecht“ ihre prägende Bedeutung bis heute weithin behalten. Die Redaktoren kann Duhm nicht würdigen. Sie werden von ihm als dumme Epigonen verspottet, die ihre „Gedanken mit sehr geringem schriftstellerischen Geschick“ einfügen (Kommentar zu Jeremia XIX).

Ein Kriterium für die Echtheit prophetischer Texte findet Duhm in der Metrik. „Die poetische Sprache ist die Sprache der Götter“ (Duhm 1916, 95) und deswegen darf man den Propheten als gottbegnadeten Persönlichkeiten große dichterische Kompetenz zutrauen. Für Jeremia verbleiben nach diesem Kriterium nur noch 60 kurze Gedichte im Fünfermetrum.

Duhm hat das Prophetenbild des 20. Jh.s zwar entscheidend geprägt, doch hat man schon früh gesehen, dass die Propheten nicht so frei sind, wie Duhm meinte. Die Religionspsychologie suggerierte, dass → Ekstase nicht Gottergriffenheit ist, sondern ein zwanghafter Zustand (Hölscher), die Formgeschichte wies auf, dass auch die Propheten den Gesetzen von Sprache und Gattung unterliegen (→ Gunkel), die Traditionsgeschichte, dass sie in der Aufnahme alter Traditionen an Vorgaben gebunden sind (→ von Rad). Zugespitzt wurden sie sogar als liturgische Sprecher ohne persönliches Profil verstanden (Graf Reventlow). Die neuere Forschung hat die Suche nach den echten Worten als dem eigentlich Wahren aufgegeben und würdigt die Arbeit der → Redaktoren als aktualisierende, ebenfalls von prophetischem Geist erfüllte Fortschreibung.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Metzler-Lexikon Christlicher Denker, Stuttgart / Weimar 2000
  • Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet: http://www.bautz.de)

2. Wichtige Werke

Kommentare

  • Das Buch Jesaja (HK 3/1), Göttingen 1892 (5. Aufl. 1968, hrsg. v. Walter Baumgartner mit einem biographischen Vorwort V-XIII)
  • Die Psalmen (KHC 14), Freiburg u.a. 1899 (2. Aufl. 1922)
  • Das Buch Jeremia (KHC 11), Tübingen 1901

Weitere Literatur

  • Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion, Bonn 1875
  • Israels Propheten, Tübingen 1916 (2. Aufl. 1922)

3. Sekundärliteratur

  • Höffken, P., Beobachtungen am Jesajakommentar von Bernhard Duhm (1. Aufl. 1892), ThZ 59 (2003), 1-16; auch in: ders., "Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!" (Jesaja 41,10), Münster 2005, 173-186
  • Kraus, H.-J., Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments von der Reformation bis zur Gegenwart, Neukirchen-Vluyn 3. Aufl. 1982
  • Reventlow, H. Graf, Die Prophetie im Urteil Bernhard Duhms, ZThK 85 (1988), 259-274
  • Smend, R., Wissende Prophetendeutung, ThZ 54 (1998), 289-299
  • Smend, R., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989

Abbildungsverzeichnis

  • Bernhard Duhm. Aus: Duhm, Das Buch Jesaja, Göttingen 5. Aufl. 1968, hrsg. v. Walter Baumgartner

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