Ehud
(erstellt: Februar 2009)
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1. Name
Der Name Ehud (אֵהוּד ’ehûd) ist entweder als Hypokoristikum, das heißt als vertraute Kurzform, zu Abihud (אֲבִיהוּד ’ăvîhûd) angesprochen worden (vgl. Noth, 141, 146, 235), oder man hat ihn sich als aus den Elementen אֵי ’ê „wo?“ und הוֹד hôd „Pracht“ zusammengesetzt erklärt (vgl. Stamm, 64, 69). Für den ersten Fall ergibt sich die Übersetzung: „Mein Vater ist Pracht“. Die Aussage des Namens lässt sich dann entweder auf den Ahnen des Namensträgers beziehen oder als Lob der Gottheit des Namensträgers bzw. als Ausdruck der Frömmigkeit seiner Eltern verstehen, womit unverkennbar eine religiöse Dimension in den Blick käme. Schließt man sich der zweiten Deutungsmöglichkeit an, formuliert der Name die Klage: „Wo ist die Pracht?“, die der Repräsentation des verstorbenen Vorfahren gilt.
Ob der Name Ohad (אֹהַד ’ohad; Gen 46,10
Belege für den Namen Ehud begegnen außer in der Ehud-Erzählung des → Richterbuchs
2. Inhalt und Aufbau der Ehud-Erzählung
Die Ehud-Erzählung in Ri 3,12-30
1) Die Exposition der Erzählung (Ri 3,12-15
Eng verwoben mit der Schilderung der Ereignisse ist eine geschichtstheologische Deutung und Bewertung des Geschehens, die sich auf ganz ähnliche Weise auch in den Rahmenstücken anderer Erzählungen des Richterbuches findet (vgl. z.B. Ri 4,1-3
2) Der Hauptteil der Erzählung (Ri 3,16-26
Ehud bereitet sich zunächst sorgsam auf sein Attentat vor, indem er für sich eine Stichwaffe herstellt, deren Klinge an beiden Rändern scharf geschliffen ist. Als Linkshänder gürtet er die Waffe natürlicherweise an seine rechte Hüfte, die für gewöhnlich nicht von den Wachen kontrolliert wird, da Rechtshänder ihre Waffe auf der linken Seite zu tragen pflegen. So macht er sich den Umstand seiner Sinistralität (Linkshändigkeit) geschickt zunutze (Ri 3,16
Er bringt gemeinsam mit einer kleinen Delegation den Tribut zu Eglon, der sich bei dieser Gelegenheit vermutlich in der von ihm eroberten Palmenstadt aufhält. Hier wird erstmalig auf Eglons enorme Fettleibigkeit Bezug genommen, mit der es später noch seine besondere Bewandtnis haben wird (Ri 3,17
Mit der Ausführung des Attentats wartet Ehud, bis die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft die Bildfläche wieder verlassen haben (Ri 3,18
Dann macht er an einem markanten Wendepunkt, nämlich bei den Kultbildnissen von → Gilgal
In einem neuen Anlauf werden die genauen Umstände der Audienz nochmals detailliert geschildert. Nach Ri 3,20
Nach vollbrachter Tat strebt Ehud wieder dem Ausgang entgegen, dem offenbar ein besonderer Eingangsbereich, vielleicht eine Art Warteraum, vorgelagert ist. Das Obergemach schließt er zuvor sorgsam hinter sich zu und verriegelt es (Ri 3,23
Kaum hat er die Szene verlassen, treten Eglons Diener auf und finden das Privatgemach ihres Herrn verschlossen vor. Doch sie bleiben zunächst arglos, weil sie vermuten, dass ihr Herr gerade dabei ist, seine Notdurft zu verrichten (Ri 3,24
Ehud hat inzwischen längst die Kultbildnisse bei Gilgal passiert und ist nach Seira, einem nicht mehr näher lokalisierbaren Ort in Ephraim, entkommen (Ri 3,26
3) Vom militärischen Nachspiel des Attentats berichten Ri 3,27-29
4) Ri 3,30
3. Hintergrundinformationen
3.1. Zum historischen und geographischen Setting der Erzählung
Die Erzählung von Ehuds Attentat spielt – ganz unabhängig von der Frage, wann sie entstanden sein mag – offensichtlich in vorstaatlicher Zeit. Ein König Israels kommt als Gegenspieler Eglons nirgends in den Blick. Vielmehr ist es Sache eines einzelnen Stammeshelden, dem Eindringling entgegenzutreten. Seiner Einzelaktion folgen militärische Maßnahmen des Heerbannes, der sich seinerseits in keiner Weise als Armee eines Königs zu erkennen gibt.
Der Text setzt in seiner Grundintention voraus, dass es den Moabitern in der Frühzeit Israels – am ehesten wohl in der spätvormonarchischen Zeit – gelungen ist, über das Territorium ostjordanischer israelitischer Stämme hinweg Einfluss in einem begrenzten Gebiet des Westjordanlandes zu gewinnen. Konkret muss man dabei an das Areal des Stammes Benjamin oder wenigstens an Teile davon denken. Darauf verweisen die Herkunft des Helden und die Erwähnung der Palmenstadt, die wir aller Wahrscheinlichkeit nach mit Jericho (Tell es-Sulṭān) gleichzusetzen haben (vgl. Bernhardt, 586; → Jericho
In der Königszeit soll das Gebiet nördlich des Flusses → Arnon
Archäologisch lässt sich eine Anwesenheit der Moabiter im Gebiet Jerichos in der Zeit, die für die Handlung der Ehud-Erzählung in Frage kommt, nicht nachweisen. Freilich war das Gebiet in der Eisenzeit weitgehend kontinuierlich besiedelt (vgl. Weippert / Weippert, 146-147; → Jericho
Das geographische Konzept der Erzählung scheint vorauszusetzen, dass Ehud Eglon in der Palmenstadt, also in Jericho, aufsucht, um das Attentat dort zu begehen. Zum einen wird im Text keine weitere Ortschaft genannt, die dafür in Frage käme, zum andern weist die Erwähnung Gilgals darauf hin. Denn dieses zeitweilig nicht ganz unbedeutende israelitische Heiligtum war Jericho in nordöstlicher Richtung vorgelagert (vgl. Scherer, 41). Daraus ergibt sich, dass sich Eglon zum Zeitpunkt des Attentats nicht in seinem Stammland aufgehalten hat. Vielleicht besaß er in Jericho eine Nebenresidenz, um das neu gewonnene Territorium optimal abzusichern.
Erasmus Gaß (2008, 47) ist im Zusammenhang mit historischen und archäologischen Gesichtspunkten zu der Auffassung gelangt, dass die Moabiter erst und ausschließlich im 8. Jh. v. Chr. einen dauerhaften, gesicherten Zugriff auf ostjordanisches Territorium auf der Höhe von Jericho hatten. Er glaubt, dass der Plot unserer Ehud-Geschichte deshalb nicht früher entstanden sein kann. Dem ist entgegenzuhalten, dass, wie Gaß selbst in aller Klarheit herausstellt (a.a.O., 41-42), die Moabiter schon im 9. Jh. v. Chr. eine entscheidende Rolle im Gebiet nördlich des Arnon gespielt haben und Ortschaften wie Madaba und Nebo kontrollierten. Sie repräsentierten also bereits in dieser Zeit einen Machtfaktor, der den Israeliten bekannt gewesen sein muss und den sie als Bedrohung empfunden haben werden. Es wäre der Phantasie eines Erzählers oder Autors des 9. Jh.s durchaus zuzutrauen, sich die Moabiter als feindliche Aggressoren vorzustellen, die den Jordan überschreiten und das Gebiet der Palmenstadt usurpieren, auch wenn sie für ihn noch nicht in Sicht- und Rufweite waren. Über die historische Dimension des Textes ist damit freilich noch nichts gesagt. Auch kann eine Frühdatierung der Überlieferung damit nicht erwiesen, sondern allenfalls als weiterhin bedenkenswerte Möglichkeit zur Diskussion gestellt werden.
3.2. Einzelne Begriffe und Realien
1) פַּרְשְׁדוֹן paršədôn „Stuhlgang“. Zu den schwer zu bestimmenden Begriffen aus der Ehud-Erzählung gehört an erster Stelle das nur ein einziges Mal im Alten Testament belegte Wort פַּרְשְׁדוֹן paršədôn in Ri 3,22
2) מִסְדְּרוֹן misdərôn „Vorraum / Warteraum“. In Ri 3,23
3) Das Verschließen der Tür. Für diesen Fluchtweg spricht auch die Reihenfolge der Schilderung aus Ri 3,23
Es funktioniert im Prinzip ähnlich wie die Homerische Tür, ist dieser jedoch hinsichtlich seiner technischen Gediegenheit überlegen. Der Riegel des Ägyptischen Schlosses weist Löcher auf, die für Stifte vorgesehen sind, die, wenn der Riegel geschlossen wird, von oben in den Riegel hinein sinken (→ Riegel
4. Entstehungsgeschichte
Die Ehud-Erzählung mit ihren vielen Unebenheiten und Merkwürdigkeiten hat – wenn das Ganze nicht doch als kuriose Novelle aus der Feder eines einzigen, relativ späten Verfassers anzusprechen ist – vermutlich eine mehrstufige Entstehungsgeschichte durchlaufen, die heute nur noch versuchsweise rekonstruiert werden kann.
4.1. Die Heldenerzählung
Am Anfang stand vielleicht einmal eine ursprünglich nur mündlich weiter gegebene Legende von Ehud, dem benjaminitischen Attentäter, dem es mit List und Mut gelungen ist, einen feindlichen Usurpator zu ermorden und so zur Befreiung seines Stammes beizutragen. Eine solche Überlieferung bleibt für uns aber eine hypothetische Größe, über deren exakte Gestalt sich keine näheren Auskünfte erteilen lassen.
4.2. Die erzählerische Ausgestaltung
Im weiteren Vollzug der mündlichen Überlieferung oder spätestens bei der ersten schriftlichen Abfassung des Textes ist der Stoff anscheinend erzählerisch stark angereichert und ausgeschmückt worden. Viele merkwürdige Details, die jetzt den eigenartigen Charakter der Darstellung prägen, gehören kaum zum ältesten Bestand der Geschichte von Ehud, dem Attentäter. Die Ausgestaltung hat den Unterhaltungswert der „Story“ beträchtlich gesteigert. Außerdem hat die Schadenfreude über die Niederlage der Feinde deutlich an Raum gewonnen. Vor allem die Privataudienz im Obergemach, das Austreten des Stuhlgangs, das Abschließen des Raumes und die Vermutung der Diener, ihr Herr befände sich gerade auf dem Abort, dürften zu den Elementen zu zählen sein, die über die ursprüngliche Ausstattung der Legende hinausreichen.
4.3. Die JHWH-Kriegs-Redaktion
Eine erste theologische Anreicherung erhielt der Text durch eine JHWH-Kriegs-Redaktion, die ihre Spuren in Teilen von Ri 3,27-29
4.4. Die deuteronomistischen Textanteile
Einen stärkeren Einfluss haben die → Deuteronomisten
5. Zur Auslegung
5.1. Das Attentat
Mit der Vorstellung, dass JHWH im Kriege die Sache seines Volkes führt, geht die Ehud-Erzählung keinen Sonderweg. Es gehört vielmehr zu den geprägten Glaubensüberzeugungen Israels, dass sein politisches Überleben und die dazu erforderlichen Maßnahmen eng mit seinem Gottesverhältnis verbunden sind. Dass der Krieg eine religiöse Dimension hat, war für die Völker des Alten Vorderen Orients weit über die Grenzen Israels hinaus eine Selbstverständlichkeit. Auch die Moabiter, die in der Ehud-Erzählung die Rolle der Feinde spielen, partizipierten an dieser Anschauung. Dafür gibt es sehr überzeugendes außerbiblisches Belegmaterial. Die Stele des Moabiterkönigs → Mescha
Nicht das kriegerische Moment der Ehud-Erzählung stellt also den eigentlichen Stein des Anstoßes dar, wohl aber der Umstand, dass Eglon von Ehud nicht im offenen Kampf getötet, sondern manipuliert, getäuscht und durch ein Attentat hinterlistig ermordet wird.
Schon Josephus hat offenbar dieses und andere Probleme des Textes gesehen und qualifiziert Eglon deshalb als grausamen Gewaltherrscher (Antiquitates Judaicae V, 185-197; Text gr. und lat. Autoren
Ehud begeht seinen Mordanschlag ad liberationem patriae, also um sein Vaterland oder seine Heimat von fremder Herrschaft zu befreien. Die Mittel, die er dazu einsetzt, werden vom Erzähler nicht verurteilt. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, dass er das Verhalten seines Helden nicht nur billigt, sondern sogar hohes Vergnügen daran findet.
5.2. Die Verspottung der Feinde
Die Verspottung der Feinde war im alten Israel und seiner Umwelt Teil des Triumphes über den Gegner. In dieser Hinsicht ist die Ehud-Erzählung nicht mehr und nicht weniger als ein Kind ihrer Zeit. So nötigen etwa die → Philister
Die Feinde werden dabei der Lächerlichkeit preisgegeben. Eglons Fett erleichtert Ehud die Verschleierung seiner Tat, weil die Mordwaffe vollständig im Wanst des Getöteten verschwindet. Das vorgetäuschte, von Ehud als „Gotteswort“ (dəvar-’älohîm) ausgegebene „geheime Wort“ (dəvar-setær) bzw. die „Geheimsache“ veranlasst Eglon dazu, seine Diener hinauszuschicken und ermöglicht Ehud die für das Attentat günstige Privataudienz. Der Mord bleibt lange unentdeckt, weil Eglons arglose Diener ihren Herrn auf der Toilette wähnen und sich erst nach endlosem Zögern dazu durchringen, das verschlossene Obergemach, wo ihr Herr mutmaßlich seine Notdurft verrichtet, mit Hilfe des Schlüssels zu inspizieren. Weder auf den König noch auf seine Gefolgsleute werfen diese grotesken Szenen ein günstiges Licht.
Der Geringschätzung der Gegner, wie sie sich in der Art und Weise der Schilderung ausspricht, wird man kaum mit Sympathie begegnen. Man kann und braucht sie nicht zu entschuldigen, aber man kann sie als Folge der vielen Feindseligkeiten zwischen Israel und Moab erklären (vgl. z.B. 2Kön 1,1
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
2. Weitere Literatur
- Amit, Y., 1999, The Book of Judges: The Art of Editing (Biblical Interpretation Series 38), Leiden
- Barré, M. L., 1991, The Meaning of pršdn in Judges iii 22, VT 41, 1-11
- Bernhardt, K.-H., 1987, Art. Jericho, TRE 16, 586-588
- Donner, H., 2. Aufl. 1995, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildungszeit (GAT, ATD Ergänzungsreihe 4/1), Göttingen
- Gaß, E., 2005, Die Ortsnamen des Richterbuchs in historischer und redaktioneller Perspektive (ADPV 35), Wiesbaden
- Gaß, E., 2008, Zur Ehud-Tradition in historisch-topographischer Hinsicht, ZDPV 124, 38-50
- Halpern, B., 1988, The Assassination of Eglon. The First Locked-Room Murder Mystery, BiRe 4/6, 33-41, 44
- Heller, J., 1988, Die Symbolik des Fettes, in: ders., An der Quelle des Lebens. Aufsätze zum Alten Testament (BET 10), Frankfurt, 125-127
- Japhet, S., 1993, I & II Chronicles (OTL), London / Louisville
- Kraeling, E. G., 1935, Difficulties in the Story of Ehud, JBL 54, 205-210
- Noth, M., 1928, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung (BWANT 3/10), Stuttgart
- Scherer, A., 2005, Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn
- Stager, L. E., 2003, Key Passages, Eretz-Israel 27, 240*-245*
- Stamm, J. J., 1980, Beiträge zur hebräischen und altorientalischen Namenkunde (OBO 30), Freiburg Schweiz / Göttingen
- van der Veen, P.G., Art. Jericho, in: WiBiLex 2009 (Zugriffsdatum: 10.2.2009)
- Weippert, H. / Weippert, M., 1976, Jericho in der Eisenzeit, ZDPV 92, 105-148
Abbildungsverzeichnis
- Karte von Moab und Jericho. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Jericho mit Palmen. © Katholisches Bibelwerk, Linz
- Ägyptisches Schloss. Ein flacher Holzschlüssel mit Zapfen und Löchern (unten) wurde in ein Loch des Türpfostens gesteckt, so dass die Stifte des Pfostens in die Löcher des Riegels fielen. Mit den Stiften des Schlüssels konnte man die Stifte am Pfosten wieder zurückdrücken. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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