Einsicht (AT)
(erstellt: November 2008)
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1. Die hebräischen Äquivalente von „Einsicht“
Das Nomen „Einsicht“ findet sich in deutschen Übersetzungen des Alten Testaments (ohne Apokryphen) in auffallend unterschiedlicher Häufigkeit: in der Einheitsübersetzung 90-mal, in der Lutherbibel dagegen nur 35-mal.
Das Bedeutungsspektrum des deutschen Wortes „einsehen“ umfasst nach dem Wörterbuch der Brüder Grimm vier Bereiche:
- 1. hineinsehen (inspicere),
- 2. einblicken (introspicere),
- 3. verstehen (perspicere, intelligere),
- 4. Fehler wahrnehmen (animadvertere, attendere).
intelligentia
judicium
- 1. einen Brief einsehen (vgl. „einsehen“ 1.),
- 2. ein Mann von Bildung und Einsicht (vgl. judicium, intelligentia).
hebräischen Wörter
intellektuellen Fähigkeiten
- בין bjn – verstehen u.ä. (3-mal),
- בינה bînāh – Einsicht / Verstand (10-mal),
- תבונה təbûnāh – praktische Intelligenz (9-mal),
- ידע jd‘ – Wissen (1-mal),
- דעת da‘at – Wissen (3-mal),
- דעה dē‘āh – Wissen (1-mal),
- מדע maddā‘ – geistige Flexibilität (1-mal),
- תושׁיה tûšijjāh – Planen einer Handlung (2-mal),
- חשׁבון ḥæšbôn – Rechnung (1-mal),
- טעם ṭa‘am – Geschmack, Urteilsvermögen (1-mal),
- שׁוב אל־לב šwb ’æl lev – „zur Einsicht kommen“ (1-mal),
- שׂכל śkl / śekhæl – einsehen, gesunder Menschenverstand (1-mal Verb; 1-mal Nomen).
in weisheitlichen Texten
In den → Apokryphen
2. Die einzelnen Begriffe
2.1. בין bjn und Derivate
Die Lutherbibel gibt mit „Einsicht“ am häufigsten (21-mal) Derivate der Wurzel בין bjn wieder (Qal: „achten auf / verstehen“, Nif.: „einsichtig sein“; Hif.: ähnlich Qal, zusätzlich kausativ „zur Einsicht bringen“ etc.). Die Wurzel בין bjn „Acht geben / verstehen / Verstand / Einsicht“ bezieht sich „auf eine Vielfalt von Objekten und hat sowohl mit menschlicher Einsicht im Sinne der Weisheit oder des apokalyptischen Verstehens oder einfach der Gotteserkenntnis, als auch mit dem göttlichen Wissen zu tun. Es umfasst sowohl das Verstehen als auch das daraus folgende Handeln.“ (Ringgren, 624). Das Verb ist an drei Stellen mit einer „Einsicht“-haltigen Wendung wiedergegeben:
2.1.1. בינה bînāh – theoretisches Denken
Das Nomen בינה bînāh bedeutet „Verstand“ und „Einsicht“ und wird in der Lutherbibel auch überwiegend so wiedergegeben. An 19 von 39 Belegen erscheint בינה bînāh zusammen mit חכמה ḥåkhmāh „Weisheit“ und ist ein typisches Wort weisheitlicher Literatur. בינה bînāh ist die ordnende und interpretierende Aktivität des Denkens; sie kann sich auf Kunstgewerbe beziehen, auf Zeichendeutung und Astrologie, auf das Königsamt oder auf das Gesetz (die → Tora
2.1.2. תבונה təbûnāh – praktische Intelligenz
Im Unterschied zu בינה bînāh, das eher theoretische Aspekte des Denkens abdeckt, bezieht sich תבונה təbûnāh auf den praktischen, angewandten Aspekt des Denkens, auf das Handeln (vgl. Fox, 1993, 152). תבונה təbûnāh kann daher auch die Geschicklichkeit im Beruf kennzeichnen. Als Wort, das häufig mit „Weisheit“ im synonymen Parallelismus steht, gehört es zu den Leitworten der Weisheit und zu den erstrebenswerten intellektuellen Eigenschaften:
- „Denn der HERR gibt Weisheit, und aus seinem Munde kommt Erkenntnis und Einsicht.“ (Spr 2,6
).
2.2. דעת da‘at „Wissen“ und Stammverwandte
Die Wurzel ידע jd‘ gehört zu den häufigsten im Alten Testament; sie bedeutet „merken / erfahren / erkennen / kennen / verstehen / wissen“; sie hat also einen weiten Bedeutungshorizont, der von kleinsten Akten der Aufmerksamkeit bis zu tiefsinniger Erkenntnis reichen kann (vgl. Fox, 2000, 31). Ausgangpunkt des „Wissens“ ist die sinnliche Erfahrung, etwa das Hören (vgl. Schottroff, 686; Bergman / Botterweck, 492), so auch in der Erziehung, einem zentralen weisheitlichen Thema:
judicium
מדע mādda‘ ist ein spätes Wort mit der Bedeutung „geistige Flexibilität“ (Bergman / Botterweck, 510f.); es wird in Dan 1,17
Da die Wurzel ידע jd‘ keineswegs einer weisheitlichen Sondersprache angehört, sondern dem allgemeinen Sprachgebrauch, finden wir es auch in prophetischen Texten (z.B. Jes 44,19
2.3. תושׁיה tûšijjāh – Planen einer Handlung
An zwei von insgesamt 13 Vorkommen (einschließlich → Jesus Sirach
2.4. Die übrigen Begriffe
2.4.1. שׂכל śkl / śekhæl – gesunder Menschenverstand
Die Wurzel ist zwar weisheitlich belegt, aber nicht mehrheitlich (48 zu 61 Belegen, vgl. Shupak, 249); niemals bezieht sich ein Wort dieser Wurzel auf Gott. Es geht bei den Wörtern dieser Wurzel „zunächst nicht um eine besondere intellektuelle Fähigkeit …, sondern um eine allgemein menschliche, nämlich den Gebrauch des gesunden Menschenverstandes“ (Koenen, 785). In Spr 13,15
2.4.2. חשׁבון ḥæšbôn – Berechnung
Das hebräische Wort חשׁבון ḥæšbôn – von der Wurzel חשׁב ḥšb „rechnen / achten“ – bezeichnet den Vorgang und das Ergebnis einer „Abrechnung“. Das Nomen ist nur dreimal im späten Buch des → Predigers
2.4.3. טעם ṭa‘am – Urteilsvermögen
Das Verb bedeutet „schmecken“; das Nomen hat 13 Vorkommen und „bezeichnet … die Gabe prüfender und unterscheidender Wahrnehmung, so daß ṭa‘am das ‚Urteilsvermögen’ des Frommen …“ (Schüpphaus, 370) bezeichnen kann wie Ps 119,66
2.4.4. שׁוב אל־לב šwb ’æl lev – zur Einsicht kommen
Das → Herz
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Deutsches Wörterbuch, Leipzig / Stuttgart 1854-1971 (Nachdruck: München 1984; online
) - Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
- Arnet, S., Wortschatz der Hebräischen Bibel, Zürich 2006
- Bergman, J. / Botterweck, G.J., 1982, Art. ידע jāḏa‘, in: ThWAT, Bd. III, Stuttgart u.a., 479-512
- Fox, M.V., 1993, Words for Wisdom, ZAH 6, 149-169
- Fox, M.V., 2000, Proverbs 1-9 (Anchor Bible 18A), New York
- Gertz, J.C., 1995, Art. תושׁיה tûšijjāh, in: ThWAT, Bd. VIII, Stuttgart u.a., 638-641
- Koenen, K., 1993, Art. שׂכל śākal, in: ThWAT, Bd. VII, Stuttgart u.a., 781-795
- Krüger, Th., 2006, Art. Klugheit, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt, 275f.
- Müller, A., 2000, Proverbien 1-9: Der Weisheit neue Kleider (BZAW 291), Berlin / New York
- Rad, G. von, 1985, Weisheit in Israel, 3. Aufl., Neukirchen-Vluyn
- Ringgren, H., 1973, Art. בין bîn, in: ThWAT, Bd. I, Stuttgart u.a., 621-629
- Schottfroff, W., 1994, Art. jd‘ erkennen, in: THAT, Bd. I, Stuttgart u.a., 682-701
- Schüpphaus, J, 1982, Art. טעם ṭā‘am, in: ThWAT, Bd. III, Stuttgart u.a., 369-372
- Shupak, N., 1993, Where Can Wisdom Be Found? The Sage’s Language in the Bible and in Ancient Egyptian Literature (OBO 130), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
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