Eitelkeit / Windhauch
(erstellt: Januar 2010)
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1. Allgemeines
Mit „Eitelkeit / Windhauch“ wird das hebräische Primärnomen הֶבֶל hævæl wiedergegeben. Bei ihm handelt es sich um eine onomatopoetische Wortbildung, die den Hauch-Charakter durch seine Konstellation weicher Konsonanten und einer entsprechenden Vokalschwäche nachbildet. Seine Grundbedeutung „(verwehter) Hauch / Lufthauch“ bezeichnet metaphorisch etwas Vorübergehendes, Gewichtlos-Leichtes, Wertloses, Leeres, Macht- und Hilfloses (Loretz, 223). Bildet „Windhauch“ das Prädikatsnomen im Nominalsatz, wie häufig im Buch → Kohelet
Für das Primärnomen finden sich im Alten Testament 73 Belege, mehr als die Hälfte davon im Buch Kohelet / Prediger Salomo. Nur in der biblischen → Urgeschichte
2. Biblische Befunde
Das breite Bedeutungsspektrum von „Windhauch“, das zwischen flüchtig, vergänglich, vergeblich und sinnlos oszilliert, lässt sich durch seine Verwendungsbereiche im Alten Testament näher bestimmen.
2.1. Anthropologie
Häufig begegnet „Windhauch“ in den Vergänglichkeitsklagen. Dabei sind es bemerkenswerterweise nur zwei Subjekte, die durch das Nomen prädiziert werden: nämlich der Mensch bzw. die Menschen (Ps 39,6
2.2. Weisheit
In einem weiteren Sinne dient „Windhauch“ im weisheitlichen Diskurs zum Ausdruck negativer Urteile. Durch sie werden allgemein gültige Werte wie Reichtum (Spr 13,11
2.3. Fremdgötterpolemik
Die Aspekte des Nutzlosen und Trügerischen führen in den götzenpolemischen Texten aus dem Umkreis deuteronomistischer Theologie (→ Deuteronomismus
2.4. Weitere Verwendung
Abgesehen von der Götzenpolemik steht auch im → Buch Kohelet / Prediger Salomo
3. Der Sprachgebrauch im Buch Kohelet
Der Leitwort-Charakter von hævæl wurde bereits vom ersten Herausgeber des Buches Kohelet / Prediger Salomo erkannt, der die Lehren Kohelets für die Publikation zusammengestellt und ihm die Rahmenverse Pred 1,2
3.1. Erkenntniskritisches Urteil
Die These von Diethelm Michel nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Annahme der traditionellen Weisheit, dass der Mensch die von Gott in die Welt hinein verborgenen Gesetzmäßigkeiten erkennen und sich dadurch einen Vorteil verschaffen kann. Diesem weisheitlichen Anspruch tritt Kohelet entgegen und führt in einer Reihe von gedanklichen Experimenten und prüfenden Betrachtungen vor Augen, dass man immer wieder nur den Kopf schütteln kann, weil die Vorgänge unter der Sonne keinen Sinn zu erkennen geben (Michel, 40-51). Nach Michel vertritt Kohelet damit einen „erkenntnistheoretischen Skeptizismus“ und zieht die von der Weisheit behaupteten positiven Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis grundsätzlich in Zweifel. Wo immer Kohelet das Ergebnis menschlicher Sinnsuche negiert, bringt er seinen Vorbehalt gegenüber dem Erkenntnisvermögen des Menschen durch das Wort hævæl zum Ausdruck. Michel plädiert deshalb für die übertragene Bedeutung „sinnlos“ und übersetzt es (im Anschluss an Albert Camus) mit dem Fremdwort „absurd“, um dadurch den philosophischen Charakter der Ausführungen Kohelets zu unterstreichen.
3.2. Wirklichkeitsbezogenes Urteil
Norbert Lohfink stimmt mit Michel darin überein, dass Kohelet die Grenzen menschlicher Erkenntnis thematisiert. Aber an allen Stellen, an denen Kohelet eine Einsicht des Menschen in den Weltzusammenhang negiert (Pred 1,9-11
3.3. Erkenntnisweg via negationis
Im Anschluss an die Position von Lohfink bietet Schwienhorst-Schönberger (289-290) eine Klassifizierung aller Windhauch-Aussagen nach ihren Funktionen:
(2) Negative Qualifikation eines Übels (malum physicum): Pred 2,21
(4) Metaphorische Umschreibung von „Vergänglichkeit“: Pred 3,19
Schwienhorst-Schönberger geht allerdings über Lohfink hinaus, indem er die Windhauch-Aussagen zu einem Erkenntnisweg via negationis erklären möchte, der zur Bestimmung des wahren Guten bei Kohelet führen soll (Schwiehorst-Schönberger, 292-297).
3.4. Das Problem im Spiegel der Bibelübersetzungen
Bereits die alten Übersetzungen verfolgen offenbar unterschiedliche Ziele in der Wiedergabe von hævæl. Die → Septuaginta
Insgesamt lässt sich auch bei den modernen Bibelübersetzungen das Bemühen um eine konkordante Wiedergabe von hævæl beobachten, die den Leitwort-Charakter erkennbar halten soll. So übersetzt die Gute Nachricht Bibel (1997) fast durchgängig mit „vergeblich“ bzw. „vergeblich und vergänglich“, in einer früheren Fassung hatte sie sogar die Übersetzung mit „sinnlos“ erwogen. Die Neue Zürcher Bibel (2007) entscheidet sich für „nichtig“ bzw. „nichtig und flüchtig“, während die Einheitsübersetzung (1980) mit dem Bildwort „Windhauch“ übersetzt. Englische Bibelübersetzungen bevorzugen die Wiedergabe mit „vanity“, The Holy Bible. New International Version (1984) übersetzt mit „meaningless“. Dagegen hat sich die Übersetzung mit „absurd“ bislang in keiner modernen Bibelausgabe durchsetzen können.
4. Rezeption
Die Aussagen Kohelets über die Vergänglichkeit alles Irdischen und die damit zusammenhängende Vergeblichkeit menschlichen Daseins wurden zur Inspirationsquelle für die Vanitas-Darstellungen in Kunst und Literatur des Mittelalters bis zum Barock. Beliebte Bild-Motive sind der Totenschädel, die Sanduhr, die erlöschende Kerze sowie die verwelkende Blume, die dem Bild des verwehenden Windhauchs am nächsten kommt (vgl. aber Jes 40,6-8
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1970-1995.
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1984.
- Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1971-2005.
2. Weitere Literatur
- Bertram, G., 1952, Hebräischer und griechischer Qohelet. Ein Beitrag zur Theologie der hellenistischen Bibel, ZAW 64, 26-49.
- Ehlich, K., 1996, הבל – Metaphern der Nichtigkeit, in: A.A. Diesel (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit …“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit (FS D. Michel; BZAW 241), Berlin / New York, 49-64.
- Evangelisches Gesangbuch, 1996, Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, Stuttgart.
- Fischer, A.A., 1997, Skepsis oder Furcht Gottes? Studien zur Komposition und Theologie des Buches Kohelet (BZAW 247), Berlin / New York.
- Fox, M.V., 1986, The Meaning of Hebel for Qohelet, JBL 105, 409-427.
- Kaiser, O., 2007, Kohelet. Das Buch des Predigers Salomo übersetzt und eingeleitet, Stuttgart.
- Kluge, F., 2002, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. Berlin / New York.
- Lohfink, N., 1998, Zu הבל im Buch Kohelet, in: ders., Studien zu Kohelet (SBA 26), Stuttgart, 215-258.
- Lohfink, N., 1998, Kohelet übersetzen. Berichte aus einer Übersetzungswerkstatt, in: ders., Studien zu Kohelet (SBA 26), Stuttgart, 259-290.
- Loretz, O., 1964, Qohelet und der Alte Orient. Untersuchungen zu Stil und theologischer Thematik des Buches Qohelet, Freiburg.
- Michel, D., 1989, Untersuchungen zur Eigenart des Buches Qohelet (BZAW 183), Berlin / New York.
- Schwienhorst-Schönberger, L., 1994, „Nicht im Menschen gründet das Glück“ (Pred 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie (HBS 2), Freiburg u.a.
- Seybold, K., 1996, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen.
- Vonach, A., 2004, Das Dilemma der Vergänglichkeit – Ein Beitrag zum Verständnis der Wortwurzel הבל bei Kohelet, in: M. Augustin / H.M. Niemann (Hgg.), Basel und Bibel. Collected Communications to the XVIIth Congress of the International Organization for the Study of the Old Testament Basel 2001 (BEATAJ 51), Frankfurt a.M. u.a.
Abbildungsverzeichnis
- Vanitas-Darstellung: Junger Mann mit Totenkopf (Frans Hals, 1626-1628).
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