Elfenbeinschnitzerei
(erstellt: Januar 2012)
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→ Elfenbein
1. Bedeutung
Elfenbein- und Knochenschnitzereien sind die einzigen kunsthandwerklichen Erzeugnisse aus organischem Material, die sich in der Levante in großer Zahl finden lassen, denn Gegenstände aus Holz konnten unter den klimatischen Verhältnissen nur selten überdauern. Die Schnitzereien erlauben daher wichtige Einblicke in verschiedene Verarbeitungstechniken, sie sind unschätzbare Zeugnisse für das Formen- und Bildrepertoire verschiedener Epochen, sie ermöglichen Rückschlüsse auf kulturelle Kontakte, auf religiöse Vorstellungen und anderes mehr.
2. Material
2.1. Allgemein
Der Begriff → Elfenbein
Eine griffige Sammelbezeichnung für alle hier erwähnten Materialien existiert leider nicht; nur Knochen und Elfenbein können unter dem Begriff „Bein“ zusammengefasst werden. Für die Identifizierung der einzelnen Materialien und Zahnarten stehen inzwischen verschiedene naturwissenschaftliche Methoden zur Verfügung (vor allem die zerstörungsfrei arbeitende Infrarot- und Raman-Spektroskopie). Ausgangspunkt bleibt aber stets die Untersuchung mit bloßem Auge oder mit leichter Vergrößerung durch eine Lupe.
2.2. Elfenbein
Im Alten Orient waren nur → Elefant
War für das alte Ägypten bereits früh klar, dass zahlreiche Objekte aus den Zähnen des heimischen Flusspferdes bestehen, so galt für den Alten Orient noch bis vor kurzem die Gleichsetzung von Elfenbein mit Elefantenzahn. Erst seit den 1980er Jahren wird auch in der Vorderasiatischen Archäologie eine systematische Identifizierung der Elfenbeinarten nach ihrer Herkunft (Elefant oder Flusspferd) vorgenommen.
2.2.1. Elefantenelfenbein
Die Stoßzähne der Elefanten sind modifizierte Schneidezähne des Oberkiefers, die einen runden bis leicht ovalen Querschnitt aufweisen. Ihre Pulpahöhle kann beachtliche Ausmaße erreichen, verjüngt sich stetig und läuft schließlich als winziger Nervenkanal im Zahnmittelpunkt bis zur Spitze fort. Die Stoßzähne sind außen auf ganzer Länge von Zahnzement (nicht Zahnschmelz) umgeben, der oft vereinfachend als Rinde bezeichnet wird.
Quer angeschnitten zeigt Elefanten- (und Mammut-)Elfenbein ein einzigartiges Muster (Schreger- bzw. Retzius-Linien), anhand dessen es eindeutig zu identifizieren ist. Dieses Muster erscheint als regelmäßiges Netzwerk aus zahllosen einander kreuzenden Linien, die bogenförmig vom Zahninneren nach außen verlaufen. Helle und dunkle Linien wechseln dabei einander ab.
2.2.2. Flusspferdelfenbein
Aus dem Gebiss des Flusspferdes kommen die Eck- und Schneidezähne beider Kiefer als Schnitzmaterial in Betracht. Doch nur die mächtigen Eckzähne des Unterkiefers sowie dessen mittlere Schneidezähne weisen eine Größe auf, die eine Verarbeitung lohnend macht.
Die kreisförmig gebogenen Eckzähne besitzen einen dreiseitigen Querschnitt mit abgerundeten Ecken. Die dem Maulinneren zugewandte Seite ist mit Zahnzement überzogen, die beiden äußeren Seiten werden hingegen von Zahnschmelz bedeckt. Bei Letzterem handelt es sich um ein äußerst hartes Material, das nur auf sehr mühsame Weise abgeschliffen werden konnte. Die Verarbeitung von Flusspferd-Eckzähnen war also erheblich aufwendiger als die von Elefantenstoßzähnen.
Die unteren, mittleren Schneidezähne des Flusspferdes werden in der Größe oft unterschätzt und daher zu selten als mögliches Schnitzmaterial in Betracht gezogen. Tatsächlich können die sehr schlanken, nahezu geraden Zähne aber eine Länge von etwa 50 cm erreichen. Ihre Außenseite ist – vergleichbar den Elefantenstoßzähnen – nur von Zement bedeckt.
2.3. Eberzahn
Die Eckzähne des männlichen Wildschweines werden in der archäologischen Literatur gewöhnlich nicht als Elfenbein bezeichnet, sondern als Eberzahn begrifflich davon abgesetzt. Als Schnitzmaterial eignen sich vor allem die unteren Eckzähne. Sie wirken wie eine deutlich verkleinerte Ausgabe der Flusspferd-Eckzähne, denn Krümmung, Querschnitt und Gestaltung der äußeren Schicht (Verteilung von Zement und Schmelz) sind diesen vergleichbar. In der Levante spielte die Verarbeitung von Eberzähnen keine Rolle. Bei dem angeblichen Exemplar aus dem sog. treasury von Megiddo (Loud 1939, 16 Nr. 129 Taf. 24) handelt es sich vielmehr um den Eckzahn eines Flusspferdes.
2.4. Knochen
Knochen fallen bei der Schlachtung gejagter oder gezüchteter Tiere in großer Menge an und sind daher ein leicht zu beschaffender Werkstoff, der seit Jahrtausenden zu vielfältigen Gegenständen verarbeitet wird. Knochen bilden das Gerüstwerk des Körpers der Wirbeltiere und liegen in verschiedenen Formen vor. Ihr Aufbau folgt stets dem Prinzip, bei höchstmöglicher Materialeinsparung und Gewichtsverminderung ein Maximum an Stabilität zu erzielen. Daher lassen sich zwei verschiedene Knochenstrukturen unterscheiden: außen eine kompakte Schicht, innen die sog. Schwammsubstanz. Es ist die kompakte Schicht, auf die es der Schnitzer als Material bzw. als Oberfläche abgesehen hat. Je nach Art der gefertigten Gegenstände und ihres Erhaltungszustandes kann aber der Blick auf die darunterliegende Schwammsubstanz möglich und damit ein wichtiges Indiz für die Materialbestimmung gegeben sein. Verwechslungsgefahr besteht dann nur mit dem Material Geweih, das ebenfalls eine Schwammstruktur im Inneren aufweist. Als Rohstoff waren besonders die langen Röhrenknochen der Extremitäten sowie die platten Knochen der Schulterblätter und Rippen gefragt. Auch die knöchernen Hornkerne bestimmter Tiere wurden verwendet.
2.5. Geweih
Der Begriff Geweih steht für die paarigen Stirnwaffen, die bei den männlichen Tieren der meisten Hirscharten anzutreffen sind (im Alten Orient Rot- und Damhirsch; → Hirsch
3. Techniken
Das Elfenbeinhandwerk ist mit der Holzschnitzerei (→ schnitzen
Bei Durchbruchsarbeiten (Ajour-Technik) wurde der Hintergrund komplett entfernt, um die gerahmten Motive freizustellen (Abb. 6, 12 und 13). Bei der Silhouettentechnik wurde dagegen der Darstellungsgegenstand insgesamt oder in Form einzelner Elemente ausgesägt und in ein anderes, farblich kontrastierendes Material eingelegt.
Das recht selten bezeugte Scheinrelief ist eine besondere Variante des modellierenden Schnitzens, denn hier wurden einzeln gearbeitete Motive auf einem glatten Untergrund aus dem gleichen Material montiert.
Elefanten- und Flusspferdelfenbein erhält durch Politur eine schön schimmernde Oberfläche – ein Vorzug, der die hohe Wertschätzung des Materials wesentlich mitbestimmt, auch wenn bei altorientalischen und ägyptischen Elfenbeinen die Oberfläche nicht selten durch Farbauftrag oder Vergoldung großflächig maskiert wurde. Dieses Veredeln fand noch eine Steigerung, wenn wertvolle Steine oder Glas eingelegt wurden und so zu einem besonders reichen Gesamteindruck führten. Durch Erhitzen unter kontrollierten Bedingungen konnte Elfenbein eine dunkelbraune Farbe annehmen. Dieser Vorgang wird als Ebonisierung bezeichnet, da auf diese Weise dunkles Edelholz imitiert wurde.
4. Repertoire
4.1. Allgemein
Das vielfältige Repertoire levantinischer Beinschnitzereien lässt sich in drei große Kategorien untergliedern, wobei die Grenzen fließend bleiben. Das gilt vor allem für die Unterscheidung zwischen Statuetten und figürlich gestalteten Gerätebestandteilen oder Behältnissen.
4.1.1. Rundbilder und Teile davon:
- Statuetten in anthropomorpher und zoomorpher Gestalt
- Elemente von Statuetten, die aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt waren, wobei Elfenbein bevorzugt für unbedeckte Körperteile (Gesicht, Arme, Beine) verwandt wurde
- Augeneinlagen, wobei die Iris aus dunklerem Material bestand
4.1.2. Gefäße, Geräte und Schmuckelemente:
- Behältnisse: Kästchen, Flaschen, Pyxiden, Hülsen, Schalen, Löffel
- Toilettengeräte: Kämme, Schminkstäbchen, Spatel, Haarnadeln
- Griffe: in geometrischer Form oder figürlich gestaltet
- Musikinstrumente: Klappern, Blashörner (→ Musikinstrumente
) - Spielgeräte: Spielbretter und -kästen, Spielsteine, Astragale und Würfel (→ Spiele
) - Zaumzeug: Scheuklappen, Stirnplatten
- Glyptik: Roll- und Stempelsiegel (→ Siegel
) - Schmuck: Knöpfe und Perlen, Trennelemente für mehrreihige Ketten, Anhänger (→ Schmuck
) - Sonstiges: Stäbe und Stabsegmente, Spindeln und Spinnwirtel (→ weben
).
4.1.3. Dekorelemente von hölzernen → Möbeln
- strukturelle Bestandteile: zoomorph gebildete Beine und Füße, volutenartige Standfüße, Knäufe, Verbindungselemente
- Protome und Appliken: in Gestalt von anthropomorphen oder zoomorphen Körperteilen, in Form bestimmter Symbole
- Paneele und Einlagen: unverziert und damit auf bloße Kontrastwirkung berechnet; mit geometrischem oder figürlichem Dekor.
Die Beinschnitzerei veranschaulicht deutlich, wie aufgeschlossen das levantinische Kunsthandwerk gegenüber Anregungen aus benachbarten Kulturen war. Fremdes Formen- und Bildgut und damit verbundene stilistische Eigenheiten wurden jedoch nicht einfach übernommen und nachgeahmt, sondern schöpferisch verarbeitet. Als besonders stark und prägend erwiesen sich ägyptische Einflüsse, in der Späten Bronzezeit kam noch die Rezeption ägäischer Vorbilder hinzu.
4.2. Steinzeit (Epipaläolithikum, Neolithikum)
Knochenwerkzeuge des Natufien (Epipaläolithikum, 12.000-10.000 v. Chr.) können geometrische Ritzverzierungen oder plastischen Dekor in Form von Tierköpfen aufweisen. Aus Knochen wurden auch Tierfiguren sowie Schmuckelemente wie Perlen und Anhänger gefertigt. Entsprechende Funde stammen aus den Höhlen von el-Wad (Koordinaten: N 32° 40' 14'', E 34° 57' 58''
Sieht man von Werkzeugen / Geräten ab, so liegen aus dem Neolithikum kaum Beispiele für Knochenschnitzereien vor. Umso bemerkenswerter sind vier kleine anthropomorphe Köpfe aus der Höhle von Naḥal Ḥēmār (Koordinaten: 1854.0611; N 31° 08' 30'', E 35° 22' 20''
4.3. Kupfersteinzeit (Chalkolithikum)
Der erste Höhepunkt levantinischer Elfenbeinschnitzerei wurde in der späten Kupfersteinzeit erreicht (4. Jt. v. Chr.), wobei vornehmlich Zähne des Flusspferdes Verwendung fanden. Aus den unteren Schneidezähnen wurden männliche und weibliche Statuetten gefertigt, die eine Höhe von mehr als 30 cm erreichen konnten (Funde aus der Region von → Beerscheba
Die Eckzähne des Flusspferdes dienten zur Herstellung verschiedener Objekte, deren Funktion oft rätselhaft bleibt. Sie können mit kleinen Bohrungen versehen sein, die zu Mustern angeordnet und mit dunklem Pigment gefüllt wurden. Besonders bemerkenswert sind die großen Zähne aus der Schatzhöhle von Naḥal Mišmār (Koordinaten: N 31° 22' 51.37'', E 35° 21' 51.65''
4.4. Frühe Bronzezeit
Eine charakteristische Gattung der Frühen Bronzezeit bilden kleine, rundplastisch gearbeitete Rinderköpfe aus Elfenbein und Knochen (Funde aus → Ai
4.5. Mittlere Bronzezeit
Während der Mittleren Bronzezeit wurden erstmals in großem Umfang Einlagen aus Knochen und Flusspferdelfenbein gefertigt. In der einfachsten Form handelt es sich um lange, schmale Streifen mit geometrischem Ritzdekor, die in vielen Fundorten zutage kamen. Aufwendiger herzustellen waren Intarsien in Silhouettentechnik (z.B. aus el-Ǧisr [Koordinaten: 1269.1478; N 31° 55' 21'', E 34° 44' 40''
4.6. Späte Bronzezeit
Im Kunsthandwerk der Späten Bronzezeit nimmt die Elfenbeinschnitzerei eine herausragende Stellung ein. Wichtige Fundkomplexe stammen aus dem sog. treasury von → Megiddo
4.7. Eisenzeit
Während der Eisenzeit war das levantinische Elfenbeinhandwerk äußerst produktiv; zahlenmäßig stellen die Erzeugnisse aus dieser Epoche alles Bisherige in den Schatten. Doch in der Levante selbst wurde nur ein Bruchteil davon entdeckt, während in Assyrien tausende Schnitzereien zutage kamen, denn Möbel mit reichem Elfenbeindekor sowie Gefäße, Zaumzeug und andere Objekte waren in großem Umfang als Tribute und Beutestücke in den Besitz der assyrischen Könige gelangt und von diesen in Schatzkammern und Magazinen gelagert worden. Es sind daher vor allem die Funde aus Nimrud (Koordinaten: N 36° 05' 55'', E 43° 19' 40''
Unter den Schnitzereien dominieren Paneele und Einlagen mit figürlichem Dekor, der vor allem Gottheiten, Genien und → Mischwesen
5. Werkstätten
Konkrete Hinweise auf Werkstattplätze des Elfenbeinhandwerks bleiben bislang selten. Als ältester Beleg kann die Kammer 642 der unterirdisch angelegten Höhlen in → Beerscheba
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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- Hachmann, R. (Hg.),1983, Frühe Phöniker im Libanon. 20 Jahre deutsche Ausgrabungen in Kāmid el-Lōz, Mainz
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- Querschnitt eines Flusspferd-Eckzahns. Aus: U.S. Fish & Wildlife Service, © public domain (http://www.lab.fws.gov/images/hipcanin.jpg), Zugriff 22.12.2011
- Das Fragment einer Durchbruchsarbeit zeigt eine Kuh mit saugendem Kalb (Libanon; 9. Jh. v. Chr.; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz - Einlagen in Silhouettentechnik aus el-Ǧisr (18./17. Jh. v. Chr.). Aus: J. Ory, A Middle Bronze Age Tomb at el-Jisr, QDAP 12 (1946), 31-42, Taf. XIV
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- Stillende Göttin (Elfenbeinrelief aus Ugarit; um 1380 v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 409; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Bankettszene auf einer Elfenbeinplatte aus Megiddo (13./12. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg 5. Aufl. 2001, Abb. 65; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Sphinx (levantinische Elfenbeinschnitzerei; Nimrud; 8. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; ME 134322
- Ein Löwe tötet einen Stier (Elfenbeinschnitzerei; Samaria; 9./8. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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