Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: September 2011; letzte Änderung: Mai 2013)

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1. Name und Lage (B.F.)

Die altorientalische Stadt Emar bzw. Imar ist von der Mitte des 3. Jt.s bis Ende des 2. Jt.s v. Chr. schriftlich und archäologisch bezeugt. Die Identifikation mit dem heutigen Maskana (Meskene; Koordinaten: N 35° 59' 14'', E 38° 06' 35'') im Norden der Syrischen Republik, ca. 100 km östlich von Aleppo, wurde erstmals 1954 von George Dossin postuliert und durch Textfunde aus den französischen Ausgrabungen 1972-1976 bestätigt. In diesen Texten ist der Stadtname in mehreren Schreibvarianten belegt (Belmonte Marín 2001, 69-73).

URUe-marKI, URUe-mar, seltener e-marKI, vereinzelt e-mar, i-mar, i-ma-ar, i-ma-ri. Darüber hinaus finden sich auch die Bezeichnungen URUKI e-marKI, URUKI e-mar „die Stadt Emar“ sowie KUR URUe-mar, KUR e-mar „das Land Emar“. In anderen Textcorpora überwiegt entweder die Schreibung mit Anlautvokal e (so insbesondere in → Alalach und → Ugarit) oder mit i (so hauptsächlich in → Ebla und → Mari). Fraglich ist indessen, ob der ägyptische Ortsname ’mr tatsächlich Emar bezeichnet (Sallaberger u.a. 2006, 96).

Emar lag am westlichen Euphratufer, auf einer natürlichen Terrasse zwischen der Flussaue und der angrenzenden Tafelbergkette. An dieser Stelle seines Verlaufs macht der → Euphrat einen Bogen in östlicher Richtung, weshalb man von der Region am Euphratknie spricht. Heute ist das Gebiet größtenteils vom Assad-Stausee überflutet (die Kleinstadt Maskana wurde verlegt und 2/3 des Ruinenhügels liegen unter Wasser).

Der Euphrat und das Euphrattal gehören zu den wichtigsten Verkehrswegen des Alten Orients. Zudem nähert sich der Fluss auf der Höhe von Emar am meisten der Mittelmeerküste an. Diese verkehrsgünstige Lage gewährte der Stadt eine strategische Position in der Verbindung zwischen dem mesopotamischen, dem syrisch-palästinischen und dem anatolischen Bereich.

2. Archäologische Zeugnisse (U.F.)

2.1. Grabungsgeschichte

2.1.1. Bis zur Fertigstellung des Euphrat-Damms

Bereits George Dossin vermutete in den Ruinen von Alt-Meskene (Meskene Qadima), auch Tell Meskene, die Überreste der aus vielen Textquellen bekannten Stadt Emar (Dossin 1961-62, 199), doch erst die französischen Rettungsgrabungen unter der Leitung von Jean-Claude Margueron (Beyer 1982) brachten durch die Textfunde den Beweis. Diese Untersuchungen fanden in den Jahren 1972-76 statt, als die Ruine noch unberührt und vom Stausee noch nicht zu etwa drei Viertel ihrer Fläche überflutet war. In den folgenden Jahren bis 1991 war das über dem Wasserspiegel gelegene Stadtviertel von Emar unbewacht und wurde systematisch durch Raubgrabungen geplündert, denn die Anwohner konnten zu Recht annehmen, dass keine weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen geplant waren.

2.1.2. Wiederaufnahme der Ausgrabungen

Es ist Shawki Shaath von der Antikenbehörde in Aleppo zu danken, dass ab 1991 wieder ein Wächter eingestellt wurde und er selbst kurz darauf mit neuerlichen Grabungen begann, an denen später Farouk Ismael, Professor an der Universität Aleppo, teilnahm. 1995 wurde der Universität Tübingen eine Partnerschaft angetragen. Trotz der unübersehbaren Zerstörungen durch die Raubgrabungen schien eine Teilnahme an den Ausgrabungen Erfolg versprechend, da schon bei einer ersten Besichtigung deutlich wurde, dass in der Tiefe ältere Schichten mit einer Mächtigkeit von mehreren Metern unberührt geblieben waren.

2.1.3. Neue Interpretation der Grabungsergebnisse

Diese Erkenntnis ist einigen bis zu 5 m tiefen Sondagen zu danken, die Shawki Shaath bis 1995 gegraben hatte, und widerspricht der bisherigen Interpretation des französischen Ausgräbers, der an dieser Stelle nur die von den Hethitern neu gegründete Stadt wähnte, während das ältere, aus den Texten von Ebla und Mari bekannte Emar an anderer Stelle im Tal des Euphrat liegen sollte. Die syrisch-deutschen Ausgrabungen der Jahre 1996-2002, die sowohl im äußersten Westen, im sog. Tempelbezirk, als auch in den Wohnhäusern der sog. Oberstadt durchgeführt wurden, bestätigen, dass das ältere wie das jüngere Emar an ein und derselben Stelle gegründet wurde und auch hier bis zu seinem Ende im 12. Jh. v. Chr. bestanden hat.

2.2. Topographie der Ruine

2.2.1. Vor dem Dammbau bei Tabqa

Die Ruinen der Stadt Emar bedeckten eine Fläche von etwa 40 ha. Sie erstreckte sich vom rechten Ufer des Euphrats bei 275 m über NN nach Süden bis in die anschließende Hügelregion auf eine Höhe von über 325 m über NN. Die spätere byzantinische Stadt Barbalissos nahm nur noch knapp die östliche Hälfte des ehemaligen Stadtgebietes ein.

2.2.2. Nach dem Dammbau bei Tabqa

Die heute noch zugänglichen Ruinen von Emar bedecken eine lang gezogene Halbinsel, die sich von West nach Ost senkt, und umfassen ein knappes Viertel des früheren Stadtgebietes im Südwesten. Der topographische Übersichtsplan, der von Dieter K. Müller aufgenommen wurde, zeigt folgende Teilbereiche: Ganz im Westen liegt der Tempelbezirk, das Chantier E der ehemaligen französischen Ausgrabungen.

Auf einer tiefer gelegenen Geländestufe erstreckt sich die sog. Oberstadt, das Chantier D, mit den für Emar typischen Wohnhäusern. Weiter nach Osten folgt die sog. Unterstadt, in der die französische Mission den Temple M und den sog. Temple du Devin freigelegt hat. Ganz im Osten durch eine Senke abgetrennt folgen schließlich die Reste der byzantinischen Stadt Barbalissos mit den aufragenden Türmen ihrer Befestigung. Nicht überflutet ist ferner eine kleine Insel, das Chantier A mit dem sog. Bit Hilani der französischen Ausgrabung (→ Palast), die ehemalige NW-Ecke der Stadt und ihre Befestigung. Alle anderen früheren Grabungsstellen liegen seit 1976 unter dem Wasserspiegel des Assad-Sees.

2.3. Die Stratigraphie und Chronologie von Emar

Die französische Grabung der 70er Jahre registrierte im Wesentlichen nur eine Bauschicht, die der Zeit nach der hethitischen Einnahme zugeschrieben wurde. Damals teilweise erfasste ältere Architekturreste wurden als Substruktionen einer Terrassierung interpretiert. Dass stattdessen eine ganze Abfolge älterer Schichten vorlag, haben die syrischen Grabungen ab 1991/92 gezeigt. Die heute vorliegende detaillierte Stratigraphie ist den einzelnen Grabungsstellen zugeordnet und dementsprechend separat benannt. Eine Korrelation der Teilbereiche ist nur über typologische Vergleiche der Keramik und Funde möglich. Die stratigraphische Tabelle entspricht in ihrer Darstellung diesen Vorgaben.

2.4. Die Frühe Bronzezeit

2.4.1. Tempelbezirk (Chantier E)

Unter den Ruinen des spätbronzezeitlichen Tempels des Baal fanden sich bereits 1998 kleinere Räume mit Mauern aus Stampflehm. Ihre kettenförmige, der Hangkante und dem Geländeanstieg folgende Anordnung macht es sehr wahrscheinlich, dass sie an die damalige Stadtmauer angefugt waren, die durch spätere Baumaßnahmen und vor allem durch die Hangerosion nur sehr schlecht erhalten war.

Emar 08

Die Räume waren teilweise durch Türen verbunden und so zu Funktionseinheiten zusammengefasst; sie waren innen verputzt und enthielten Feuerstellen und Backöfen.

Emar 09

Räume I und II waren am besten erhalten; sie hatten ein Inventar aus Idolen, Keramik und Schmuck bewahrt, das ihre Datierung an das Ende des 3. Jt.s, Periode Frühbronzezeit IVB nach konventioneller Terminologie bzw. Early Middle Euphrates (EME) 5 nach der neuen Chronologie des Projekts ARCANE, eindeutig erkennen lässt.

2.4.2. Oberstadt (mit Chantier D)

Emar 10

Auch im Bereich der Oberstadt konnten Schichten dieser Periode in mehreren Sondagen nachgewiesen werden, ohne dass der gewachsene Boden erreicht wurde. Daraus kann auf eine flächige Besiedlung während des 3. Jt.s geschlossen werden, die zukünftige Untersuchungen lohnend erscheinen lässt.

2.5. Die Mittelbronzezeit

2.5.1. Die Stadtmauer im Westen und Süden

Emar 11

Hinter dem Tempel des Baal und dem zweiten Heiligtum, das vielleicht der Astarte geweiht war, kam eine lange Mauer auf mehr als 40 m zutage. Sie hat eine Stärke von fast 2,50 m und ist aus Lehmziegeln erbaut, die auf einem Steinfundament aufsitzen. Im äußersten SW ist ein Turm im Fundament erhalten. Seine Außenmaße betragen 8,75 m x 7,5 m, der Innenraum misst 3,35 m x 2,50 m. Hieraus wird deutlich, dass es sich an der exponierten SW-Ecke um einen Teil der Stadtmauer von Emar handelt.

Emar 12

Im weiteren Verlauf, etwa 25 m nördlich des Turms, fand sich eine auf 50 cm höherem Niveau angefügte Bastion, die eine spätere Phase der mittelbronze-zeitlichen Stadtmauer belegt. Eine schmale Pforte zwischen Turm und Bastion führt hinaus auf eine waagerechte Fläche vor der Stadtmauer. Dieser Befund legt zwingend die Existenz einer Vormauer nahe, die jedoch nicht mehr erhalten ist.

Die Datierung der Befestigung ergibt sich aus der Stratigraphie: Die Baugrube für den spätbronzezeitlichen Tempel, der nördlich parallel zum Tempel des Baal errichtet wurde, greift tief in die zur Stadtmauer gehörigen Schichten ein. Reste eines Fußbodens, der außen an der Westwand dieses Tempels anbindet, verlaufen über die Krone der Stadtmauer hinweg. Nördlich des sog. Astarte-Tempels, haben sich drei Fußböden erhalten, die zu einem Hof innerhalb der Stadtmauer gehören. Die dort gefundene Keramik datiert Hof und Stadtmauer in die Mittelbronzezeit.

Am Südhang von Emar, der durch jüngere Felskammergräber stark gestört ist, fanden sich Reste einer Mauer gleicher Stärke und Bautechnik, die wir ebenfalls der Mittelbronzezeit zuweisen können. Weiter im Osten wurde ein weiterer Teil dieser Stadtmauer aufgedeckt, der auf dem gewachsenen Boden gründet und durch ein Haus der Spätbronzezeit überbaut ist, so dass auch hier die stratigraphische Einordnung in diese Periode gesichert ist.

2.5.2. Sondagen in der Oberstadt

Siedlungsmaterial der Mittelbronzezeit erbrachte vor allem eine Sondage im Hof eines Hauses, das die französische Mission ausgegraben hatte. Im Profil sind unter dem Fundament aus großen Kalksteinen mehrere Bauschichten mit Fußböden zu erkennen. Zumindest die Schichten OS 4 – OS 8 sind in die Mittelbronzezeit zu datieren. Die im Profil sichtbare Abfolge gibt das Abbild einer stetig wachsenden Siedlung in der ersten Hälfte des 2. Jt.s.

2.6. Die Spätbronzezeit

2.6.1. Der Tempelbezirk (Chantier E)

Auf dem höchsten Punkt im Südwesten der Stadt liegt ein Doppeltempel mit einem großen Vorhof und einem Temenos. Während der südliche etwas größere Tempel dem Gott Baal geweiht war, wie die dort gefundenen Keilschrifttexte beweisen, gibt es keinen sicheren Beleg dafür, dass das zweite Heiligtum für die Göttin Astarte erbaut wurde. Es liegt aber nahe, diesen Tempelbezirk einem Götterpaar zuzuweisen, nämlich dem Gott Baal und in Analogie zu anderen Heiligtümern der Göttin Astarte. Der gesamte Tempelkomplex wurde nun von F. Sakal (im Druck) ausführlich dargestellt.

2.6.1.1. Der Tempel des Baal. Er ließ zwei Bauperioden erkennen, einen Vorgängerbau auf einem Fundament aus Sandstein mit einer Länge über alles von 14,3 m und einer Breite von 6,25 m (Bauphase TB 2). Die Innenmaße der Cella betragen 9,10 m x 5 m. Auf ihn folgt ein wesentlich größerer Bau, der sich weiter nach Westen und Süden erstreckt. Dabei wird die Nordwand des älteren Tempels wiederbenutzt und mit einer außen vorgelegten Reihe von großen Steinen aus Brecchie auf über 2,50 m verbreitert. Der jüngere Tempel erreicht in Bauphase TB 1 damit eine Länge von fast 20 m einschließlich der Anten und eine Breite von etwa 11,70 m. Die Cella misst 12,35 m x 7,15 m. Ihre Installationen waren bei der Ausgrabung in den 1970er Jahren noch erhalten. An der Rückwand befand sich ein Podest, zu dem mehrere Stufen hinaufführten, davor etwa in der Raummitte ein Opfertisch (Beyer 1982, Fig. 4).

Der Eingangsbereich dieses jüngeren Tempels wurde zweimal erweitert. Der ursprüngliche Bau (Bauphase TB 1C) erhielt eine um 2,50 m verlängerte Terrasse nach Osten und eine Freitreppe, die in den etwa zwei Meter tieferen Hof hinabführt (Bauphase TB 1B). Das Bauwerk erreichte damit in West-Ost Richtung eine Gesamtlänge von über 31 m. In einer dritten Bauphase (TB 1A) wurden der Freitreppe auf beiden Seiten kleine Räume angefugt. Diese baulichen Veränderungen sind durch Baufugen eindeutig nachzuweisen.

Die Datierung in die Spätbronzezeit lässt sich nur generell für den jüngeren Tempel des Baal (TB 1) belegen, und zwar in die Zeit nach der Einnahme durch die Hethiter. Sie folgt damit Marguerons Datierung. Eine exakte Datierung des älteren Tempels (TB 2) ist leider ebenso wenig möglich wie eine Datierung der einzelnen Umbauphasen (TB 1A-C) des jüngeren Tempels, da durch die Raubgrabungen der Jahre 1977-1991 der Kontext der Architektur verloren ging und eine Datierung durch Keramik und Kleinfunde nicht mehr möglich ist. Wenn die Annahme richtig ist, dass die Bauphase TB 1 erst in der Zeit der hethitischen Vorherrschaft entstanden ist, könnte die ältere Bauphase TB 2 an den Beginn der Spätbronzezeit gehören.

2.6.1.2. Der sog. Tempel der Astarte. Der meist der Astarte zugeschriebene nördliche Tempel war noch schlechter erhalten als der Tempel des Baal. Die französische Mission hat jedoch die Cella noch intakt vorgefunden, so dass wir ihre Maße kennen. Der Raum hatte eine Länge von fast 13 m und eine Breite von 6,30 m. Die Außenmauern des Tempels einschließlich der Anten haben eine Länge von 21,70 m, die Rückwand eine Länge von 11,50 m, so dass sich eine Mauerstärke von 2,50 m ergibt. Die französische Rettungsgrabung begnügte sich hier wie schon beim Tempel des Baal mit der Ausgrabung der Cella, der Vorraum zwischen den Anten und die Aufgangstreppe wurden erst ab 1998 freigelegt. Die Treppe überwindet auf einer Länge von 3,20 m einen Höhenunterschied von gut zwei Metern.

Wie beim Tempel des Baal wurde seinerzeit entlang der Rückwand der Cella ein Podest aufgefunden, zu dem an der Südwand eine Treppe hinaufführte (Beyer 1982, Fig. 4 und 6.). Auch ein gestufter Opfertisch fand sich im Raum. Ein Steintrog mittig vor dem Podest hat jedoch im Tempel des Baal keine Parallele.

Stratigraphisch sind beide Tempel durch einen Estrich der sog. Prozessionsstraße aus Kalk-Lehm verbunden, der mehrfach erneuert wurde. Für den sog. Tempel der Astarte ist damit eine entsprechende Datierung in die Spätbronzezeit gesichert. Es gibt jedoch auch hier Anzeichen für eine ältere Anlage, die im Einzelnen nicht mehr fassbar ist. Eine Datierung der beiden Bauphasen durch Funde war leider nicht möglich, da kein gesicherter Kontext erhalten blieb.

2.6.1.3. Der Tempelhof. Der Hof im Osten vor den beiden Tempeln ist bislang nur in Teilen ausgegraben. Vor dem Tempel des Baal fanden sich jedoch Reste eines Weges in der Flucht der Freitreppe, der mit großen behauenen Steinplatten von gut 1 m x 1 m gepflastert war. Zwei dieser Steinplatten haben sich erhalten. Umgestürzt neben den Steinplatten fand sich überdies der Torso eines Torlöwen, der nur auf zwei Seiten bearbeitet war und ursprünglich in einem Mauerverband als Wange eingefügt gewesen sein muss. Das über 1,50 m lange Werkstück aus Sandstein war sorgfältig gearbeitet. Leider fehlte der Kopf; Antiquitätenhändler hatten ihn abgeschlagen und mitgenommen, nachdem sich der Gesamtkörper als zu schwer erwies. Die in Einzelheiten von den Arbeitern berichtete Geschichte dieses und eines weiteren kleineren Löwenpaares ist in einem Beitrag in der Festschrift für Belkis und Ali Dinçol nachzulesen (Sakal 2007). Die dort gegebene Datierung in die Zeit der hethitischen Vorherrschaft (Ende des 14. bis Anfang des 12. Jh.) bestätigt, dass der Torlöwe zum jüngeren Tempel des Baal gehört haben muss.

Auch Reste des Temenos im Süden des Tempelhofes hatten sich erhalten. Die Zuordnung ist durch einen Fußboden aus einem Kalk-Lehm-Gemisch gesichert, der Hof und Temenos verbindet.

2.6.2. Die Oberstadt (mit Chantier D)

Etwa 50 Meter östlich des Doppeltempels lässt sich eine deutliche Stufe erkennen, die gewissermaßen die Grenze zur sog. Oberstadt darstellt (s. Abb. 10). Aufgrund der französischen wie auch der späteren deutsch-syrischen Grabungsbefunde ist gesichert, dass hier ein Stadtviertel mit Privathäusern lag. Sie entsprechen in ihrem Grundriss und ihren Maßen genau der Beschreibung, die aus vielen Kaufurkunden bekannt ist (Mori 2003). Im hinteren Teil des Hauses liegen in der Regel zwei quadratische Zimmer, denen ein teilweise überdachter Innenhof, auch „Frontroom“ genannt, an der Straße vorgelagert ist (McClellan 1997). Die Außenmaße betragen etwa 7-10 m in der Breite und bis zu 14 m in der Tiefe. Die Bauweise ist einheitlich, auf ein Fundament aus Kalkstein folgt ein Sockel aus Brecchie, auf dem das aufgehende Mauerwerk aus Lehmziegeln ruht.

Wie bereits erwähnt, war der Bereich der Oberstadt entgegen der Meinung des französischen Ausgräbers durchgehend von der Früh- bis in die Spätbronzezeit besiedelt. Nach den Raubgrabungen ist jedoch die jüngste Bauphase der Zeit der hethitischen Hegemonie (OS 1) kaum noch fassbar. Architektonische Reste haben sich kaum erhalten und Funde dieser Zeit, wie die hethitischen Stempelsiegel (zuletzt Sakal 2005, 181-185, mit allen Verweisen) sind Zufallsfunde aus dem Oberflächenschutt, die den Raubgräbern entgangen sind. Besser erhalten ist die nächst ältere Schicht (OS 2-3), die möglicherweise bereits in die ausgehende mitannische Zeit zurückreicht.

2.6.3. Die Unterstadt (mit Chantier M)

Die Rettungsgrabungen der Jahre 1972-76 waren im Bereich des Chantier M äußerst erfolgreich. Neben einem dritten Tempel, dem Temple M2 (Beyer 1982, 31-32), wurde ein Haus mit einer Bibliothek von annähernd 1000 Keilschrifttafeln ausgegraben, im Plan als Temple du Devin („Tempel des Wahrsagers“) bezeichnet. Es gehörte wahrscheinlich einer Familie von Gelehrten (s.o. 2.2.2. und s.u. 3. und 7.1.) und ist kein Tempel (Beyer 1982, 32-33), wie früher angenommen wurde. Die archäologischen Befunde sind bislang nicht im Detail publiziert, es liegt lediglich ein schematischer Plan des Chantier M vor (Beyer 1982, fig. 7).

Leider ist inzwischen der Grundwasserspiegel in der Ruine so stark angestiegen, dass neuerliche Ausgrabungen in diesem Bereich nicht mehr möglich sind. Lediglich im höher gelegenen Süden konnten 1996 einige Wohnhäuser freigelegt werden.

2.6.4. Chantier A

Der Bereich des sog. Bit Hilani ragt inzwischen als kleine Insel aus dem Stausee hervor. Die Grabungen der französischen Mission konnten seinerzeit noch Grundrisse mehrerer Gebäude freilegen, von denen eines als Bit Hilani interpretiert wurde (Beyer 1982, 24-29 fig. 2; → Palast). Diese Deutung ist zumindest sehr fraglich, da die für Hilanis typischen beiden Säulenbasen am Eingang – abgesehen von einem kleinen Fragment – rekonstruiert sind. Nachgrabungen sind leider nicht mehr möglich, da die Siedlungsschichten fast vollständig bis auf den Fels abgewaschen sind. Nach der Topographie lag zweifellos dort die NW-Ecke der Stadtmauer von Emar. Bis vor wenigen Jahren waren noch Reste dieser Befestigung sichtbar.

2.7. Antike und Mittelalter

Die Stadt Emar war spätestens um 1150 v. Chr. verlassen. Eine Wiederbesiedlung, begrenzt auf den südöstlichen Bereich der bronzezeitlichen Stadt, ist archäologisch bislang erst wieder für die byzantinische Zeit unter dem Namen Barbalissos nachweisbar, als Kaiser Justinian die Stadt befestigte. Zwei große Ecktürme, das sog. Praetorium im Nordwesten und der Südwestturm, legen bis heute davon Zeugnis ab. Aus Textquellen ist eine Stadt Bala aus achämenidischer Zeit als Verwaltungssitz bekannt, die eventuell hier lokalisiert werden kann. Die Spätantike ist bislang nur durch zahlreiche Gräber belegt. Vor allem Erd- oder Ziegelgräber sind in großer Zahl im Tempelbezirk der Spätbronzezeit zu finden. Noch häufiger sind jedoch Felskammergräber am Südhang von Emar wie auch in den umliegenden Hügeln.

Die Omaijaden haben schon im 7. Jh. n. Chr. die Stadt Barbalissos kampflos übernommen, die nun unter dem Namen Bālis als Handelsstadt an der Euphratroute bis in die aijubidische Zeit weiterlebte. Der Niedergang begann, als der Euphrat seinen Lauf änderte und der Hafen verödete, sodass die Einwohner dem Einfall der Mongolen nichts mehr entgegen setzen konnten. Die Einwohner flohen vor deren Eintreffen 1261, ohne zurückzukehren, wie es wahrscheinlich beabsichtigt war.

2.8. Besichtigung

Seit 2000 sind Restaurierungsarbeiten in Emar und Barbalissos im Gange, um die ausgegrabenen Zeugnisse ihrer Geschichte zu sichern und zu restaurieren. 2009 wurde der „Archäologische Park Emar-Balis“ eröffnet, der neben den Ruinen von Emar und Bālis einen omaijadischen Palast und ein schiitisches Heiligtum des 11. Jh.s sowie die zahlreichen antiken Felsgräber umfasst. Bereits in den 70er Jahren wurde das Minarett der großen Moschee von Bālis auf Anregung der französischen Mission unter Raymond zerlegt und oben im Palast wiedererrichtet.

2010 wurde der Park nach Norden erweitert und ein Antrag auf Denkmalschutz bei den syrischen Behörden gestellt. Ein Grabungs- und Besucherzentrum am Eingang zum Park zeigt auf großformatigen Postern die Ergebnisse der Ausgrabungen und bietet dem Besucher Gelegenheit, sich zu erfrischen und auszuruhen. Die Ruinen selbst sind durch eine Treppe auf den Ruinenhügel und Wege teilweise erschlossen und sollen weiter zugänglich gemacht werden.

Träger des Parkprojektes sind die Universitäten Princeton und Tübingen sowie die syrische Antikenbehörde; als Sponsoren helfen das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die genannten Universitäten, der Reiseveranstalter Studiosus sowie private Spender.

3. Schriftliche Zeugnisse (B.F.)

Die ältesten Erwähnungen von Emar finden sich in den Keilschrifttafeln aus dem nordsyrischen Ebla (Tell Mardīḫ) um 2400 v. Chr. (Archi 1990). Dort kommt die Stadt vorwiegend in einem politisch-diplomatischen Zusammenhang vor (Geschenkaustausch zwischen den beiden Höfen). Ein Itinerar aus der altbabylonischen Zeit (1. Hälfte des 2. Jt.s v. Chr.) beschreibt eine Route mit den entsprechenden Etappenstationen zwischen dem südbabylonischen Larsa und Emar (Hallo 1964). In den Palastarchiven von → Mari (Tell Ḥarīri) aus dem 18. Jh. v. Chr. tritt die Stadt hauptsächlich als regionales Handelszentrum hervor, das u.a. Beziehungen zu → Karkemisch, Mari, Jamchad (→ Aleppo), Qatna, und Nordmesopotamien unterhielt (Durand 1990).

In der zweiten Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. ist Emar in verschiedenen Textcorpora belegt, darunter in denen aus → Alalach, → Ugarit, Ekalte, → Hattuscha und → Assyrien. Insbesondere die Urkunden und Briefe aus Ugarit und Assyrien zeigen, dass Emar weiterhin ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für den Handel zwischen der Mittelmeerküste und Anatolien einerseits und Mesopotamien andererseits war (Faist 2001, 216-217). Die bedeutendsten Schriftzeugnisse aus dieser Zeit stammen jedoch aus Emar selbst (Arnaud 1985-1987). Bei den von 1972 bis 1976 durchgeführten französischen Ausgrabungen wurden ca. 1100 Tontafeln bzw. Tontafelfragmente (Duplikate mit eingeschlossen) entdeckt (Pedersén 1998, 61-68). Es handelt sich überwiegend um Texte in akkadischer und sumerischer Sprache (ungefähr 1000), ferner um ca. 100 hurritische Texte und um zwei hethitische Briefe (heute im Nationalmuseum in Aleppo). Hinzu kommen ca. 350 Tafeln aus Raubgrabungen, die nach 1976 bis zur Wiederaufnahme von regulären Grabungen in den 1990er Jahren stattgefunden haben (heute in verschiedenen Privatsammlungen weltweit).

Die meisten Texte aus den regulären Grabungen wurden in Privathäusern entdeckt, einige waren in Tonbehältern aufbewahrt. Die schriftlichen Funde aus den ausgegrabenen Tempeln (Tempel des Baal [→ Ba‘lu], sog. Tempel der → Astarte und Tempel M2) sind geringfügig und bestehen vorwiegend aus Personen- und Inventarlisten. Ein Palastarchiv wurde – entgegen ursprünglichen Darstellungen – nicht gefunden. Der umfangreichste Tafelfund (knapp über 950 Tafeln bzw. Tafelbruchstücke, inkl. der hurritischen und hethitischen Texte) wurde im Bereich des sog. Temple du Devin [„Tempel des Wahrsagers“] gemacht, der heute allgemein als das Haus einer Familie von Gelehrten betrachtet wird, die sich als Zeichendeuter (ḪAL, meist als „Wahrsager“ übersetzt) bezeichneten. Ihre Tafelsammlung enthält neben „Alltagstexten“ wie Rechtsurkunden (Immobilienkäufe, Testamente, Adoptionen, Schuldscheine u.a.) und Briefen, die auch in anderen Privathäusern vorhanden waren, eine bemerkenswerte Anzahl von Schul- und Gelehrtentexten (sog. lexikalische Listen, Omensammlungen, Beschwörungen, Weisheitsliteratur, Fragmente des → Gilgamesch-Epos u.a.), die im Wesentlichen die bereits bekannte Überlieferung der Keilschriftkulturen weitertradiert (Cohen 2009). Hinzu kommt noch eine Reihe von Texten aus dem kultischen Bereich, darunter Feste und Rituale, Götter- und Opferlisten sowie Tempelinventare. Besonders bemerkenswert sind die Fest- und Ritualbeschreibungen, die sich – anders als die Schul- und Gelehrtentexte – sowohl inhaltlich als auch sprachlich durch ihre deutlichen lokalen Bezüge auszeichnen (Fleming 1992c).

Keine der in den Quellen überlieferten Sprachen, allen voran das Akkadische, wichtigster Vertreter der ostsemitischen Sprachgruppe und meist verbreitete Schriftsprache im 2. Jt. v. Chr., stellt die Muttersprache der Stadtbewohner dar. Die einheimische Sprache, bislang nur in den Personennamen und einigen Vokabeln fassbar, gehörte zur westsemitischen Sprachgruppe und erfuhr – anders als in Ugarit – keine Verschriftung (Pentiuc 2001). Die genaue chronologische Einordnung des Emar-Corpus wird kontrovers diskutiert, da kaum brauchbare Datierungen zur Verfügung stehen.

Bereits Daniel Arnaud, Erstbearbeiter der Emar-Texte, und Dominique Beyer, zuständig für die Siegelungen, erkannten das Vorhandensein von zwei verschiedenen Schreibtraditionen, für die sich die Bezeichnungen „syrisch“ und „syro-hethitisch“ eingebürgert haben. Das letztgenannte Schreibsystem steht zweifellos mit der hethitischen Machtübernahme in Verbindung (s.u. 4.). Die Unterschiede zur syrischen Lokaltradition liegen im bevorzugten Tafelformat und in der Siegelungspraxis, vornehmlich aber in den Zeichen- und Sprachformen sowie in bestimmten Rechtsklauseln (Ikeda 1999; Démare-Lafont 2010).

Obgleich von Anfang an klar war, dass die syrische Tradition älter als die syro-hethitische war, wurden die jeweiligen Texte grundsätzlich als zeitgleich betrachtet. Rezente Untersuchungen (Di Filippo 2008; ferner Cohen / d’Alfonso 2008) haben jedoch wahrscheinlich gemacht, dass die syro-hethitische Konvention nach einer gewissen Überlappungszeit die syrische ablöste, so dass für das Corpus nunmehr eine Zeitspanne zwischen dem zweiten Drittel des 14. und dem frühen 12. Jh. v. Chr. veranschlagt wird, die zugleich die letzte Phase der Stadtgeschichte darstellt.

4. Geschichte (B.F.)

Im Gegensatz zu seiner handelsgeographischen Bedeutung (s.o. 1. und 3.) war Emar nie das Zentrum einer politisch-militärischen Macht mit regionalem oder überregionalem Gewicht. Die ältesten historischen Nachrichten aus den Emar-Texten (den sog. arana-Dokumenten) sind nach dem gegenwärtigen Forschungsstand dahingehend zu interpretieren, dass die Stadt in der ersten Hälfte des 14. Jh.s v. Chr. Tributzahlungen an das → Mitanni-Reich entrichten musste (Skaist 1998a und 1998b). Die Syrien-Feldzüge des hethitischen Königs Suppiluliuma I. (ca. 1345-1320 v. Chr.) führten in der zweiten Hälfte des 14. Jh.s zur Unterwerfung des Mitanni-Reiches und der nordsyrischen Territorien. Die meisten unterworfenen Länder, darunter Mitanni, Ugarit, Amurru und Nuchašše, wurden mittels Verträgen (sog. Vasallenverträgen) unmittelbar an den hethitischen König gebunden. In Aleppo (Ḥalab) und Karkemisch wurden außerdem Nebenlinien der hethitischen Königsfamilie (sog. Sekundogenituren) eingesetzt (Mora 2010). Das Land Aštata, zu dem Emar gehörte, wurde Karkemisch direkt unterstellt. Diese politische Abhängigkeit wird aber erst unter Ini-Teššup, dem dritten König der Sekundogenitur Karkemisch, der um die Mitte des 13. Jh.s v. Chr. regierte, deutlich erkennbar, als Vertreter der karkemisischen Verwaltung vermehrt in den Emar-Texten auftreten. An erster Stelle sind die Söhne des Königs (DUMU LUGAL) zu nennen, denen der Aufseher des Landes (UGULA KALAM.MA) samt einer Schar von Schreibern unterstellt waren (Beckman 1995). Militäreinheiten aus Karkemisch scheinen in Emar nicht stationiert gewesen zu sein, sondern in der nahe gelegenen Festung des heutigen Tell Faq‘us.

Die Hethiter scheinen ihre Beziehungen zu den Einwohnern von Emar nicht primär über die lokale politische Elite aufgebaut zu haben, sondern über eine Gelehrtenfamilie, deren „Spezialgebiet“ die Vorzeichenkunde (→ Divination, Alter Orient; → Divination, AT) war, welche eine hohe Stellung in der damaligen Gelehrtentradition genoss (s.u. 7.2. sowie Yamada 1998 und 2006).

Das Ende der Stadt Emar fällt mit dem Niedergang des hethitischen Reiches zusammen. Die schriftlichen Nachrichten brechen im zweiten Drittel des 12. Jh.s v. Chr. ab und die Siedlung wird aufgegeben. Erst in byzantinischer Zeit wird der Ort unter dem Namen Barbalissos neu besiedelt. In islamischer Zeit heißt die Stadt Bālis.

5. Politische Organisation (B.F.)

Die politische Struktur der Stadt Emar gründete auf dem Prinzip der traditionellen Kollegialität (Max Weber). Die monarchische Autorität war durch kommunale Institutionen, insbesondere durch den Ältestenrat der Stadt Emar, der vermutlich aus Mitgliedern der wichtigsten Familien bestand, beschränkt. Zudem ist ein König nicht für alle Perioden belegt.

Für das 14. und 13. Jh. sind in den Emar-Texten zwei Herrscherfamilien belegt. Die ältere, sog. Familie des Ir’ib-Ba‘l ist mitannizeitlich, während die zweite, besser bezeugte Familie zumindest größtenteils nachhethitisch ist. Folgende Mitglieder sind als Könige (LUGAL) belegt: Jāṣi-Dagān, Ba‘l-kabar I., Pilsu-Dagān, Zū-Aštarti, Elli, Ba‘l-kabar II. Der Dynastiewechsel wird gegenwärtig entweder im Zusammenhang mit der hethitischen Expansion in Syrien gesehen, wobei der Zeitpunkt unterschiedlich angesetzt wird (Cohen / d’Alfonso 2008, 21: Suppiluliuma I., Pruzsinszky 2008, 65-69.77: Murschili II.), oder schon früher datiert (Di Filippo 2008, 57-64). Bislang unklar ist auch, wie lange diese Familie in Emar herrschte. Nach den neuen chronologischen Untersuchungen (Di Filippo 2008, ferner Cohen / d’Alfonso 2008) dürfte ihre Herrschaft während der Regierungszeit des Ini-Teššup von Karkemisch geendet haben (als Folge der Abschaffung des lokalen Königtums durch die Hethiter?).

Der Einfluss des Königs von Emar sowohl im religiösen als auch im politischen und wirtschaftlichen Leben der Stadt war begrenzt (Fleming 1992b; Démare-Lafont 2008). Er dürfte eher ein primus inter pares gewesen sein. Besonders eingeschränkt wurde seine Macht durch die Stadt als kommunale Autorität, deren Sprecher und Vertreter die Ältesten von Emar waren (Faist 2012). Städtische und königliche Autorität stellten teilweise zusammenwirkende, teilweise konkurrierende Kräfte in der Gesellschaft dar. Die Könige der sog. zweiten Dynastie scheinen dabei eine stärkere Position gehabt zu haben als ihre Vorfahren der ersten Dynastie.

6. Wirtschaft und Gesellschaft (B.F.)

Emar war eine ummauerte Stadt. Nach den Angaben der Texte hatte die spätbronzezeitliche Stadtanlage sechs Stadttore, ein hierarchisches Straßennetz, einen (zentralen) Marktplatz, zahlreiche Tempel mit Magazinen, Kapellen, Gärten und Höfen, einen Palast, ein Gefängnis, Wohnhäuser sowie andere Gebäude, z.B. Werkstätten und Speicher (Belmonte Marín 2004). Auf einem natürlichen Hügel im Südwesten, dem höchstgelegenen Teil der Stadt, wurden zwei Heiligtümer ausgegraben (Tempel des Baal und sog. Tempel der Astarte), die das Stadtbild stark geprägt haben dürften.

Die Stadt besaß einen Hafen und ein agrarisches Hinterland mit mehreren Dörfern oder Weilern (Mori 2003; Reculeau 2008). Neben Feldern (hauptsächlich für den Anbau von Gerste) und Weideflächen (vornehmlich für Schafe, Ziegen und Rinder) gab es eine üppig bewaldete Uferlandschaft, die heute nicht mehr existiert (Pappeln, Tamarisken, Eschen, Ulmen, Holunder). Die meisten Felder lagen im Flusstal; manche von ihnen befanden sich auf dem jenseitigen Euphratufer. Obst- und Gemüsegärten lagen in unmittelbarer Nähe zu der Stadt. Weinbau wurde an verschiedenen Orten des Tales betrieben und setzt Bewässerungsfeldbau voraus, der in kleinräumigem Maßstab (d.h. durch lokale Wasserstellen wie z.B. Brunnen) praktiziert wurde. Neben privatem (individuell oder familiär) gab es auch kommunalen Grundbesitz (Beckman 1997). Er umfasste neben landwirtschaftlichen Feldern auch unbebaute Flächen in der Stadt und wurde durch die Stadt, verkörpert durch den Gott NIN.URTA (s.u. 7.1.) und den Stadtältesten verwaltet. Ob auch die Tempel Landbesitzer waren, ist den Quellen nicht eindeutig zu entnehmen.

Inwiefern sich die lokale Elite am Handel beteiligte, der eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Stadt spielte (s. 3.), geht aus den Emar-Texten nicht hervor. Die Handelstätigkeit hat hier nur vereinzelt Niederschlag gefunden. Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass verschiedene Gewichtsteine bei den Transaktionen in Gebrauch waren. Neben dem Gewichtstein der Stadt Emar sind Gewichtsteine des Hafens, ein großer / schwerer Gewichtstein des Landes Subarû (Nuḫašše?) sowie Gewichtsteine des Landes Amurru schriftlich belegt.

Eine Familie umfasste mindestens zwei Generationen und bestand aus einem Mann, seiner Frau (oder Frauen), den unverheirateten Söhnen und Töchtern, den verheirateten Söhnen samt Frau und Kindern und einer kleinen Anzahl von Sklaven (meist Schuldsklaven). Gelegentlich konnten auch andere Familienmitglieder dazu gehören, wie z.B. die Brüder des Vaters. Die Familie bewohnte ein Haus oder mehrere benachbarte Häuser (s.o. 2.6.2.).

Die Anwesenheit der sog. Brüder (durch die Schreibweise LÚ.MEŠAḪ.ḪI.A eindeutig von den leiblichen Brüdern, ŠEŠ.MEŠ, unterschieden) bei bestimmten Rechtsakten (Aufsetzen eines Testaments, Immobilienkäufe, Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten) wurde allgemein als Relikt einer (nomadischen) Stammesgesellschaft gedeutet. Neuen Untersuchungen zufolge (Solans, Dissertation, ferner Démare-Lafont 2012) bildeten die „Brüder“ soziale Verbände, die auf kulturellen und ökonomischen, vielleicht auch nachbarschaftlichen Verbindungen beruhten und deren Mitglieder sich als Gleichgestellte betrachteten. Es handelt sich um eine Institution, die sich zwischen der familiären und der städtischen Ebene befindet und bislang nur im Bereich des Mittleren Euphrats belegt ist (neben Emar, auch Ekalte und Azû).

Wie allgemein im Alten Orient war auch in Emar die Gesellschaft patriarchalisch organisiert (Beckman 1996). Der Vater war das Familienoberhaupt: Er verfügte über den Familienbesitz und konnte seine Frau und seine unverheirateten Kinder verkaufen. Durch testamentarische Verfügung konnte jedoch ein Mann seine Frau (in seltenen Fällen auch seine Tochter oder seine Mutter) als Familienoberhaupt im Fall seines Todes bestimmen und auf diese Weise ihre soziale Stellung gegenüber anderen Familienmitgliedern, insbesondere seinen Brüdern stärken. Dies bedurfte aber einer juristischen Bestimmung, durch welche die Frau zu „Vater und Mutter“ (gelegentlich zum „Vater“) gemacht wurde. Es handelt sich hierbei um ein besonders Phänomen, das bislang nur noch in → Nuzi und im altassyrischen Material aus Anatolien belegt ist (Justel 2008, 156-162).

Abstammung und Erbschaft folgten dem patrilinearen Prinzip. Das Familienvermögen erbten die männlichen Mitglieder, zunächst die Söhne (wobei der ältere Sohn in der Regel einen Vorzugsanteil bekam) und, falls keine (mehr) vorhanden waren, die Enkelsöhne oder die Brüder des Verstorbenen. Die meisten Töchter bekamen eine Mitgift bei ihrer Heirat (in der Regel Mobilien) und verließen das väterliche Haus. Wie bei der Ehefrau bestand aber die Möglichkeit, durch testamentarische Verfügung vom geschilderten Gewohnheitsrecht abzuweichen (Justel 2008, 144-147.156-167). Eine Tochter (ausnahmsweise auch die Ehefrau) konnte als Erbin eingesetzt werden, entweder zusammen mit ihren Brüdern oder als Haupterbin. Im letzten Fall war erneut eine juristische Bestimmung erforderlich, durch welche die Tochter zu „Frau und Mann“ (alternativ zum „Sohn“) gemacht wurde. Die Notwendigkeit dieser Klausel bestand nicht zuletzt darin, dass sie als Haupterbin für den Ahnenkult verantwortlich (s. 7.4.) und dieser eine Pflicht der männlichen Nachkommenschaft war. In solchen Situationen besaß also die Tochter zwei Geschlechter: ein weibliches biologisches Geschlecht (sex) und ein männliches soziales Geschlecht (gender, Lion 2009).

Die Heirat war grundsätzlich ein Abkommen zwischen zwei Familienoberhäuptern, das die Entrichtung eines Brautpreises an die Familie der Braut mit einschloss (Justel 2008, 35-101). Verwitwete und geschiedene Frauen konnten indes im eigenen Namen handeln. Die meisten Ehen waren monogam. Polygamie setzte in der Regel die Unfruchtbarkeit der ersten Frau voraus. Ein frisch verheiratetes Ehepaar wohnte normalerweise bei der Familie des Ehemannes. Doch auch hier gab es Abweichungen von dem traditionellen Muster, z.B. wenn ein Mann von seinem künftigen Schwiegervater adoptiert wurde.

Adoptionen kommen im Emar-Corpus verhältnismäßig häufig vor und betreffen hauptsächlich männliche Erwachsene (Bellotto 2008 und 2009). Sie konnten von Männern und (weniger häufig) von Frauen vorgenommen werden. Die wichtigsten Pflichten der Adoptierten waren die Verehrung (palāḫu) und (Alters)versorgung (wabālu) der Adoptierenden. Dafür erhielten sie verschiedene Gegenleistungen, wie z.B. eine Erbschaft, die Befreiung von Schulden oder die Freilassung. Adoptionen wurden nicht nur dann vorgenommen, wenn die Adoptierenden keinen eigenen biologischen Nachwuchs hatten. In den meisten Fällen handelt es sich indes um die bereits erwähnte Adoption eines Mannes, manchmal ein Schuldner des Adoptierenden, der anschließend mit dessen Tochter verheiratet wird. Dabei scheint die durch die Adoption entstandene Verwandtschaft zwischen dem Ehemann und seiner Frau, die gleichzeitig Geschwister waren, kein Problem dargestellt zu haben. Es folgen zahlenmäßig Fälle, in denen sich der Adoptierte oder dessen Familie in einer ökonomischen Notlage befinden. Ein Mann kann ferner eine Person oder einen Sklaven adoptieren, der sich um seine Frau und seinen Sohn kümmern soll. Er kann die Söhne seiner neuen Frau adoptieren, damit diese ihn beerben. Er kann ein Mädchen adoptieren, um sie dann mit einem Verwandten oder einem Dritten zu verheiraten. Er kann schließlich seinen Gläubiger adoptieren, der auf diese Weise Recht auf das Erbe des Adoptierenden erhält.

7. Religion (B.F.)

7.1. Pantheon

In den Emar-Texten sind über hundert Götternamen und mindestens dreizehn Gotteshäuser belegt (Beckman 2002 und 2008). Archäologisch sind drei Heiligtümer identifiziert worden, deren Grundrisse dem in Nordsyrien lange üblichen Schema des Antentempels folgen (s.o. 2.6.1.1. und 2.6.1.2.). Zwei befinden sich an prominenter Stelle, einem natürlichen Hügel im Südwesten der Stadt, der dritte liegt östlich davon in der sog. Unterstadt. Das südliche Gebäude auf dem Hügel kann aufgrund der dort gefundenen Tontafeln zweifellos als Tempel des → Wettergottes Baal (→ Ba‘lu) betrachtet werden. Der nördliche Tempel wurde von den französischen Ausgräbern der Göttin → Astarte, die in der kanaanäischen Mythologie oft als Ehefrau des Baal angesehen wird, zugewiesen, obwohl das Textmaterial diesbezüglich keine sicheren Aussagen ermöglicht.

Das Gebäude in der Unterstadt, bekannt als Tempel M2, enthielt eine Perle, die dem (mesopotamischen) Gott Papsukkal geweiht wurde, was aber nicht zwangsläufig einen Hinweis auf die Identität der Tempelgottheit darstellt.

Die Gesamtheit der in Emar verehrten Gottheiten wird in den Ritualtexten mit den Ausdrücken „alle Götter von Emar“ oder, seltener, „alle siebzig Götter des Landes Emar“ bezeichnet. Wie im ganzen Bereich des Mittleren Euphrats stand der Korn- und Erntegott Dagān (→ Dagon) an der Spitze des Pantheons. Gefolgt wurde er in der Götterhierarchie von dem Wettergott Baal. Seine Gemahlin im Kult ist – wie in dem bedeutenden religiösen Zentrum Aleppo (Ḥalab) – die Göttin Hebat.

Emar 22

Der Stadtgott von Emar wird stets mit dem sumerischen Götternamen NIN.URTA bezeichnet. Die Tatsache, dass NIN.URTA als theophores Element in den Personennamen nie vorkommt, weist darauf hin, dass es sich um eine logographische Schreibung handelt. Es wurden mehrere Vorschläge in Bezug auf die Gottheit, die sich dahinter verbirgt, geäußert. Eine neue Lesung der Inschrift, die sich auf dem Siegel des Stadtgottes befindet, identifiziert diesen mit Rašap (→ Reschef), dem Sohn des Dagān (Durand 2005b). Seine kriegerische Natur könnte die Wahl der ideographischen Schreibung erklären und wird zudem von dem Siegelbild, das einen jungen Krieger darstellt, bestätigt (Beyer 2001, 206-207).

Zwischen der Stadt und ihrem Schutzpatron gab es eine enge Beziehung, die sich besonders darin äußert, dass das Siegel des Gottes NIN.URTA zugleich das Siegel der Stadt ist (Faist 2012). Vermutlich befand sich im NIN.URTA-Tempel (noch nicht lokalisiert) die Schatzkammer der Stadt und die Versammlungen der Ältesten könnten dort stattgefunden haben.

Weitere wichtige Gottheiten waren NIN.KUR (ideographische Schreibung parallel zu NIN.URTA), Nergal, Ea, der Mondgott, der Sonnengott, Astarte und Išḫara. Daneben gab es Fluss- (Balīḫā), Berg- (Ṣuparātu, Šinapši) und, nach einem neuen Vorschlag (Durand 2005a, 51), auch Baumgottheiten (Šaššabittu). Die meisten Götter treten in verschiedenen Erscheinungsformen auf, so z.B. Nergal als Herr des Marktes oder als Herr der Hörner. Einige Götter aus benachbarten Städten wurden ebenfalls verehrt, wie der Dagān von Tuttul oder die NIN.KUR von Uru. Die im sog. Temple du Devin gefundene Gruppe von Texten, die von D. Arnaud mit „rituels anatoliens“ überschrieben wurde, zeugt lediglich von der Pflicht, Abgaben für den Kult hethitischer Gottheiten und ihr Personal zu leisten. Nichts weist darauf hin, dass sich diese Gottheiten in Emar befanden (Prechel 2008).

Die Götter wurden in verschiedenen Formen dargestellt: in menschlicher Gestalt (als Statuen), als Emblem in der Form einer „Waffe“ (GIŠTUKUL) bzw. „Axt“ (ḫaṣinnu) oder als Stele (sikkanu; → Mazzebe). Der Kult von aufrecht stehenden Steinen war ein verbreitetes Phänomen im vorderasiatischen Raum (Hutter 1993). Sie wurden zum Teil als „Götterwohnungen“ beschrieben. Dieser Aspekt spiegelt sich im griechischen Terminus Baityloi (verdeutscht Betyle) wider, der heute gerne in der Forschung verwendet wird. Während Götterstatuen immer und die Betyle gelegentlich (Betyl der Hebat, Betyl des NIN.URTA) individualisiert erscheinen, werden die Götterembleme mit keiner bestimmten Göttergestalt in Verbindung gebracht.

Der Begriff sikkanu hat in Emar zwei unterschiedliche Bedeutungen. In den Ritualtexten sind Betyle gemeint, d.h. aufrecht stehende Steine, die mit den Gottheiten, denen sie zugeteilt sind, identifiziert werden und Opferrationen erhalten (ähnlich den Masseben im Alten Testament). In der Fluchformel von Rechtsurkunden, die sich gegen denjenigen richtet, der den Wortlaut des Vertrags ändert, handelt es sich vielmehr um einen Grabstein, den der Verfluchte, nachdem die Götter seine Nachkommenschaft vernichtet haben, seinem eigenen Andenken errichten möge (Durand 2005a, 26-32).

Die Šaššabittu sind eindeutig Kultobjekte, die transportiert werden können. Wenn die Deutung des Begriffes als „Baumgottheiten“ zutrifft, könnte es sich um (verhältnismäßig dünne) Baumstämme (harten Holzes) wie die der Schwarz-Pappel handeln. Sie wurden mit den Ascherot in Verbindung gebracht (Durand 2005a, 51).

7.2. Kult

Die Informationen zum Götterkult in Emar stammen fast ausschließlich aus der Tafelsammlung einer Gelehrtenfamilie (s.o. 3.) und betreffen Rituale und Feste, an denen sich diese Gelehrten in irgendeiner Form beteiligten (s.u. 7.3.). Abgesehen von Tempelinventaren, Götter- und Opferlisten sind einzelne Festbeschreibungen sowie kalendarische Darstellungen der Kulthandlungen in einem oder mehreren Monaten („Kultkalender“) überliefert (Fleming 1997).

Rituale und Feste zeigen mehr oder weniger folgendes Grundmuster: eine von Musikanten begleitete Prozession von Menschen und Götter(bildern und / oder -emblemen), eine Opferdarbringung (Brot, Fleisch, Wein, Bier, Öl u.a.) und manchmal ein Festmahl der Opfergemeinschaft. Die Veranstaltungen hatten einen stark gemeinschaftlichen Charakter (Fleming 1996), sowohl angesichts der Teilnehmer (Kultpersonal, König, Älteste von Emar, Stadtbevölkerung) als auch der Opferspender (Stadt, Palast, „Haus der Götter“ u.a.) und der Schauplätze (Tempel, offene Plätze).

Die kalendarischen Darstellungen sind durch etliche Tafelfragmente vertreten (Fleming 2000). Am besten erhalten sind zwei Texte. Der eine bezieht sich auf kultische Ereignisse, die im Laufe von sechs Monaten, zwischen Herbst und Frühling stattfanden (Arnaud 1985-1987, Nr. 446); der andere betrifft den Monat Abû („Allerseelenfest“, Arnaud 1985-1987, Nr. 452). Besonders hervorzuheben ist hier die Opferdarbringung an oder in Gruben (abû). Sie befanden sich in verschiedenen Tempeln (aber auch im Palast) und waren wahrscheinlich mit nekromantischen Praktiken verbunden (wie hebr. ’ōv, Loretz 2002; Minunno 2009). Das dargebrachte Opfer (darunter Brotspeise, Bier, Wein, Honig, Öl, Vögel, Schaf, Rind, Gazelle, Fisch, Früchte) sollte die Totengeister zwecks Befragung aus der Unterwelt hochlocken.

Die einzelnen Festbeschreibungen sind teilweise in mehreren Exemplaren (oder Ausführungen) überliefert. Zwei Feste (EZEN) fanden in regelmäßigen Abständen statt (zukru und kissu), zwei weitere anlässlich der Einsetzung einer Priesterin (NIN.DINGIR und maš’artu). Das zukru war ursprünglich ein im Herbst bei Vollmond begangenes (Neujahrs-?)Fest des Gottes Dagān (→ Dagon), das später zu einem Fest größeren Formats umgestaltet und alle sieben Jahre gefeiert wurde (Arnaud 1985-1987, Nr. 373; Fleming 2000). Im Verlauf der sieben Festtage wurden u.a. 700 Lämmer und 50 Kälber für das gesamte Stadtpantheon geopfert (Schlachtopfer). Singulär ist die (wiederholte) Durchführung eines Brandopfers, bei dem ein Mutterschaf, Getränke und eine Brotspeise verbrannt wurden. Das zentrale Ereignis der Feierlichkeiten war die Prozession des Dagān begleitet von allen Göttern und den Šaššabittu (s.o. 7.1.) zu dem „Tor (Bezirk?) der Betyle“ (s.o. 7.1.), das außerhalb der Stadt lag. Dieser Festzug fand mit kleinen Abweichungen am ersten und siebten Tag (sowie einmal während der „Ankündigungsfeier“ im Jahr davor) statt. Nach einem aufwendigen Opferritual und der anschließenden Festmahlzeit wurden die Betyle mit Fett und Blut eingerieben. Am späten Nachmittag durchquerte der Prozessionswagen des Dagān den Bezirk der Betyle und gelangte zum Stadtgott NIN.URTA, der mit ihm in die Stadt zurückfuhr, wo an einem Stadttor noch eine kleine Opferrunde stattfand.

Das als kissu bezeichnete Fest besteht grundsätzlich aus einer Reihe von Opferriten für eine bestimmte Gottheit. Belegt ist das kissu-Fest für Dagān, EREŠ.KI.GAL (Lesung unbekannt), Ea, für das Paar Išḫara-NIN.URTA und für NIN.KUR (Arnaud 1985-1987, Nr. 385-388). In den ersten beiden Fällen fand es nicht in Emar, sondern in der benachbarten Stadt Šatappu (genaue Lage unbekannt) statt.

Die Einsetzung der NIN.DINGIR-Priesterin (vermutlich ittu zu lesen und als Variante des akkadischen Wortes entu zu betrachten) und die der maš’artu-Priesterin gaben Anlass zu einer mehrtägigen Feier. Am besten erhalten ist das Ritual zur Einsetzung der NIN.DINGIR, Priesterin des Wettergottes Baal (→ Ba‘lu), die einen höhen Rang als die maš’artu besaß (Dietrich 1989; Fleming 1992). Im Vergleich zu Mesopotamien fällt besonders auf, dass der Zugang zum Priesteramt nicht restriktiv war. Die Kandidatin sollte Tochter irgendeines „Sohnes von Emar“ sein. Am ersten Tag wurde sie durch Losverfahren bestätigt und mit Öl gesalbt. Am zweiten Tag erfolgte die Schur ihres Haupthaares „am Toreingang zum Hof“ des Baal-Tempels und vor Einbruch der Nacht fand ihre „Inthronisation“ statt. An den folgenden sieben Tagen nahm die neue Priesterin an Prozessionen, Opferdarbringungen und Festmahlen teil, bis sie am letzten Tag das Elternhaus verließ und in das Haus des Wettergottes „wie eine Braut“ geführt wurde. Bevor sie sich dort in das Bett hinlegte, wusch ihre Schwester ihre Füße. Die Riten enthalten zwar Elemente einer Hochzeitsfeier, sind aber frei von jeder Anspielung auf eine sexuelle Vereinigung zwischen der Priesterin und dem Gott.

7.3. Kultpersonal

Am besten bezeugt unter dem Kultpersonal ist eine Familie von Gelehrten, die in der Unterstadt von Emar ihren Wohnsitz hatte (s.o. 3.). Nach dem Vertreter der ersten Generation wird sie häufig als „Familie des Zū-Ba‘la“ bezeichnet (Cohen 2009, 147-183). Insgesamt sind vier Generationen belegt, wobei die dritte (Šaggar-abu und Ba‘l-mālik, beide Söhne des Ba‘l-qarrād) am besten bezeugt ist. Ihrer Berufsbezeichnung zufolge (LÚḪAL, meist als „Wahrsager“ übersetzt) waren sie vor allem Spezialisten in der Vorzeichenkunst („Omenkunde“). Der Titel „Zeichendeuter der Götter von Emar“, der für mehrere Familienmitglieder nachweisbar ist, bringt ihre hohe Stellung in der Gesellschaft zum Ausdruck und grenzt sie gleichzeitig von den anderen Vertretern ihres Berufes ab. Darüber hinaus betätigten sie sich auch auf anderen Feldern. Als Lehrer der sog. syro-hethitischen Schreibtradition bildeten sie Schreiber aus. Sie waren an wichtigen Festen und Ritualen der Stadt beteiligt, sowohl an deren Organisation und Durchführung als auch als Kultteilnehmer und Opferspender. Vermutlich ist das „Haus der Götter“, das als Lieferant von Opfermaterie in den Texten erwähnt wird, mit dem Haus dieser Familie identisch (Fleming 2000, 36-38). Sie waren schließlich bei der Kultversorgung und Verwaltung der Tempel involviert und übten vor allem die Funktion eines Tempelaufsehers aus (Faist 2008). Dies scheint mit ihrer engen Verbindung zu den hethitischen Machthabern zusammengehangen zu haben (die regelmäßige Kontrolle von Tempelbesitz stellte eine wichtige Aufgabe hethitischer Amtsträger dar).

Die Funktionen der als SANGA bezeichneten Tempelangehörigen sind in den Texten nur unzulänglich beschrieben. Vermutlich übten sie (vorwiegend) priesterliche Funktionen aus. Dennoch scheinen zumindest einige Priester (vielleicht die der kleineren Tempel) auch Verwaltungsaufgaben übernommen zu haben. Neben den männlichen Kultversorgern gab es auch Priesterinnen. Aus den Texten sind die Priesterin des Wettergottes → Ba‘lu (NIN.DINGIR) und die Priesterin der durch ihre kriegerischen Züge hervortretenden Göttin Astarte (maš’artu) bekannt. In beiden Fällen ist das entsprechende Einsetzungsritual überliefert (s.o. 7.2.).

Weitere Mitglieder des Kultpersonals waren u.a. der Schlachter (zābiḫu), der Träger von Götter(bildern oder -emblemen) (wābil ilai), der Sänger (zammāru), die Klagefrau (nugagtu) und der Prophet (nābû), dessen Bezeichnung in den Emar-Texten der geläufigen Form in der hebräischen Bibel entspricht (Fleming 1993). Neben männlichen sind für Emar auch weibliche Propheten bezeugt (munabbiātu); → Prophetie, Alter Orient.

7.4. Ahnenkult

Personennamen enthalten sehr oft theophore Elemente (Pruzsinszky 2003), so dass die Verehrung von Göttern eine wichtige Rolle im Hauskult gespielt haben dürfte. Dennoch spiegelt sich dies selten in den Emar-Texten wider. Lediglich der Ahnenkult ist mehr oder weniger gut bezeugt (van der Toorn 1994; → Totenkult [Israel]; → Totenkult [Alter Orient]). Der Ahnenkult war Pflicht des Haupterben, der in der Regel der älteste Sohn war (für die Tochter als Haupterbin s.o. 6.).

Die Ahnen werden in den Texten als „Götter“ (aufgrund ihres postmortalen Charakters) bzw. mit dem Hendiadyoin „die / meine Götter und die / meine Toten“ bezeichnet. Der Kult wird nur allgemein beschrieben und weist klare Parallelen zur Praxis in → Nuzi auf. Kern der Kulthandlungen waren die Anrufung der Ahnen und ihre Versorgung durch (Trank- und Speise-)Opfer. Möglicherweise waren die Ahnen durch Statuetten vertreten, die mit den → Terafim der hebräischen Bibel in Verbindung gebracht wurden (Loretz 1992; van der Toorn 1990). Denkbar wären auch Gesichtsmasken, die in einigen Häusern gefunden worden sind (Caubet in Beyer 1982, 109-110). Aus Testamenten ist bekannt, dass die Ahnen bei der Erbteilung im „Haupthaus“ blieben, das dem Haupterben zugesprochen wurde. Die aus den Ausgrabungen bekannten Turm- und Hausmodelle aus Ton könnten zu den Kultgegenständen gehört haben (etwa jeweils als Brand- oder Libationsaltar und als Replik des erwähnten „Haupthauses“, wenn die Familie aus Not oder Platzmangel ausziehen musste und die Ahnenfigurinen einen neuen Verbleib erhielten).

8. Emar und das Alte Testament (S.K.)

Die Stadt Emar wird im Alten Testament nicht erwähnt. Es kann auch keine direkten Kontakte mit Israel gegeben haben, da Emar ab ca. 1150 v. Chr. verlassen war und erst in der byzantinischen Zeit wieder besiedelt wurde (s.o. 2.).

Allerdings bezeugt Emar kulturgeschichtliche und religionsgeschichtliche Gegebenheiten der spätbronzezeitlichen Lebenswelt Syriens bzw. Obermesopotamiens, die auch für das Alte Testament interessant sind.

8.1. Obwohl es offensichtlich schon im 3. Jt. v. Chr. ein Königtum in Emar gab und auch wenn durch die mitannische und dann die hethitische Oberherrschaft besondere Gegebenheiten herrschten, war es offensichtlich doch so, dass die Oberschicht der Stadt gegenüber dem König eine wesentliche Rolle spielte. Das zeigt sich indirekt auch daran, dass der König von Emar im Ritual der großen Feste kaum eine Rolle spielte, sondern in erster Linie (nur) als Spender von Opfergaben in Erscheinung trat. Diese besondere Rolle der Stadtoberen wurde in der früheren Forschung auf noch vorhandene seminomadische Einflüsse zurückgeführt (vgl. Arnaud 1980; Fleming 1992b). Demgegenüber wird darauf hingewiesen, dass inzwischen eine schon im 3. Jt. einsetzende, mehr als 1200 Jahre dauernde städtische Geschichte Emars nachgewiesen ist, während der sich diese oligarchische Struktur von Stadtoberen (zeitweise auch ohne Königtum) durchhielt. Zudem wird in der neueren Forschung im Blick auf die mesopotamischen Städte generell stärker auf die Rolle von Stadtoberen neben dem König oder Stadtfürsten geachtet (Seri 2005; Faist 2012). Die Gegebenheiten in Emar sind damit kein Sonderfall, aber doch besonders deutlich ausgeprägt. Immerhin ist es interessant, dass im Alten Testament in Ri 9 für Sichem ebenfalls eine besondere Rolle der städtischen Oligarchie (Stadtobersten / Stadtfürsten) im Nebeneinander bzw. Gegeneinander von „Herren der Stadt“ und (gescheitertem) Königtum beschrieben wird.

8.2. Die Texte von Emar zeigen die große Bedeutung des Ahnenkultes (van der Toorn 1990 und 1994; Loretz 1992; → Totenkult) und der Divination (Wahrsagerei und Vorzeichendeutung bis hin zur Totenbefragung; → Divination, Alter Orient; → Divination, AT), wie sie im mesopotamischen und syrischen Raum insgesamt bestand und wie sie auch für das alte Israel anzunehmen ist und gegen die die Propheten aber auch die alttestamentlichen Gesetze ankämpfen.

8.3. Von spezifischer Bedeutung ist, dass in Emar die siebentägige Dauer von religiösen Festen bezeugt ist. Auch wenn die alttestamentlichen Texte, die die siebentägige Dauer von Festen bezeugen bzw. anordnen, relativ jung sind (vor allem → Priesterschrift, 6.Jh.), so sind die Gegebenheiten in Emar doch ein Hinweis darauf, dass es auch im Israel der Königszeit oder in vorstaatlicher Zeit schon die siebentätige Dauer von Festen gegeben haben kann (Fleming 2000).

8.4. Ebenfalls interessant ist der Festkalender von Emar insofern, als es dort ein halbes Jahr (bzw. 7 Monate) mit Festen und die andere Zeit ohne Feste gibt, wobei das Herbstfest und das Frühjahrsfest die bedeutendsten sind, nur dass in Emar die übrigen Feste zwischen Herbstfest und Frühjahrsfest liegen, im Alten Israel dagegen zwischen Frühjahrs- und Herbstfest. (Fleming 2000).

8.5. Von besonderem Interesse ist die in Emar bezeugte Salbung der Hohepriesterin bei ihrer Amtseinführung (Dietrich 1989; Fleming 1992a). Während man bisher in der alttestamentlichen Forschung die Meinung vertrat, dass die Salbung des Hohepriesters in Israel erst in nachexilischer Zeit von der älteren Königssalbung auf den Hohepriester (der nach dem Ende des Königtums auch obrigkeitliche Funktion hatte) übertragen wurde, zeigt die Salbung der Hohepriesterin in Emar, dass in der Umwelt des Alten Testaments die Salbung von Priestern auch schon in älterer Zeit üblich war. Das spricht dafür, dass auch in Israel die Priestersalbung nicht erst in der nachexilischen Zeit entstanden sein wird, sondern auch schon in der Königszeit geübt worden sein kann. Diese Beobachtung ändert zwar nicht das Alter der betreffenden Texte (vor allem Priesterschrift und Ergänzungen, 6./5. Jh. v. Chr.), zeigt aber, dass sie ältere Traditionen widerspiegeln (Kreuzer 2002).

Literaturverzeichnis

Eine nach Themen gegliederte Bibliographie der Emar-Studien erscheint seit 2001 in Ugarit-Forschungen (B. Faist / J.-J. Justel / J.-P. Vita, UF 35, 2003, 191-230; UF 37, 2005, 329-340; UF 39, 2007, 141-160; UF 41, 2009, 181-191). Sie enthält auch alle Textpublikationen und einen speziellen Punkt „Emar und das Alte Testament“. Auch im Internet unter: http://www.propylaeum.de/altorientalistik/themenportale/emar-meskene-syrien/literatur/. Aus diesem Grund werden hier nur einige ausgewählte (jüngere) Literaturangaben gemacht.

1. Lexikonartikel

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2. Texteditionen

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3. Weitere Literatur

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4. Digitale Informationen im Internet

Abbildungsverzeichnis

  • Landkarte zur Lage von Emar. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Blick auf Emar / Barbalissos. © Siegfried Kreuzer, 2008
  • Emar und Barbalissos / Bālis. Topographischer Gesamtplan mit den jetzt überschwemmten Bereichen. © Grabungsprojekt Emar
  • Die Ruinen von Emar von Süden. Von links nach rechts: Tempelbezirk, Oberstadt, Unterstadt und der NW-Turm der Stadtbefestigung von Barbalissos. © Uwe Finkbeiner, 2010
  • Emar und Barbalissos / Bālis. Topographischer Plan der über dem Wasserspiegel noch anstehenden Bereiche. © Grabungsprojekt Emar
  • Stratigraphische Tabelle der einzelnen Grabungsstellen in Emar (die Kennziffern P1 – P8 bezeichnen die den Schichten zugeordneten Radiokarbonanalysen). © Grabungsprojekt Emar
  • Schematischer Plan der Baureste der Frühbronzezeit IVB (EME 5), Räume I-XIV (rot) unter und neben dem Tempel des Baal (blau). © Grabungsprojekt Emar
  • Detailplan der Räume I und II in Planquadrat 60-64/49-52 (vgl. Abb. 7).
  • Frühbronzezeit IVB (EME 5): Anthropomorphe Terrakotten und – aus Räumen I und II unter dem Tempel des Baal – Dreifachschale mit Applikationen.
  • Oberstadt. Schematischer Plan der Bauschichten des 3. bis 2. Jt.s v. Chr.
  • Stadtmauer (Südabschnitt) mit Eckturm und Ausfallpforte der Mittelbronzezeit.
  • Stadtmauer (Nordabschnitt) der Mittelbronzezeit mit den Nutzungsphasen SM 1A-C des anschließenden Hofes.
  • Die restaurierte Stadtmauer der Mittelbronzezeit hinter dem sog. Tempel der Astarte und Blick nach Nordwesten auf den Stausee. © Uwe Finkbeiner, Herbst 2010
  • Oberstadt. Ostprofil der Tiefgrabung in Planquadrat 76/55. © Grabungsprojekt Emar
  • Schematischer Plan des Tempelbezirks der Spätbronzezeit im Südwesten der Stadt. © Grabungsprojekt Emar
  • Tempel des Baal. Schematischer Plan nach der Aufnahme 1998-2002. Bauphasen TB 1 (blau) und TB 2 (violett), Ergänzungen schraffiert. © Grabungsprojekt Emar
  • Der sog. Tempel der Astarte. Schematischer Plan nach der Aufnahme 1998 - 2002 (erhaltene Teile in blau, Ergänzungen schraffiert). © Grabungsprojekt Emar
  • Gesamtplan des „Archäologischen Parks Emar-Balis“ 2010. © Archäologischer Park Emar-Balis
  • Die sog. Prozessionsstraße zwischen den beiden restaurierten Tempeln für den Gott Baal (links) und vielleicht der Göttin Astarte (rechts). © Uwe Finkbeiner, Frühjahr 2010
  • Die restaurierten Tempel für den Gott Baal (im Hintergrund) und eventuell für die Göttin Astarte (rechts). Dazwischen der Beginn der sog. Prozessionsstraße. © Uwe Finkbeiner, Frühjahr 2010
  • Der restaurierte Tempel des Baal vom Tempelhof im Osten aus gesehen. © Uwe Finkbeiner, Herbst 2010
  • Der teilweise restaurierte Tempel des Gottes Baal von Südosten. Bleistiftzeichnung © Martin Wille

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