Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: April 2014)

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1. Belege und Name

Enosch (אֱנוֹשׁ ’änôš) ist nach Gen 4,26 und Gen 5,6-11 ein Sohn des Set und ein Enkel → Adams. In den priesterschriftlichen Toledot Adams in Gen 5 (→ Priesterschrift) wird Enosch im Alter von 90 Jahren (→ Septuaginta: 190) Vater des Kenan und erreicht das Alter von 905 Lebensjahren (Gen 5,9f.).

Die Bedeutung des Namens entspricht derjenigen des Großvaters: In überwiegend poetischen Texten gebraucht, bedeutet das hebräische אֱנוֹשׁ ’änôš Enosch wie אָדָם ’ādām Adam „Mensch“ bzw. „Menschheit“, wobei die Mehrzahl der Belege von אֱנוֹשׁ ’änôš den Aspekt der Sterblichkeit und Begrenztheit im Gegenüber zu Gott betonen (vgl. Ps 8,5).

2. Enosch in der Setitengenealogie

Nach Gen 4,25f. gehört Enosch zur Abstammungslinie der Setiten, die das positive Gegenüber zu den gewalttätigen Kainiten darstellen. Entsprechend wird mit Enosch der Beginn der Anrufung Jahwes verbunden (Gen 4,26b). Trägt der Enkel den Namen seines Großvaters Adam „Mensch“, so wird Enosch der Ahnherr der Menschheit, die der Linie Sets folgt und in Noah die Flut überlebt, während die Linie Kains nicht weiterbesteht. In diesem Sinne ist Enosch der neue Adam (Hess, 1993, 67).

Die literarhistorische Zuordnung der Setitengenealogie ist umstritten (→ Genealogie). Gewöhnlich zum Grundbestand der nicht-priesterschriftlichen (jahwistischen) Urgeschichte gerechnet, ist Gen 4,25f. in jüngerer Zeit wiederholt als nach-priesterschriftlicher Übergang von der Kainitengenealogie des nicht-priesterschriftlichen Erzählfadens zur Adam-Toledot beurteilt worden (Witte 1998, 61-65 und bereits Noth 1948, 12 Anm. 26). Die für diese Zuordnung vorgebrachten Argumente sind jedoch wenig aussagekräftig (1. Adam ist wie in Gen 5,1 Eigenname und nicht wie in der Paradieserzählung und in Gen 4,1 Gattungsbezeichnung („Mensch“); 2. die genalogischen Entsprechungen zu Gen 5 und der stimmige Textverlauf). Die Verwendung des Eigennamens „Adam“ erklärt sich aus dem Aufriss von Gen 4, wonach mit Adam-Set-Enosch eine zweite Abstammungslinie im Gegenüber zu den Nachkommen des Brudermörders Kain etabliert wird. Die Übereinstimmungen umfassen nicht nur Gen 5, sondern auch die Kainitengenealogie in Gen 4,17-23. Das spricht für die alte Annahme, dass in Gen 4 und Gen 5 zwei Varianten ein und derselben Genealogie vorliegen, die von der Redaktion geschickt arrangiert worden sind. Im nicht-priesterschriftlichen Erzählfaden dürfte sich an Gen 4,26f. eine Geburtsnotiz Noahs angeschlossen haben, deren Spuren sich noch in Gen 5,28-29* erhalten haben (Gertz 2012, 118-124).

3. Enosch und der Beginn der Anrufung Jahwes

Mit Enosch ist die Notiz verbunden, man habe zu seiner Zeit begonnen, den Namen → JHWH anzurufen. Das Anrufen des göttlichen Namens meint zunächst ganz allgemein die kultische Verehrung (vgl. Gen 12,8; Gen 26,25). In der Auseinandersetzung mit anderen Religionen hat es zudem Bekenntnischarakter (1Kön 18,24; Jes 12,4; Jes 41,25; Jo 3,5; Ps 150,1). In Gen 4,26b irritiert die Formulierung deswegen, weil schon die beiden Brüder Kain und Abel eine Gabe dargebracht haben (Gen 4,3f.). Auch wenn es unmissverständlich ist, dass diese Darbringungen JHWH gegolten haben, so wird dieser nicht explizit angerufen (vgl. dagegen Gen 12,8). Vielleicht wollte der Verfasser von Gen 4,26b dem Brudermörder Kain zwar die erste kultische Handlung, nicht aber auch die erste kultische Anrufung Jahwes zugestehen. Mit derartigen Überlegungen setzt schon die Auslegungsgeschichte der Brudermorderzählung ein, weshalb es nicht ausgeschlossen ist, dass die Notiz ein später Zusatz aus dem Umfeld Jerusalemer Tempeltheologie ist (vgl. Witte, 1998, 306-309). Dass Enosch analog zu den Söhnen des Lamech (Jabal, → Jubal, → Tubal-Kain) als Kulturstifter charakterisiert werden soll, ist hingegen wenig wahrscheinlich. Die Formulierung „damals begann man“ bezieht sich gar nicht exklusiv auf Enosch, sondern bezeichnet ganz allgemein „die Zeit des Enosch“ (vgl. Gen 12,5; Gen 13,7).

In der Endgestalt des Pentateuch widerspricht die Aussage, die Menschheit habe in der Zeit des Enosch mit der Anrufung des JHWH-Namens begonnen, einer starken, von der Priesterschrift geprägten Tradition, welche die erstmalige Nennung des Gottesnamen mit → Mose verbindet (Ex 3,14 [nach-priesterschriftlich]; Ex 6,3 Priesterschrift). Vielleicht ist das auch der Grund für die unterschiedlichen Lesarten des Verses in den antiken Übersetzungen. Die Septuaginta bietet: „Dieser (Enosch) hoffte, den Namen des Herr-Gottes anzurufen“ und schreibt Enosch so die Tugend der Hoffnung zu. In der rabbinischen Tradition wird die Aussage von Gen 4,26b auf die ganze Epoche bezogen, jedoch im Anschluss an die Targumim negativ gelesen: „Damals begannen die Menschen, sich selbst Götzen herzustellen und sie unter dem Namen JHWH anzurufen“ (Targum Neofiti). Dieses Verdikt über die Zeitgenossen des Enosch ließe sich als ein weiterer Grund für das Kommen der Sintflut verstehen. Während → Philo von Alexandria Enosch im Rückgriff auf die Übersetzung der Septuaginta als Beispiel für die Tugend der Hoffnung herausgestellt hat, gilt er sonst im antiken Judentum als Glied der Kette der vorsintflutlichen Gerechten (vgl. Sir 49,16 nach der hebräischen Überlieferung; Jub 19,24-25; zur Wirkungsgeschichte im vorrabbinischen Judentum vgl. Fraade 1984, 5-28 und Witte 1998, 279-280).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2000
  • Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York 2009ff.

2. Weitere Literatur

  • Gertz, J.C., 2012, The Formation of the Primeval History, in: C.A. Evans / J. Lohr / D.L. Petersen (Hgg.), The Book of Genesis. Composition, Reception, and Interpretation (VT.S 152), Leiden / Boston, 107-136
  • Fraade, S.D., 1984, Enosh and His Generation. Pre-Israelite Hero and History in Postbiblical Interpretation (SBL.MS 30) Chico, CA
  • Hess, Richard S., 1993, Studies in the Personal Names of Genesis 1-11 (AOAT 234), Neukirchen-Vluyn / Kevelaer
  • Noth, M., 1948, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (Nachdruck: Darmstadt 3. Aufl. 1966)
  • Westermann, C., 1977, Genesis Bd. 1 (BK AT I/1), Neukirchen-Vluyn
  • Witte, M., 1998, Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1-11,26 (BZAW 265), Berlin / New York

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