Erdbeben (AT)
(erstellt: April 2011)
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1. Einleitung
Unser Planet Erde ist ein Himmelskörper, bestehend aus heißem, zähflüssigen Metall und Stein, mit einer dünnen erkalteten Oberfläche, der sogenannten Erdkruste (30-60 km dick; unter den Ozeanen entsprechend weniger, bis zu 7 km dünn). Diese Erdkruste, im Vergleich zur gesamten Erde dünn wie eine Apfelschale, besteht aus einer Vielzahl größerer und kleinerer sogenannter tektonischer Platten, die nur lose aneinander haften. Wegen ihrer geringen Dichte „schwimmen“ die Kontinente höher im Erdmantel als die dichtere ozeanische Kruste, tauchen aber gleichzeitig (analog einem Eisberg) tiefer ins Erdinnere hinab. Da sich Gesteine bei geologisch langsamen Bewegungen plastisch (verformbar wie z.B. Knetmasse) verhalten, hat sich im Laufe der Jahrmillionen ein weitgehendes Gleichgewicht (Isostasie) eingestellt. Angetrieben durch Vorgänge tief im Erdinneren werden die tektonischen Platten ständig gegeneinander und übereinander verschoben oder auch auseinander gebrochen. An den Plattengrenzen und Bruchzonen bauen sich dadurch Spannungen auf, deren Entladung sich als „Erdbeben“ äußert.
Israel liegt auf einer solchen Bruchzone zwischen afrikanischer Platte und eurasischer Platte, die zur Bildung einer eigenständigen arabischen Platte geführt hat, deren Grenzen sich am Roten Meer und Persischen Golf recht gut nachvollziehen lassen. Diese Bruchzone reicht vom Jordangraben über das Tote Meer (beide teilweise erheblich unter Normalnull) und das Rote Meer bis zum Viktoriasee in Ostafrika (sog. zentralafrikanische Schwelle mit ihren zahlreichen schmalen, in Nord-Süd-Richtung langgestreckten Binnenseen) und darüber hinaus – was dazu führen wird, dass in geologisch absehbarer Zeit zum einen durch Wegdriften der arabischen Platte die Gegend um das Tote Meer geflutet werden wird, zum anderen sich das sog. „Horn von Afrika“ im Ostteil Afrikas (Äthiopien; Somalia; Teile von Kenia und Tansania) vom Hauptkontinent ablösen wird.
Von alledem hatten die antiken Menschen noch keine Ahnung. Für sie – noch bis weit in die Kirchenväterzeit – galten Erdbeben als Ausdruck der Macht und des → Zorns
2. Historische Erdbeben in biblischer Zeit
In Israel sind vor allem an den Verwerfungslinien entlang des Jordangrabens zwischen dem Roten Meer und dem See Genezaret und zwischen den Gebirgen Karmel und Gilboa Spuren von historischen Erdbeben nachweisbar, auch wenn es im Einzelnen schwierig ist, Verwüstungsspuren durch Erdbeben von Kriegseinwirkungen zu unterscheiden (z.B. in Megiddo oder Jericho). Nachträgliche Verifikationen von Erdbeben sind jedenfalls seismologisch und geologisch präzise nicht mehr möglich; allein aus archäologisch erhebbaren Zerstörungsspuren kann man auf geschehene Erdbeben schließen. Ebenfalls muss bei den literarischen Quellen sehr genau unterscheiden werden, ob eine historisch glaubwürdige Nachricht vorliegt oder ein literarischer Topos (s.u. 3.) verarbeitet ist.
So vermuten Seismologen ein größeres Erdbeben in Palästina um 1400 v. Chr., von dem einige Zerstörungsspuren im spätbronzezeitlichen Israel zeugen. Dagegen dürfte das in 1Sam 14,15
Recht sicher ist man sich bezüglich eines starken Erdbebens (vermutlich etwa Stärke 8 auf der Richter-Skala) in ganz Palästina Mitte des 8. Jh. v. Chr. Auf dieses nehmen sowohl die Überschrift des Amos-Buches (Am 1,1
Ebenfalls deutliche Spuren hat ein starkes Erdbeben in Palästina im Jahre 31 v. Chr. (vgl. Josephus, Bellum Judaicum I, 370-379; Josephus, Antiquitates XV, 121f.; Text gr. und lat. Autoren
Von weiteren Erdbeben in biblischer Zeit sind zwei von Interesse, die 30 n. Chr. in Jerusalem (leicht) und 33 n. Chr. in Judäa und Jerusalem (leichte Beschädigungen am Tempel) stattgefunden haben sollen. Dennoch dürften die Erdbeben, die allein Mt 27,51
Gute Zusammenstellungen und Listen über Erdbeben-Ereignisse in Israel und deren Epizentren bieten Amiran (Amiran, 1950/51), Amiran / Alieh / Turcotte (Amiran / Alieh / Turcotte, 1994) und Amiran (Amiran, 1996).
3. Bildliche Rede und literarischer Topos
In der Hebräischen Bibel ist kein weiterer Beleg für „Erdbeben“ (nominal oder verbal) wörtlich-historisch zu verstehen, sondern stellt in metaphorischer Verwendung die literarische Verarbeitung einer unerklärlichen historisch-konkreten Erfahrung in Bezug auf die göttliche Sphäre und ihr gelegentliches Einbrechen in die irdische Realität dar. Eine Fülle von Vokabeln kann dieses Phänomen umschreiben: געשׁ gā‘aš, חרד ḥārad, חיל ḥîl, מוט môṭ, נוד nôd, נוע nôa‘, פרר pārar, רגץ rāgaz u.a., wobei רעשׁ rā‘aš das Hauptwort darstellt; sie können in den folgenden Zusammenhängen promiscue verwendet werden. Folgende Bereiche können differenziert werden:
3.1. Chaos
a) Ps 46,2-4
b) In der eschatologischen Hoffnung (→ Eschatologie
c) Ganz und gar metaphorischer Gebrauch liegt in Ps 60,4
3.2. Theophanie
a) Neben Sturmwind, Gewitter u.ä. begleiten Erdbeben als Reaktion der Schöpfung bzw. Natur das Erscheinen bzw. Wahrnehmbar-Werden Gottes in der irdischen Welt (vgl. Ex 19,18
Dagegen zieht JHWH in Ri 5,4f
Das Gegenbild 1Kön 19,11f
b) Die Allmacht Gottes (als König) kann ebenfalls eine Reaktion der Erde im Beben (vgl. Ps 77,19
c) Das endzeitliches Kommen Gottes wird gleichfalls von Erdbeben und anderen Naturerscheinungen begleitet (vgl. Jes 24,18
„es erbeben (רעשׁ rā‘aš) die Grundfesten der Erde; berstend zerbirst (רעע rā‘a‘) die Erde, brechend zerbricht (פרר pārar) die Erde, wankend wankt (מוט môṭ) die Erde; taumelnd taumelt (נוע nôa‘) die Erde wie ein Betrunkener und schwankt hin und her (נוד nôd) wie eine Nachthütte“ (Übersetzung nach W.A.M. Beuken, Jesaja 13-27, HThK, 317).
„Die Bedeutungsunterschiede zwischen diesen Verben werden durch die erzielte akustische Übereinstimmung nivelliert“ (Beuken, 333). Wenn JHWH bei seinem Kommen seinen Fuß auf den Ölberg setzt (vgl. Ez 11,23
e) Nicht immer lässt sich das endzeitliche Kommen Gottes von seinem Kommen zum Gericht unterscheiden – oft fällt beides sogar zusammen. Explizit vom Gericht als göttliche Reaktion auf die Sünde seines Volkes ist in Jes 5,25
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1894-1972 (Supplementband IV [1924] 344-361)
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
2. Weitere Literatur
- Austin, S.A. / Franz. G.W. / Frost, E.G., Amos’s Earthquake: An Extraordinary Middle East Seismic Event of 750 B.C., International Geology Review 42 (2000), 657-671
- Böker, R., Art. Erdbeben, in: Der Kleine Pauly, Bd. II, Stuttgart 1967, 350f
- Fantalkin, A., The Sheshonq I Campaign and the 8th-Century-BCE Earthquake – More on the Archaeology and History of the South in the Iron I-IIa, Tel Aviv 33 (2006), 18-42
- Jeremias, J., Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung (WMANT 10), 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1977
- Kallner, D.H.A. / Arieh, E. / Turcotte, T., Earthquakes in Israel and Adjacent Areas: Macroseismic Observations since 100 B.C.E., Israel Exploration Journal 44 (1994), 260-305
- Kallner, D.H.A., A Revised Earthquake-Catalogue of Palestine, Israel Exploration Journal 1 (1950/51), 223-246
- Kallner, D.H.A., Location Index for Earthquakes in Israel since 100 B.C.E., Israel Exploration Journal 46 (1996), 120-130
- Nur, A. / Ron, A., Earthquake. Inspiration for Armageddon, Biblical Archaeology Review 23/4, (1997), 48-55
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