Ernesti, Johann August
(1707-1781)
(erstellt: August 2012)
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1. Leben
Johann August Ernesti wurde am 4.8.1707 in Tennstedt (heute: Bad Tennstedt, Unstrut-Hainich-Kreis, Thüringen) als Sohn des Superintendenten und späteren (1710) Doktors der Theologie Johann Christoph Ernesti (1662-1722) und der Catharina Sophia Heden (1670-1746) geboren. Nach dem Besuch der Fürstenschule Pforta (1722-1726) studierte Ernesti 1727-1729 in Wittenberg und 1729-1730 in Leipzig Philosophie, Theologie und Mathematik. Beeinflusst wurde er u.a. durch Johann Christoph Gottsched (1700-1766; seit 1724 in Leipzig; vgl. dazu Aner 1929, 23; Ilgner 2002, 5). An der Thomasschule in Leipzig wirkte er von 1731-1734 als Konrektor und von 1734-1759 als Rektor. In dieser Funktion kam es 1736-1737 zum sogenannten „Präfektenstreit“ mit dem Kantor an der Schule, Johann Sebastian Bach, bei dem Ernesti letztlich unterlag (vgl. dazu Minear 1975, 131-155; Petzoldt 1982, 78-81). An der Universität Leipzig war er von 1742-1756 außerordentlicher Professor für Klassische Literatur, von 1756-1770 ordentlicher Professor für Beredsamkeit und ab 1759 bis zu seinem Tode Professor für Theologie. Als Rektor fungierte er im WS 1761/62 und im WS 1769/70 (vgl. Mühlpfordt 2004, 179f.); einmal war er Dekan der philosophischen (WS 1758/59) und viermal Dekan der theologischen Fakultät (1764.1768.1774.1776). Wegen seiner geschliffenen lateinischen Universitätsreden, die er als Professor der Beredsamkeit zu halten hatte, erhielt er die Ehrenbezeichnung „Germanorum Cicero“.
1744 heiratete er Rahel Friederike Amalie Dathe (1725-1745), die Tochter von Georg Wilhelm Dathe, Rat und Amtmann in Weißenfels. Mit ihr hatte er eine Tochter, Sophie Friederike Ernesti (1745-1782), die unverheiratet blieb und sich durch ihre Latein- und Griechischkenntnisse auszeichnete. Johann August Ernesti starb am 11.9.1781 in Leipzig.
2. Bedeutung
Ernesti ist als Theologe der Aufklärungszeit zu den Neologen zu rechnen (vgl. Graf Reventlow 2001, 180; Ilgner 2002, 200). In seiner Hermeneutik (s.u. 3.) vertritt er eine grammatisch-historische Auslegung des Neuen Testaments (zur historischen Dimension vgl. Ilgner 2002, 196). Durch seine Rezensionszeitschriften (s.u. 4.) regte er die Diskussion über theologische Literatur an. Als Philologe steht er in der Bewegung des Neuhumanismus (s.u. 5.).
Schüler Ernestis waren die Leipziger Theologen Samuel Friedrich Nathanael Morus (1736-1792) und Karl August Gottlieb Keil (1754-1818) sowie der Leipziger Orientalist Johann August Dathe (1731-1791), ein Bruder seiner Frau.
Auf den Lehrstuhl für Beredsamkeit folgten Ernesti seine beiden Neffen August Wilhelm Ernesti (1733-1801, Professor für Beredsamkeit 1770-1801) und Johann Christian Gottlieb Ernesti (1756-1802, Professor für Beredsamkeit 1801-1802) nach.
Unter den Hörern einer Cicero-Vorlesung Ernestis befand sich auch der Student Goethe (vgl. Sander 1990, 242).
3. Biblische Hermeneutik
Ernestis Hauptwerk ist eine hermeneutische Anleitung für die Ausleger des Neuen Testaments („Institutio interpretis Novi Testamenti“, 1761). Er geht davon aus, dass die Bibel wie jedes andere literarische Werk ausgelegt werden müsse. Die Aussageabsicht des biblischen Textes gründet allein im grammatischen Sinn der Worte („sensus grammaticus“) oder auch Literalsinn („sensus literalis“), der aus dem Sprachgebrauch des Verfassers („usus loquendi“) erhoben wird. Dabei sind die jeweiligen Zeitumstände, die Religion, die Lehrtraditionen, das öffentliche Leben und die Gesellschaftsform zu berücksichtigen (vgl. Ilgner 2002, 60f.). Der Ausleger bedarf einer Feinheit des Verstehens („subtilitas intelligendi“) und einer Feinheit des Erklärens („subtilitas explicandi“).
Das in der späteren historisch-kritischen Exegese wirksame kritische Element, die kritische Rückfrage nach Autor und Entstehungszeit der biblischen Texte, kommt bei Ernesti noch nicht zur Geltung.
Ernesti hält am Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift fest: Dort, wo der erhobene Textsinn mit der Vernunft konkurriert, ist nicht, wie in profanen Schriften, der Text zu korrigieren, sondern die Schwachheit der menschlichen Vernunft angesichts des inspirierten Textes in Rechnung zu stellen („… sed in libris humanis, si res et ratio manifesta repugnat, agnoscitur vel vitium scripturae, vel error scriptoris: in libris diuinis, si non consentit vulgatis hominum notionibus, ingenii humani et rationis imbecillitas …“; Institutio, A.I.1.21).
4. Rezensionszeitschriften
Bald nach seinem Übertritt in die theologische Fakultät gründete Ernesti eine Rezensionszeitschrift. Diese erschien zunächst unter dem Titel „Neue theologische Bibliothek“ (10 Bände, 1760-1769), dann unter dem Titel „Neueste theologische Bibliothek“ (4 Bände, 1771-1777). Die meisten der nicht signierten Beiträge schrieb er nach dem Ausweis von Zeitgenossen selbst (vgl. Ilgner 2002, 5 Anm. 28). Die Zeitschriften wurden sehr geschätzt und entfalteten im theologischen Bereich eine große Wirkung.
5. Neuhumanismus
Ernesti ist ein bedeutender früher Vertreter der Bildungsbewegung des Neuhumanismus. Er wirkte hier insbesondere durch seine mathematisch-logisch-philosophisch-rhetorischen Lehrbücher („Initia doctrinae solidioris“, 1734-1735; „Initia rhetorica“, 1750) und durch Editionen klassischer Autoren (u.a. Cicero, Sueton, Tacitus, Homer und Xenophon; vgl. Ilgner 2002, 10).
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1875-1912
- Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Leipzig 1896-1913
- Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953ff.
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Art. „Aufklärung“)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet: http://www.bautz.de/bbkl/
)
2. Werke (in Auswahl)
(vgl. die Bibliographie bei Ilgner 2002, 207-227)
- Initia doctrinae solidioris, 2 Teile, Leipzig (Christian Martini) 1734.1735 (2. Aufl. in einem Band Leipzig [Ioannes Wendler] 1745; 3. Aufl. Leipzig [Ioannes Wendler] 1750; 4. Aufl. Leipzig [Ioannes Wendler] 1758; 5. Aufl. Leipzig [Caspar Fritsch] 1769; weitere Drucke 1776.1783.1794.1796)
- Initia rhetorica, Leipzig (Ioannes Wendler) 1750 (2. Aufl. Leipzig [Ioannes Wendler] 1758; [3. Aufl.] nova auctior et emendatior Leipzig [Caspar Fritsch] 1770; weitere Drucke Frankfurt Leipzig 1778; Leipzig 1783.1784)
- Neue theologische Bibliothek, 10 Bde., Leipzig (Bernhard Christoph Breitkopf [und Sohn]) 1760-1769
- Institutio Interpretis Novi Testamenti, Leipzig (Weidmann) 1761 (2. Aufl. Leipzig [Weidmann Erben und Reich] 1765; 3. Aufl. Leipzig [Weidmann Erben und Reich] 1775; 4. Aufl. hrsg. von Ch.F. Ammon, Leipzig [Weidmann] 1792; 5. Aufl. hrsg. von Ch.F. Ammon, Leipzig [Weidmann] 1809; engl. Übersetzungen von M. Stuart, Elements of Interpretation, Andover 1827; und von Ch.H. Terrot, Principles of Biblical Interpretation, Edinburgh 1832-1833)
- Opuscula oratoria, orationes, prolusiones et elogia. Accessit narratio de Io. Matthia Gesnero ad Davidem Ruhnkenium V.C., Lugduni Batavorum (Samuel und Johannes Luchtmans) 1762 (2. Aufl. 1767; dt. Übs. von G.F. Rothe, Leipzig [Schwickert] 1792)
- Opuscula philologica critica, Lugduni Batavorum (Samuel und Johannes Luchtmans) 1764 (2. Aufl. multis locis emendata et aucta 1776)
- Neueste theologische Bibliothek, 4 Bde., Leipzig (Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn) 1771-1777
- Opuscula theologica, Leipzig (Caspar Fritsch) 1773 (2. Aufl. auctior 1792)
- Opusculorum oratoriorum novum volumen. Accessit elogium beati viri publice scriptum, Leipzig [Caspar Fritsch] 1791
3. Sekundärliteratur
- Aner, K., Die Theologie der Lessingzeit, Halle a.d. Saale 1929
- Baird, W., History of New Testament Research, Bd. 1 From Deism to Tübingen, Minneapolis 1992
- Beutel, A., Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung (UTB 3180), Göttingen 2009
- Feiereis, K., Die Umprägung der natürlichen Theologie in die Religionsphilosophie (EThS 18), Leipzig 1965
- Gaß, W., Geschichte der protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange mit der Theologie überhaupt, Bd. 4, Berlin 1867
- Hein, M. / Junghans, H. (Hgg.), Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009 (BLUWiG A.8), Leipzig 2009
- Hirsch, E., Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 4, 4. Aufl., Gütersloh 1968
- Ilgner, F.Ch., Die neutestamentliche Auslegungslehre des Johann August Ernesti (1707-1781). Ein Beitrag zur Erforschung der Aufklärungshermeneutik, Diss. Univ. Leipzig 2002
- Kirn, O., Die Leipziger Theologische Fakultät in fünf Jahrhunderten 1409-1909: Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, Bd. 1, Leipzig 1909
- Kraus, H.-J., Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1969
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- Mühlpfordt, G., Zwischen Tradition und Innovation. Rektoren der Universität Leipzig im Zeitalter der Aufklärung, in: H. Marti / D. Döring (Hgg.), Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680-1780 (Texte und Studien Bd. 6), Basel 2004, 111-194
- Petzoldt, M., Zwischen Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung – Überlegungen zum theologiegeschichtlichen Kontext Johann Sebastian Bachs, in: R. Szeskus (Hg.), Johann Sebastian Bach und die Aufklärung (Bach-Studien 7), Leipzig 1982, 66-108
- Reventlow, H. Graf, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV: Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, München 2001
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- Semler, J.S., Zusätze zu Herrn O.C.R. Tellers Schrift über Herrn D. Ernesti Verdienste, Halle (Johann Jacob Gebauer) 1783
- Smend, R., Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien Bd. 3 (BEvTh 109), München 1991
- Teller, W.A., Des Herrn Joh. August Ernesti gewesenen Professor Primarius der Theologie in Leipzig Verdienste um die Theologie und Religion. Ein Beytrag zur theologischen Litteraturgeschichte der neuern Zeit, Berlin (August Mylius) 1783
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