Erwählung (AT)
(erstellt: April 2020)
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Im Alten Testament ist für den profanen Bereich das Auswählen von etwas aus etwas zu etwas mit Ableitungen der Wurzel בחר bḥr breit bezeugt. Die Aussage zielt darauf, die Qualität des Ausgewählten hervorzuheben. Wo es jedoch um die Erwählung durch JHWH – z.B. die Erwählung Israels – geht, wird gerade nicht die Qualität des Erwählten hervorgehoben, vielmehr ist die Erwählung ausschließlich in JHWH selbst verortet.
Die Erwählung ist somit, anders als ein Bundesschluss (→ Bund
1. Vom „Auswählen von etwas“ zur „Erwählung Israels“
Die Erwählung Israels ist eine biblische Ausdrucksgestalt zur Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel. Daneben gibt es weitere Ausdrucksgestalten zur Beschreibung dieses Verhältnisses, insbesondere die Bundestheologie (→ Bund
Die alttestamentlichen Texte formulieren die Erwählung in aller Regel verbal und mit dem gleichen Verb: JHWH hat Israel erwählt (בחר bḥr). Andere Verben können zur weiteren Qualifizierung dieser Erwählung hinzukommen, sind aber nicht mit בחר bḥr „erwählen“ synonym.
Die Vorstellung von der Erwählung Israels soll im Folgenden daher primär anhand der Belege des Verbes בחר bḥr „erwählen“ in den jeweiligen Kontexten dargestellt werden, um sie gegenüber anderen Vorstellungen präzise profilieren zu können.
In einem ersten Schritt gilt es freilich darzustellen, dass בחר bḥr keineswegs ausschließlich in theologischer Funktion verwendet wird, sondern auch in weitestgehend profaner Verwendung im Sinne von „auswählen“ oder „wünschen“ belegt ist. In dieser profanen Verwendung sowie bei der Wahl von Gott oder den Göttern sind (fast ausnahmslos) Menschen Subjekt von בחר bḥr, bei der Erwählung Israels oder bedeutender Größen daraus ist JHWH Subjekt von בחר bḥr.
Die hier gewählte Bezeichnung der Erwählung Israels als einer Ausdrucksgestalt zur Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel reiht sich ein in die klassischen Arbeiten etwa von T.C. Vriezen oder L. Köhler (64-66) und jüngere Arbeiten etwa von R. Rendtorff, H.-J. Hermisson, M. Köckert oder A. Labahn.
Demgegenüber steht eine Interpretation, die die Erwählung Israels gerade zur Bezeichnung dieses engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel erhebt (etwa K. Galling, W. Eichrodt, H.H. Rowley, H. Wildberger, H.D. Preuß), „JHWHs erwählendes Geschichtshandeln an Israel zur Gemeinschaft mit seiner Welt“ nachgerade „als Mitte des AT, damit als Grundstruktur atl. Glaubens“ bestimmt (H.D. Preuß, 29 [Herv. gelöscht]). Da in diesem Fall jedoch Ereignisse der Glaubensgeschichte Israels unter den Erwählungsbegriff subsumiert werden (etwa das „Exodusgeschehen als Urerwählung“; Preuß, 43), die die alttestamentlichen Texte selbst nicht als Erwählung bezeichnen, wird hier von dieser Verallgemeinerung abgesehen.
2. Zur Terminologie: בחר bḥr
Betrachtet man die Belege von בחר bḥr und der wenigen Ableitungen davon in ihrer kanonischen Reihenfolge, ergibt sich zunächst, in den Büchern → Genesis
Die urgeschichtlichen Göttersöhne, die in der Tradition zu Engel wurden, „wählen“ sich Menschentöchter „aus“ (Gen 6,2
Diese ersten fünf Belege von בחר bḥr, die einzigen in den Büchern Genesis und Exodus, zeigen bereits Dreierlei: Die Auswahl von etwas bringt erstens eine Wertschätzung dem Ausgewählten gegenüber zum Ausdruck. Zweitens wird bei der Auswahl auch eine Abgrenzung getroffen, eine Unterscheidung zwischen dem Gewählten und dem nicht Gewählten gezogen: Die Göttersöhne ehelichen nicht alle Menschentöchter, Lot „wählt“ die Jordanebene, nicht aber das Land Kanaan, und Mose „wählt“ nur eine begrenzte Anzahl an Unterstützern, um für die weit größere Schar der Israeliten Recht zu sprechen. Wenn auch die Nicht-Auswahl nur selten explizit mitgeteilt wird (etwa die Nicht-Erwählung von Davids Brüdern durch JHWH in 1Sam 16,8-10
Eine solche dreifach bestimmte Auswahl wird wie im Falle von Ex 17,9
In manchen Fällen werden Entscheidungen erzwungen, etwa wenn → David
Schließlich lässt sich „wählen“, woran JHWH Gefallen hat oder woran er keinen Gefallen hat (Jes 56,4
Die genannten Beispiele (von weiteren) einer mehr oder weniger profanen Auswahl von etwas aus etwas zu etwas bringen ganz Unterschiedliches zum Ausdruck und entstammen unterschiedlichen Literaturwerken des Alten Testaments. Davon grenzen sich zumindest zwei Literaturwerke ab, in denen ein vergleichsweise konsistenter theologischer Gebrauch der Erwählungsbegrifflichkeit belegt ist: Das Deuteronomium und Deuterojesaja.
Der so beschriebenen im Weitesten profanen Verwendung von בחר bḥr entsprechen im Wesentlichen auch die Belege zweier Ableitungen des Lexems, מִבְחָר mivḥār und מִבְחוֹר mivḥôr, die jeweils „das Beste“, eine „Auslese“ von etwas bezeichnen. Das Partizip Nif. von בחר bḥr (vgl. Spr 8,10.19
3. JHWH als Subjekt der „Erwählung“
Die theologische Verwendung der Erwählungsbegrifflichkeit mit JHWH als Subjekt und Israel als Objekt der Erwählung findet sich weder in der vorexilischen Prophetie (auch wenn ihre Vorgeschichte hier wohl greifbar wird: Am 3,2
3.1. Die „Erwählung des Kultortes“ und die „Erwählung Israels“ im Deuteronomium und davon abhängigen Texten
Das → Deuteronomium
Wie sich der entlaufene Sklave einen Ort in Israel „aussuchen“ wird, um dort zu bleiben (Dtn 23,17
„(13) Hüte dich, dass du deine Brandopfer nicht an jedem Ort darbringst, den du siehst, (14) sondern an dem Ort, den JHWH erwählen wird in einem deiner Stämme. Dort sollst du deine Brandopfer darbringen, und dort sollst du alles tun, was ich dir gebiete.“ (Dtn 12,13f
Im (rhetorisch verkürzten) Gegensatz zum Altargesetz des Bundesbuches (bes. Ex 20,24
Der „Kultzentralisationsformel“, „Erwählungsformel“ o.ä. (vgl. Veijola, 267) können zwei Näherbestimmungen folgen: JHWH wird den Ort „erwählen“, „um seinen Namen dort wohnen zu lassen“ (Dtn 12,11
Verteilen sich die bisher behandelten Belege sowohl auf deuteronomische wie deuteronomistische Schichten (→ Deuteronomismus
Während die bisher genannten Stellen des Deuteronomiums im Wesentlichen im deuteronomischen Gesetz, Dtn 12-26, stehen, finden sich die Belege der Erwählung Israels im Wesentlichen im vorderen Rahmenteil des Buches. Als „locus classicus“ gilt seit T.C. Vriezen (Vriezen, 51) Dtn 7,6ff
„Denn du bist ein heiliges Volk (‘am qādôš) für JHWH, deinen Gott. Dich hat JHWH, dein Gott, erwählt, aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind, dass du ihm Eigentumsvolk (‘am səgullāh) seist.“ (Dtn 7,6
Die göttliche Aussonderung Israels von allen anderen Völkern soll demnach die Absonderung Israels von den Völkern zur Folge haben. Von späterer Hand wurde die Erwählung Israels weiter bestimmt: Sie ist gänzlich unverdient, liegt nicht an der Qualität des Erwählten, sondern gründet allein in der Liebe JHWHs:
„(7) Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle anderen Völker, hing JHWH sich euch an und hat euch erwählt, denn ihr seid das kleinste von allen Völkern, (8) sondern weil JHWH euch liebt und den Schwur hält, den er euren Vätern geschworen hatte, darum führte JHWH euch heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“ (Dtn 7,7f
Nicht der → Exodus
Ähnlich formulieren Dtn 4,37f
An allen drei Stellen folgt sodann die → Paränese
In deutlichem Unterschied zur deuteronomistischen Bundestheologie ist Israels Gebotsgehorsam damit Folge der Erwählung, nicht aber ihre Voraussetzung. Demgegenüber wird in dem deuteronomistisch geprägten Zusammenhang Ex 19,5f
„(5) Wenn ihr nun auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr mein Eigentum (səgullāh) sein von allen Völkern, denn mein ist die ganze Erde. (6) Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern sein und ein heiliges Volk (gôj qādôš) …“ (Ex 19,5f
Ein dem Bundesbruch analoges Vergehen Israels gegenüber seiner Erwählung gibt es nicht. Wohl aber kann JHWH die Erwählung revozieren durch die Verwerfung (מאס m’s) des Erwählten (vgl. etwa für Saul 1Sam 15,23.26
In deutlicher Aufnahme deuteronomistischer (Erwählungs-)Theologie stellt Ps 135,4f
3.2. Die „Erwählung Israels“ in Deuterojesaja
→ Deuterojesaja
Das intime Verhältnis zwischen Israel, „meinem Volk“, und JHWH, „eurem Gott“ (Jes 40,1
„(8) Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich (dich) erwählt habe… (9), den ich (dich) ergriffen (חזק ḥzq Hif.) habe von den Enden der Erde, den ich (dich) gerufen (qr’) habe von ihren entlegensten Winkeln. Ich sprach zu dir: ‚Du bist mein Knecht, den ich (dich) erwählt und (dich) nicht verworfen (מאס m’s) habe.‘“ (Jes 41,8f
„(1) Nun aber höre Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erwählt habe. (2) So spricht JHWH, der dich gemacht (עשׂה ‘śh) und gebildet (יצר jṣr) hat vom Mutterleib an, der dir hilft: ‚Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob, und Jeschurun, den ich erwählt habe.‘“ (Jes 44,1f
In beiden Fällen gipfelt das Orakel im klassisch-prophetischen „Fürchte dich nicht!“, dem in Jes 41,10
Die Heilsankündigung Jes 43,16-21
„(5) Ich bin JHWH und keiner sonst. Außer mir ist kein Gott. Ich gürte dich, auch wenn du mich nicht kennst, (6) damit man erkenne vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang, dass es außer mir keinen gibt. Ich bin JHWH und keiner sonst, (7) der das Licht bildet (יצר jṣr) und die Finsternis schafft (ברא br’), der Heil wirkt (עשׂה ‘śh) und Unheil schafft (ברא br’). Ich bin JHWH, der dies alles wirkt (עשׂה ‘śh).“ (Jes 45,5-7
Der nicht mit Israel identifizierte Gottesknecht des ersten sogenannten Gottesknechtsliedes, Jes 42,1-4
In jüngeren Texten findet eine doppelte Einschränkung statt: Einerseits wird die Erwählung nun als Separation innerhalb Israels verwendet (vgl. Jes 65f.), und andererseits wird auch die positive Funktion der Erwählung Israels für die Völker wieder eingeschränkt (vgl. etwa Jes 14,2
Während Jes 14,1
In dem erwählungstheologischen Text Jes 41,8
Zu vergleichen sind weiterhin etwa Jer 33,24
3.3. Die „Erwählung“ des Kultpersonals in der priesterlichen Literatur
In der → Priesterschrift
In einem jüngeren priesterlichen Text findet sich dann eine Auseinandersetzung mit der deuteronomistischen Erwählungstheologie: In der mehrschichtigen Erzählung vom Aufstand → Korachs
Wenn Aaron in Num 17,16-26
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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