Erzeltern
(erstellt: Juli 2009)
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1. Begriffliche Klärung
Die Bezeichnungen „Erzväter“, „Ahnväter“, „Väter“ Israels bzw. „Patriarchen“ meinen im engeren Sinne → Abraham
Im Neuen Testament werden neben Abraham in Hebr 7,4
Der folgende Artikel konzentriert sich auf die Erzählungen um die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob. Da deren Frauen (→ Sara
2. Die Erzeltern-Erzählungen der Genesis
Die Erzeltern-Erzählungen finden sich in Gen 11,27-50,26* und stehen damit zwischen der Urgeschichte in Gen 1-11 und der Exoduserzählung.
Sie lassen sich folgendermaßen grob gliedern:
- Gen 12-25 Abraham und Sara
- Gen 24-26 Isaak und Rebekka
- Gen 25.27-36.38 Jakob und Rahel / Lea
- (Gen 37.39-50 Josef)
Im Modus der Familiengeschichte in einer nomadischen bzw. halbnomadischen Lebenswelt erzählen sie vom Ursprung des Volkes Israel und bieten somit einen alternativen Ursprungsmythos zur Exoduserzählung (vgl. Schmid; vgl. auch Römer, 1990, der gezeigt hat, dass die deuteronomisch-deuteronomistischen Erwähnungen der „Väter“ sich auf die Exodusgeneration und nicht auf die „Erzväter“ beziehen). Von den zwölf Söhnen Jakobs wird das israelitische Stämmesystem abgeleitet (Gen 29f
In ihrer jetzigen kanonischen Abfolge sind die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob genealogisch miteinander verbunden und der Generationenfolge von Vater, Sohn und Enkel entsprechend einander zugeordnet, wobei diese Verbindung jedoch sekundär sein dürfte (s.u.; → Genealogie
Während sowohl die Geschichten um Jakob und v.a. um Abraham breiten Raum einnehmen, ist von Isaak nur Weniges überliefert. Die ursprüngliche Fassung der → Josefserzählung
Zusammengehalten werden die Erzeltern-Erzählungen durch die Verheißungstradition (→ Väterverheißung
Neben einer Ursprungserzählung Israels bieten die Erzeltern-Erzählungen auch eine Verhältnisbestimmung zu dessen Nachbarvölkern, die Israel im Rahmen (fiktiver) Verwandtschaftsverhältnisse zugeordnet werden (→ Aram
Das Gebiet, das die Erzeltern in den Erzählungen wandernd durchziehen, entspricht der syropalästinischen Landbrücke vom programmatischen Ausgangspunkt in Mesopotamien, über Syrien, Palästina bis nach Ägypten. Während die Herkunft aus → Ur
Die Ortsangaben in den Erzählungen weisen auf unterschiedliche geographische „Haftpunkte“ der einzelnen Erzväter hin: Während die Jakob-Überlieferungen im Nordreich beheimatet sind (→ Bethel
Während insbesondere die Erzählungen um Abraham und Jakob unterschiedliche Charakteristika aufweisen, finden sich v.a. zwischen der Abraham- und der Isaak-Überlieferung motivliche Gemeinsamkeiten (→ Preisgabeerzählung
Auch die ursprüngliche Beschränkung der einzelnen Erzväter auf bestimmte Orte wird zumindest in einem späteren Überlieferungsstadium der Erzeltern-Erzählungen nicht aufrechterhalten (vgl. z.B. Gen 12,6-9
3. Die Erzeltern im Alten Testament außerhalb der Genesis
Die Väter-Trias „Abraham, Isaak und Jakob / Israel“ wird außerhalb der Genesis häufig genannt (Ex 3,6
Von den drei Erzvätern wird Jakob im Alten Testament außerhalb der Genesis mit Abstand am häufigsten erwähnt. Dies hat seinen Grund darin, dass er stärker als die beiden anderen Erzväter mit Israel identifiziert und zum Synonym für das Nordreich bzw. das Gesamtvolk wird (vgl. auch die Umbenennung Jakobs in Israel in Gen 32,29
In Am 7,9
Während Abraham und Isaak nie zusammen ohne Jakob genannt werden, sind jedoch bisweilen Abraham und Jakob / Israel zusammen ohne Isaak belegt (vgl. Jes 29,22
4. Die Frage nach der Historizität der Erzeltern
Ältere Forschungsansätze meinten, aus den Erzeltern-Erzählungen historische Rückschlüsse auf eine vorisraelitische „Patriarchenzeit“ vor der Sesshaftwerdung Israels ziehen zu können (Albright, de Vaux, Cazelles, Speiser, Alt, Westermann, u.a.). So versuchte man beispielsweise, die erzählten Wanderungen der Erzeltern mit amoritischen oder aramäischen Wanderungsbewegungen des 2. Jt.s v. Chr. in Verbindung zu bringen und anhand der Textfunde aus → Nuzi
Auch wurde der forschungsgeschichtlich bedeutsame Versuch unternommen, aus den Erzeltern-Erzählungen eine vom nomadischen Leben geprägte, vorstaatliche Religionsform abzuleiten (Alt; zur Kritik an Alt vgl. Köckert, 1988).
In der neueren Forschung hat sich jedoch weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die historische Auswertbarkeit der Erzeltern-Erzählungen begrenzt ist und die Existenz der Erzeltern sich aus außerbiblischen Quellen nicht belegen lässt. Die Analyse der Texte hat ergeben, dass die Erzeltern-Erzählungen kaum in vorstaatliche Zeit zurückreichen, sondern jünger sind (vgl. Thompson; van Seters; Blum u.v.a.). Es lässt sich zeigen, dass die Erzählungen im Laufe ihrer Entstehungsgeschichte um Überlieferungsstoffe unterschiedlichster Art und Herkunft angereichert wurden und redaktionell gewachsen sind. Aus diesem Grunde verzichten neuere Darstellungen der Geschichte Israels in der Regel auf eine historische Auswertung der Erzeltern-Erzählungen.
Auch wenn keineswegs auszuschließen ist, dass in den Erzählungen älteres mündliches Überlieferungsgut verarbeitet wurde, ist man zu Recht eher skeptisch, was die Rekonstruierbarkeit eventueller mündlicher Vorformen und damit auch die Möglichkeit betrifft, hinter die schriftliche Text-Gestalt der Erzählungen zurückzugelangen.
5. Entstehungsgeschichtliche Überlegungen
Die entstehungsgeschichtlichen Hypothesen zu den Erzeltern-Erzählungen unterlagen im Laufe der Forschungsgeschichte einem starken Wandel. Bis heute werden divergierende Auffassungen vertreten (→ Pentateuchforschung
War man im Rahmen eines überlieferungsgeschichtlichen Ansatzes davon ausgegangen, dass die Erzeltern-Erzählungen auf ursprünglich mündlich tradierte Einzelüberlieferungen („Sagen“) zurückgingen, die zudem für moderne Ausleger noch rekonstruierbar seien (→ Gunkel
Aber auch die dezidierte Wahrnehmung der Erzeltern-Erzählungen als Literatur führte – ausgehend von der Beobachtung, dass die Erzeltern-Erzählungen literarisch nicht einheitlich sind – in der Forschungsgeschichte zu einer sehr unterschiedlichen literarhistorischen Einschätzung der verschiedenen Textbereiche.
Weitgehend einig ist man sich über die Abgrenzung des priesterschriftlichen Materials (→ Priesterschrift
Uneinigkeit herrscht jedoch v.a. bezüglich der Differenzierung der nicht-priesterschriftlichen Textanteile, ihrer möglichen Zugehörigkeit zu Quellenschriften und insbesondere ihrer Datierung (→ Pentateuchforschung
Im Rahmen der klassischen Urkundenhypothese sah man in der „jahwistischen“ Fassung der Erzeltern-Erzählungen eine Gründungs- und Legitimationslegende für das davidische Großreich und datierte sie dementsprechend in die frühe Königszeit (von Rad, 15; Wolff, 345ff u.a.). Mit der zunehmenden Infragestellung des Jahwisten als Quellenschrift (zur Forschungsgeschichte vgl. Schüle, 40ff) wurde auch die Einschätzung der Erzeltern-Erzählungen größtenteils revidiert, indem ihr großräumig redaktioneller Charakter erkannt wurde (van Seters u.a.). So kann vor allem die Gestalt des Abraham als des Erzvaters par excellence in neueren Ansätzen sogar als (fast) rein redaktionelles Produkt der exilischen und nachexilischen Zeit gelten (vgl. Kratz u.a.).
Dass Abraham in literarhistorischer Hinsicht als der jüngste der drei Erzväter zu gelten habe, hat bereits → J. Wellhausen
Als die literarhistorisch jüngste und damit am wenigsten festgelegte und inhaltlich besetzte Vätergestalt bot sich Abraham offensichtlich in besonderer Weise für eine aktualisierende Fortschreibung und Ausgestaltung an (Westermann, 73), was sich an den Texten belegen lässt (→ Abraham
Wenn dies richtig erkannt ist, liegt auch die gewählte Form einer genealogischen Verknüpfung der drei Erzväter auf der Hand. Geht man davon aus, dass bereits eine Jakob-Überlieferung vorlag, in der Jakob als Stammvater des gesamten späteren Israel galt, musste das Hinzutreten weiterer Erzväter zwangsläufig in Form einer genealogischen Verbindung von statten gehen, um die „einlinige Ahnenreihe über Jakob hinaus nach rückwärts fortzusetzen“ (Noth, 1948, 113f), wobei sich dieser Vorgang in einem längeren Überlieferungsprozess vollzogen haben wird.
Folglich wäre mit drei ursprünglich selbständig überlieferten Erzählzyklen um Jakob, Isaak und Abraham zu rechnen, die sukzessive miteinander verbunden wurden, wobei der Kern in den Jakob-Überlieferungen zu vermuten ist, der nach dem Untergang des Nordreiches 722 v. Chr. zunächst um die Isaak- Überlieferung und später um den Abraham-Lot-Erzählzyklus erweitert wurde (vgl. neben vielen anderen Gertz, 267). Auf diese Weise wären die Vätererzählungen, wie sie uns heute in ihrer Endgestalt vorliegen, literarisch „nach vorne“ gewachsen.
Als Gegenmodell wird auch erwogen, dass die Isaak-Erzählungen als Verbindungsglied zwischen den jeweils ursprünglicheren Abraham- und Jakobüberlieferungen geschaffen wurden (vgl. u.a. van Seters, der von der literarhistorischen Priorität der Abraham- gegenüber der Isaak-Überlieferung ausgeht). So kommt Köckert zu dem Ergebnis:
„Aus der Königszeit stammen die aus vorgegebenen Überlieferungen gestaltete Jakobs- (*25; 27-31; 32-33) und die Josephserzählung (*37; 39-45; 47; 50), die im Nordreich beheimatet sind […], sowie die judäische […] Abraham-Lot-Erzählung […], die auf die vielsagende Geburt der Ahnväter Ammon, Moab und Isaak zielt […]. Wahrscheinlich erst nach dem Untergang Jerusalems bauten judäische Tradenten die Abrahamüberlieferung aus (*20-22) [und] schufen im Wesentlichen aus ihr eine eigene Isaak-Erzählung (*26) als Gelenk zur Verbindung mit der Jakob-Joseph-Erzählung […].“ (Köckert, 1999, 1541).
Wie man die Reihenfolge der Entstehung im Einzelnen auch beurteilen mag, so herrscht doch weitgehende Übereinstimmung bezüglich der sukzessiven Erweiterung der Erzeltern-Überlieferung. Im Zuge dieser Erweiterung wurden die einzelnen Vätergestalten auch über die rein genealogische Verbindung hinaus sekundär miteinander verknüpft. Dies geschah v.a. durch die Verheißungsreden, die die Erzeltern-Erzählungen kompositionell miteinander und mit dem gesamten Pentateuch verbinden (Hoftijzer; Köckert, 1988; Blum). So werden die Ankündigungen von Landgabe und Volkwerdung in der neueren Forschung nicht mehr in nomadischer Vorzeit verortet, sondern man geht davon aus, dass sie in einer Zeit Bedeutung erlangten, in der gerade diese Gaben real bedroht waren (→ Exil
Überhaupt ist mittlerweile die entscheidende Bedeutung der Exilserfahrung Israels für die literarische Ausgestaltung der Erzeltern-Erzählungen weithin anerkannt, und zwar unabhängig vom vertretenen literarhistorischen Grundmodell (vgl. u.a. van Seters; Blum; Levin; Kratz; Carr; Römer, 1997; Ska; de Pury).
6. Theologische Bedeutung der Erzeltern
Die Erkenntnis, dass die Vätererzählungen keine historisch auswertbaren Informationen über die vorstaatliche Zeit Israels bieten und zum großen Teil wesentlich jünger sind, als man lange angenommen hatte, schmälert weder ihre theologische Bedeutung noch die Fülle von Sinnaspekten, die sie in sich vereinigen. So geht es neben der Existenz des Volkes in seinem Lande, der göttlichen Verheißung und ihrer Gefährdung sowie dem Angewiesensein des Menschen auf Gott auch um menschliche Grunderfahrungen, die das Leben in Familie und Sippe betreffen (vgl. Blum). Zwar bieten die Vätererzählungen keine Einblicke in eine nomadische Vorzeit, geben jedoch als „Volksgeschichte im Modus der Familienerzählung“ (Gertz, 270) Aufschluss darüber, wie Israel selbst seine Herkunft und sein Verhältnis zu den Nachbarvölkern interpretierte, und bieten als solche auf mehreren Ebenen ein Identifikationspotential, das zeitübergreifend ist.
Eine dieser Ebenen ist die volksgeschichtliche: Abraham, Isaak und Jakob repräsentieren die Ahnen des Volkes Israel, die sich, von ihrem Gott erwählt und geleitet, im Land der Verheißung etablierten. Nach der biblischen Darstellung beginnt mit den Erzvätern die Geschichte „Israels“.
Kaum davon zu trennen ist die theologische Ebene, da Gott in diesem Ursprungsmythos eine entscheidende Rolle spielt und sowohl die Existenz Israels als Volk, als auch der Besitz des Landes als göttliche Verheißungsgabe gedeutet werden. In seiner Analyse der Abrahamerzählungen hat van Seters gezeigt, dass sie dazu dienen, in exilischer und nachexilischer Zeit eine Art „corporate identity“ für Israel herzustellen, wobei die unerschütterlichen Verheißungen, die im Text an die Erzväter ergehen, im Grunde an die Israeliten im Exil gerichtet seien, um ihnen Mut zu machen (vgl. van Seters, 311; Carr, 232).
Trotz dieses kollektiven Aspekts werden die Erzeltern auch als partikulare Personen gezeichnet. Durch die Geschichten, die mit ihnen verbunden werden, gewinnen sie an Profil und können mit ihren Stärken, aber auch mit ihren Schwächen paradigmatische Funktionen übernehmen.
Darüber hinaus thematisieren die Erzeltern-Erzählungen, gerade weil sie als Familien-Erzählungen konzipiert sind, menschliche bzw. zwischenmenschliche Probleme, wie sie bis heute jedem Leser und jeder Leserin vertraut sind: Eifersucht, Neid, ungewollte Kinderlosigkeit, Streit zwischen Brüdern etc.
Literaturverzeichnis
Kommentare
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Weitere Literatur
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