Erziehung / Erzieher (AT)
(erstellt: November 2007)
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1. Die deutschen Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“
Die Begriffe „Erziehung“ und „Erzieher“ sind hochkomplexe Begriffe, hinter denen in der Tradition des westlichen Abendlandes eine weit zurückreichende Auseinandersetzung steht, die sich um ein ideales Menschenbild dreht und um die Frage, wie und in welchem Ausmaß es möglich sei, auf die Ausprägung eines dem Idealbild entsprechenden Menschen Einfluss zu nehmen. Das Fach Erziehungswissenschaft (auch Pädagogik) bearbeitet Fragen dieses Problemfeldes. Die Möglichkeit einer Beeinflussung wird in der Moderne gewöhnlich auf die Zeit der Kindheit begrenzt gesehen, die Erziehenden sind in erster Linie die → Eltern
Das Wort Bildung scheint demgegenüber den formenden Charakter des Vorgangs noch stärker in den Vordergrund zu rücken. Dieser Eindruck übersähe allerdings die Geschichte des Bildungsbegriffes in der europäischen Geistesgeschichte, an deren Anfängen die biblische Erzählung von der Erschaffung des Menschen (Gen 1,26
Der hier zu behandelnde Begriff „Erziehung“ – ebenso wie der damit verbundene Begriff „Erzieher“ – beschreibt die Veränderung der Persönlichkeit als einen transitiven Vorgang und lässt damit den Erzogenen als Objekt der Handlung und den Erziehenden oder Erzieher als Subjekt derselben Handlung auseinander treten. Erziehung ist ein Handeln, bei dem diese Rollen des Erziehers und des Zöglings klar verteilt sind. Ziel des erziehenden Handelns ist es, bestimmte Verhaltensweisen oder auch Haltungen, Einstellungen dauerhaft in der Person des Zöglings zu verankern. Das deutsche Wort „Erziehung“ kann sowohl dieses Ziel als auch den dorthin führenden Vorgang bezeichnen. In diesem Artikel wird „Erziehung“ in der Weise von „Bildung“ unterschieden, dass „Bildung“ eher der Schule zugeordnet wird, damit dem weiteren sozialen Kontext einer kulturellen Gemeinschaft, während „Erziehung“ auf den engeren Sozialraum der Familie bezogen wird. Diese Abgrenzung hat allerdings keine absolut scheidende Kraft: Bekanntlich hat auch die Schule bis in unsere Tage einen Erziehungsauftrag, und Eltern als Erziehende können aktiv an der Bildung der Schüler mitarbeiten. Der Unterschied liegt möglicherweise stärker im Ziel der jeweiligen Bemühung als im zugehörigen sozialen Rahmen. Erziehung zielt auf Sozialisation der Individuen, Schule auf Enkulturation.
2. Hebräische Äquivalente der deutschen Begriffe
Wie stets, wenn man vom Standpunkt eines modernen Menschen aus versucht, den Umgang mit einem Thema im Alten Testament festzustellen, ist der Übergang in die uns fremde Kultur des Alten Testaments zugleich ein Übergang in die Sprachwelt des Hebräischen, und umgekehrt betreten wir, wenn wir die Texte der hebräischen (und aramäischen) Bibel befragen, auch eine Welt, die sich in ihren kulturellen Traditionen von der unseren unterscheidet. Im Folgenden sollen zum einen die Bedeutungen und Verwendungsweisen sprachlicher Äquivalente zu den deutschen Begriffen „Erziehung“ und „Erzieher“ betrachtet werden, zum anderen sollen Texte, in denen das Thema eigentlich auftauchen müsste oder die mit diesem Thema in Beziehung gesetzt werden, befragt werden.
Der deutsch-hebräische Index in Gesenius’ Handwörterbuch führt als Entsprechungen zu den deutschen Lexemen „Erziehung“ und „Bildung“ sowie zum Verb „erziehen“ folgende Wörter an:
- מוּסָר mûsār „Disziplin“;
- אָמְנָה ’åmnāh „Erziehung / Bildung“;
- גדל gdl Pi. „groß werden lassen / erziehen“;
- יסר jsr „züchtigen / zurechtweisen / erziehen;
- רבה I rbh Pi. „viel wachsen / erziehen / groß ziehen“.
Zu „Erzieher“ wird auf אֹמֵן ’omen „Erzieher / Wärter“ verwiesen. Neben diesem Inventar könnte man noch an das Verb יכח jkḥ „züchtigen“ mit dem davon abgeleiteten Nomen תּוֹכַחַת tôkhaḥat „Züchtigung / Zurechtweisung“ denken.
3. Erzieher
Die Vorkommen des Partizips אֹמֵן ’omen sind überschaubar: Num 11,12
Der Rolle eines Erziehers kommt man über dieses Wort offenbar nicht näher. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Alte Testament diese Rolle nicht kennt, sondern lediglich, dass dieses Lexem nicht dafür verwendet wird. Dafür stehen in der hebräischen Bibel die Wörter אָב ’āv „Vater“ und אֵם ’em „Mutter“. Die Eltern sind für diese Texte offenbar die paradigmatischen Erziehungspersonen, was nicht heißen muss, dass stets sie es waren, die ihre Kinder erzogen – Est 2,7
4. Erziehung
Unter den Substantiven ist אָמְנָה ’åmnāh „Erziehung / Bildung“ nur in Est 2,20
Die Verben רבה I rbh Pi. und גדל gdl Pi. kommen in der fraglichen Bedeutung nicht sehr häufig vor: רבה I rbh Pi. Ez 19,2
Die so ausgesonderten Bibelstellen (Dtn 8,5
Die Erziehungsfunktion der Eltern kann auch auf den König übertragen werden, der sein Volk „züchtigt“ (1Kön 12,11-14
Da aber auf diese Weise der Erziehungsvorgang nicht auf die Lebenszeit der Eltern beschränkt bleiben muss, wird Erziehung zu einem lebenslangen Prozess (Spr 19,27
Korrekturen unerwünschten Verhaltens können sehr handgreiflich vonstatten gehen, nicht selten ist von Schlägen oder der Rute die Rede (z.B. Spr 29,15
Ziel der Erziehung ist die Anpassung an die Regeln der Gemeinschaft. Diese Regeln sind in den hier betrachteten Texten des Alten Testaments oft als göttlich gegebene Regeln vorgestellt.
Spr 4,1-9
„1 Hört, meine Söhne, die Mahnung eures Vaters; merkt auf, dass ihr lernt und klug werdet! 2 Denn ich gebe euch eine gute Lehre; verlasst meine Weisung nicht. 3 Denn als ich noch Kind in meines Vaters Hause war, ein zartes, das einzige unter der Obhut meiner Mutter, 4 da lehrte er mich und sprach: Lass dein Herz meine Worte aufnehmen; halte meine Gebote, so wirst du leben. 5 Erwirb Weisheit, erwirb Einsicht; vergiss sie nicht und weiche nicht von der Rede meines Mundes; 6 verlass sie nicht, so wird sie dich bewahren; liebe sie, so wird sie dich behüten. 7 Denn der Weisheit Anfang ist: Erwirb Weisheit und erwirb Einsicht mit allem, was du hast. 8 Achte sie hoch, so wird sie dich erhöhen und wird dich zu Ehren bringen, wenn du sie herzest.“
Es geht vornehmlich um Unterordnung unter eine Lebensweise, um Anpassung. Ein „autonomes Subjekt“ ist hier ebenso wenig gedacht wie Kritikfähigkeit. Dabei sollte man allerdings stets bedenken, dass Sozialisation immer auch in diese Richtung tendiert: Über Tischmanieren und Höflichkeitsformen zu diskutieren, ist selten besonders sinnvoll.
Deutlich ist in dem zitierten Text darüber hinaus, dass die Grenze zwischen (sozialisierender) Erziehung und Schulbildung, die in kulturelle Traditionen einführt, nicht scharf ist. Ebenso wenig kann man sicher sagen, ob der „Vater“ auch Lehrer ist oder ob der Lehrer als „Vater“ bezeichnet wird. Die Ideale, die mit Begriffen wie → „Weisheit
Noch schärfer konturiert wird das Bild, wenn man den Fall misslungener Erziehung ansieht, wie Dtn 21,18-21
„18 Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, 19 so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes 20 und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. 21 So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte.“
Eine derartige Bereitschaft, einen Menschen auf alle Fälle in die Gemeinschaft einzugliedern oder, wenn das nicht gelingen will, ihn für immer aus der Gemeinschaft zu entfernen, enthüllt eine erzieherische Entschlossenheit, die für moderne Menschen nicht mehr im Rahmen des Erwünschten liegt, zeigt aber, welch hohe Bedeutung das rechte Verhalten und die Hinführung zu diesem Verhalten in jener Gesellschaft hatte, die das Alte Testament hervorgebracht hat.
5. Texte im Alten Testament mit möglichem Bezug zum Thema „Erziehung“
Auch wenn die Darstellung in den vorangegangen Abschnitten versucht hat, die Aussagen alttestamentlicher Texte zum Thema „Erziehung“ systematisch zu erfassen, soll doch auch noch die Gegenprobe gemacht werden: Gibt es nicht Texte im Alten Testament, die von Eltern und Kindern handeln und, da dort Konflikte nicht ausgespart bleiben, auch erzieherische Maßnahmen beschreiben müssten?
Die Abrahamerzählung z.B. müsste hierzu Texte bieten. Tatsächlich findet man dort eine ganze Reihe von Stationen aus dem Leben → Abrahams
Die Einpassung des Menschen in die Gemeinschaft, seine ständige Bereitschaft sich zu formen und sich auch formen zu lassen, sind Thema eines anderen Bereiches innerhalb des Alten Testaments. Den Autoren der Texte des Sprüchebuches oder auch des → Deuteronomiums
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
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- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
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- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
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2. Weitere Literatur
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- Rittelmeyer, C., 5. Aufl. 2002, Der Erzieher, in: D. Lenzen (Hg.), Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek, 205-227
Abbildungsverzeichnis
- Häufigkeitsverteilung von jsr, jkḥ, mûsār und tôkhaḥat. Nach Accordance Bible Software (OakTree Software Inc.); Grafik erstellt von J. Krispenz
- Szene aus einer Viehzählung (Modell des Meketre, 11. Dynastie, um 2000 v. Chr.). Aus: M. Saleh, Die Hauptwerke im Ägyptischen Museum Kairo. Offizieller Katalog, Mainz 1986, Nr. 76
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