Euphrat
(erstellt: Mai 2014)
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Der Euphrat ist mit über 2700 km Länge der längste Strom des Vorderen Orients. Zusammen mit dem weiter östlich gelegenen → Tigris
1. Name
Der Name Euphrat geht letztlich auf sumerisch buranuna ([?] „großer Fluss“) zurück, woraus das in Mesopotamien geläufige akkadische purattu entstand (zur Schreibung und zu den Belegen in der hier relevanten späteren Zeit vgl. Parpola 1970, 281f.; Zadok 1985, 396-398; Literatur zu allen Belegen: Belmonte Martín 2001, 393), das letztlich die Urform der Namen des Flusses in den übrigen antiken Sprachen darstellte: 1. Die altpersische Namensform ufrātu (Kent 1953, 176) erscheint gräzisiert als Εὐφράτης Euphratēs (lateinisch Eufrates), worauf die deutsche Namensform beruht. 2. Unmittelbar von der akkadischen Form leiten sich die Namen des Flusses in den nordwestsemitischen Sprachen her, wie z.B. hebräisch פְּרָת pərāt (19-mal im Alten Testament), in Qumran als פורת pwrt (QM 2,11), und arabisch al-Furāt.
Angesichts seiner Größe und Bedeutung kann der Euphrat auch einfach als „der große Strom“ (Gen 15,18
2. Verlauf
Der Euphrat entspringt im armenischen Bergland in Bereich der heutigen Osttürkei in zwei Quellflüssen, dem nördlichen, in der Nähe von Erzurum entspringenden Karasu und dem südlichen, weiter im Osten entspringenden Murat. Nach deren Vereinigung zum eigentlichen Hauptfluss in der Nähe des heutigen Malatya fließt der Euphrat zunächst in südlicher Richtung, durchbricht dabei die Tauruskette und erreicht bei Til Barsip zunächst Obermesopotamien und damit das weite Flachland Mesopotamiens, das er in zahlreichen Windungen durchfließt. Noch in Obermesopotamien münden seine beiden wichtigsten (östlichen) Nebenflüsse ein, der weiter nördlich gelegene Balīḫ und der südlichere Ḫābūr, der im Alten Testament in der Form „Habor“ erscheint (חָבוֹר ḥāvôr; 2Kön 17,6
Der Euphrat ist geprägt von seiner variierenden Wasserführung; bedingt u.a. durch Anschwemmungen seiner östlichen Nebenflüsse änderte er immer wieder seinen Verlauf, so dass Städte wie → Nippur
3. Wirtschaftliche Bedeutung
Auch viele weitere Wirtschaftszweige waren von der Wasserversorgung abhängig, so die Keramikproduktion, Textilherstellung oder der gesamte Gebäudebau, da auch für die Herstellung luftgetrockneter Lehmziegel Wasser benötigt wurde.
Der Euphrat spielte auch als Transportweg für Personen und Handelswaren eine zentrale Rolle. Er stellt die Hauptroute von Babylonien nach Westen dar, nach Syrien bis zum Mittelmeer (über Mari oder Emar), letztlich auch nach Ägypten, dann nach Kleinasien. Da er bereits ab seinem Eintritt ins Flachland schiffbar wird, erfolgte der Transport einerseits zu Schiff. Andererseits führte der Hauptverkehrsweg für → Karawanen
4. Der Euphrat in der mesopotamischen und alttestamentlichen Literatur
4.1. Mesopotamien
4.1.1. a) In der historischen Literatur begegnen die beiden Flüsse Euphrat und Tigris in der Bezeichnung für Mesopotamien, meist pauschal als māt birīt nārim bzw. māt birītim „Land zwischen den Flüssen“, selten auch mit ausdrücklicher Nennung der Flussnamen „Land zwischen Tigris und Euphrat“ (altassyrisch; Inschrift Šamši-Adads I. [KAH I, Nr. 2 Vs. I 7f.; TUAT II 487]). Oft steht der Euphrat allein dagegen für die Westgrenze Mesopotamiens und damit den Übergang zum benachbarten Syrien. Mit Beginn der Westexpansion des assyrischen Reiches erscheinen Wendungen wie „ich überschritt den Euphrat“ zur Bezeichnung des Auftaktes einer Militärexpedition in den Westen (manchmal gesteigert durch den Zusatz „bei Hochwasser“), bereits in mittelassyrischer Zeit unter Tiglat-Pileser I. (1116-1077 v. Chr.; TUAT I, 357) und in früherer neuassyrischer Zeit unter Assurnaṣirpal II. (884-859 v. Chr.; TUAT I, 358) und seinem Sohn Salmanasser III. (859-824 v. Chr.; TUAT I, 362-366 [vgl. 361]; HTAT 255.259-263.265). Ab dem 8. Jh. v. Chr. mehren sich mit der Westexpansion des neuassyrischen Reiches solche Angaben, unter Adad-Nērāri III. (810-783 v. Chr.; TUAT I, [367.] 369; HTAT 276), Sargon II. (722-705 v. Chr.; TUAT I, 381; HTAT 308) und Asarhaddon (681-669 v. Chr.; TUAT I, 398). Später berichtet die neubabylonische Chronik Vergleichbares von Nabopolassar (D 4, 21-26; HTAT 414f.; TUAT I 402) und Nebukadnezar (D 4, Rs 2-3; HTAT 415; TUAT I 403). Selbstverständlich wird Ähnliches vom Westen aus von hethitischen Königen berichtet (Annalen Hattusilis I.: akkad. Rs 18; hethit. Rs III 29; TUAT I 459.463). Erst ab dem → Neuen Reich
b) Dass der Euphrat von Mesopotamien oder Persien aus betrachtet als Westgrenze zu Syrien-Palästina wahrgenommen wurde, zeigt besonders die Bezeichnung Syrien-Palästinas als „Transpotamien“, „Gebiet jenseits des Stromes“ – zunächst in mesopotamischen Quellen, nachweisbar seit Asarhaddon, dann auch in Syrien und Süd-Arabien (zusammenfassend Beyer 1984, 651; 2004, 450): Akkadisch erscheint die Wendung als eber nāri (AHw 181b: CAD E 8; zu den Belegen vgl. Parpola 1970, 116; Zadok 1985, 129), aramäisch inschriftlich als ‘br nhr’ (DNWSI 823), biblisch-aramäisch עֲבַר נַהֲרָא ‘ǎvar nahǎrā’ u.ä., biblisch-hebräisch עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār u.ä. (je nach Ausgangsposition auch für das osteuphratische Gebiet), auch altsüdarabisch (minäisch) ‘br nhrn (RÉS 3022; TUAT 1, 664; 4. Jh. v. Chr.), griechisch als πέραν τοῦ ποταμοῦ / Εὐφράτου. In Qumran begegnet auch עבר פורת ’br pwrt (QM 2,11). Eber nāri „Transeuphratene“ und sein aramäisches Pendant wird schließlich zur Provinzbezeichnung im persischen Großreich (Klinkott 2005, 74f. 117. 456-458 u.ö. [Lit.]) und taucht bis in hellenistisch-römische Zeit und später als Bezeichnung Syriens auf – so auch biblisch in den → Büchern Esra und Nehemia
4.1.2. a) Auch in der mesopotamischen Mythologie und Religion nimmt der Euphrat eine zentrale Stellung ein. Mehrere Schöpfungsberichte nennen die ausdrückliche Erschaffung der Flüsse Euphrat und Tigris als der Menschenschöpfung vorausgehendes und den Lebensraum bestimmendes Ereignis, so im sumerisch-akkadischen Schöpfungsbericht KAR 4 (TUAT III 606 Vs. 6), im Bericht von der Weltschöpfung durch Marduk innerhalb der Beschwörungsserie „Mundwaschung“ CT 13 (TUAT III 609 Vs. 23) und im Atramḫasīs-Mythos (TUAT III 619 Tf. I, 25). Das Weltschöpfungsepos → Enuma Elisch
b) Auch sonst spielen Euphrat und Tigris als Hauptschlagadern Mesopotamiens in religiösen Texten eine hervorragende Rolle, wenn in Ritualtexten und Gebeten Wasser von Euphrat und Tigris vorkommen (TUAT II 217. 219. 720) oder eine Beschwörung die Beruhigung von beiden Flüssen zum Ziel hat (TUAT II 267). Auch die bereits ab sumerischer Zeit geläufigen Götterreisen können zu Schiff auf dem Euphrat stattfinden (z.B. Nanna; TUAT II 176ff.).
4.2. Altes Testament
4.2.1. a) In historisch neutralem Sinne dient der Euphrat einfach zur Lokalisierung von Ortslagen, von Rehobot( Nahar) (Gen 36,37
b) Eine wesentliche Rolle spielt der Euphrat in der historischen Literatur als Grenze Mesopotamiens zu Syrien. Zur Zeit Davids wollte der König des aramäischen Königreichs von Zoba namens Hadad-Ezer seine Macht bis zum Euphrat ausdehnen (2Sam 8,3
Obermesopotamien spielt dann auch die entscheidende Rolle als Herkunftsort der Erzväter und damit letztlich Israels, so dass die Ortsbezeichnung jetzt auch theologisch qualifiziert erscheint. → Jakob
4.2.2. Sodann erscheint der Euphrat aus westlicher Perspektive als das Charakteristikum Mesopotamiens und kann in der prophetischen Literatur metaphorisch oder in Anspielungen für dieses selbst stehen.
a) Wenn zwei → Zeichenhandlungen
Ähnliches dürfte für Jer 13,1-11
b) Deutlicher werden an zwei weiteren Stellen des Jeremiabuches der → Nil
Im Fremdvölkerspruch (→ Prophetische Redeformen
Im Scheltwort Jer 2,18
c) Auch Jes 8,6-8
d) In der nachexilischen Verheißung Mi 7,12
e) In Ps 137,1
4.2.3. Wenn in der prophetischen Kritik des Jeremiabuches Nil und Euphrat respektive Ägypten und Mesopotamien als die beiden polar entgegengesetzten Großreiche erscheinen, denen Israel nachläuft und die umgekehrt Israel vernichten können, so begegnet in der deuteronomistischen Geschichtskonstruktion das dazwischen liegende Gebiet als Territorium eines idealen Großreichs Israel, dessen Grenzen durch den Euphrat auf der einen und das (Mittel-)Meer oder den Bach Ägyptens (נַחַל מִצְרַיִם = Wādī l-‘Arīš) auf der anderen Seite gegeben sind.
Dieses Gebiet vom Bach Ägyptens bis zum Strom Euphrat wird nach der späten Stelle 2Kön 24,7
Dem entspricht eine ganze Serie deuteronomistischer und davon abhängiger Stellen, die im Sinne der deuteronomistischen Konzeption eines alle historischen Grenzen übersteigenden idealtypischen Großisrael (→ Deuteronomismus
Das Ende der Jesajaapokalypse Jes 27,12
In anderer Terminologie beschreibt die Jerusalemer Königsideologie die ideale Weltherrschaft des Königs im Königspsalm Ps 72,8
Der Euphrat wird schließlich nach Ausweis des Neuen Testaments seine Funktion als schützende Grenze im Kontext des Endgerichts nicht mehr wahrnehmen können, wenn er in Apk 16,12
4.2.4. In persischer Zeit erscheint auch im Alten Testament die Bezeichnung „(Gebiet) jenseits des Stromes“, biblisch-aramäisch עֲבַר נַהֲרָא ‘ǎvar nahǎrā’ u.ä., biblisch-hebräisch עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār, als Bezeichnung der persischen Provinz Transpotamien / eber-nāri in den → Büchern Esra und Nehemia
4.2.5. Im Bereich der Urgeschichte schließlich kennt die → Paradieserzählung
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Der Euphrat bei Dura Europos. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1996)
- Mesopotamien, das Gebiet des heutigen Iraks, liegt zwischen den großen Flüssen Euphrat und Tigris. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Die sog. Babylonische Weltkarte und eine Rekonstruktion (Tontafel, Sippar, 6./5. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum, BM 92687; Rekonstruktion nach E. Unger, Babylon. Die heilige Stadt nach der Beschreibung der Babylonier, photomech. Nachdr. der Ausg. v. 1931, erweitert um eine Vorbemerkung von R. Borger, Berlin 1970, Tf. 3
- Karte: Israel als Land „vom Fluss Ägyptens bis zum Euphrat“. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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