Fluch, Fluchspruch (AT)
(erstellt: November 2013)
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1. Einführung
1.1. Fluch religionsgeschichtlich
Eid und Fluch als metaphysisch verankerte Sprechakte sind per se ein interdisziplinäres Forschungsfeld, auf dem sich Erkenntnisinteressen der Geschichtswissenschaft, der Linguistik, der Rechtshistorie, der Ethnologie, der Religions- und Literaturwissenschaft kreuzen und – im besten Fall – verschränken. Fluch wird in diesen Diskursen verstanden im Sinne von magischem, lebensminderndem Bann (E.A. Speiser / H.C. Brichto) oder als Ausschluss aus der Gemeinschaft mit sozialer Wirkung (J. Pedersen / F. Horst). Im Alten Orient begegnen Fluchtexte als Bitt- und Beschwörungsformulare, nicht selten als Inschriften von Grenzsteinen. Insbesondere F.X. Steinmetzer hat als babylonischen Parallelen der biblischen Fluchtexte sog. Kudurru (beschriebene Steinstelen) untersucht, die als akkadische Schriftzeugnisse Motivverwandtschaft, insbesondere beim Fluchspruch auch Übereinstimmungen mit biblischen Fluchtexten aufweisen und daher schon früh die Frage nach dem Verhältnis der israelitischen Ausprägung auf dem Hintergrund gemeinorientalischer Fluchspruchformen aufgeworfen haben (vgl. auch die → Inschriften von Sfire
1.2. Fluch biblisch
In der Bibel stehen verschiedene Lexeme und deren Bedeutungsumfeld im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses, die jedoch auf unterschiedlichen semantischen Ebenen liegen und nicht in äquivalenter Weise für das literarische Phänomen des Fluchs herangezogen werden können. Während das Lexem גער g‘r „schreien / schelten“ recht unspezifisch in unserem Zusammenhang verwendet wird, zeigt sich das Verb קבב qbb II „verwünschen / verfluchen“ (Num 22,11
In Hi 1,5
Im Kern stellt das Textgeschehen des Fluchens in der Bibel die ausdrückliche Bitte an Gott dar, Einzelnen bzw. Gruppen von Gegnern körperlichen oder sonstigen Schaden angedeihen zu lassen, wobei Gott oft als Urheber der Schädigung nicht ausdrücklich genannt wird. Beispiele sind die → Psalmen
2. Zur Forschungsgeschichte
2.1. Der Kontext der Fluchsprüche
→ H. Gunkel
2.2. Der Fluchspruch (W. Schottroff)
W. Schottroff wendet sich in seiner Arbeit zum Fluchspruch speziell dem Lexem אָרוּר ’ārûr zu. Im Blick auf Dtn 27,15-26
Daneben begegnen Fluchbedingungen, die als rechtliche Bedingungen (z.B. Jos 6,26
2.3. „Feindbeschimpfung“ und „Gewalt“ in den Psalmen
2.3.1. Frank van der Velden: Der Topos der „Feindbeschimpfung“ in den Psalmen
Einen besonderen Bereich des Fluchens nimmt der Topos der Feindbeschimpfung in den Psalmen ein, den F. van der Velden an Ps 109
2.3.2. Erich Zenger: Ein Gott der Rache. Feindpsalmen verstehen
Zenger reagiert in seiner kleinen Monografie über die Fluchteile im Psalter gegen den Vorwurf, Fluchtexte seien vor- oder unchristlich und damit christlichem Gebet unangemessen. Da die Fluchpsalmen nicht wirklich verfluchten, sondern vielmehr Gott leidenschaftliche Klagen, Bitten und Wünsche vortrügen, bevorzugt Zenger die Bezeichnung „Feindpsalmen“. Im Zusammenhang mit erfahrener Gewalt stellten die Fluchteile eine Klage bzw. ein Schreien gegen Gewalt dar. Angesichts von Versuchen, die Fluchteile durch Ignoranz oder Korrektur, durch Zurückstufung als niedrigere Stufe der Offenbarung oder durch interpretatorische Umorientierung zu entleeren, plädiert er dafür, sie als Protest gegen die Gewalt von gewalttätigen Menschen, als Kampf gegen strukturelle Gewalt und als Schrei nach Recht und Gerechtigkeit, der dem Ohnmächtigen bleibt, zu verstehen. Als hermeneutischen Hintergrund der Feind- und „Rache“psalmen sieht er im eschatologischen Horizont Gott als den Richter der Geschichte, dessen Gerechtigkeit nicht als iustitia distributiva, sondern als iustitia salutifera zu verstehen ist. In diesem Kontext konfrontieren die Fluchteile in den Psalmen mit der Rätselhaftigkeit des Bösen. Entgegen einer Sakralisierung, Mythisierung oder Dämonisierung von Gewalt oder einer dualistischen Prädestination decken sie konkrete Gewaltmechanismen von Menschen und Institutionen auf. Sie stehen für ein dynamisches Weltbild und fordern Gott zur Chaosbekämpfung und zum Eintreten für seine Schöpfungsordnung heraus. Als Poesie stehen sie unter dem Vorbehalt von Bildgestalt und kompositioneller Technik, die in der Auslegung berücksichtigt werden müssen.
3. Segen und Fluch im Kontext des biblischen Gotteszeugnisses
Die Fluchpassagen der Bibel, sofern sie nicht im paränetischen Zusammenhang (z.B. Lev 5,1
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
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- Gerstenberger, Erhard S., „… (He/They) Shall be Put to Death“. Live-Preserving Divine Threats in Old Testament Law, in: Ex auditu 11 (1995), 43-61.
- Gunkel, Hermann / Begrich, Joachim, Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Lyrik Israels (HK II Ergänzungsband), 1933 (Nachdruck 1975).
- Jörns, Klaus-Peter, Segen – und kein Fluch? Überlegungen zur Einheit Gottes im Vorfeld der Praktischen Theologie, in: DERS.; Der Lebensbezug des Gottesdienstes. Studien zu seinem kirchlichen und kulturellen Kontext, München 1988.
- Keel, Othmar, Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen, Stuttgart 1969.
- Mowinckel, Sigmund, Der Fluch in Kult und Psalmendichtung, in: ders: Psalmenstudien V, Kristiana 1924.
- Oettinger, Maximilian, Der Fluch. Vernichtende Rede in sakralen Gesellschaften der jüdischen und christlichen Tradition, Konstanz 2007.
- Scharbert, Josef, Solidarität in Segen und Fluch im Alten Testament und in seiner Umwelt, Teil 1: Väterfluch und Vätersegen (BBB 14), Bonn 1958.
- Schottroff, Willy, Der altisralitische Fluchspruch (WMANT 30), Neukirchen-Vluyn 1969.
- Schulz, Hermann, Das Todesrecht im Alten Testament. Studien zur Rechtsform der Mot-Jumat-Sätze (BZAW 114), Berlin 1969.
- Steymans, Hans Ulrich, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Göttingen 1995.
- Van der Velden, Frank, Psalm 109 und die Aussagen zur Feindschädigung in den Psalmen (SBB 37), Stuttgart 1997.
- Versnel, Henk, Fluch und Gebet. Magische Manipulation vs. Religiöses Flehen? Berlin 2009.
- Zenger, Erich, Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg/Brsg. 1994.
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