Deutsche Bibelgesellschaft

Fluch, Fluchspruch (AT)

(erstellt: November 2013)

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1. Einführung

1.1. Fluch religionsgeschichtlich

Eid und Fluch als metaphysisch verankerte Sprechakte sind per se ein interdisziplinäres Forschungsfeld, auf dem sich Erkenntnisinteressen der Geschichtswissenschaft, der Linguistik, der Rechtshistorie, der Ethnologie, der Religions- und Literaturwissenschaft kreuzen und – im besten Fall – verschränken. Fluch wird in diesen Diskursen verstanden im Sinne von magischem, lebensminderndem Bann (E.A. Speiser / H.C. Brichto) oder als Ausschluss aus der Gemeinschaft mit sozialer Wirkung (J. Pedersen / F. Horst). Im Alten Orient begegnen Fluchtexte als Bitt- und Beschwörungsformulare, nicht selten als Inschriften von Grenzsteinen. Insbesondere F.X. Steinmetzer hat als babylonischen Parallelen der biblischen Fluchtexte sog. Kudurru (beschriebene Steinstelen) untersucht, die als akkadische Schriftzeugnisse Motivverwandtschaft, insbesondere beim Fluchspruch auch Übereinstimmungen mit biblischen Fluchtexten aufweisen und daher schon früh die Frage nach dem Verhältnis der israelitischen Ausprägung auf dem Hintergrund gemeinorientalischer Fluchspruchformen aufgeworfen haben (vgl. auch die → Inschriften von Sfire). Die Arbeiten H.S. Versnels stellen antike griechische und lateinische Fluchtafeln als Bindeflüche (defixiones) in den Mittelpunkt des Interesses. Sie verwenden Worte und Handlungen manipulativer Art, die Kontrahenten und Rivalen ihrer Kraft berauben, sie damit binden und lähmen, aber nicht verletzen sollen. Ein zweiter Typus von Tafeln bittet die Gottheit, eine meist unbekannte Person wegen am Autor begangenen Unrechts zu bestrafen. Die Versuche M. Oettingers, die magische Wirkung des Fluchs als öffentliche Sprechakte im Sinne sozialer Sanktionen im jüdischen und christlichen Umfeld zu verstehen, die als Strafe und Rache dadurch wirksam werden, dass in einer Deutungsgemeinschaft deren Wirkung übereinstimmend geglaubt wird, erscheinen fragwürdig, weil kontextunabhängig und eklektizistisch.

1.2. Fluch biblisch

In der Bibel stehen verschiedene Lexeme und deren Bedeutungsumfeld im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses, die jedoch auf unterschiedlichen semantischen Ebenen liegen und nicht in äquivalenter Weise für das literarische Phänomen des Fluchs herangezogen werden können. Während das Lexem גער g‘r „schreien / schelten“ recht unspezifisch in unserem Zusammenhang verwendet wird, zeigt sich das Verb קבב qbb II „verwünschen / verfluchen“ (Num 22,11.17; Num 23,8.11.13.25.27; Num 24,10) und insbesondere das damit verwandte Verb נקב nqb „fluchen“ (Lev 24,11.16) im Zusammenhang mit dem Aussprechen des Gottesnamens. Einschlägige Verwendung findet das Lexem קלל qll Piel „verfluchen“, dessen Substantiv קְלָלָה qəlālāh „Fluch“ als Gegensatzbegriff zu בְּרָכָה bərākhāh „Segen“ verwendet wird (Gen 27,12; Dtn 11,26.28f.; Dtn 23,6; Dtn 27,13; Dtn 28,15; Dtn 29,26; Dtn 30,1.19; Jos 8,34). In breiter und spezifischer Verwendung begegnen אלה ’lh „einen Fluch aussprechen / jmd.en verwünschen“ (insbesondere im → Jeremiabuch) und das Verb ארר ’rr „verfluchen“, das die breiteste Verwendung aufweist.

In Hi 1,5.11 und Hi 2,5.9 findet das Verb ברך brk „segnen“ Verwendung, steht aber wohl im Sinne eines Euphemismus für קלל qll oder ein ähnliches Fluchverb, das von vergleichbaren Zusammenhängen (Fluch gegenüber Gott oder dem König) beispielsweise in Jes 8,21, Ex 22,27 zu erschließen ist. Offensichtlich muss im → Hiobbuch im Gegensatz zu den genannten Stellen der Gottesfluch euphemisiert werden.

Im Kern stellt das Textgeschehen des Fluchens in der Bibel die ausdrückliche Bitte an Gott dar, Einzelnen bzw. Gruppen von Gegnern körperlichen oder sonstigen Schaden angedeihen zu lassen, wobei Gott oft als Urheber der Schädigung nicht ausdrücklich genannt wird. Beispiele sind die → Psalmen Ps 18; Ps 35; Ps 37; Ps 58; Ps 59; Ps 69; das Feindvölkersummarium im Asaphpsalm Ps 83 (Ps 83,10-18) und die Racheforderungen in Ps 94, Ps 108-110. Einzelne Aussagen finden sich in Ps 137,8f., hauptsächlich in sog. Davidpsalmen. Die Fluchformulierungen enthalten oft ethische (z.B. Ps 119,21) und ästhetische Bedingungen (z.B. Jer 48,10). Fern davon, ungeregelte emotionale Rachewünsche zu sein, weisen die eher typischen Formulierungen in den Psalmen, mit denen die Feindschädigung im Kontakt mit Bezugstexten in- und außerhalb des Psalters bewusst gestaltet sind, auf ein übergeordnetes theologisches Konzept hin. Im Psalmenbuch begegnet die psalmentypische „Beschämungsbitte“.

2. Zur Forschungsgeschichte

2.1. Der Kontext der Fluchsprüche

H. Gunkel unterschied zwischen älteren, magisch-mantischem Denken verhafteten Schadenswünschen (hier auch feste Form der Fluchsprüche [„verflucht ist derjenige, der …] und der Verfluchung „du bist verflucht“ [אָרוּר אַתָּה ’ārûr ’attāh]), die aus sich selbst wirken, und späteren Formen von Schadenswünschen mit Fluchwünschen und imperativischen Schadensbitten, die an JHWH gerichtet sind (Gunkel 1933, 226-228.250f.304f.307f). Nach ihm sind Fluchsprüche nachträglich in die Gattung der Klagelieder hineingewandert. → S. Mowinckel propagierte eine Herleitung aus einem „kultischen Fluchformular“, das er insbesondere in Fluch und Segen aus Dtn 27,11-26 wiederfand. → Albrecht Alt unterschied kasuistisches von apodiktischem Recht (→ Recht), das kasuistische sei aus der Umwelt Israels übernommen, die Fluchsprüche in Dtn 27 seien dem apodiktischen Recht zuzuordnen. Mit dieser These fand er Unterstützung durch J. Scharbert, der den Fluch als Sanktion ebenfalls innerhalb des apodiktischen Rechts als genuin israelitisch charakterisierte. H. Schulz unterstellte ein sakralrechtliches Verfahren, bei dem die Entscheidung über Leben und Tod Gott selbst obliege (→ Ordal, Gottesurteil). Die Feindschädigung sei dann als spätere literarische Ausformung eines ursprünglich archaischen, nomadischen Sippenrechts fixiert worden. Im Hintergrund stehe der → Tun-Ergehen-Zusammenhang als schicksalsmächtige Tatsphäre. W. Schottroff hingegen deutete in seiner einschlägigen Studie zum Fluchspruch das Fluchen und Verwünschen nicht sakralrechtlich und gesellschaftlich-institutionell, sondern als elementare Sprachgebärde für jedermann, zwischen Privatpersonen, die innerhalb eines Clans als Solidargemeinschaft verstanden werden. Die Forschung war lange Zeit geprägt von der formgeschichtlichen Suche nach einer reinen, ursprünglichen Form des alttestamentlichen Fluchspruchs als mündlicher Grundform und deren literarischer Formulierung. O. Keel vollzog die Abwendung vom exklusiven Institutionenbezug und stellte die Frage nach dem psychologischen Profil der Darstellung der Feinde und Widersacher, nicht nach ihrer Identifizierung. Nach ihm ist das Motiv der Feinde und ihrer Darstellung nicht streng gattungsgebunden, sondern taucht in verschiedenen Gattungen unverändert auf. Insbesondere in den Psalmen ist die Feindesschilderung formelhaft und stereotyp. In ähnlicher Weise deutete E.S. Gerstenberger die Feindpsalmen als literarische Auseinandersetzung mit der Lebenssituation des Beters. Unter Hinweis auf Gen 2,17 versteht Gerstenberger die Todesdrohungen nicht als kodifiziertes Recht, sondern stellt sie in einen theologischen Zusammenhang: Todesdrohungen schützen eine gegebene göttliche Ordnung, die das Leben fördert (Gerstenberger 1995, 45.47). In der Forschung zu den biblischen Fluchtexten interessierte lange Zeit die Frage nach Mündlichkeit oder Schriftlichkeit, verbunden mit den vermuteten sozio-historischen Kontexten nomadischer Vorzeit oder staatlich-institutioneller Ordnung. Verbunden damit fragte man danach, ob Kult und / oder Recht als „Sitz im Leben“ oder eine literarische Gestaltung (Poesie) anzunehmen sei, und ob die Fluchpassagen als Proprium hebraicum oder in Kontinuität zum Ethos der Nachbarvölker zu deuten seien.

2.2. Der Fluchspruch (W. Schottroff)

W. Schottroff wendet sich in seiner Arbeit zum Fluchspruch speziell dem Lexem אָרוּר ’ārûr zu. Im Blick auf Dtn 27,15-26 und Dtn 28,16-19 versteht er die sog. Arur-Worte („Fluchsprüche“) als altes poetisch geprägtes Traditionsgut. Er stellt fest, dass die Arur-Formel „du bist verflucht“ im Alten Testament nicht allein, sondern in Verbindung mit begründenden und bedingenden Aussagen als mehrgliedriger Fluchspruch begegnet (z.B. Gen 3,14). Fluchbegründungen können in fluchbegründenden Fragen („Warum?“, Jer 20,18) oder Relativsätzen (z.B. Dtn 27,15) oder mit כִּי „denn“ eingeleiteten Kausalsätzen (z.B. Gen 3,14) bestehen.

Daneben begegnen Fluchbedingungen, die als rechtliche Bedingungen (z.B. Jos 6,26) die Gestalt eines Rechtssatzes mit Tatbestandsdefinition als Protasis (Vorsatz) und mit Rechtsfolgebestimmung als Apodosis (Nachsatz, bei den Flüchen vorangestellt) annehmen („verflucht ist, wer …“). Im Zusammenhang der Fluchbedingungen deutet Schottroff auch die Weherufe (הוֹי hôj) und die sog. môt jûmāt-Sätze („er wird sterben“, z.B. Ez 18,10-13), die er als kultisches Recht versteht. Der Fluchformel nachgeordnet sind nach Schottroff fluchentfaltende Aussagen, die als weisheitliche Entfaltung (Jer 17,5f.) oder in Gestalt einer Gottesrede (Gen 49,7) vorkommen. Begründung und Bedingung treten zwischen Formel und Entfaltung. Die Fluchentfaltungen zeigen nach Schottroff weitgehende Übereinstimmung mit altorientalischen Fluchsprüchen. Mit einem vergleichenden Seitenblick auf die Segensformel, die oft als antithetische Entsprechung zur Fluchformel gestaltet ist (Gen 27,29; Num 24,9; Dtn 28,3-6; Dtn 28, 16-19; Jer 17,5-8) zeigt er: → Segen als Grundform des unbedingten Zuspruchs ist „nicht als konkrete, einzelne Lebenssteigerung, sondern als Totalbestimmung der Existenz des Gesegneten in einem umfassenden Sinn“ zu verstehen (Schottroff, 164). Demgegenüber „stellt sich die Fluchformel … als eine primär dem Haupt der Familie oder Sippe zukommende Ausschlußformel dar, die auf dem Boden sippenrechtlicher Deliktsahndung erwachsen ist“ (Schottroff 207). Die Arur-Formel entstammt nach Schottroff als genuin israelitischer Fluchspruch der nomadischen Situation in der Wüste. Form und Inhalt sind der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Im Kulturland ist dann hinzugewachsen: Der Fluch zeigt sich in Lebensminderung innerhalb des Lebensbereichs, Fluch setzt als Bewirker die Gottheit voraus und realisiert damit die Bedingungen gemeinorientalischer Fluchwünsche.

2.3. „Feindbeschimpfung“ und „Gewalt“ in den Psalmen

2.3.1. Frank van der Velden: Der Topos der „Feindbeschimpfung“ in den Psalmen

Einen besonderen Bereich des Fluchens nimmt der Topos der Feindbeschimpfung in den Psalmen ein, den F. van der Velden an Ps 109 und dessen Kotexten wie Ps 69 und Ps 35 sowie den sog. → Konfessionen Jeremias Jer 18,18-23 und Jer 20,7-18 untersucht. Hier rücken die Lexeme בושׁ bwš, כְּלִמָּה kəlimmāh und חֶרְפָּה ḥærpāh in den Mittelpunkt, die mit „Schmach / Schande / Beschämung“ übersetzt werden können. Bis auf wenige Ausnahmen (→ Hiob und → Esra) geht es um Bezüge, die sich ausschließlich in der prophetischen und der Psalmenliteratur finden. F. van der Velden hat darauf aufmerksam gemacht, dass vom Standpunkt europäischer Ethnologen aus gesehen, unklar bleibt, was im Alten Orient unter Schande verstanden wird. In den Prophetenbüchern wird Schande zumeist im Zusammenhang mit Fremdgötterverehrung als Folge angekündigt. In den Psalmen hingegen realisiert sich die Bitte um Feindbeschämung in der unpersönlichen, nicht an JHWH gerichteten Form des Schädigungswunsches, bei der kein Zusammenhang mit einem Abfall von JHWH zu erkennen ist. Offensichtlich, so van der Velden, sind Propheten und Psalmen im Dialog über den Topos der Beschämung: Die Feinde Israels soll das erreichen, was Israel selbst im Exil durchgemacht hat (van der Velden, 96f). Van der Velden erkennt eine Abfolge von Textbausteinen (116), deren literarisches Muster er als Qelalah-Fluch (von קלל qll) bezeichnet. Nach der Bitte um Schädigung von Frauen, Nachkommen und Angehörigen, sowie am Besitz der Feinde folgt eine Begründung mit Angabe des Feindhandelns, oft mit der hebräischen Konjunktion כִּי „denn / fürwahr“ eingeleitet. Die Schuld der Feinde wird herausgestellt, das ewige Gedenken Gottes an die Schuld der Feinde und endgültiges Scheitern der Gegner erbeten. Am Schluss erfolgt eine Selbstbezeichnung des Beters als arm und schwach.

2.3.2. Erich Zenger: Ein Gott der Rache. Feindpsalmen verstehen

Zenger reagiert in seiner kleinen Monografie über die Fluchteile im Psalter gegen den Vorwurf, Fluchtexte seien vor- oder unchristlich und damit christlichem Gebet unangemessen. Da die Fluchpsalmen nicht wirklich verfluchten, sondern vielmehr Gott leidenschaftliche Klagen, Bitten und Wünsche vortrügen, bevorzugt Zenger die Bezeichnung „Feindpsalmen“. Im Zusammenhang mit erfahrener Gewalt stellten die Fluchteile eine Klage bzw. ein Schreien gegen Gewalt dar. Angesichts von Versuchen, die Fluchteile durch Ignoranz oder Korrektur, durch Zurückstufung als niedrigere Stufe der Offenbarung oder durch interpretatorische Umorientierung zu entleeren, plädiert er dafür, sie als Protest gegen die Gewalt von gewalttätigen Menschen, als Kampf gegen strukturelle Gewalt und als Schrei nach Recht und Gerechtigkeit, der dem Ohnmächtigen bleibt, zu verstehen. Als hermeneutischen Hintergrund der Feind- und „Rache“psalmen sieht er im eschatologischen Horizont Gott als den Richter der Geschichte, dessen Gerechtigkeit nicht als iustitia distributiva, sondern als iustitia salutifera zu verstehen ist. In diesem Kontext konfrontieren die Fluchteile in den Psalmen mit der Rätselhaftigkeit des Bösen. Entgegen einer Sakralisierung, Mythisierung oder Dämonisierung von Gewalt oder einer dualistischen Prädestination decken sie konkrete Gewaltmechanismen von Menschen und Institutionen auf. Sie stehen für ein dynamisches Weltbild und fordern Gott zur Chaosbekämpfung und zum Eintreten für seine Schöpfungsordnung heraus. Als Poesie stehen sie unter dem Vorbehalt von Bildgestalt und kompositioneller Technik, die in der Auslegung berücksichtigt werden müssen.

3. Segen und Fluch im Kontext des biblischen Gotteszeugnisses

Die Fluchpassagen der Bibel, sofern sie nicht im paränetischen Zusammenhang (z.B. Lev 5,1; Hi 31,30) oder als Bestandteil der Beschreibung der Frevler in der Psalmenliteratur (z.B. Ps 10,7; Ps 59,13) Verwendung finden, stehen zumeist im Kontext und als (zumindest angedrohte potenzielle oder als wirksam zugesagte) Antithese der Zusage von → Segen JHWHs und sind auf diesem Hintergrund erst verständlich. Sofern von Menschen ausgesprochen, ist Fluch analog zum Segen die Bitte an Gott, er möge segnen oder verfluchen. Segen wird zugesprochen und erfahren als Lebenskraft, Lebensförderlichkeit in der konkreten Erfahrung von gelingendem Leben. Fluch ist als Gegenteil von Segen Minderung, Bedrohung und Einschränkung des Lebens. Die Schrift versteht Segen und Fluch auf dem Hintergrund eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch. Segen wird durch das zugewandte Angesicht Gottes (Num 6,22-24; Ps 31,17) symbolisiert, demgegenüber ist der Fluch angezeigt, indem Gott sein Angesicht abwendet (Dtn 31,17; Ps 51,12f.). Im fortlaufenden Erzählzusammenhang der jüdisch-christlichen Bibel wird das Thema Segen und Fluch in der sog. → Urgeschichte als grundlegender Sinnzusammenhang exponiert und dann im Verlaufe der weiteren Schrift thematisch und dramatisch entwickelt und verarbeitet. In der priesterlichen Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,4a) wird „Im Anfang“ der Schrift dargestellt, dass Gott Himmel und Erde schafft und am Ende der jeweiligen Schöpfungstage alles (an-)sieht, was er gemacht hatte und es für gut bzw. am Ende für sehr gut befindet (Gen 1,31). Sagen, dass alles gut ist (bene-dicere), ist vom Urbeginn somit der Schöpfung und ihrer Provenienz und Bestimmung von Gott her und auf Gott hin eingestiftet. Im Blick auf die gute Schöpfung ist Segen nicht gleichwertig mit Fluch, sondern prävalent und stellt die eigentliche Absicht Gottes dar. Erst auf diesem Segenshintergrund werden die einzelnen Fluchaussagen als Minderung des Segens, bedingt durch die Abwendung des Menschen und Israels von Gott, zum Thema. Fluch ist somit nur indirekt als ursächliche Handlung von Gott her zu verstehen, vielmehr als sich selbst einstellende Folge menschlichen Abfalls als Negativfolie zur antwortenden Treue des Menschen auf Gottes Bundesangebot (vgl. → Tun-Ergehen-Zusammenhang). Menschliche Hybris und die Übertretung der Lebensgebote Gottes führen in der Erzählung der sog. Urgeschichte zur Verfluchung der Schlange (אָרוּר ’ārûr, Gen 3,14) und des Ackerbodens um der Frau willen (Gen 3,17; → Paradieserzählung). Die Verfluchung des Ackerbodens beinhaltet die Mühen des Broterwerbs. Die Verfluchung → Kains als Mörder seines Bruders Abel und seine Verbannung vom Ackerboden (Gen 4,11) ist eine weitere Steigerung der erzählten Entfernungsgeschichte des Menschen von Gott. Als erzählerischer Entzug des Schöpfungssegens, der jedoch von Gott her einen neuen Anfang erhält, stellt sich auf diesem Hintergrund die → Fluterzählung in Gen 6-9 dar. Die Verfluchung Kanaans, nachdem sein Vater → Ham dessen Vater → Noah entblößt gesehen hat (Gen 9,25), lässt die Thematik von Segen und Fluch auf der Ebene Israels und der Völker anklingen, wie sie dann ab Gen 12 in den Vätererzählungen weiterentwickelt wird. In den Erzählungen der Erzväter Israels werden Segen und Fluch im Zusammenhang mit Israel meditiert. In der Zusage an → Abram als Stammvater Israels „Du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die (Pl.!) dich segnen; wer dich verwünscht, den (Sg.!) will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen empfangen.“ (Gen 12,3) findet die Auslegung der Segen-Fluch-Thematik ihre universalste Auslegung. Die Wiederaufnahme dieser Formulierung im Segen → Isaaks an seinen Sohn → Jakob (Israel) macht deutlich, dass sich in der Völkerperspektive am Verhältnis zu Abraham und Jakob, also Israel, Segen und Fluch entscheiden. Dies wird erzählerisch in der sog. → Bileamerzählung aufgenommen, in deren Verlauf der Seher Bileam auf Geheiß des moabitischen Königs → Balak, Israel verfluchen soll. „Verfluch mir dieses Volk! Wen du segnest, ist gesegnet, wen du verfluchst, ist verflucht.“ (Num 22,6). Gott bittet Bileam, das Volk nicht zu verfluchen, es sei gesegnet (Num 22,12). Dreimal versucht Bileam den Fluch, dreimal kommt jedoch eine Segensformulierung heraus. Der Seher sieht ein, dass er Israel nicht verfluchen kann, wenn Gott ihm nicht flucht (Num 23,8). Am Ende stimmt der Nicht-Israelit Bileam in die Abram und Jakob zugesagte Formulierung ein: „Wer dich segnet, ist gesegnet, wer dich verflucht, ist verflucht.“ (Num 24,9). Insbesondere im Buch → Deuteronomium, in der literarisch postulierten Situation kurz vor dem Einmarsch in das verheißene Land werden im Kontext der Verkündigung des Gesetzes als eines von Gott mit Israel neu geschlossenen → Bundes Segen und Fluch zu Spannungspolen der Entscheidung für oder gegen JHWH als den Gott Israels. Die Forschung hat hier ein Muster hethitischer Vasallenverträge erkannt, bei denen im Falle von Erfüllung oder Nichterfüllung der Bundesverpflichtung Segen oder Fluch angesagt wird („Zeichen des Bundes als Zeichen der Selbstverwünschung“, Dtn 29,11). Nach der 12-maligen Aufzählung von Verfluchungen in Dtn 27,15-26 (אָרוּר ’ārûr) folgen in Dtn 28,1-14 Verheißungen von Segen für den Gehorsam gegenüber Gott und die Erfüllung seines Bundes. Es schließen sich wiederum vier Verfluchungen für die Ungehorsamen (Dtn 28,16-19) an. Diese „Worte der Verwünschung (אָלָה ’ālāh) beim Abschluss des Bundes“ (Dtn 29,18.20) sind der Horizont für die im sog. → Deuteronomistischen Geschichtswerk ausgefaltete deuteronomistische Sünden- und Abfalltheologie: Erfüllt Israel den Bund mit JHWH, so wird es Segen empfangen, wird es abtrünnig (für die deuteronomistische Schule ist dies vor allem die Verehrung anderer Götter), so zieht es den Fluch auf sich. Auf dieser Folie werden in den → Samuel- und → Königsbüchern die Beurteilungen der Könige vorgenommen, auf dieser Folie wird in den deuteronomistisch beeinflussten Teilen bsw. des → Jeremiabuches und des → Psalters die Niederlage von Nordreich Israel und Südreich Juda mit dem darauf folgenden Exil als Strafe für den Abfall Israels im Sinne des Fluchs interpretiert (→ Deuteronomismus). In Jer 29,18 spricht Gott: „Ich mache sie zum Fluch (אָלָה ’ālāh) und Entsetzen, zum Hohn und Spott, weil sie nicht auf meine Stimme gehört haben.“ (vgl. Jer 42,18 und Jer 44,18, ebenso Jer 11,3: „Verflucht [אָרוּר ’ārûr] der Mensch, der nicht hört auf die Worte dieses Bundes.“). In den sog. → Konfessionen des Jeremiabuches, die den Propheten als einen von Gott Getäuschten zeigen, der selbst am Schicksal seines Volkes leiden muss, verflucht der Prophet den Tag seiner Geburt: „Verflucht (אָרוּר ’ārûr) der Tag, an dem ich geboren wurde. Verflucht (אָרוּר ’ārûr) der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte.“ (Jer 20,14.15, vgl. die Nähe zu Hi 3,8). Fluch ist auf der Erzählfolie der Schrift sozusagen die Gegenposition zu dem von Gott ursprünglich und eigentlich gewollten Segen für alle Kreatur, für den Israel sinnbildlich und wirkmächtig steht. So gewinnen biblische Fluchaussagen auf dem Hintergrund des göttlichen Heilswillens ihre theologische Bedeutsamkeit, indem sie die unpersönliche Sphäre von Schadenzauber überschreiten und in theozentrischer Weise auf den Gott Israels verweisen, den Schöpfer Himmels und der Erden selbst, der in eschatologischer Perspektive seine Schöpfung zur Vollendung führen will. „Der EINE Gott, der Gott Israels, ist ein Gott, der segnet oder flucht; der Segen oder Fluch bewirkt. Das unterscheidet diesen Gott deutlich von den anderen Göttern in Israels Umwelt. Fluch zeigt als Kehrseite des Segens nicht nur Grenzen an, sondern hilft auch, in unseren irdischen Bezügen das Wesen von Segen zu begreifen und seine Wohltat annehmen und preisen zu können.“ (Jörns, Segen, 261).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Alt, Albrecht, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (1934), in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. I, München 4. Aufl. 1968, 278-332.
  • Brun, Lyder, Segen und Fluch im Urchristentum, Oslo 1932.
  • Gerstenberger, Erhard S., Wesen und Herkunft des „apodiktischen Rechts“ (WMANT 20), Neukirchen-Vluyn 1965.
  • Gerstenberger, Erhard S., „… (He/They) Shall be Put to Death“. Live-Preserving Divine Threats in Old Testament Law, in: Ex auditu 11 (1995), 43-61.
  • Gunkel, Hermann / Begrich, Joachim, Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Lyrik Israels (HK II Ergänzungsband), 1933 (Nachdruck 1975).
  • Jörns, Klaus-Peter, Segen – und kein Fluch? Überlegungen zur Einheit Gottes im Vorfeld der Praktischen Theologie, in: DERS.; Der Lebensbezug des Gottesdienstes. Studien zu seinem kirchlichen und kulturellen Kontext, München 1988.
  • Keel, Othmar, Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen, Stuttgart 1969.
  • Mowinckel, Sigmund, Der Fluch in Kult und Psalmendichtung, in: ders: Psalmenstudien V, Kristiana 1924.
  • Oettinger, Maximilian, Der Fluch. Vernichtende Rede in sakralen Gesellschaften der jüdischen und christlichen Tradition, Konstanz 2007.
  • Scharbert, Josef, Solidarität in Segen und Fluch im Alten Testament und in seiner Umwelt, Teil 1: Väterfluch und Vätersegen (BBB 14), Bonn 1958.
  • Schottroff, Willy, Der altisralitische Fluchspruch (WMANT 30), Neukirchen-Vluyn 1969.
  • Schulz, Hermann, Das Todesrecht im Alten Testament. Studien zur Rechtsform der Mot-Jumat-Sätze (BZAW 114), Berlin 1969.
  • Steymans, Hans Ulrich, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Göttingen 1995.
  • Van der Velden, Frank, Psalm 109 und die Aussagen zur Feindschädigung in den Psalmen (SBB 37), Stuttgart 1997.
  • Versnel, Henk, Fluch und Gebet. Magische Manipulation vs. Religiöses Flehen? Berlin 2009.
  • Zenger, Erich, Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg/Brsg. 1994.

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