Deutsche Bibelgesellschaft

Frauen in der Literatur (AT)

(erstellt: Januar 2008)

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1. Gesellschaftliche Lebenszusammenhänge von Frauen

Die Gesellschaft Alt-Israels, die die Texte der Hebräischen Bibel hervorbringt, ist patriarchal geordnet (→ Frau; → Mann; → Ehe). Die patriarchalen Gesellschaften des Alten Orients diskriminieren nicht nur nach dem Geschlecht, sondern ebenso nach den Kategorien des Alters, der ökonomischen Verhältnisse, der Religion, der Ethnizität, des psychophysischen Status und vor allem nach dem Rechtsstatus von frei und unfrei. Wer frei ist, hat im Alten Orient Personenrechte, wer unfrei ist, dessen Recht wird unter den Sachrechten seines Sklavenherrn oder seiner Sklavenherrin abgehandelt (vgl. z.B. Ex 21,20f.32; → Sklaverei). Partizipation an der dominanten einheimischen Religion erhöht den sozialen Status ebenso wie das fortgeschrittene Alter, da die Rechte an den ökonomischen Ressourcen erst kurz vor dem Tod von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden und Junge – auch Männer – daher in der Regel lange warten müssen, bis sie die Unabhängigkeit von den → Eltern erlangen. Fremd oder krank sein mindert zudem das soziale Ansehen einer Person (→ Fremder; → Krankheit). In ein und derselben Gesellschaftsschicht stehen Männer über den ihnen als Töchter, Schwestern oder Ehefrauen zugehörigen Frauen. Dennoch ist das biblische Patriarchat nicht einfach als Männerherrschaft zu missdeuten, da Frauen der höheren Schicht Macht über die ihnen untergeordneten weiblichen wie männlichen Menschen haben. Diese komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse (→ Gesellschaftsstruktur) spiegeln sich in den verschiedenen alttestamentlichen Textkorpora wider.

2. Geschlechterverhältnisse in den Schöpfungserzählungen (Gen 1-3)

Die Erzählungen von Gen 1-3 waren rezeptionsgeschichtlich für Frauen die wirkungsträchtigsten Texte des Alten Testaments. Während die Aussagen über die Menschenschöpfung in Gen 1,26f. immer als Anhaltspunkt für egalitäre Konzepte der Geschlechterdifferenz rezipiert wurden, wurden jene von Gen 2-3 in der griechisch-sprachigen biblischen Literatur als Konzepte der Ungleichrangigkeit gelesen: So ist Sir 25,24 (Lutherbibel: Sir 25,32) davon überzeugt, dass wegen der Sünde der Frau alle Menschen sterben müssen; 1Tim 2,8-15 begründet die Unterordnung der Frau unter den Mann mit ihrer sekundären Erschaffung aus dem „Mann“ sowie ihrer Verführbarkeit und deutet Gen 3,16 so, dass die einzige Aufgabe von Frauen das Kindergebären sei. Die apokryphe Literatur und die Rezeptionsgeschichte der Vita Adams und Evas haben Gen 2-3 zur Legitimationsurkunde der Frauenunterdrückung verkommen lassen. Aber sind die Texte von Gen 1-3 tatsächlich so zu lesen?

2.1. Weiblich und männlich erschaffen: Gen 1

Die Menschenschöpfung wird in Gen 1,26-31 als letzter Akt der Weltschöpfung beschrieben. Im Sechstagewerk wird der Mensch zusammen mit allen anderen „lebendigen Wesen“, den Landtieren, geschaffen und zusammen mit diesen unter den Mehrungssegen der Gottheit gestellt. Die Menschenschöpfung fügt sich in die schematisch-formelhafte Darstellung des Schöpfungsvorganges ein, wird jedoch durch eine Selbstaufforderung der Gottheit (Gen 1,26 im Plural) hervorgehoben. Der Mensch wird als Bild und Gleichnis der Gottheit konzipiert und geschaffen (Gen 1,26.27; → Gottebenbildlichkeit), wodurch die Ähnlichkeit zwischen Gottheit und Menschheit schöpfungsinhärent ist. Worin diese genau besteht, wird nicht deutlich. Vermutlich ist sie aber in der Repräsentation der Gottheit auf Erden zu sehen (vgl. die Statue, die die Gottheit repräsentiert). Klar ist aber, dass die Gottebenbildlichkeit beiden Geschlechtern zu eigen ist und damit Männliches wie Weibliches die Gottheit repräsentieren. Der Auftrag zum Herrschen und zur Fruchtbarkeit wird ebenso beiden Geschlechtern als Menschheit gegeben.

2.2. Einander zur Hilfe: Die gottgewollte Geschlechterordnung in Gen 2

Während Gen 1 die gesamte Schöpfung im Blick hat, konzentriert sich Gen 2 auf die Erschaffung des Menschen, ’ādām (→ Adam und Eva). Auch in dieser Erzählung ist der Mensch offenkundig das höchste der geschaffenen Wesen, die allesamt aus ’ǎdāmāh, „Lehm“, getöpfert sind. Offensichtlich denkt sich diese Erzählung den Menschen vorerst als geschlechtlich undifferenziertes Wesen. Er benötigt, um nicht alleine zu sein, eine Hilfe, die ihm entspricht (Gen 2,18). Der erste Versuch, die Tiere dafür zu erschaffen, gelingt nicht; sodann erschafft die Gottheit Jahwe aus der Seite des Menschen eine Frau. Erst im gegengeschlechtlichen Gegenüber nimmt der Mensch sich als Mann und Frau wahr (Gen 2,23). Mann und Frau aber sind einander eine „Hilfe, die entspricht“. Diese Erzählung wurde in der Exegesegeschichte häufig als Erschaffung der Frau als Hilfe für den Mann gedeutet. Sieht man jedoch genauer, wo in der Hebräischen Bibel das Wort ‘ezær, „Hilfe“, noch vorkommt, so wird klar, dass nicht stark ist, wer Hilfe braucht, sondern wer Hilfe ist, denn dort, wo das Hilfe-Sein nicht negiert wird (z.B. Jes 31,3), ist jeweils Gott dem Menschen eine Hilfe (vgl. z.B. Ps 30,11; Ps 54,6). Dass diese Geschichte nicht zur Legitimierung der Unterordnung der Frau unter den Mann taugt, hat übrigens bereits im 14. Jh. Christine de Pizan (1997, 55f.) gesehen (eine genaue narrative Analyse des Textes bringt Navarro, 1993). Der Spruch von Gen 2,23 „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ anerkennt die Adäquatheit der Frau und die Egalität der Geschlechter. Wenn daran die Begründung geknüpft wird, dass der Mann seine Eltern verlässt, um seiner Frau anzuhängen (Gen 2,24), so ist damit nicht eine Matrilokalität der Ehe angesprochen, die nirgends im Alten Testament als reguläre Form zu erheben ist, sondern die Priorität der Geschlechterbeziehung vor den Familienbanden.

2.3. Die real existierende soziale Ordnung: Gen 3

Die folgende Geschichte des → Sündenfalls, die die Missachtung des Gottesgebotes beschreibt, von einem einzigen Baum nicht zu essen, von allen übrigen Bäumen jedoch zu schlemmen (Gen 2,16f. figura etymologica), stellt die Frau vorerst in den Mittelpunkt des Geschehens. Sie verhandelt auf theologischer Ebene mit der Schlange, bevor sie isst und auch ihrem Mann davon gibt. Nachdem sowohl der Mann als auch die Frau nicht zu ihrer Schuld stehen, als sie von der Gottheit zur Rechenschaft gezogen werden, sondern sie abschieben, werden über alle Beteiligten Strafsprüche gesprochen. Keiner wird, wie Gen 2,17 angedroht, mit dem Tod bestraft, aber die Lebensbedingungen aller werden massiv gemindert. Wurde das Leben im Angesicht Gottes im paradiesischen Garten gelebt, so wird dieser nun für die Kreatur geschlossen. Adam wird die harte Arbeit am Ackerboden zugewiesen und die Rückkehr zum Staub, von dem er genommen wurde (Gen 3,17-19). Im Strafspruch über die Frau wird erklärt, dass ihr Begehren nach dem Mann mit seiner Herrschaft beantwortet werden wird (Gen 3,16). Diese Strafsprüche sind nicht als göttliche Weltordnung zu verstehen, sondern als ätiologische Beschreibung einer sündhaften sozialen Ordnung und der widrigen Umstände des Lebens fern vom Gottesgarten. Da die göttliche Schöpfungsordnung von den Menschen nicht geachtet wurde, tritt nun die von Menschen verursachte in Kraft, die in Bezug auf die Geschlechter eine Ungleichheit festsetzt. Die biblischen Schöpfungserzählungen – noch dazu, wenn beide zusammen gelesen werden – betonen dem gegenüber jedoch die göttliche Ordnung der Geschlechteregalität. Wenngleich das Leben sowohl nach Qualität als auch nach Quantität eingeschränkt und der Weg zum Baum des Lebens versperrt wird (Gen 3,24), wird dennoch die Frau zur Mutter aller Lebendigen (Gen 3,20).

3. Frauen in den Erzelternerzählungen (Gen 12-36; 38)

In der Forschung wurde der Textkomplex von Gen 12-36 „Väter-“ oder „Patriarchen-Erzählungen“ genannt. Durch eine Fehlübersetzung des Wortes ’ǎvôt mitbedingt, das sowohl „Väter“ als auch „Eltern“ bedeuten kann, da es im Hebräischen keine geschlechtsneutralen Verwandtschaftsbezeichnungen gibt, werden mit diesen Bezeichnungen die vielen Geschichten über Frauen ausgeblendet. Deshalb ist es sachlich richtiger von → Erzelternerzählungen zu reden. Dieser Teil der → Genesis schreibt die Volksgeschichte Israels und seiner Nachbarn als Familiengeschichten von deren Gründungsfiguren. Durch → Genealogien sowohl mit der → Urgeschichte als auch mit der Geschichte Israels in Ägypten (Gen 37Ex 14) verbunden, schreibt Israel seine Ursprungsgeschichte in der literarischen Gattung von Familienerzählungen in vier Generationen, wobei mit der vierten Generation die Volkswerdung in den „zwölf Stämmen Israels“ beginnt. Diese literarische Gattung bedingt die Darstellung des Werdens von Völkern als Zeugen und Gebären von Kindern.

Das Ringen um Nachkommenschaft, das die Erzeltern-Erzählungen durchzieht wie ein roter Faden, hat eine doppelte Sinndimension (Fischer, 2006a, 106-117): eine politische im Ringen um die Volkswerdung und eine theologische, der Hoffnung auf die Erfüllung der Verheißungen von → Volk und → Land.

3.1. Verheißungsträgerinnen: Sara, Rebekka, Rahel, Lea

Dass die Verheißungen nicht nur an die Väter ergehen, sondern an die Eltern, zeigt sich daran, dass → Abraham den Sohn der Verheißung nicht mit irgendeiner Frau zeugen kann – etwa mit → Hagar (vgl. Gen 16-17) – sondern ausschließlich mit → Sara. An sie ergeht denn auch die Geburtsankündigung, und ihr Lachen gibt dem verheißenen Sohn den Namen (Gen 18,10-15; Gen 21,6f.). Die Geschichten, die von der Preisgabe der künftigen Ahnfrau durch die Patriarchen erzählen (→ Preisgabeerzählungen), haben dynastischen Charakter: Abraham (Gen 12,10-20; Gen 20,1-18) und → Isaak (Gen 26,1-11) geben aus Angst davor, dass die Männer des Ortes sie wegen ihrer schönen Frauen töten könnten, diese als ihre Schwestern aus und setzen sie damit bewusst der Gefahr aus, in eine fremde genealogische Königslinie eingegliedert zu werden. Gott rettet die Frauen, die ja Verheißungsträgerinnen sind, aus der Gefahr, in die sie die Feigheit ihrer Männer gebracht hat.

Wenn der Grabplatz für Sara als das erste Stück Eigentum im Land dargestellt wird (vgl. Gen 23,1f.), so wird sie in ihrem Tod erste Erbin der Landverheißung. Die Aktionen der Frauen, mit denen sie ihre Söhne und Lieblingssöhne für die Erbfolge protegieren, sind daher nicht als Familienintrigen zu bewerten, sondern als politische Weichenstellungen in der Völkergeschichte Israels und seiner Nachbarn. Nicht Hagars Sohn → Ismael führt die Verheißungslinie fort, sondern Saras Sohn Isaak (vgl. Gen 17-18; Gen 21), ebenso nicht Isaaks Lieblingssohn → Esau, sondern jener → Rebekkas (vgl. Gen 25,28; Gen 27,1f.). Beide Frauen agieren bei der Durchsetzung ihres Willens am Rande der Legalität. Sara vertreibt Abrahams anerkannten Erstgeborenen – und damit Haupterben – samt dessen Mutter Hagar. Rebekka leitet → Jakob zum Segensbetrug an seinem Vater Isaak und an seinem Bruder Esau an. Dennoch haben die Frauen Gott auf ihrer Seite, da er nachträglich die Wahl der Mütter bestätigt (Gen 21,12-13; Gen 28,10f.).

3.2. Frauen schreiben Völkergeschichte

Die Rivalitäten, die auf diese Weise zwischen den Müttern der Söhne entstehen, wurden in der Forschung häufig als Weibergezänk bewertet und damit trivialisiert. Werden jedoch die Auseinandersetzungen zwischen Esau und Jakob, Jakob und → Laban oder jene zwischen Isaak und Ismael als Streit zwischen Völkern gedeutet, so muss dies auch mit den Erzählungen über die Frauen geschehen. Die Unterdrückung (vgl. Gen 16,5f.) und Vertreibung Hagars (Gen 21,8-21) spiegelt den Konflikt mit den Ismaelitern wieder, der Schwesternstreit zwischen → Lea und → Rahel den Kampf um den Vorrang zwischen den Nord- und Südstämmen. Gleichzeitig werden jedoch mit all diesen Erzählungen nicht nur die Spannungen zwischen den Ethnien des Vorderen Orients im 1. Jahrtausend v. Chr. angesprochen, sondern vor allem deren Zusammengehörigkeit betont: Die Völker sind miteinander verwandt, was sie freilich nicht vor Konflikten bewahrt. Wenn allerdings die Verwandtschaft als zu nahe dargestellt wird, und → Ammon und → Moab als Kinder eines Inzests der Töchter Lots mit ihrem Vater vorgestellt werden (Gen 19,30-38; → Lot), so ist zu fragen, ob dies eine bewusste Verunglimpfung dieser Völker bedeutet (Seifert, 1997, 82-86) oder ähnlich dem stellvertretenden Gebären der Sklavinnen für die Hauptfrauen, bei Hagars Gebären für Sara sowie → Bilhas für Rahel und → Silpas für Lea die Courage der Ahnfrauen betonen will.

3.3. Gründerinnen Israels

Die Zentrierung der Erzeltern-Erzählungen auf die Erfüllung der Verheißungen von Volk und Land verbietet eine Festschreibung der Funktionen der Ahnfrauen auf bloßes Kindergebären, denn die Nachkommenschaft ist für beide Elternteile von theologischer Bedeutung (vgl. Gen 15,2; Gen 16,1). Wenn Lea und Rahel mit ihren Sklavinnen quasi einen wahren „Gebärwettstreit“ veranstalten (Gen 29,31-30,24), so erstreiten sie sich wie der Gottesstreiter Israel/Jakob Volk und Land Israel (vgl. Gen 30,8; Gen 32,29). Lea und Rahel werden damit ebenso zu den Gründerinnen Israels, wie es ihr Mann Jakob ist (vgl. die Rezeption von Gen 29-30 in Rut 4,11).

Die Gründung einer Genealogie durch eine Frau wird bei Rebekka betont: Auf sie läuft der in Haran verbliebene (Gen 11,27-32) Familienzweig von Milka und Nahor zu, wenn sämtliche männliche Nachkommen als von Milka geboren, Rebekka jedoch als einziges Glied der Enkelgeneration als von Betuel gezeugt vorgestellt wird (Gen 22,20-23). Wenn sodann noch im Rahmen der Brautwerbung für Isaak die gesuchte Frau dieselben Bedingungen erfüllen muss wie Abraham, indem sie zum Verlassen des Landes bereit sein muss (Gen 24,7f.) und der → Segen über die ins Land ziehende Rebekka von „ihrem Samen“ spricht, so wird deutlich, dass in dieser Generation der Erzeltern eine Frau die Nachfolge der Gottesgemeinschaft in der Verheißungslinie antritt. So verwundert es nicht, dass sich ein Segensspruch über Rebekka fast wortwörtlich gleich für Abraham findet (vgl. Gen 22,17; Gen 24,60; siehe dazu Fischer, 2006a, 80). Ein ähnliches Phänomen findet sich übrigens auch im → Rutbuch: Vor der rein männlichen Genealogie in Rut 4,18-22 wird die Gründung der Genealogie durch die beiden Frauen betont, indem Rut ihren Sohn für Noomi gebiert (Rut 4,17) und vom Samen Ruts (Rut 4,12) die Rede ist.

3.4. Genealogische Bedeutung der Frauen

Die → Genealogien, die die einzelnen Familienzweige der Erzeltern verbinden, sind in ihrer Funktion sowohl Völker verbindend als auch Zeiten überbrückend. Obwohl sie eindeutig auf eine patriarchale Gesellschaftsstruktur und eine patrilinear geordnete Legitimität hinweisen, sind dennoch Frauen in ihnen von entscheidender Bedeutung: Durch Heirat verschmelzen einzelne Ethnien zu einer Einheit, durch das Gebären mehrerer Frauen für einen Patriarchen entstehen die Verzweigungen im Stammbaum, die durch Gottes Eingreifen hervorgehobenen Frauen gebären die Kinder der Verheißungslinie. So ist etwa das Motiv der vorerst unfruchtbaren Ahnfrau, das in den Erzählungen um Sara (Gen 11,30; Gen 16,1), Rebekka (Gen 25,21), Rahel (Gen 29,31; Gen 30,1) und auch um → Tamar (Gen 38,6-11) vorkommt, ein theologischer Hinweis auf die jeweilige Verheißungsträgerin: Die durch göttliches Eingreifen geborenen Söhne haben es in spezifischer Weise mit Jahwe zu tun. Auch in der weiteren erzählten Geschichte Israels wird durch das Motiv der unfruchtbaren Frau die Bedeutung des künftigen Sohnes hervorgehen (vgl. → Hanna, die Mutter → Samuels in 1Sam 1-2; die Frau des Manoach und Mutter → Simsons in Ri 13,1f.; im Neuen Testament Elisabeth, die Mutter Johannes des Täufers in Lk 1,5-25, und als Motivumkehr bei Maria, der Mutter Jesu in Lk 1,26-38 mit explizitem Rekurs auf Gen 18,14).

3.5. Tamar: Die Gründerin des Juda-Stammbaumes

Auch Tamars vordergründig anstößige Aktion zur Sicherung der Nachkommenschaft, mit der sie sich als Prostituierte verkleidet, um inkognito ihren Schwiegervater zu verführen, hat die Dimension der Stammesgründung Judas (vgl. Gen 38,1f.). Tamar wehrt sich damit aber auch gegen das Unrecht, das Juda ihr antut: Er schickt sie nach dem Tod ihrer beiden Männer, den Söhnen Judas, unversorgt – und rechtlich illegal – in ihr Vaterhaus zurück, entlässt sie aber nicht aus der → Schwagerehe. Da er ihr den dritten versprochenen Sohn nicht zum Mann gibt, verdammt er Tamar lebenslänglich zum kinderlosen Witwendasein. Die Geschichte hat also auch die gesellschaftspolitische Dimension der Durchsetzung von Frauenrecht.

4. Weitere Frauen der Anfangsgeschichte Israels

4.1. Die Rut-Erzählung als Fortsetzung der Erzeltern-Geschichte

Die Geschichte des Juda-Stammes wird durch eine weitere unkonventionelle Ahnfrau fortgeschrieben. Die verwitwete Moabiterin → Rut verlässt ihr Volk, ihr Land und ihre Gottheit, um sich nicht von ihrer Schwiegermutter trennen zu müssen (Rut 1,16-18), die ihr Hungerflüchtlingsdasein beenden und von → Moab nach Juda zurückkehren möchte. In → Betlehem bewahrt Rut die alte Frau vorerst vor dem Hunger, indem sie durch ihre Nachlese Brot nach Hause bringt. Schließlich garantiert sie Noomi eine dauernde Altersversorgung: Rut kann Boas, den reichen Grundbesitzer, zur Übernahme seiner verwandtschaftlichen Solidaritätsverpflichtung überreden. Er heiratet Rut und ist bereit, auch Noomi bei sich aufzunehmen, wodurch Rut ihrem Schwur für Noomi treu bleiben kann. Durch diese Erzählung wird die Geschichte der Erzeltern fortgesetzt: Rut wird mit den beiden das „Haus Israel“ bauenden Ahnfrauen Rahel und Lea verglichen, führt in der Tradition Tamars das „Haus Juda“ fort und wird die Urgroßmutter König Davids (vgl. Rut 4,11-22). Das Buch Rut ist nicht nur eine literarisch bis ins Detail durchkomponierte Erzählung, sondern betreibt mit seiner schönen Geschichte auch Schriftauslegung. Es legt androzentrisches Recht für Frauen aus (Fischer, 2005, 49-65): Der Moabiterparagraph von Dtn 23,4-9 wird in der Entstehungszeit des Rutbuches dafür verwendet, Mischehen mit Frauen aus den umliegenden Völkern zu verbieten (vgl. Neh 13). Rut erzählt einerseits eine Gegengeschichte zur Begründung des Aufnahmeverbotes, das durch die mangelnde Versorgung mit Wasser und Brot während der Wüstenwanderung gegeben ist; andererseits verknüpft es die beiden Institutionen verwandtschaftlicher Solidarität, das Lösen (Lev 25,23ff.; → Löser / Loskauf) und das → Levirat (Dtn 25,5-10), die jeweils nur männliche Rechtssubjekte im Zentrum des Interesses haben, um so die Tora lebensförderlich für Frauen auszulegen (siehe Fischer, 2003). Aber das Rutbuch legt auch erzählende Texte aus: So wird etwa Ruts Zug in das Land mit jenem Abrahams gleichgesetzt und die Beziehung Ruts zu Noomi als primäre anerkannt (vgl. Rut 2,11 mit Gen 2,24 und Gen 12,1.4) oder das Ährenlesen Ruts, das den Hunger Noomis stillt, durch das gemeinsame, gehäuft vorkommende Leitwort „auflesen“ als Mannagabe nach Ex 16 verstanden.

4.2. Frauen retten Mose, den Retter Israels

Die Ursprungsgeschichte der in Ägypten zu einem Volk gewordenen „Familie“ Jakobs wird ebenfalls von Frauen geschrieben. Den Beginn des Exodus, des Auszugs aus der Sklaverei, markieren die beiden Hebammen Schifra und Pua, die sich unter Lebensgefahr dem Tötungsbefehl des Pharaos widersetzen (Ex 1,15-21). Mutter und Schwester des → Mose bewahren diesen als Baby vor dem angeordneten Tod. Die Pharaonentochter hilft selbst über soziale und nationale Grenzen hinweg bei der Rettung des Kindes mit (vgl. Ex 2,1-10). Als Mose aus Ägypten fliehen muss, da er das gewalttätige Konfliktlösungsmuster der Unterdrücker übernimmt, findet er durch die Töchter des Priesters von → Midian eine Zuflucht (Ex 2,11-22). → Zippora, seine Frau, rettet Mose schließlich aus akuter Todesbedrohung (Ex 4,24f.). Mose wird also, bevor er seinem Rettungsauftrag, das Volk aus Ägypten zu führen, nachkommen kann, selber zuvor mehrfach von Frauen gerettet.

4.3. Rahab öffnet die Tore zum Verheißungsland

Auch als Israel aus Ägypten kommt und nach vierzig Jahren ins Land einziehen kann, geschieht die erste Einnahme einer Stadt mit Hilfe einer Frau: Jos 2,6 erzählt die sagenhaften Eroberung → Jerichos als Geschichte der Prostituierten → Rahab, die die israelitischen Kundschafter als Kunden aufnimmt und ihnen nach der Ausspionierung der Stadt die Flucht ermöglicht (→ Hure). Als das Volk Israel sodann vor Jericho steht und mit Hilfe seiner Gottheit die Stadt einnimmt, wird sie und mit ihr ihr gesamtes Haus vor jeglichem Übergriff bewahrt. Die rettende Tat Rahabs wird ihr als Rettung und künftige Integration in Israel vergolten.

5. Genderrelevantes in Sitte und Rechtsbrauch

Die sozial-hierarchische Gesellschaftsordnung Israels (→ Frau, 3.3) schlägt sich zum einen in den Rechtstexten nieder, zum anderen auch in der Wertschätzung der jeweils positiv Diskriminierten und deren Auswirkungen. So findet das Kriterium des Geschlechts einen bedeutungsschweren Niederschlag in Sitte und Rechtsbrauch.

5.1. Eherecht

Da der Vater den Hauptteil seines Erbes an den ältesten Sohn weitergibt, und dieser daher im Vaterhaus wohnen bleibt, muss eine Frau bei der Eheschließung ihr Elternhaus verlassen und zum Mann ziehen (→ Ehe). Diese virilokale Eheform (von der Frau aus gesehen: vgl. Bal, 1988, 203), bei der die Tochter das Haus verlässt und daher für die Versorgung der Eltern im Fall von Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und hohem Alter ausfällt, da sie ja die Betreuung der Schwiegereltern zu gewährleisten hat, hat gravierende Auswirkungen auf die Wertschätzung von männlichen Geburten: Einen Sohn zu haben, heißt für die Eltern, eine „Sozialversicherung“ zu haben – dies schreibt wohl auch das Dekaloggebot der Elternehrung vor (Ex 20,12; Dtn 5,16; → Dekalog; → Elterngebot). Bei der überhaus hohen Kindersterblichkeitsrate bedeuten daher die sprichwörtlichen sieben oder gar zehn Söhne (vgl. z.B. 1Sam 1,8; 1Sam 2,5; Rut 4,15), eine garantierte Altersvorsorge zu haben (→ Frau, 3.1).

Als Kompensationszahlung für die Familie der Frau, die mit der Heirat bei dieser virilokalen Eheform eine Arbeitskraft verliert, ist der Brautpreis zu verstehen. Die häufig als „Kauf einer Frau“ missdeutete Praxis der Entrichtung eines Brautpreises zeugt daher eher von einer höheren Wertschätzung des weiblichen Geschlechts als die Mitgiftpraxis, bei der die Eltern der Frau noch etwas bezahlen müssen, damit sie geheiratet wird. Von Geschenken der eigenen Familie an die Braut wird selten erzählt. Die Übergabe der beiden Sklavinnen an Lea und Rahel durch ihren Vater → Laban anlässlich der Hochzeit (Gen 29,24.29) könnte man als Brautgeschenke deuten. Vielleicht ist auch die kurze Notiz über → Achsa, die von ihrem Vater Kaleb gleichsam als Siegestrophäe an Otniel verheiratet wird und für diese Eheschließung Wasserrechte im Negev verlangt, als Hinweis auf diese Praxis zu lesen (Ri 1,12-15). Achsa muss aber darauf bestehen, sie bekommt die Bassins nicht ohne Aufforderung.

Ehen können im Alten Israel polygyn sein, die Regel war jedoch die Monogamie. Das bedeutet, dass ein Mann gleichzeitig mit mehreren Frauen verheiratet sein kann, die Frau jeweils aber nur mit einem einzigen. Da es die Institution der Ehescheidung gibt, steht für Frauen die Möglichkeit der sukzessiven Monogamie offen.

Dieses geschlechterspezifische Eherecht (→ Frau, 3.3) hat zur Folge, dass etwa das Ehebruchsverbot des Dekalogs (Ex 20,14; Dtn 5,18) für Männer und Frauen unterschiedliche Auswirkungen hat: Ein Mann bricht immer die fremde Ehe und bricht sie nur, wenn er mit einer Verheirateten, die nicht seine Ehefrau ist, schläft, eine Frau bricht immer nur die eigene Ehe, wodurch unverheiratete Frauen keine Ehe brechen können. Von Urkunden aus dem Archiv der jüdischen Gemeinde auf der Nilinsel → Elephantine wissen wir, dass nicht nur Männer das Recht hatten, eine Ehescheidung zu betreiben. So schreibt sich etwa Miphtahia, eine reiche Jüdin, in ihrem Ehevertrag das Recht zur Scheidung fest (Porten / Yardeni, 1989, 30-33). Zu den Ehegütern, die ein Mann einer Frau schuldete, gehören Nahrung, Kleidung und Beischlaf (Ex 21,10 für Sklavinnen in Geschlechtsgemeinschaft). Da – vorrangig wohl aus genealogischen Gründen der Sicherheit der Vaterschaft – nur Frauen der strikten ehelichen Treue unterworfen sind, muss für sie eine Scheidungsurkunde ausgestellt werden, andernfalls können sie sich nicht wiederverheiraten. Das → Levirat stellt zwar nach dem Rechtstext in Dtn 25,5-10, der beim Tod eines kinderlos gebliebenen Erstgeborenen vorsieht, dass sein Bruder mit dessen Witwe einen Sohn zeugen soll, den Verstorbenen als Begünstigten dar, die entsprechenden Erzähltexte (Gen 38,8-26; Rut 1,11-13; Rut 4,5-10) erweisen jedoch das primäre Interesse der Witwenversorgung.

5.2. Witwenrecht

Witwe zu werden war für arme Frauen insbesondere dann eine Katastrophe, wenn die Kinder noch nicht erwachsen waren. Nicht von ungefähr gehören Waisen und Witwen zur plebs misera und stehen unter dem besonderen Schutz der Gottheit Israels (vgl. z.B. Dtn 10,18; Dtn 27,19; Ps 68,6). Die reichen Witwen (vgl. → Judit, → Abigajil), von denen die Erzähltexte sprechen, stammen entweder aus wohlhabendem Hause oder haben ihre Männer beerbt, was wahrscheinlich nur der Fall war, wenn der Verstorbene keine Brüder hatte. Obwohl der Familienbesitz in männlicher Linie vererbt wird (nach Num 27,1-11; Num 36,1-12 erben Töchter nur, wenn kein Sohn da ist), erfahren wir von reichen Grundbesitzerinnen, von Handel, Handwerk und Gewerbe treibenden Frauen (vgl. z.B. die Frau aus Schunem 2Kön 8,1-6). Insbesondere aus dem Gedicht über die fähige Frau in Spr 31,10-31 geht hervor, dass Frauen offenkundig ihre eigenen Wirtschaftsbetriebe ohne männliche Leitung führten. Yoder (2001) hat aufgezeigt, dass dieser Text die ökonomische Lage in persischer Zeit von Frauen aus der Oberschicht widerspiegelt.

5.3. Sexuelle Gewalt gegen Frauen

Ein Gebiet des Rechts, das genderspezifisch abgehandelt werden muss, ist sexuelle Gewalt gegen Frauen. Rechts- wie Erzähltexte sprechen von sexueller Nötigung und Vergewaltigung, die häufig auch im Familienkreis begangen werden: der Bruder vergewaltigt die Schwester (vgl. 2Sam 13,1f.), der Sohn schläft mit der Nebenfrau des Vaters (Gen 35,22), der Vater bietet seine Töchter und der Ehemann seine Ehefrau dem Pöbel zur Vergewaltigung an (Gen 19,1-11; Ri 19,24-26). Das Strafrecht anerkennt Vergewaltigung nur auf freiem Feld (Dtn 22,25-27; vgl. Gen 34,1f.), da es bei den beengten Wohnverhältnissen einer altorientalischen Stadt annimmt, dass Frauen bei sexueller Belästigung um Hilfe rufen und diese auch erhalten (Dtn 22,23f.). Wie unberechtigt diese Annahme ist, zeigen etwa die Erzählungen von → David und → Amnon, deren Gemächer durch eine weisungsgebundene Dienerschaft vor dem rettenden Eingreifen für Frauen abgeriegelt sind (2Sam 11,1-4; 2Sam 13).

5.4. Frauen und Kult

Ein Lebensfeld, in dem Frauen aufgrund ihrer biologischen Verfasstheit diskriminiert werden, ist der Kult. Die Vorschriften von Rein und Unrein treffen Frauen zyklisch, und sie sind daher wesentlich häufiger aus der Kultgemeinschaft ausgeschlossen als Männer (vgl. Lev 15). Da auch das Zeichen für den → Bund Gottes mit seinem Volk, die → Beschneidung, Frauen ausschließt (es gibt keine Frauenbeschneidung in Alt-Israel!) und zudem durch die genealogische Nachfolge nur Männer das Priesteramt antreten können, sind nach biblischer Darstellung Frauen im Kult Jahwes deutlich weniger präsent als Männer. Dennoch versehen auch Frauen wie Leviten den Dienst am Heiligtum (Ex 38,8; 1Sam 2,22) und sind als Tempelsängerinnen tätig (z.B. 1Chr 25,5f.).

6. Die Anfangsgeschichte des Königtums als Frauengeschichte

Das Zeitalter des beginnenden Königtums wird ebenso als von vielen starken Frauen geprägt gezeichnet.

6.1. Michal

Michal, die Tochter des ersten Königs über Israel, integriert den jungen Krieger → David durch Heirat in das Haus ihres Vaters → Saul. Wenn es auch heißt, dass Michal David liebt (1Sam 18,20.28), so ist die Ehe mit ihr doch nach dem Märchenmotiv der Belohnung eines erfolgreichen Kriegers durch die Prinzessin gestaltet. Als Saul seinen Schwiegersohn verfolgt, rettet Michal ihren Mann, indem sie ihm zur Flucht verhilft. Die Willkür des Vaters entfremdet das Paar aber einander (1Sam 18,17-19,18; 1Sam 25,44). Als nach Sauls Tod David König wird, holt er sich Michal von ihrem neuen Ehemann zurück – nicht aus Liebe, sondern zur politischen Legitimation seiner Königswürde unter den Nordstämmen (2Sam 3,12ff.). Als Michal David nach der überschwänglichen Feier der Überführung der Lade nach Jerusalem mangelnde Hofetikette vorwirft, ist die Ehe endgültig zerrüttet, so dass Michal kinderlos bleibt (2Sam 6,20-23).

6.2. Abigajil und Maacha

Zwei weitere Frauen Davids sind am Aufbau seiner Macht wesentlich beteiligt: → Abigajil, die ihm als reiche Grundbesitzerin finanzielle Unabhängigkeit gewährleistet, sagt ihm auch die Zukunft als Fürst sowie den Bestand seiner Dynastie voraus (vgl. 1Sam 25,1f.). Was → Nathan schließlich im Namen Gottes bestätigt (2Sam 7,1-17), ist also bereits vorher von einer Frau angekündigt worden. Durch die Heirat mit der philistäischen Königstochter → Maacha (2Sam 3,3) kann David das militärisch gespannte Verhältnis zu den → Philistern im Süden konsolidieren. Ihr Sohn → Absalom bringt in der Folge die erste gravierende Krise über das davidische Königshaus, indem er, der ohnehin Thronfolger ist, gegen den Vater putscht (2Sam 13-18).

6.3. Batseba

Die illegale Beziehung Davids zu der gebürtigen Jerusalemerin → Batseba, die mit dem Hethiter → Uria verheiratet ist, bedroht zwar vorerst seine Macht, da David den Ehebruch zuerst zu verschleiern versucht und, nachdem dies misslingt, den Ehemann ermorden lässt (2Sam 11f.). Nach deren Legitimierung entwickelt sich diese Ehe jedoch zu einem Integrationsfaktor für die einheimische jebusitische Bevölkerung der Königsstadt Jerusalem. Batseba stellt mit ihrer Hausmacht, die vom Propheten Nathan angeführt wird, die Weichen für die → Thronfolge nach David (Jones, 1990, 144f.). Sie vermag ihren Sohn → Salomo derart zu protegieren, dass er den älteren Königssöhnen vorgezogen wird und die dynastische Nachfolge begründet (1Kön 1). Batseba ist auch als Mutter des Königs weiterhin in die Politik integriert und legt damit den Grundstein für die Machtposition der gəvîrāh (s.u.), der Mutter des Königs, in den Königshäusern Judas und Israels (vgl. 1Kön 1-2).

6.4. Abischag von Schunem

Am davidischen Königshof ist noch ein anderes hohes, von Frauen bekleidetes Amt belegt (1Kön 1,1-4.15): Die junge → Abischag von Schunem wird nicht, wie häufig erklärt wird, als Bettgefährtin des alten Königs nach Jerusalem geholt, sondern in ein leitendes Verwaltungsamt bei Hof (Häusl, 1993, 239-242.297).

6.5. Rizpa

In der königskritischen Tradition steht → Rizpa, die Nebenfrau des getöteten Königs Saul, eine „Frau in Schwarz“ (vgl. 2Sam 21,1-14). Sie nimmt die von David tolerierte Hinrichtung der sieben Männer aus dem Hause Sauls durch die Gibeoniter nicht widerspruchslos hin. Tag und Nacht wacht sie über die nicht bestatteten Leichen. Durch ihren Protest kann sie die Toten zwar nicht mehr lebendig machen, sie erreicht jedoch die gemeinsame Bestattung aller Toten aus dem Hause Sauls (Wacker, 2003).

6.6. Weitere Frauen

In den weiteren Erzählungen kommen zwar immer wieder Geschichten über Frauen vor (wie etwa jene von 1Kön 14,1-18 um die Frau → |pJerobeams I.|&x] 22356, deren Kind im Sterben liegt und die unerkannt bleiben möchte, wenn sie den Propheten → Ahija befragt), aber es sind nur mehr vereinzelte Erzählungen. Die Anfänge der Geschichtsepochen des Volkes Israel jedoch werden nicht – wie in der Tradition des Abendlandes – nur als Herrscher-, Herren- oder Kriegsgeschichte geschrieben, sondern zum wesentlichen Teil als Frauengeschichte im Rahmen der Erzählungen um königliche Familien, in denen das „Private“ politisch verstanden wird.

7. Königinnen

Die Regentschaft von Frauen in der Königszeit wird rückblickend ebenso negativ bewertet wie die Regierung der meisten Könige.

7.1. Isebel

Isebel, die aus der sidonischen Dynastie in das nordisraelitische Königshaus einheiratet, wird als Tyrannin gezeichnet (1Kön 16,31-33), die sowohl skrupellos ihre eigene Religion protegiert (1Kön 18) als auch vor kriminellen Übergriffen gegen Israels Grund- und Bodenrecht mit tödlichem Ausgang nicht zurückschreckt (1Kön 21,1-29). Diese Prinzessin aus gutem Hause wird in der Bibel durch die deuteronomistische Bearbeitung (→ Deuteronomismus) zu einem den Synkretismus fördernden Scheusal hochstilisiert; historisch jedoch erlebte ihre Epoche gerade wegen der kulturellen und wirtschaftlichen Öffnung nach Norden eine wirtschaftliche Blüte.

7.2. Atalja

Atalja, die Enkelin des nordisraelitischen Königs → Omri (2Kön 8,26) und Mutter des judäischen Königs → Ahasja, tritt nach dem Tod ihres Sohnes die Regierung an. Ihre Herrschaft wird, wie auch jene von vielen Königen, als Usurpation gegen die legale Rechtsnachfolge beschrieben. Beide Königinnen sterben einen gewaltsamen Tod (2Kön 9,30f.; 2Kön 11,1f.), was aber nicht singulär ist, sondern auch bei ihren männlichen Amtskollegen ein häufiges Schicksal darstellt.

7.3. Königin von Saba

Positive Bewertung erfahren hingegen die legendenhaften Regentinnen, die Königin von → Saba (1Kön 10,1-13) und Königin Ester, die zwar am Hofe ihres persischen Gemahls großen Einfluss hat, aber nicht selbständig die Herrschaft ausübt. Die Königin von Saba mit ihrer großen Weisheit hingegen wird als regierende Herrscherin gezeichnet, die nach Jerusalem reist, um den sprichwörtlich weisen König Salomo auf die Probe zu stellen. Wie es sich für weise Menschen geziemt, neiden sie einander ihre Weisheit nicht. Voller Bewunderung, einen Menschen getroffen zu haben, der ihre Rätsel zu lösen vermag und ihr daher ebenbürtig ist, bringt die Königin von Saba so viel Reichtum ins Land, wie es vorher und nachher niemals mehr der Fall war.

7.4. Ester

Die märchenhafte Geschichte um → Ester, die gleichzeitig eine Satire über die pompöse, jedoch ineffektive Hofhaltung und Herrschaft altorientalischer Könige darstellt, zeigt die Königin in zwiespältiger Stellung: Sie ist auf Gedeih und Verderb vom König abhängig, zu dem sie nicht ungerufen kommen darf (Est 4,11; Est 5,1f´.), jedoch kommen muss, wenn sie gerufen wird (Königin Waschti verweigert dies nach Est 1,9-22 und wird entthront). Gleichzeitig aber gibt er an Ester die Macht des Siegelns von Edikten ab (Est 8,8-12). Aber die labile Machtstellung am fremden Königshof ist auch von den Bezügen zur Josefs-Geschichte, dem literarischen Pendant der Ester-Erzählung, geprägt (Butting, 1993, 49-86).

7.5. Die Stellung der Königinmutter

Umstritten ist, ob die Bezeichnung gəvîrāh für die Mutter des amtierenden Königs als ein Amt zu verstehen ist oder nicht (Kamusiime, 2004). Die Nennung zusammen mit dem König (1Kön 11,19; 2Kön 10,13; Jer 13,18; Jer 29,2) könnte auch darauf schließen lassen, dass es sich bei polygyner Ehe des Herrschers um die Mutter des Thronfolgers handelt. Da man dieser Stelle auch enthoben werden kann (1Kön 15,13; 2Chr 15,16; Jes 47,7), ist möglicherweise eine Art Mitregentschaft damit angesprochen. Der Thron, der für Salomos Mutter Batseba neben den seinen gestellt wird (1Kön 2,19), könnte dafür ein Hinweis sein. Da auch für den übrigen Alten Orient machtvoll mitregierende Königinnen bezeugt sind, ist eine ähnliche Autorität für die Mütter der Thronfolger auch für Juda im Bereich des Möglichen.

8. Ratgeberinnen und weise Frauen

Dem höfischen Milieu sind auch die weisen Frauen zuzuordnen, die Ratgeberinnenfunktion am Königshof wahrnehmen. Ob es sich dabei um ein offizielles Amt oder um eine informelle Funktion handelt, die man bei Bedarf in Anspruch nimmt, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

8.1. Weise Frau aus Tekoa

Zwei Geschichten um weise Frauen rahmen die Erzählung um die Thronrevolte Absaloms gegen David. Die weise Frau aus → Tekoa wird von → Joab, dem zweiten Mann im Staate, gerufen, um König David davon zu überzeugen, dass er den aufgrund des Rachemordes am Bruder vertriebenen Thronfolger Absalom wieder an den Hof zurückholen soll (2Sam 14,1f.). Häufig wurde die Funktion der Frau als bloßes Werkzeug des Generals gesehen, aber die Frau aus Tekoa muss ja, um den Auftrag korrekt ausführen zu können, Informationen und Anweisungen bekommen. Die Reden an den König und ihr Verhalten sind keineswegs als Untertänigkeit zu missdeuten, sondern zeugen vielmehr von der Professionalität der Frau, die den diplomatischen Code und die höfischen Umgangsformen perfekt beherrscht (Fischer, 2004, 169-173). Durch ihr Geschick, die Lebenslage des Königs in eine Geschichte zu verpacken und als ihre eigene auszugeben, erreicht sie, wozu sie gesandt wurde: Absaloms Exilierung wird aufgehoben. Die folgende Revolte wird – polar zu den beiden Frauen – von ratgebenden Männern bestimmt: → Ahitofel, der Ratgeber Davids, läuft zu Absalom über und plant die Revolte. Der Rat → Huschais, des Freundes Davids, dem sodann Folge geleistet wird, lässt diese misslingen (vgl. 2Sam 15,1-17,23).

8.2. Weise Frau aus Abel-Bet-Maacha

Das tatsächliche Ende der Aufstände gegen David und den Frieden im Land bringt aber das Verhandlungsgeschick einer anderen Frau (Schroer, 1996, 80-85). Die weise Frau aus Abel-Bet-Maacha verhandelt mit Joab, der die Stadt belagert, über die Auslieferung des Rebellen Scheba, der sich in der Stadt verschanzt hat (2Sam 20,14-22). Auch sie benützt wie die weise Frau aus Tekoa und ihre männlichen Kollegen weisheitliche Redeformen wie die Parabel, zieht die Tradition als Argument heran und benützt Sprichwörter zur Unterstützung ihrer Argumentation.

8.3. Hiobs Frau

Zu den Ratgeberinnen könnte man auch die Frau → Hiobs zählen, die dem krank, kinder- und mittellos gewordenen Ehemann den Rat gibt, seinen Frieden mit Gott zu schließen und zu sterben (Hi 2,9). Sie anerkennt Hiobs Festhalten an seiner Frömmigkeit und empfiehlt ihm mit einer Preisung Gottes – nicht wie häufig übersetzt wird, mit einem Fluch – sich in sein Schicksal zu fügen. Die Rüge, die sie sich von ihrem leidenden Mann dafür einholt, ist nicht als Reaktion auf die Aufforderung zum Fluchen zu verstehen, sondern offensichtlich auf die Missdeutung seines Zustands der Todesnähe zu beziehen (Fischer, 2006b, 97-109).

8.4. Seresch

Eine durchaus zwielichtige Funktion des Ratgebens in konkreten Lebenssituationen ist von Seresch, der Frau des Judenfeindes → Haman, belegt: Sie „berät“ ihn vorerst über den möglichst großen Galgen für den gehassten Mordechai (Est 5,14), als aber deutlich wird, dass der König das vorgesehene Opfer ehrt, erkennt sie scharfsichtig den Untergang ihres Mannes (Est 6,13f.).

8.5. Die weisesten der Fürstinnen in Ri 5

Eine klare Fehleinschätzung der Situation – die vielleicht aber bewusst zur Beruhigung der besorgten Königin gewählt wird – geben die „weisesten der Fürstinnen“ am Palastfenster zu Hazor: Sie besänftigen die grausamen Vorahnungen der Mutter damit, dass der Sohn sich verspäte, da er sich so intensiv dem Beutemachen – zu dem offensichtlich auch das Vergewaltigen gehört – widme (Ri 5,28-30).

8.6. Die Lehre der Mutter als Glaubensunterweisung Israels

Im klassischen Weisheitsbuch der → Sprüche Salomos wird zwar meist angenommen, dass in den Lehrreden ein Lehrer seine (männlichen) Schüler unterweise, aber der Bucheingang spricht eine andere Sprache: Der Aufmerksamkeitsruf an bənî, „mein Sohn“, „mein Kind“, empfiehlt diesem, auf „das Gebot des Vaters“ und „die Tora der Mutter“ zu hören (Spr 1,8). Durch diesen Bucheingang werden alle weiteren Aufforderungen zum Hören, die nicht explizit durch eine spezielle Angabe zur redenden Person gekennzeichnet sind, als Elternlehre gedeutet. Diese Lehre vermittelt nun aber nicht die klassischen Inhalte einer geschlechtsspezifischen Sozialisation, wie man es für eine Elternunterweisung in Gesellschaften mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung vermuten könnte, sondern ist als Verwirklichung der in Dtn 6 geforderten Weitergabe der Tradition an die Kinder zu verstehen. Die Elternbelehrung von Spr 6,20-25 muss durch ihre zitatartigen Querbezüge als midraschartige Auslegung des → Dekalogs (Dtn 5,6-21) und des Schema Israel (Dtn 6,4-9; → Schema Israel), des wohl berühmtesten bekenntnishaften Gebetes des Judentums, verstanden werden (Maier, Proverbien, 145-177). In einer Gesellschaft, in der bis heute keine institutionalisierte Schule nachgewiesen werden konnte, sind damit das Gebot des Vaters und die Tora der Mutter (Spr 1,8; Spr 6,20) als offizielle Weitergabe der Glaubenstradition Israels zu verstehen.

8.7. Die sprichwörtlich fähige Frau

Wie die Lehre der Mutter konkret aussehen kann, zeigt sich sodann im letzten Abschnitt des → Sprüchebuches, in Spr 31. Er ist mit „Worte → Lemuëls, des Königs von Massa, mit denen ihn seine Mutter mahnte“ überschrieben (Spr 31,1). Der erste Teil dieser Unterweisung der Mutter gilt dem Sohn (Spr 31,1-9), den sie nach dem (israelitischen) Königsethos erzieht. Dieses erwartet von einem König vor allem gerechtes Gericht ohne Ansehen der Person. Von manchen wird die Warnung vor den Frauen in Spr 31,3 als klassische patriarchale Sozialisationsvermittlung verstanden (Brenner / van Dijk-Hemmes, 1996, 55f.). Aber der Text ist wohl eher als Auslegung des Ämtergesetzes von Dtn 17,16-20 zu verstehen, das dem König einen großen Harem verbietet, um ihn vor dem „salomonischen Schicksal“ der Abgötterei zu bewahren (Fischer, 2006b, 142ff). Der zweite Teil, Spr 31,10-31, muss nicht als Lob einer fähigen Frau durch ihre Familie oder als Kompendium für einen jungen Mann auf Brautschau verstanden werden, sondern kann als Unterweisung an die Tochter gelesen werden (Fischer, 2006b, 146ff., siehe dort eine Zusammenstellung unterschiedlicher Deutungen). Die Mutter lehrt damit die Tochter, wie sie denn als exzellente Frau sein soll, und bestätigt in Spr 31,29, dass die Tochter dies bereits ist. Yoder (2001) hat aufgezeigt, dass all die ökonomischen, rechtlichen und karitativen Tätigkeiten und Fähigkeiten dieser idealen Frau in persischer Zeit tatsächlich zu belegen sind. Camp (1985) hat darauf hingewiesen, dass im Gesamtabriss des Sprüchebuches diese energische Frau mit der Gestalt der personifizierten Weisheit, wie sie in Spr 1-9 sprechend auftritt, zusammenhängt. Die fähige Frau wird in den Farben von Frau Weisheit dargestellt, wodurch das Sprüchebuch einen (weiblich dominierten) Rahmen erhält. Durch die Tora-Lehre (Spr 31,26) und vor allem durch ihre Kleidung in Spr 31,21f. übernimmt die Frau priesterliche Funktionen, da die mit Purpur und Karmesin gefärbten Luxustextilien und das Byssusleinen im Alten Testament gemeinsam sonst nur noch bei den Kleidern der Priesterschaft und der Ausstattung des Wüstenheiligtums vorkommen (Brockmöller, 2004, 243-258). Dieser Schlusstext des Sprüchebuches, von dem gesagt wird, dass er von einer Frau stammt und eine Frau besingt, erweist sich damit nicht als Kompendium eines patriarchalen Schlaraffenlandes, in dem nur die Frauen, nicht aber die Männer zu arbeiten haben, sondern sowohl als Beleg für die Rechtsfähigkeit und die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen als auch als theologisch bedeutsamer Text, der Frauen nicht nur die Vermittlung der Tradition, sondern auch Heilsfunktion zuschreibt.

9. Prophetinnen

Wer den im christlichen → Kanon am Schluss des Alten Testaments stehenden Kanonteil der Prophetie liest, bekommt den Eindruck, dass → Prophetie in Israel ein ausschließlich von Männern getragenes Phänomen war: Die Prophetenbücher werden allesamt auf Männer zurückgeführt, kein einziges Buch ist unter dem Namen einer Frau überliefert.

Zieht man jedoch die jüdische Kanoneinteilung mit Vorderer (Josua – 2. Könige) und Hinterer Prophetie (Jesaja – Maleachi) heran, so zeigt sich ein ganz anderes Bild: Die Prophetie folgt unmittelbar auf die Tora, da sie nach dem Prophetiegesetz von Dtn 18,9-22 als Amt in der Nachfolge des Mose, des Propheten par excellence, verstanden wird. Prophetie wird als Mittleramt zwischen Gott und Volk am Offenbarungsberg gestiftet (Dtn 18,15-18 mit Rekurs auf Dtn 5,4f.23-30 und Ex 20,18-21) und wird als einziges der Ämter Israels nicht genealogisch oder durch Wahl übertragen, sondern jeweils neu direkt von Gott eingesetzt (Dtn 18,15.18).

9.1. Debora

Die unmittelbare Nachfolge in diesem Amt tritt nach dem Tod des Mose eine Prophetin an: → Debora wird in Ri 4,4 sowohl als Richterin als auch als Prophetin tituliert. Umstritten ist, ob „die Frau des Lappidot“ eine Angabe über den Namen ihres Ehemannes ist oder nicht vielmehr „Feuerfrau“, „Frau der Fackeln“ bedeutet (so Exum, 1997, 24). Debora spielt in der Geschichte um die Schlacht beim Berg Tabor die Rolle der Vermittlerin des Gotteswortes, das den Zeitpunkt des Kampfes und dessen Leitung bestimmt. → Barak, an den das Wort ergeht, ist jedoch nicht bereit, den Auftrag ohne die Prophetin auszuführen, wodurch Debora ankündigt, dass Jahwe den Feind nicht ihm übergeben wird, sondern „der Hand einer Frau“ (Ri 4,4-9). Es muss offen bleiben, ob damit Debora, die die Schlacht dirigiert, gemeint ist, oder nicht vielmehr die Keniterin → Jael, die schließlich den in der Schlacht unterlegenen, fliehenden Feldherrn, der bei ihr vor den israelitischen Verfolgern Zuflucht sucht, eigenhändig mit Hammer und Zeltpflock erschlägt (Ri 4,16-22). Im folgenden Lied, das Debora als „Mutter in Israel“ tituliert, und das sie mit Barak singt, wird Jael für die Tat gepriesen und die ganze Epoche nach dieser Frau bezeichnet (Ri 5,6). Aber auch die gegnerische Seite wird weiblich vorgestellt: Auf das unterlegene Heer und dessen General warten die Mutter und die Fürstinnen am Fenster, während sie sich – zynisch genug – darüber unterhalten, dass die Männer wohl durch Vergewaltigen und Plündern von Beutestücken für die Damen aufgehalten worden seien (Ri 5,28-30).

9.2. Frau von En-Dor

Da das Prophetiegesetz in Dtn 18,9f. nicht nur positiv bestimmt, was Prophetie in Israel sein soll, sondern sich auch negativ von Falschprophetie und inadäquaten Praktiken der Gegenwartsdeutung und Zukunftsergründung absetzt, wird in der Vorderen Prophetie dem entsprechend ein negatives Beispiel einer Prophetin angeführt: Die oft „Hexe“ genannte → Frau von En-Dor (→ En-Dor), die für den die letzte Schlacht kämpfenden König Saul den Propheten Samuel aus dem Totenreich heraufsteigen lassen soll, ist eigentlich eine Prophetin. Die Geschichte erzählt, wie die Frau im Namen Jahwes (vgl. 1Sam 28,3-25) eine Totenbeschwörung durchführt und führt die verbotenen Praktiken narrativ ad absurdum: Der dem König erscheinende tote Samuel hat für Saul kein anderes Wort als das, das er ihm bereits zu Lebzeiten vermittelt hatte und auf das der König nicht zu hören bereit war. Falschprophetie ist damit zwecklos, da sie zu keinen Ergebnissen führt. Die einzig und allein sinnvolle Form der Zukunftsergründung ist das Hören auf das Wort der prophetisch von Jahwe Begabten.

9.3. Hulda

Der Kanonteil der Vorderen Prophetie, der vom Leben Israels im Verheißungsland erzählt, wird durch Geschichten um zwei Prophetinnen gerahmt: Debora ist die erste prophetische Gestalt nach Mose, → Hulda die letzte in der langen Reihe mit so prominenten Namen wie → Samuel, → Nathan und → Elia. Dadurch wird dieser prophetische Kanonteil von weiblicher Prophetie gerahmt (Butting, 2001, 165-169). Dieser Rahmen gibt eine Leseanweisung für alle Texte, die nəvî’îm, „Propheten“, erwähnen: Es sind jeweils prophetisch Begabte gemeint – und nicht bloß jene männlichen Geschlechts.

Zu Zeiten, als bereits der später so berühmt gewordene Prophet Jeremia in Jerusalem wirkt, entscheiden sich die Staatsspitzen, nicht ihn für den König zu konsultieren, sondern die Prophetin Hulda. Da einige in der Hulda-Geschichte erwähnte Personen bzw. Personennamen auch außerbiblisch durch Siegelfunde belegt sind, wurde dies häufig als Indiz für die Historizität der Erzählung um die Prophetin gesehen. 2Kön 22 erzählt, dass zu → Josias Zeiten im Zuge von Renovierungsarbeiten am Tempel ein Gesetzbuch aufgefunden wird. Hulda ist zu jener Zeit offensichtlich die Autorität, wenn es gilt, den Willen Jahwes zu befragen (2Kön 22,14-20). Sie anerkennt das ihr vorgelegte Gesetz als gültiges Gottesgesetz und „kanonisiert“ damit gleichsam den ersten „Bibeltext“ (Camp, 1992, 109). Hulda steht auch insofern in der Nachfolge des Mose, als sie – neben Ezechiel mit seinem Verfassungsentwurf in Ez 40-48 – die einzige prophetische Gestalt nach Mose ist, die mit einer Gesetzespromulgation verknüpft wird.

9.4. Prophetenjüngerinnen

Auch im Umkreis großer Prophetengestalten gab es nicht nur Jünger, sondern auch Jüngerinnen; darauf lässt etwa die Frau aus Schunem schließen (2Kön 4,8-17). Sie versorgt → Elisa nicht nur mit Kost und Quartier, sondern ist offensichtlich an Feiertagen mit ihm und seinem Gefolge unterwegs (vgl. 2Kön 4,23). Als ihr Unrecht geschieht und man sie enteignen will, setzt sich Elisa für sie ein (2Kön 8,1-6). Den Sohn, den die vorerst Kinderlose auf Zusage des Propheten hin gebiert und der noch als Kind stirbt, erweckt er wieder zum Leben (2Kön 4,18-37). Eine ähnliche, jedoch sozialkritische Geschichte um eine arme Witwe und deren Sohn, die die prophetische Zunft versorgt, aber auch selber versorgt wird, ist die Erzählung um Elia und die Witwe aus Sarepta, deren Mehl und Öl nicht versiegen und deren Sohn wieder zum Leben erweckt wird (1Kön 17,8-24).

9.5. Prophetin in Jes 8

Im Kanonteil der Schriftprophetie wird nur eine einzige Frau als nəvî’āh, „Prophetin“, bezeichnet. In der Exegesegeschichte wurde die Notiz aus Jes 8,1-4, dass der Prophet Jesaja sich der Prophetin naht, sie schwanger wird und einen Sohn mit zeichenhaftem Namen gebiert, meist ohne Reflexion als Beleg dafür gelesen, dass Jesaja zu seiner Ehefrau ging und mit ihr ein Kind zeugte. Nirgends sagt der Text jedoch, dass „die Prophetin“ Jesajas Ehefrau sei und nirgends wird eindeutig klargestellt, wer der Vater ihres Kindes ist, denn ein Mann kann sich durchaus auch in anderer als sexueller Absicht einer Frau „nähern“ (vgl. z. B. Num 5,16.25). Diese Frau steht, wenn sie „die Prophetin“ genannt wird, ohne Zweifel selber in prophetischer Funktion, wodurch der Kindername doppeltes Gewicht bekommt. Liest man den göttlichen Befehl, den Kindernamen auf eine große „Tafel“ zu schreiben, so findet sich für das Material, auf dem geschrieben werden soll, das hebräische Wort gillājôn, das sonst nur noch in Jes 3,23 als Bezeichnung für einen Spiegel vorkommt. Sieht man dies auf dem Hintergrund von Ex 38,8, wo davon die Rede ist, dass Frauen mit „Spiegeln“ (mar’ôt) Dienst am Offenbarungszelt versehen, so handelt es sich dabei möglicherweise nicht um irgendeine „Spiegeltafel“, sondern um das Handwerkszeug einer Prophetin, die ihren Dienst am Heiligtum versieht (siehe zu beiden Texten ausführlicher: Fischer, 2002, 95-108.189-220). Dann würde die Prophetin, zu der Jesaja geht, in der Tradition jener Frauen stehen, die am Offenbarungszelt ihren Dienst versehen (vgl. auch 1Sam 2,22). Trifft dies zu, dann ist die Zeichenhandlung aus Jes 8,1-4 so zu verstehen, dass Jesaja sich politisch einflussreiche Zeugen für den Wortempfang nimmt, die Botschaft aber bei der Prophetin aufzeichnet. Denn die Anweisung Jahwes lautet ja nicht, dass Jesaja sich Zeugen nehmen, sondern dass er auf eine metallene Tafel schreiben solle. Die Ausführung dazu kann also auch im Narrativ von Jes 8,3 gegeben sein. Ob Jesaja der Vater des sodann von der Prophetin geborenen Kindes ist oder ob er ihren Sohn nur benennen soll, sagt der Text wiederum nicht mit der nötigen Klarheit. Aufgrund der Altersangabe „Vater und Mutter rufen“, die sich dann auf die prophetischen Eltern bezieht, könnte man allerdings darauf schließen. Die Prophetin, zu der Jesaja geht, ist dann aber nicht, wie häufig behauptet wird, auf die quasi für Frauen einzige Bestimmung des Kinder Gebärens festzulegen. Sie steht mit ihrem Kind, das einen zeichenhaften Namen erhält, ganz in der Tradition ihrer Kinder zeugenden männlichen Kollegen Hosea und Jesaja (vgl. Hos 1,2-9; Jes 7,3).

9.6. Mirjam

Die Prophetin der Hebräischen Bibel schlechthin ist jedoch → Mirjam. Von ihr wird nicht nur einmal erzählt, sondern mehrfach in der Tora sowie einmal auch im Prophetiekanon. Für das Mirjamlied in Ex 15,20-21 wurde in der Forschung lange Zeit angenommen, dass es zu den ältesten Texten der Bibel gehöre, was inzwischen nicht mehr unumstritten ist (Rapp, 2002, 231f.). Ihr Lied schließt vom Erzählfaden nahtlos an Ex 14,29 an und bildet so die hymnische „Antwort“ (Ex 15,21) auf das Rettungsgeschehen am Schilfmeer, das das Ende der Unterdrückung des Volkes in Ägypten signalisiert. Mirjam wird mit ihrem Lied in das Mittleramt der Prophetie gestellt, noch bevor dieses vom Erzählverlauf her gestiftet wird. Das viel längere Moselied steht in der heutigen Textanordnung vor dem kurzen Mirjamlied und lässt von der Leserichtung her den Hymnus der Prophetin in Begleitung der Frauen (V20) als bloß sekundäre Reaktion auf das Exodusgeschehen erscheinen. Während → Aaron als Prophet des → Mose von Gott nur auf ihn hin gesandt ist (Ex 7,1), wird Mirjam aber nicht in Abhängigkeit zu Mose vorgestellt. Sie ist von Gott berufene und gesandte Prophetin (vgl. Mi 6,4).

Aus dem Konflikt der drei Führungsfiguren des Exodus um die Kompetenz des Wortempfangs, von dem Num 12,1f. berichtet, geht Mirjam insofern als Prophetin bestätigt hervor, als Jahwe abermals mit ihr redet. Während Aaron nach dem von Mirjam initiierten Aufbegehren gegen den Alleinvertretungsanspruch des Mose wieder auf seine Hinordnung auf diesen beschränkt wird, lenkt Mirjam nicht ein. Sie wird deswegen zwar zur Strafe für die Rebellion zwischenzeitlich von Gott selber aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, indem sie mit Aussatz geschlagen wird (Num 12,10-16). Da ihre prophetische Rolle durch das Reden Gottes mit ihr neuerlich bestätigt wird, bekommt sie aber im angesprochenen Konflikt recht: Dieser Streit um die Prophetie ist in Num 12,1f. mit der Auseinandersetzung um die Ehe des Mose mit der Kuschiterin verknüpft: Mose hat sich von ihr getrennt (Ex 18,2) und wird daher von den Gegnern von Mischehen der nachexilischen Zeit als Vorbild hingestellt. Mirjam widerspricht dem aber. Indem Mose zur alle überragenden Figur erklärt wird (Num 12,3.7f.), kann sein Verhalten nicht zur Norm für das ganze Volk erhoben werden (Fischer, 2002, 76f.).

In Dtn 24,8-9 wird die Mirjamgeschichte von Num 12 im Rahmen einer Aussatztora aufgegriffen, die die Kompetenz der Priesterschaft thematisiert. Die Geschichte vom Aufbegehren Mirjams und Aarons gegen Mose kann als Beispielsgeschichte zum Prophetieverständnis der Tora gelesen werden. Sie illustriert die Sonderstellung des Mose, wie sie in Dtn 34,10-12 festgelegt ist. Die Erzählung verdeutlicht, dass Prophetie neben und nach Mose notwendig ist, da die durch ihn allein vermittelte Tora der Auslegung bedarf. Mi 6,4 liefert indirekt für Mirjam die im Pentateuch nicht erzählte Berufung nach und erweist im Kontext von Mi 6,3.5 gerade sie als wahre prophetische Gestalt, da sie nach den Exodusüberlieferungen für das Volk „geantwortet“ und so die Mittlerfunktion zwischen Gott und Volk übernommen hat (Ex 15,21).

Die Mirjamtraditionen, insbesondere von Num 12 und von Mi 6,4, sind vermutlich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um das Phänomen der Prophetie in der Perserzeit zu verstehen (Kessler, 1996). Die Gruppen der Priesterschaft, der Prophetie und der politischen Führung ringen um die Auslegung der Tora, die das Leben in der nachexilischen Gemeinde regelt. Die offensichtlich von Frauen dominierte prophetische Gruppe, die für eine Auslegung der Tora zugunsten Marginalisierter plädiert, droht dabei ins Hintertreffen zu gelangen. Mirjam als Erzählfigur steht daher einerseits auf einer Ebene mit jener von Mose und Aaron, gleichzeitig scheint sich jedoch in allen Mirjamtraditionen das Konkurrenzverhältnis dieser drei Gruppierungen, die die Gesellschaft im perserzeitlichen Juda bestimmen, niederzuschlagen.

9.7. Noadja

Fast alle Texte über Prophetinnen legen Spuren in die Perserzeit. Wenn diese zeitliche Ansetzung richtig ist, muss das Phänomen der weiblichen Prophetie in dieser Zeit so bedeutend gewesen sein, dass es schriftliche Spuren zu hinterlassen vermochte. Rainer Kessler hat erstmals versucht, die Mirjamtexte mit der Gruppe um → Noadja in Verbindung zu bringen. In Neh 6,14 trägt → Nehemia als Abschluss seines Berichtes über all die Widerstände, die er gegen sein Werk des Mauerbaus erfährt, die Bitte vor, dass Gott die Taten aller seiner Feinde ahnden solle. Dieser Wunsch gipfelt in der Vergeltungsbitte gegen die „Prophetin Noadja und die übrigen prophetisch Tätigen“, die Nehemia zum Schrecken werden. Wenn eine Frau aus einer mit männlichem Plural bezeichneten Schar namentlich hervorgehoben wird, so ist berechtigt anzunehmen, dass diese Frau entweder die Leitung der Gruppe innehat oder ihr stärkstes Mitglied ist. Der Erzählzusammenhang in Neh 6, der sich als parteiliche Polemik und nicht als neutrale Beschreibung des Konflikts versteht, spricht mehrfach von prophetischen Gruppen. Sie werden offensichtlich von den Feinden Nehemias dazu benutzt, ihn der versuchten Revolte gegen den persischen König zu bezichtigen. Es wird das Gerücht in die Welt gesetzt, dass er für sich die Königssalbung vorbereite (Neh 6,6f.). Als → Schemaja ihn zu sich kommen lässt und ihm das prophetische Wort ausrichtet, er solle mit ihm zum Eingang des Tempels gehen, erkennt Nehemia offensichtlich am vorgeschlagenen Ort die Intrige (Neh 6,10ff.). Wenn Nehemia anschließend für Noadja als Kopf der prophetischen Gruppe Vergeltung schwört, lässt sich dies wohl nur so erklären, dass sie in der Tradition jener Frauen steht, die den Dienst am Eingang zum Offenbarungszelt versehen (Ex 38,8; 1Sam 2,22). Die Verschwörung Schemajas, die von Nehemias Feinden bezahlt worden ist, sollte also dazu dienen, Nehemia auf dem Weg zu Noadja anzutreffen, um ihn der versuchten Königssalbung, die ja durch prophetische Gestalten vollzogen wird (vgl. 1Sam 16,12-13 und 1Kön 1,34), bezichtigen zu können. Ob Noadja in diese Intrige eingeweiht ist oder nicht, geht aus dem Text nicht hervor.

Verortet man diese Notiz sozialgeschichtlich, so wird klar, dass diese Gruppe von prophetischen Menschen nicht zu jenem Bevölkerungsteil zu rechnen ist, der aus der Gola zurückkommt, sondern zu den im Lande Verbliebenen. Gerade in diese Zeit führen implizit auch die Spuren von Mirjam und Hulda. Vielleicht führen die Geschichten um Prophetinnen in ihrer heutigen Endform auch zu dieser soziologischen Gruppe, die von Frauen dominiert wird und die gegen die Ausgrenzungspolitik der Rückkehrer aus der Gola ihre Stimme erhebt, ohne jedoch die Verpflichtung auf die Tora (vgl. Neh 8) und die kreative Auslegung derselben aufzugeben.

9.8. Prophetinnen in Ez 13

Prophetie ist weder ein ausschließlich männliches noch ein ausschließlich israelitisches Phänomen. Gerade die Ischtar-Prophetien, die etwa die prophetischen Gattungen des Heilsorakels („Fürchte dich nicht!“) oder des Botenspruchs („So spricht die Gottheit: …“) auch in außerbiblischer Verwendung bezeugen, stammen zum überwiegenden Teil von Frauen (Spieckermann, 1982, 302). Dabei handelt es sich um hochoffizielle Prophetien für den Königshof. Was diese Prophetinnen künden, sind damit keinesfalls Orakel für die sogenannte „private Frömmigkeit“, wozu häufig jene Bereiche, in denen Frauen als führend gezeichnet werden, trivialisiert werden. So sind auch die prophetisch redenden Frauen des Ezechielbuches (Ez 13,17f.) offensichtlich keine Einzelgestalten ihrer Zeit. Ihre Praktiken werden mit mantischen und magischen Phänomenen verbunden (→ Divination), wodurch sie ebenso wie die unmittelbar vorher gescholtenen männlichen Kollegen (Ez 13,1-16) unter die Falschprophetie eingereiht werden. Sie haben zwar das für die wahre Prophetie kennzeichnende Wort (Dtn 18,18f.), aber dieses stammt nicht von Jahwe, sondern ist ein frei erfundenes (Ez 13,2f.17). Ihre spezifische Aufgabe, mit ihrem Wort das Volk zur Umkehr anzuleiten und damit den Weg zum Leben zu weisen, erfüllen sie mit ihrer selbst erfundenen Botschaft jedoch nicht. Sie kommen dem prophetischen Wächteramt und dessen Funktion, die Umkehrwilligen zum Leben und die Sünder zum Tod zu führen, nicht nach (vgl. Ez 3,16f.; Ez 33,1f.; vgl. Ez 20,10ff.) und pervertieren damit die zentrale Aufgabe der Prophetie, zwischen Gott und Mensch zu vermitteln.

9.9. Die Ausgießung des Geistes auf Männer und Frauen

Von Anfang an ist das Phänomen der Prophetie mit der Problematik der Falschprophetie verbunden: Woran erkennt man ein wahres Gotteswort und woran einen Falschpropheten? Aus den Komplikationen, die aus der prophetisch vermittelten Kommunikation zwischen Gott und Volk entstehen können, entwirft schließlich die nachexilische Zeit ein Konzept, das derlei Schwierigkeiten für das eigene Volk umgeht: Israels Söhne und Töchter, Jung und Alt, werden durch die Ausgießung des Geistes prophetisch begabt werden (Jo 3,1). Dadurch wird der Tag Jahwes, der in der prophetischen Tradition ein Tag des Gerichts ist (vgl. z.B. Am 5,18; Jo 2), für jene, die sich Jahwe zuwenden, zum Tag der Rettung werden (Jo 3, 5). Die Geistausgießung bewirkt damit dieselbe Fähigkeit, die nach anderem theologischen Konzept die Tora im und am Herzen (Jes 51,7; Jer 31,33) erzielt: Zum Leben nach der Tora, deren Aktualisierung kundzutun die Aufgabe der Prophetie in der Nachfolge des Mose war, braucht es keine Vermittlung mehr. Im Gottesvolk sind alle Menschen selber dazu befähigt, mit ihrem Gott unmittelbar zu kommunizieren.

10. Frauenbücher und Frauen in den Spätschriften des Alten Testaments

Während früher häufig angenommen wurde, dass ältere Texte von größerer Freiheit und Gestaltungsmacht von Frauen zeugen würden, haben die Forschungen der letzten Jahre deutlich gemacht, dass in nachexilischer Zeit Frauen öffentlich viel präsenter sind als bislang angenommen (Eskenazi, 1992). Diese Epoche ist nicht nur die prägendste für die Literaturwerdung, sondern auch eine Zeit der Polarisierung: Während die priesterlichen Gesetze durch die Kategorien Rein und Unrein Frauen aus der regulären Partizipation am kultischen Leben mehr und mehr verdrängen, gibt es offenkundig eine Gegenbewegung, die in der Entstehung der Frauenbücher der Bibel ihren Niederschlag gefunden hat. In den Büchern → Rut, → Ester, → Judit sowie im Hohelied und in den Geschichten über Susanna (Dan 13) und die Frauen Sara, Debora und Hanna im Buch → Tobit werden die Kategorien, nach denen patriarchale Gesellschaften diskriminieren, kritisch befragt und häufig Gegengeschichten zu den herkömmlichen Wertungen in der Gesellschaft erzählt.

10.1. Rut

Vermutlich ist das Buch → Rut das älteste in der genannten Reihe. Es thematisiert ausdrücklich das Lebensschicksal von Frauen in patriarchaler Rechts- und Gesellschaftsordnung und votiert dafür, dass es für Frauen zielführender ist, einander zu unterstützen und zu vertrauen, als auf männliche Hilfe zu warten: Während Boas, der wohlhabende Grundbesitzer, die Not der Frauen zwar kennt, aber nichts gegen sie unternimmt (Rut 2,6.11), versorgt die in Juda fremde Rut ihre Schwiegermutter vorerst mit dem täglichen Brot und schließlich dauerhaft, indem sie Noomi ins Haus ihres neuen Ehemannes mitnimmt. Im Rutbuch tritt daher häufig weibliche Weltsicht zutage: Das Elternhaus wird „Haus der Mutter“ genannt (Rut 1,8), es ist nicht der „Gott der Väter“, dem Rut in Rut 1,16 zu folgen bereit ist, sondern der Gott Noomis, und es ist das Volk der Schwiegermutter, zu dem sie unterwegs ist. Das Rutbuch plädiert aber auch gegen Fremdenfeindlichkeit, indem es etwa gerade die Moabiterin Rut mit Huld auszeichnet, mit der im Buch sonst nur Gott in Verbindung gebracht wird (siehe ausführlich Fischer, 2005).

10.2. Ester

Das Buch → Ester treibt die Darstellung hierarchisch-patriarchaler Gesellschaftsstruktur derart auf die Spitze, dass sie einerseits zwar lächerlich wird (vgl. Est 1), andererseits aber auch das Gefährliche dieser Struktur bei mangelnder Führungskraft vor Augen führt. Während Mordechai seine religiöse Überzeugung öffentlich demonstriert und dadurch die Wut des Judenfeindes Hamans auf sich zieht, versteht es seine diplomatische Nichte Ester, sich in die Gesetze des altorientalischen Hofes zu integrieren. Ester rettet unter Einsatz ihres Lebens (Est 3,1-5,4) ihr eigenes Volk vor einem Pogrom, wenngleich der Aberwitz, dass selbst ein ungerechter und Unheil bringender Befehl des Königs nicht mehr widerrufen werden kann, dazu führt, dass Juden sich durch Gegengewalt zu Wehr setzen müssen (Est 8,7-17).

10.3. Judit

Auch im griechisch verfassten Buch → Judit rettet eine Frau ihr Volk, nachdem die führenden Männer die Hoffnung auf Errettung ihrer Stadt aus der Belagerung durch eine Supermacht bereits aufgegeben haben und nach einer Frist die Stadt übergeben wollen. Judit aber deutet die Belagerung → Betulias als Prüfung Gottes und entschließt sich nach intensivem Gebet (Jdt 9) bestens gekleidet, geschminkt und hergerichtet ins Lager des Feindes zu gehen. Die Soldaten sehen sie und sind geblendet von ihrer Schönheit. Eine solche Frau, die noch dazu angibt, beim Feind Zuflucht zu suchen, gebührt nur dem Allerhöchsten im Lager. So wird sie ins Zelt des Generals → Holofernes gebracht. Der sieht die Schönheit der Frau und wird im wahrsten Sinne des Wortes kopflos: Siegessicher, dass er sowohl die belagerte Stadt erobern wird, als auch die Frau, die sich in seinen Schutz begeben hat, vergisst er alle Vorsichtsmaßnahmen der Fremden gegenüber. Er lässt sie allabendlich vor das Lager hinausgehen, damit sie ihre religiösen Riten vollziehen kann. Nach drei Tagen gibt der Kriegsherr zu Ehren der Frau ein Festmahl, um mit ihr zu schlafen. Die erotisierte Atmosphäre im Generalszelt erzählt das Buch Judit nicht ohne Ironie: Holofernes ist derart begierig, diese Frau zu erobern, dass er sich in seiner Gier nicht mehr beherrschen kann und sich sinnlos betrinkt (Jdt 12,10-13,2). Als der potente Eroberer nicht mehr Herr seiner selbst ist, nimmt Judit sein eigenes Schwert und köpft ihn. Da der Befehlshaber für das „Schäferstündchen“ alle seine Diener weggeschickt hat, kann Judit unbehelligt das Lager verlassen, da die Wachen ihren Fortgang als abendliche Gewohnheit der rituellen Waschung verstehen. Als man am Morgen den Torso des Feldherrn findet, bricht im Lager der Supermacht Panik und Flucht aus. Judit errettet die Stadt durch Tyrannenmord. Aber gerade so erweist sie, dass ihr Gott den Kriegen ein Ende setzt (Jdt 16,2 [Lutherbibel: Jdt 16,3-4]), und all jene, die gegen das Gottesvolk kämpfen, durch das eigene Schwert umkommen.

10.4. Susanna

Erweist das Buch Judit, dass die Frau mehr Courage hat als die Männer, so erzählt ZusDan 1,1f. eine Geschichte, die einer Frau Gesetzestreue und Gottesfurcht attestiert, den Ältesten, die das Volk zu leiten hätten, wird jedoch Unmoral und Verbrechen vorgeworfen. → Susanna wird als gottesfürchtige Frau vorgestellt, die von den Kollegen ihres Mannes sexuell bedrängt wird. Um mit ihr schlafen zu können, lassen sich die beiden Männer im Garten von Susannas Ehemann einschließen und beobachten die Frau beim Baden im verschlossenen Garten. Susanna jedoch lässt sich nicht sexuell nötigen. Sie entschließt sich nach realistischer Abwägung ihrer Situation für den Tod, da ihr die beiden die Verleumdung wegen Ehebruchs mit einem jungen Liebhaber androhen. Da sich Susanna nicht beeindrucken lässt, geben die Ältesten vor, sie in flagranti erwischt zu haben. Susanna, die ohne Entlastungszeugen ist, muss den Weg zum Gericht antreten und wird in letzter Minute vom jungen Daniel gerettet, der die beiden Verleumder getrennt verhört und damit die Wahrheit ans Licht bringt. Die sozialkritische Tendenz dieser Erzählung (vor allem der Septuaginta-Version, siehe Leisering 2008) befragt den hohen Stellenwert der Alten und der Männer. ZusDan 1 ist der Überzeugung, dass bei Frauen und bei Jungen mehr Gottesfurcht gefunden werden kann als bei den Spitzen der Gesellschaft, die die Ältesten repräsentieren.

10.5. Frauen im Buch Tobit

Im Buch → Tobit stehen die Frauen zwar nicht im Zentrum, dennoch erfährt man sozialgeschichtlich Interessantes aus dieser Erzählung: Tobit, der Erzähler der Geschichte, betont in Tob 1 seine Lauterkeit im Leben und seine Frömmigkeit. Dabei bekennt er, dass seine Großmutter Debora ihn als Waisen in den Vorschriften unterwiesen hat, die in Tob 1,8 zum Gesetz des Mose parallel gesetzt werden (die Stellenangabe bezieht sich auf die LXX, der – von den Bibeln, die WiBiLex online zur Verfügung stehen – die Menge-Bibel folgt, nicht jedoch die Lutherbibel, die auf der Vulgata basiert; über das Feld „Benutzerdaten“ – oben rechts im Bildschirm – kann die Menge-Bibel gewählt werden). Der Unterweisung Deboras kommt damit in ähnlicher Weise die Vermittlung der Grundtraditionen Israels zu wie der Tora der Mutter in Spr 1,8; Spr 6,20.

Hanna, die Frau Tobits, ist wiederum ein erzählerisch dargestelltes Beispiel der fähigen Frau aus Spr 31,10-31: Als Tobit erblindet, ernährt sie ihre Familie durch Lohnarbeiten, die sie zu Hause erledigt. Aber anstatt mit dem Dank ihres Ehemannes rechnen zu können, bezichtigt er sie des Diebstahls, als sie eines Tages als zusätzlichen Lohn ein Ziegenböckchen mit nach Hause bringt, und zwingt die Frau, das Geschenk zurückzugeben. Hanna befragt daraufhin die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ihres Mannes, auf die er doch nach dem Zeugnis des Bucheingangs selber so stolz war (Tob 2,11-14 [Lutherbibel: Tob 2,19-22]). Das Verhältnis des Ehepaares Tobit und Hanna spiegelt damit narrativ das wieder, was Sir 25,22 (Lutherbibel: Sir 25,28f) als Schande ansieht: Nach den Vorstellungen patriarchaler Gesellschaft soll nicht die Frau ihren Mann ernähren, sondern der Mann die Frau. Dass lamentierende Texte über ökonomisch ihren Männern überlegene Frauen einen konkreten Sitz im Leben haben, lässt sich nicht nur durch Hanna, sondern außerbiblisch auch durch das nach der reichen Jüdin Mibtahiah benannte Archiv in → Elephantine belegen (Texte aus Ägypten).

Die Wertschätzung der eigenen Tochter durch die Eltern lässt sich sodann bei Sara, der späteren Frau des Tobias, zeigen. Da ihr ein Ehemann nach dem anderen stirbt, kommt sie in den Ruf, von einem → Dämon besessen zu sein (→ Aschmodai). Obwohl sie finanziell eine gute Partie darstellt (vgl. Tob 5,1; offensichtlich erbt diese einzige Tochter den gesamten Besitz der Eltern), scheut man vor einer neuen Eheschließung zurück. Die wunderschöne, durch Märchenmotive gestaltete Erzählung lässt aber in Tobias den richtigen Mann kommen, der durch seine Gottesfurcht und sein gerechtes Handeln alle Hindernisse zum Glück beiseite räumen kann (Tob 8).

10.6. Hoheslied

Das → Hohelied, ein ebenfalls sehr spätes Buch, zeichnet sich durch Egalität der Sehnsucht und des erotischen Erlebens aus. Die Beschreibungslieder der Liebenden finden sich sogar häufiger im Munde der Geliebten. Mann wie Frau begehren einander und erleben den Körper des geliebten Gegenübers als faszinierend und attraktiv. Gesellschaftliche Schranken spielen in diesen Liebesliedern, die nichts von Ehe oder Kindern wissen, nur eine nebensächliche Rolle (vgl. die Wächter der Stadt in Hhld 3,3; Hhld 5,7 und die Brüder der Frau in Hhld 1,6). Ja, das gelingende Geschlechterverhältnis im Kontext der üppigen Gartenmetaphorik kann sogar als Rückkehr in den Garten Eden (vgl. Gen 2) und Gegenutopie zu Gen 3 gelesen werden: Wenn Nacktheit als adäquater Zustand einer ungebrochenen Sexualität beschrieben wird (Gen 2,23-24), so wird in der beschreibenden Sinnlichkeit des Hohenliedes nicht nur die Atmosphäre des Paradiesesgartens wiederbelebt, sondern die Nacktheit, die aufgrund der detaillierten Beschreibung des Körpers deutlich wird, als gottgewollter Grundzustand des Menschen offenkundig. Von der gebrochenen Geschlechterbeziehung der gefallenen Schöpfung in Gen 3 wird dem entsprechend als Einbruch der Scham und als Beantwortung des Begehrens der Frau durch die Herrschaft des Mannes über sie erzählt. Das Hohelied, das auf manchen Ebenen als Einspruch in das zwischen Mann und Frau real existierende Herrschaftsverhältnis gelesen werden kann, bestimmt denn auch das Begehren nicht als weibliches Verhalten dem Mann gegenüber (Gen 3,16), sondern als männliches Verhalten zu seiner Geliebten: „Ich [bin] für meinen Geliebten, und nach mir ist sein Begehren“ (Hhld 7,11). Sexualität als jener Grundvollzug der Menschen, der alle Sinne anspricht, einbezieht und berauscht, wird im Lied der Lieder, wie das Hohelied in der Hebräischen Bibel heißt, in allen ihren Aspekten gefeiert. Die Erfahrung aller Sinne und der Jubel über sie finden nicht im gottfernen Raum statt, gleichsam am Abhang zur Sünde, der in den Tod abfällt. Er entspricht vielmehr einer Rückkehr der Liebenden zu einer schöpfungsgemäßen Geschlechterordnung, die keine Herrschaft kennt.

11. Weibliche Metaphorik

Die biblischen Bücher greifen in einer auffälligen Breite zu weiblichen Metaphern (→ Bildworte / Bildreden), um die Gottesbotschaft zu vermitteln. Diese lassen einerseits auf die soziokulturellen Lebensbedingungen von Frauen (→ Frau), andererseits auf die Vorstellungen vom weiblichen sozialen Geschlecht (gender) in Alt-Israel schließen.

11.1. Israel als Gottes Ehefrau

Die wohl bekannteste weibliche Metapher ist jene, die Israel als durch einen Bund an seine Gottheit Jahwe gebundene Ehefrau vorstellt. Hintergrund dieser Metaphorik ist die patriarchale Ehe, die von den Frauen unbedingte Treue verlangt. So wird etwa in Hos 1-3 das Ehedrama Gottes mit seinem Volk in der Ehe des Propheten mit Gomer symbolisiert: Die untreue Frau, die bereits Kinder geboren hat, sucht sich Liebhaber und meint, dass all die guten Gaben (die die Gottheit seinem Volk gibt) von diesen kommen würden. Mit der Dominanz des Eheherrn muss der Prophet die Frau verstoßen, um sie abermals zur Frau zu nehmen. Dieses Drama zwischen dem als Frau gezeichneten Volk und dem göttlichen Eheherrn wird in vielen prophetischen Schriften breit entfaltet. Teils beginnt die Fürsorge Jahwes bereits beim kleinen Mädchen, wird geschildert über die erste Liebe und die Treueverpflichtung, um schließlich nicht nur in Ehebruch, sondern in Prostitution oder Nymphomanie zu enden (vgl. z.B. ausführlich dargestellt in Ez 16; Ez 23 oder Jer 2,20-3,13). Die Strafe des Eheherrn ist grausam und wird in manchen Texten an der Grenze zur Pornographie dargestellt (vgl. Brenner / van Dijk-Hemmes, 1996, 167-193). Nicht nur die Liebhaber fallen über die Frau her, sondern insbesondere Frauen verspotten die Gedemütigte.

So findet sich etwa in den Büchern Jesaja und Baruch gleichsam eine „Biographie“ dieser symbolischen Frau, die von der begehrten, unabhängigen, stolzen Tochter über die kinderreiche Ehefrau bis hin zur Verstoßenen, die vergewaltigt wurde und die all ihre Kinder verloren hat und schlussendlich wieder als Braut aufgenommen wird und wieder zu Kindern kommt, erzählt (vgl. z.B. Jes 1,8; Jes 37,22; Jes 49,14-26; Jes 51,17-23; Jes 54,1-10; Jes 62,1-5; Jes 66,7-14 oder Bar 4,5-5,9).

Für die metaphorische Sprache ist zu betonen, dass ein bestimmtes Grundbild (z.B. Frau) sich konsequent sowohl in negativ (z.B. Prostituierte) als auch positiv (z.B. Braut) konnotierter Richtung entfalten kann. Die Gegenbilder sind als zwei Seiten ein und derselben Medaille zu verstehen. Die für Frauen negativen Folgen solcher Bilder müssen damit nicht primär in der Intention der metaphorischen Sprachwahl liegen, sind aber in Bezug auf die Rezeption und Wirkungsgeschichte nicht zu vernachlässigen.

11.2. Menstruation, Schwangerschaft, Geburt

Metaphern, die Bilder aus der weiblichen Biologie verwenden, illustrieren vom männlichen Blickwinkel aus überwiegend not- und schmachvolle Vorgänge und Zustände: → Menstruation wird als Unreinheit wahrgenommen und dient in der metaphorischen Rede im Sündenbekenntnis zur Illustration der aussichtslos schuldigen Existenz (vgl. z.B. Jes 64,5). Die traumatischen Erfahrungen des Aussetzens der Wehen während des Gebärvorganges (Jes 37,3) und einer Fehlgeburt, die kein neues Leben zu schenken vermag, sind vom weiblichen Blickwinkel her als Bilder für die hoffnungsvolle Erwartung, die auf tragische Weise enttäuscht wird, zu verstehen.

Auch die Thematisierung der leidvollen Erfahrung des Säuglingssterbens, das die noch stillende Mutter unmittelbarer trifft als etwa den Vater, findet sich. Jahwe wird dafür sorgen, dass das Leben langen Bestand haben wird, die Mühen der → Schwangerschaft und → Geburt sich auch lohnen (Jes 65,20.23). In androzentrischer Sichtweise, die weibliche Erfahrung klischeehaft wertet und damit oft missdeutet, dient die Schwangere in Wehen, die kein neues Leben zur Welt bringt, zur Bebilderung des Versagens (Jes 26,18; Jes 33,11; Jes 59,4; Hi 15,35; Ps 7,15). Besonders krass ist dies in Jes 59,1-5 im Rahmen einer prophetischen Schelte: Die metaphorische Rede vom Schwangersein mit Mühsal und vom Zeugen von Frevel gleitet hier ins Tierreich ab. Aber nur der weibliche Anteil an der Entstehung neuen Lebens, die Schwangerschaft und das Gebären der Frauen, wird mit dem Bild der Giftschlange, die ihre Eier ausbrütet, animalisiert. Die reproduktive Seite weiblicher Sexualität wird mit solchen Metaphorisierungen entmenschlicht und als potentiell gefahrvoll, ja sündhaft desavouiert (zu Animalisierungen des Weiblichen siehe Brenner / van Dijk-Hemmes, 1996, 183).

Vom Geburtsvorgang nimmt die männliche Außenwahrnehmung vor allem die unausweichliche Bedrängnis der Wehen, die krampfartigen Schmerzen und das Schreien der Gebärenden wahr (vgl. z.B. Jes 13,8; Jes 21,3; Jes 26,17; Jer 6,24; Jer 22,23; Jer 30,5-7; Ps 48,7). Da mit dem Bild der Kreißenden jeweils der Schrecken über die plötzlich einsetzende, unausweichlich leidensträchtige Vergeltung der sündhaften Verfehlung wie Ursache und Wirkung illustriert wird, wird in Rückwirkung der Metapher auf die Lebenserfahrungen der Frauen durch derlei Metaphorisierungen der Gebärvorgang selber in den Bereich der Folgen von Schuld gestellt. Aber die Bibel kennt auch die weibliche Sicht von Schwangerschaft und Gebären nicht nur in den Erzählungen, sondern auch in der metaphorischen Rede – und hier vor allem in den Gottesreden.

12. Weibliche Gottesbilder

12.1. Gott im Bild einer gebärenden Frau: Jes 42,14

Die geschlechtsspezifische Rezeption der metaphorischen Bilder um Schwangerschaft und Geburt erfährt in der Gottesrede von Jes 42,14 eine entscheidende Relativierung. Jahwe verwendet zur Veranschaulichung seines Heilshandelns die Metapher der Gebärenden. Der Gebärvorgang (→ Geburt), der durch spezifische Atemtechnik (schnauben, schnaufen, schreien als pressendes Ausatmen) erleichtert wird (Gruber, 1983, 355), ist kein Bild der Not, sondern ein befreiender Kraftakt, der das Ziel im Blick hat. Neues Leben zur Welt zu bringen, wird in der Gottesrede aus der Sicht der Frauen als Erweis weiblicher Potenz wahrgenommen. Während der prophetische Sprecher (Jes 42,13 wird über Jahwe gesprochen!) für das kraftvoll Neue des göttlichen Handelns das männliche Bild des Kriegers wählt, der den Feind (Babel) niederringt, setzt das weibliche Bild der Kreißenden am Beginn der Gottesrede ein.

12.2. Gott als Hebamme: Jes 66,6ff.

Ähnlich ist der Übergang in Jes 66,6f. gestaltet: Während in der Prophetenrede von der Lärmstimme des Vergeltung übenden Gottes die Rede ist, ist in der Gottesrede von der Gebärenden die Rede. Jes 66,7 liest sich wie die Aufhebung des Spruchs gegen die Frau aus Gen 3,16, welcher Schwangerschaftsbeschwerden und Schmerzen beim Gebären ankündigte: Nun soll das Kind geboren werden, noch ehe die Wehen einsetzen. Die Geburt ohne Schmerz wird offensichtlich von der Hebamme Jahwe eingeleitet und zum raschen Ende gebracht (Jes 66,9; vgl. Ps 71,6). In Jes 66,13 kippt das Bild zum Abschluss in das Mutterbild: Jahwe vergleicht sich selber mit einer tröstenden Mutter.

12.3. Gott als Schwangere: Num 11,12-14

Auch in Num 11,12-14 im Rahmen der Klage des Mose, dass er nicht mehr alleine die Versorgung des Volkes übernehmen kann, wird Jahwe als Schwangere, Gebärende und stillende Mutter gesehen. Die kreatürliche Abhängigkeit, aber auch die Zuwendung des Schöpfers wird in der Folge mit der Vorstellung der Formung und Bewahrung des Individuums bereits im Mutterleib verbunden (vgl. z.B. Jes 44,2.24; Jes 49,1.5; Jer 1,5; Hi 31,15; Ps 22,10f.; Ps 139,13).

12.4. Gott als Mutter: Jes 46,3f.; 49,15

In den Gottesreden von Jes 46,3f. und Jes 49,15 bildet jeweils die nie endende Liebe der Mutter zu dem Kind, das sie geboren hat, den Vergleichspunkt der Metaphern. Selbst wenn das Unwahrscheinliche bei menschlichen Müttern eintreten und ihre Liebe versagen sollte, so versagt Jahwes mütterliche Liebe niemals (Jes 49,15). Selbst wenn die Kinder erwachsen und sogar alt geworden sind, will die Gottheit sie tragen und schleppen, wie sie es vom Mutterleib an getan hat (Jes 46,3f.) Die Wanderung der Metapher vom Mutterleib der Frau zum Erbarmen und Mitgefühl Gottes hat Trible (1978) nachgezeichnet.

Alle diese Aussagen, die Gott im Bild einer Frau erscheinen lassen, finden sich in Gottesreden: Das Weibliche repräsentiert das Heilige offensichtlich ebenso wie das Männliche (Løland, 2007). Die Metaphernsprache für die in nachexilischer Zeit einzige Gottheit kann und muss gerade deswegen weibliche und männliche Bilder benützen, da es in monotheistischen Symbolsystemen keine Aufteilung von geschlechtsspezifischen Ressorts wie in polytheistischen gibt. Um sicherzustellen, dass Jahwe jegliche menschliche Erfahrung und Verfasstheit transzendiert, wird demonstriert, dass sämtliche innerweltliche Realität einer Gottesmetapher zum Vergleichspunkt werden kann. Das strikte Bilderverbot (vgl. Dtn 4,15f.) findet in der Metaphorik durch eine Überfülle von sprachlichen Bildern, die damit keine Festlegung auf ein einziges ermöglicht, ihr Pendant.

Bei den Metaphern um Schwangerschaft, Gebären und Stillen ist die Konnotation mit dem Weiblichen unausweichlich. Nur jene Metaphern, die das Männliche absolut ausschließen, mit dem Weiblichen in Verbindung zu sehen, bedeutet jedoch eine Verfestigung der geschlechtsspezifischen Rollenvorstellungen. Es ist daher zu betonen, dass alle Bilder, die nicht exklusiv Männer nennen oder mit Vorgängen aus dem männlichen Lebenszusammenhang stammen (wie etwa Zeugen, reguläre Kriegsführung, das schlachtopfernde Priestertum oder die Bilder vom Vater und Ehemann), mit dem Menschen in Verbindung zu sehen sind und nicht automatisch mit dem männlichen Geschlecht. So sind etwa Gottesbilder, die Berufe wie Richter oder Hirte verwenden, keine männlichen Bilder, sondern menschliche, da die Bibel ausdrücklich Frauen in diesen Berufen zeigt (vgl. z.B. Gen 29,9; Ex 2,16f.; Ri 4,4).

12.5. Frau Weisheit als potenzierte Weiblichkeit Gottes

Einen speziellen Aspekt der Repräsentation des Göttlichen durch das Weibliche finden wir in den Konzepten der „ḥåkhmāh“, der „Frau Weisheit“ und der grammatikalisch weiblichen Belege von ruaḥ, des Geistes und des Sturmbrausens. In der Exegesegeschichte wurde für beide die These der Hypostase Jahwes diskutiert, da sowohl die Weisheit als auch die ruaḥ an Gottes Stelle handeln können. Ruaḥ heißt in seiner Primärbedeutung „Wind“ oder „Sturm“, kann aber sowohl die Lebenskraft sein als auch „die Kraft, die große Personen mit Initiative und Selbstbewusstsein für ihr Wirken ausstattet“ (Schüngel-Straumann, 1992, 96) und kommt als solche von der Gottheit selber. Es findet sich sowohl die Formulierung „heiliger Geist“ (vgl. Jes 63,10f.; Ps 51,13; Weish 9,17) als auch die Verbindung mit der Weisheit als „Geist der Weisheit“ (Jes 11,2) und der Vorstellung der Weisheit als Geist (Weish 1,5-7; Weish 7,22). Während die „Geisteskraft“ als göttliche Triebfeder des Außergewöhnlichen fungiert, ist die personifizierte Weisheit noch schwerer zu umgrenzen. Die Weisheit tritt in Spr 1-9 mehrfach redend auf. Sie preist sich selber als präexistent bei der Schöpfung anwesend (Spr 8,22-36) und redet wie die Gottheit selber mit den Menschen (Spr 1,20-33). Sie zu finden wird als das Lebensziel aller Gottesfürchtigen vorgestellt und wird einerseits als schwer (Hi 28), andererseits aber als jederzeit möglich beurteilt, da die Weisheit auf öffentlichen Plätzen offensiv für sich selber wirbt (Spr 8,1-21; Spr 9,1-6). Wenn es im späten → Sirachbuch von der Weisheit heißt, dass sie als Präexistente und Transzendente zwar universal zu denken ist (Sir 24), jedoch in Israel Wohnung nehmen soll (Sir 24,8f. [Lutherbibel: Sir 24,12-14]) und dort Wurzel geschlagen hat, so ist der Weg von der Identifizierung der Weisheit mit der einzig Israel gegebenen Sinai-Tora nicht mehr weit (vgl. Sir 24,23ff. [Lutherbibel: Sir 24,32ff]). Im Sirachbuch bedeutet dies jedoch nicht, dass der universale Aspekt der Weisheit deswegen verloren geht. Weisheit und tôrôt, „Gesetze“, ergehen an alle Völker, finden aber in Israels Weisheit und Tora ihren spezifisch heilsrelevanten Ausdruck.

Ob diese personifizierte Weisheit ein Relikt von altorientalischen Göttinnen darstellt (Schroer, 1996, 12-25; → Göttinnen 4.3; 4.4) oder nicht vielmehr eine Konsequenz des in Entwicklung befindlichen Monotheismus ist, muss offen bleiben. Es ist aber doch auffällig, dass sowohl weibliche Gottesbilder als auch weibliche Personifikationen des göttlichen Handelns erst in nachexilischer Zeit auftreten, in der die offizielle israelitische Religion sicher die Wendung zur einen und einzigen Gottheit vollzogen hat: Wenn es nur mehr eine einzige Gottheit gibt, muss diese alle Funktionen von Gottheiten des Pantheons, das ja meist ressortspezifisch gegliedert ist, übernehmen und für alle Aspekte der menschlichen Bedürftigkeit einen Anhaltspunkt bieten. Die oft als für Frauen negativ beschworene Abwendung von „der Göttin“ hat unter diesem Blickwinkel durchaus positive Auswirkungen, da sie sowohl Männliches als auch Weibliches prinzipiell aus der Hierarchisierung des Göttlichen heraus- und Weibliches in das als einzig gedachte Symbolische hineinnimmt.

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Der Artikel ist in einer längeren Version in italienischer Sprache publiziert unter dem Titel: Donne nell’Antico Testamento, in: A. Valerio (Hg.), Donne e Bibbia. Storia ed esegesi (La Bibbia nella storia 21), Bologna 2006, 161-196

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