Freiheit (AT)
(erstellt: Oktober 2015)
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1. Definition
In der klassischen Antike wurde unter Freiheit zunächst die politische Freiheit (ἐλευθερία eleuteria, lat. libertas) verstanden. Der Begriff ἐλευθερία eleuteria geht sprachlich wohl auf indogermanisch leudh-ero-s „zum Volk gehörig / der freie Mann“ zurück (Warnach, 1065). Die Freiheitsvorstellung als Abwesenheit von Zwang und Fremdbestimmung konnte auch ausgeweitet werden in Richtung rechtliche Gleichheit. In den einzelnen philosophischen Richtungen wurde dann diese äußere Freiheit erweitert um die Frage nach der inneren oder individuellen Freiheit. Freiheit gegenüber Begierden nach materiellen Gütern, Emotionen und Leidenschaften, die Frage nach Determination und Handlungsfreiheit sind nur einige weitere Bereiche, die mit dem Freiheitsbegriff verbunden worden sind.
Vorausgesetzt ist damit zunächst ein Begriff von negativer Freiheit: Freiheit als Abwesenheit von äußeren und / oder inneren Abhängigkeiten und Zwängen.
Die Hebräische Bibel kennt keinen Begriff für Freiheit, dennoch finden sich Wurzeln und Wendungen, die Freiheitsvorstellungen erschließen lasen. Welche Freiheitskonzepte für das Alte Testament angenommen werden können, ist daher umstritten. Warnach (1074) geht davon aus, dass sich lediglich die Vorstellung des befreienden Gottes Jahwe nachweisen lasse. Die Vorstellung einer Entscheidungsfreiheit sei lediglich bei einem Teil der alttestamentlichen Gesetze vorausgesetzt. Die Anfänge einer Entscheidungsfreiheit sind nach Kaiser (304-306) in den deuteronomistischen (→
Deuteronomismus
Kegler (699) geht dagegen von einem „dynamischen Freiheits-Verständnis“ aus. Freiheit werde erst ermöglicht, indem Gott sein Volk aus Ägypten befreit habe, das sich dann zum Erhalt der Freiheit an Gott binde (ebenso Willi, 546).
2. Wurzeln und Wendungen zum Ausdruck von Freiheitsaspekten
2.1. „unschuldig / rein sein“ (נקה nqh)
Schuld und Unreinheit führen zu Einschränkungen, sei es im Verhältnis zu Gott (Abbruch der Kommunikation von Seiten Gottes; Krankheit oder soziale Ausgrenzung als göttliche Sanktionen) oder in der Gesellschaft (Abhängigkeit von Personen, Strafen oder Verboten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben). Der Zustand der Schuldlosigkeit bzw. Reinheit ist daher mit Unabhängigkeit und Abwesenheit von Zwängen verbunden. Im Akkadischen bezeichnet ellû als Adjektiv zu elēlu „klar / kultisch rein sein“ auch die gesellschaftliche Gruppe der Vornehmen und Freien. Das macht deutlich, dass auch im Hebräischen bei „unschuldig / rein sein“ die ursprüngliche Bedeutung aufgegeben und eine Freiheit von äußeren Zwängen gemeint sein kann.
Im Hebräischen ist nur die Wurzel נקה
nqh Qal „rein von Schuld / unschuldig / straffrei sein“ produktiv. Sie kann über die ursprüngliche Semantik hinaus mit dem Adjektiv eine Unabhängigkeit von einem Eid (Gen 24,41
2.2. „Herz erheben“ (נשׂא nś’ + לֵב lev), „Herz antreiben“ (נדב ndb + לֵב lev)
Das Herz gilt gemeinaltorientalisch als Sitz des Willens; ist dieses ohne Zwang, dann kann durch Wendungen mit dem Herzen als Antriebsort ein Zustand der Unabhängigkeit bzw. Freiheit ausgedrückt werden.
Im Akkadischen findet sich beispielsweise in Urkunden und Gesetzen oft die Angabe
libbu „Herz“ oder ina libbi „nach dem Herzen“, um eine Wahl zwischen Handlungsalternativen auszudrücken. So findet sich diese Formulierung beispielsweise positiv in Gesetzen des Codex → Hammurabi
Im Hebräischen finden sich mit לֵב
lev „Herz“ als Subjekt die Wendungen נשׂא nś’ + לֵב lev „Herz erheben“ und נדב ndb + לֵב lev „Herz antreiben“, die einen eigenen Antrieb ausdrücken können (Ex 35,21.22.26
Abhängigkeiten, wie Gesetze und Verpflichtungen, schränken die Handlungsfreiheit als äußere Zwänge ein. Diese Freiheit, zwischen Alternativen zu wählen, wird durch den Sitz des Willens, das Herz, als den „ungezwungenen“ Antrieb ausgedrückt. Auf einen freien Willen, der unabhängig von Vorgegebenen agiert, zu schließen, ist nicht möglich, da die Gründe für die Wahl nicht thematisiert sind und weitere Abhängigkeiten nicht ausgeschlossen sind. Zudem wird im Kontext deutlich ausgedrückt – besonders bei den Opfervorschriften –, was die beste Wahl ist. Im Mittelpunkt steht bei diesen Wendungen die rechtliche Handlungsfreiheit.
2.3. „freilassen“ (חפשׁ ḥpš)
Die Wurzel חפשׁ
ḥpš kommt als Verb nur in Sir 13,11
Dass mit חפשׁ
ḥpš die Abwesenheit äußerer Zwänge gemeint ist, lässt sich auch an 1Sam 17,25
In
Jes 58,6
Angegeben wird mit חפשׁ
ḥpš zunächst der Zustand des rechtlich handlungsfreien Menschen. Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei חָפְשִׁי ḥåfšî um eine niedrige, gesellschaftliche Gruppe der Freigelassenen gehandelt haben mag. In diese Richtung weist, dass die überwiegende Anzahl der Belege sich auf die Entlassung aus dem Sklavenstand bezieht. Es folgte dann aber eine Erweiterung der Semantik auf eine allgemeinere Form des Freiseins von Zwängen (Jes 58,6
2.4. „erlassen / entlassen“ (עזב ‘zb) und „Freilassung“ (דְּרוֹר dərôr)
עזב ‘zb „erlassen / entlassen“ betrachtet Willi (538-542) als Ausdrucksmöglichkeit für freiwillige und unfreiwillige „Emanzipation“. Problematisch ist allerdings, dass es sich eher um das Entlassen oder Lösen aus einer Bindung, die Schutz gewährt und überwiegend positiv konnotiert ist, als um Befreiung oder Freimachen handelt. Dies zeigt sich besonders in der überwiegenden Anzahl der Belege, in denen eine Bindung, die positiv konnotiert ist – wie eine Ehe oder die Verbindung zu Gott –, gelöst wird. Zudem kann diese Bindung von beiden Seiten gleichermaßen – im Falle einer Beziehung mit Gott beispielsweise von Seiten des Menschen durch das Nichteinhalten der Gebote, einem Fehlverhalten – gelöst werden. Es handelt sich daher bei der Semantik von עזב ‘zb um das Lösen eines Vertrages und den damit verbundenen Bedingungen, nicht um das Befreien von Zwang.
דְּרוֹר
dərôr „Freilassung“ kann, wie das akkadische andurāru, sowohl auf Eigentum als auch auf Personen bezogen sein. In Lev 25,10
Ausgeweitet ist die Semantik beispielsweise in
Jes 61,1
Insgesamt beziehen sich die hebräischen Belege mit Ausnahme von
Lev 25,10
Das Konzept hinter diesen Wurzeln – Bewegungs- / Handlungsfreiheit – ist selbstsprechend und eine Verbindung zur Freilassung aus Sklaverei, primär der Schuldsklaverei, nachvollziehbar. Auffallend sind die eher geringe Produktivität und die wenigen Belege im Hebräischen.
2.5. „auslösen / lösen“ (גאל g’l) und „loskaufen / auslösen“ (פדה pdh)
Es bleibt noch zu fragen, ob sich durch Subjekte und Objekte auf eine übertragene Semantik „frei machen / befreien“ schließen lässt.
Durch den Wechsel der Kontexte zeigt sich besonders bei גאל
g’l „auslösen / lösen / eine Verpflichtung (Blutschuld, Lösungspflicht für Verwandte / Witwen) erfüllen / einlösen“ und פדה pdh „loskaufen“, dass hier nach einer erweiterten Semantik gefragt werden kann (→ Löser / Loskauf
2.6. Fazit
Aus den vorgestellten Wurzeln und Wendungen lassen sich grob zwei Aspekte von Freiheit im Alten Testament vermuten: Vorstellungen von rechtlicher Handlungsfreiheit (Befreiung / Loskauf aus dem Sklavenstand) und von der Freiheit, zwischen Handlungsalternativen wählen zu können. Dahinter steht also ein negativer Freiheitsbegriff, Freiheit als Abwesenheit von Zwängen und Abhängigkeiten.
Dass die Abwesenheit von Zwängen auch Möglichkeiten eröffnen kann, lässt sich sprachlich nur durch die Zielangabe bei נקה
nqh „unschuldig / rein sein“ in Dtn 24,5
3. Jahwe als Befreier aus der Sklaverei Ägyptens
Das →
Exodusgeschehen
Kaiser (306) geht von einer Deutung als der zentralen Befreiungsaktion erst in spätnachexilischer Zeit unter den Erfahrungen der Fremdherrschaft aus, die dann auch Hoffnung auf eine Rückkehr zum Zion beinhaltet hätte. Auch Becker (27-29) setzt die theologische Ausweitung zu einem geschichtlichen Credo in dieser Zeit an, der Zeit der Gemeinde des Zweiten Tempels. Die Erfahrung der →
Eroberung Jerusalems
4. Sklaverei – Ein Widerspruch zu den alttestamentlichen Freiheitsvorstellungen?
Der sprachliche Befund zeigt, dass viele Wendungen und Wurzeln auf der Vorstellung von Handlungs- und Bewegungsfreiheit – der Abwesenheit von äußeren Zwängen – beruhen. Dies führt jedoch nicht zu einer Kritik an der gesellschaftlichen Institution von Sklaverei, die im ganzen Alten Orient und Alten Ägypten, dies gilt auch für das Alte Israel, sozial üblich und gewollt war.
Die alttestamentlichen Rechtsordnungen zur Sklavenfreilassung männlicher hebräischer Schuldsklaven haben aber nach Becker (25) eine zunehmende Theologisierung erfahren. Die Freilassungsordnungen (
Ex 21,1
Lediglich
Lev 25,39-55
Diese Rechtsordnungen waren aber wohl nur Rechtstheorie; eine Umsetzung lässt sich nicht nachweisen (siehe auch Becker, 25).
5. Die Weiterentwicklung alttestamentlicher Freiheitsvorstellungen in hellenistischer Zeit
5.1. Politische Freiheit
Mit der Zeit der →
Makkabäer
Kegler (699) geht von einem eigenen Freiheitsbegriff ḥerūt auf Münzen zur Zeit des jüdischen Krieges und Bar Kochbas aus.
5.2. Willens- und Entscheidungsfreiheit – Vorstellungen von innerer Freiheit
In der Auseinandersetzung mit der hellenistischen Philosophie wird auch eine Übernahme von innerer Freiheit insbesondere in den späten Weisheitsbüchern diskutiert. Die Mehrheit der Forschung geht von einer deutlichen Abgrenzung aus (Wicke-Reuter 2000; Kaiser 2008).
Sir 15,11-20
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009
2. Weitere Literatur
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- Willi, T., 1977, Die Freiheit Israels. Philologische Notizen zu den Wurzeln ḥpš, ‘zb und drr, in: H. Donner (Hg.), Beiträge zur alttestamentlichen Theologie (FS W. Zimmerli), Göttingen, 531-546
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