Fremde Religionen
(erstellt: August 2018)
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1. Begriffsklärung
1.1. Religion und Religionen im Alten Testament
Religion ist in der Antike kein abgetrennter Bereich des Lebens. Ein hebräisches Äquivalent zum modernen Begriff der „Religion“ gibt es dementsprechend nicht. Das Alte Testament kennt aber Begriffe, die den Phänomenbereich der eigenen Gottesverehrung wie auch der Gottesverehrung anderer Völker beschreiben können.
Sowohl das Handeln von Menschen gegenüber Jahwe als auch ihr Handeln gegenüber anderen Göttern kann als מִשְׁפָּט mišpāṭ „Brauch“ (vgl. 1Kön 18,28
Die Religionen des antiken Israel und Juda entsprachen in ihren Strukturen und Formen religiöser Praxis denen der Nachbarvölker (Niehr). In den Religionen des alten Vorderen Orients hatten Gottheiten unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche und wurden neben dem vom König verantworteten Opferkult in Tempeln auch in lokalen und privaten Kulten verehrt (van der Toorn; Albertz). Die Kulte unterschiedlicher Gottheiten schlossen sich also nicht gegenseitig aus. Auch alttestamentliche Texte, die dies kritisieren, setzen voraus, dass Menschen gleichzeitig Jahwe und anderen Göttern dienen konnten (1Kön 11,4
1.2. „Fremde“ Religionen
Nicht alles, was im Alten Testament als „fremd“ dargestellt wird, ist in religionsgeschichtlicher Perspektive als fremd zu betrachten. Der Gegensatz zwischen “kanaanäischer“ und „israelitischer“ Religion ist eine künstliche Gegenüberstellung, die in alttestamentlichen Texten im Rahmen einer nach innen gerichteten → Kultkritik
Zur Darstellung der biblisch-theologischen Innenperspektive auf fremde Religionen werden im Folgenden jene alttestamentlichen Texte herangezogen, in denen Angehörige anderer Völker ihre Religion praktizieren und Götter und Kulte explizit anderen Völkern zugeordnet werden.
Die hebräischen Begriffe für „fremd“ (→ Fremder
זָר zār (von zûr II „sich abwenden“) kann zwar den Nicht-Israeliten bezeichnen, aber ebenso auch fremd im Sinne von „außenstehend“, „anders“ oder „unbefugt“ (z.B. Num 17,5
נֵכָר nekhār kann dagegen wertfrei zur Bezeichnung von „Ausland“ verwendet werden (Jes 56,6
2. Wahrnehmungen fremder Religionen im Alten Testament
Fremde Religionen werden im Alten Testament an zahlreichen Stellen erwähnt. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die stereotypen negativen Darstellungen in Texten, die sich gegen die Religion der „Vorbewohner“ des Landes richten und die Israeliten vor einer Übernahme fremder Religionen warnen (Ex 23,23-24
2.1. Gottheiten anderer Völker
Außer in Erzählungen und kultkritischen Texten werden Götter anderer Völker häufig in prophetischen Texten in der Beschreibung militärischer Niederlagen erwähnt. Der Sturz der Götter begegnet dabei als ein Motiv der Zerstörung (z.B. Zef 2,11
1) Allgemein. Götter anderer Völker werden verschiedentlich als Gruppen genannt: die „Götter Ägyptens“ (Ex 12,12
2) Namentliche Nennungen (siehe auch: Dictionary of Deities and Demons in the Bible). Verschiedene Götter der Nachbarvölker werden namentlich genannt und einem bestimmten Volk zugeordnet, z.B. → Kemosch
2.2. Religiöse Praxis anderer Völker
Abgesehen davon, dass sie normalerweise anderen Göttern als Jahwe gilt, unterscheidet sich die den Völkern zugeschriebene religiöse Praxis (auch terminologisch) meist nicht von der der Israeliten. Einige der genannten Formen religiöser Praxis wie → Räucheropfer
Aus religionsgeschichtlicher Perspektive legt der archäologische Befund nahe, dass die religiöse Praxis in Israel und Juda sehr ähnlich wie in den Nachbarländern war. Manche alttestamentlichen Texte grenzen sich allerdings scharf von der religiösen Praxis anderer Völker ab und warnen die Israeliten vor deren Übernahme (z.B. Dtn 12,30-31
Um die vielfältigen Erwähnungen zu verdeutlichen, seien einige Beispiele aus der hebräischen Bibel genannt:
1) Opferhandlungen. Die Moabiterinnen laden die Israeliten zu Opfermahlen ein (Num 25,2
2) Gebete. In Jon 1,5
3) Tempel. Tempel der → Philister
4) Altäre, Kultgegenstände und Kultbilder. Häufig erwähnt werden Altäre, → Mazzeben
5) Kultpersonal. Priester (kohǎnîm) begegnen in unterschiedlichen Zusammenhängen: In Gen 47,22
Besonders detaillierte, polemisch eingefärbte Ausführungen zur religiösen Praxis von Nicht-Israeliten finden sich in jüdischen Texten der hellenistischen und römischen Zeit (→ Brief Jeremias
3. Verhältnis fremder Religionen zur Jahwe-Verehrung
Fremde Religionen werden im Alten Testament nicht nur wahrgenommen, sondern auch verschiedentlich zur eigenen Gottesverehrung ins Verhältnis gesetzt. Dabei begegnen unterschiedliche Vorstellungen über das Verhältnis der Religionen zueinander. Diese unterschiedlichen Vorstellungen können zeitgleich koexistieren und ineinander übergehen.
Die unterschiedliche Darstellung und Beurteilung fremder Religionen im Alten Testament wird üblicherweise mit der theologiegeschichtlichen Entwicklung (→ Monotheismus
3.1. Fremde Religionen und Jahwe als Gott Israels
Zahlreichen alttestamentlichen Texten liegt die Vorstellung zugrunde, dass jedes Volk seinen eigenen Gott hat, den es verehrt und der für es zuständig ist (sog. Nationalreligion). So wie sich Israel an Jahwe wendet, so wenden sich die Nachbarvölker an ihre jeweiligen Götter und werden von diesen erhört. Der Zuständigkeitsbereich der Götter ist dabei auch territorial gedacht: Wer sein Land verlässt, verlässt den Zuständigkeitsbereich seines Gottes. Fremde Religionen sind in dieser Vorstellung nicht weniger real und wirksam als die eigene. Allenfalls erscheint aus israelitischer Perspektive der eigene Gott Jahwe als mächtiger als die Götter anderer Völker.
1) Jedes Volk hat seinen Gott. Mi 4,5
Die Götter der anderen Völker sind für ihre Völker in gleicher Weise zuständig wie Jahwe für Israel. Diese Vorstellung zeigt sich etwa in Ri 11,23-24
Dass die Götter anderer Völker in ihrem Bereich als mächtig und handlungsfähig vorgestellt werden, zeigt 2Kön 3,27
2) Territoriale Zuständigkeit der Götter. Die Götter eines Volkes sind in ihrem jeweiligen Territorium zuständig. Das Alte Testament spricht daher auch von „Landesgott“ (’älohê hā’āræṣ, 2Kön 17,26
Verschiedentlich begegnet die Vorstellung, dass eine Vertreibung in ein anderes Gebiet die Vertreibung in das Territorium eines anderen Gottes bedeutet. Im fremden Land „gilt“ eine fremde Religion. Deutlich wird dies etwa in 1Sam 26,19
Der syrische Hauptmann → Naaman
Zur Vorstellung der territorialen Zuständigkeit eines Gottes vgl. auch 1Kön 20,23
3) Religions- und literargeschichtlicher Kontext. Die Vorstellung, dass jedes Volk seinen eigenen, wirkmächtigen Gott hat, teilten die Israeliten und Judäer wahrscheinlich mit ihrer Umwelt. Diese Vorstellung dürfte im syrisch-palästinischen Raum üblich gewesen sein (vgl. → Mescha-Stele
3.2. Fremde Religionen und Jahwe als Gott der Welt
Im Laufe der Entwicklung der alttestamentlichen Gottesvorstellungen dehnt sich der Zuständigkeitsbereich Jahwes aus. Als → Schöpfer
3.2.1. Die fremden Religionen sind von Jahwe gestiftet
An zwei Stellen im Buch → Deuteronomium
1) Dtn 4,15-20 (vgl. Schenker 2007). In Dtn 4,15-20
2) Dtn 32,8-9 (vgl. Schenker 2001). Diese Textstelle lautete in ihrer älteren Fassung: „Als der Höchste (ʻæljôn; → Eljon
3.2.2. Alle Völker verehren denselben Gott
Nach einer anderen Vorstellung verehren alle Völker denselben Gott, wenn sie ihn auch unterschiedlich nennen (sog. inklusiver Monotheismus). Auch die fremden Religionen gelten somit Jahwe. Nach dieser Vorstellung gibt es verschiedene Religionen, aber keine „Heiden“ (de Pury 2001): Alle verehren den wahren Gott. Der Begriff „Gott“ (’älohîm) wandelt sich so von einer Gattungsbezeichnung zum Eigennamen des Schöpfergottes, auf den sich alle Völker beziehen – eine theologische Innovation, die im heutigen Sprachgebrauch wie selbstverständlich erscheint (de Pury 2002).
1) Priesterschrift. In der → Priesterschrift
2) Der „Gott“ der Nicht-Israeliten in anderen Erzähltexten. Die Vorstellung, dass alle Menschen ein und denselben höchsten Gott verehren, zeigt sich auch in biblischen Erzählungen, in denen Israeliten wie auch Angehörige anderer Völker von „Gott“ oder „Gott des Himmels“ sprechen und dabei vorausgesetzt ist, dass sie sich auf denselben Gott beziehen. So spricht etwa in der → Josefserzählung
3) Religions- und literargeschichtlicher Kontext. Da diese Vorstellung insbesondere in Texten ab der persischen Zeit belegt ist, lässt sich ein Zusammenhang mit persischer Theologie vermuten (de Pury 2001; 2002; Mathys; vgl. → Himmelsgott
3.2.3. Eschatologische Aufhebung der Vielfalt der Religionen?
In Psalmen und prophetischen Texten begegnet die Vorstellung, dass in Zukunft alle Völker Jahwe dienen werden (→ Völkerwallfahrt / Völkerkampf
4. Kritik an fremden Religionen
Die Kritik an den Religionen anderer Völker ist im Alten Testament kein Selbstzweck: Sie richtet sich an die eigene Gemeinschaft und findet sich in Texten, die zum Vertrauen auf Jahwe aufrufen. Die alttestamentlichen Texte wenden sich nicht an eine Leserschaft außerhalb des eigenen Volkes. Die Religionskritik – die für Verehrer anderer Götter kaum nachvollziehbar und überzeugend wäre – hat also nicht den Sinn, andere zu bekehren; sie soll vielmehr die eigene Identität sichern.
Mit Christian Frevel lässt sich unterscheiden zwischen intrareligiöser Religionskritik, die sich gegen innerisraelitische religiöse Praxis wendet (→ Kultkritik
4.1. Kritik an der Partizipation von Israeliten an fremden Religionen
Fremde Religionen werden im Alten Testament insbesondere dann kritisiert, wenn sie von Israeliten und Judäern praktiziert werden. Die Forderung nach Alleinverehrung Jahwes und die Ablehnung bestimmter Formen religiöser Praxis richten sich zunächst einmal nach innen. Religionsgeschichtlich wie auch in der Darstellung vieler alttestamentlicher Texte sind abgelehnte Götter und Kulte in Israel selbst beheimatet, die Kritik richtet sich gegen religionsinternen Pluralismus (Stavrakopoulou / Barton). Die Zuschreibung dieser Götter und Kulte an andere Völker findet sich vornehmlich in jüngeren Texten (Frevel; R. Ebach). Dabei kann die Stilisierung als „fremd“ auch zur Abwertung bestimmter religiöser Praktiken dienen.
Manche Texte warnen grundsätzlich vor der Übernahme der Bräuche anderer Völker. Der enge Umgang mit Angehörigen anderer Völker, wie etwa Eheschließung, wird in diesen Texten als religiöse Bedrohung wahrgenommen. Die Wirksamkeit und Legitimität der Religionen anderer Völker wird dabei nicht unbedingt bestritten, solange sie nicht von Israeliten praktiziert werden. Der Übergang zu einer grundsätzlichen Kritik an den Religionen anderer Völker ist aber fließend (vgl. Jer 2,11
1) Verehrung fremder Götter. Die pauschale Kritik an der Verehrung „fremder“ Götter steht zumeist in einer deuteronomistischen Traditionslinie (→ Deuteronomismus
2) Nicht wie die Völker. Ein an den anderen Völkern orientiertes Verhalten Israels ist im Alten Testament häufig negativ konnotiert („wie die Völker“, 2Kön 17,7-12
3) Fremde als religiöse Bedrohung. Im Zuge der Vorstellung einer außer-israelitischen Herkunft der abzulehnenden Kulte wird der Umgang mit Angehörigen anderer Völker in manchen alttestamentlichen Texten als Gefahr für die Reinheit des Kultes dargestellt (R. Ebach). Besonders drastisch zeigt sich diese Vorstellung in Texten, in denen dies zur Begründung für die Forderung der Ausrottung der „Vorbewohner“ des Landes und Zerstörung ihrer Kultstätten wird (Ex 34,11-17
4.2. Kritik an den Göttern und Kulten anderer Völker
Andere Texte kritisieren fremde Religionen nicht nur dann, wenn sie von Israeliten praktiziert werden, sondern stellen sie als grundsätzlich falsch oder sinnlos dar. Die Götter anderer Völker werden dabei mit ihren Kultbildern gleichgesetzt und als bloße materielle Gegenstände, die von ihren Verehrern selbst hergestellt sind, abgewertet (→ Götterpolemik
In Jer 2,11
Literaturverzeichnis
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