Deutsche Bibelgesellschaft

Fremder (AT)

(erstellt: November 2009)

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1. Einleitung

Im Blick auf Fremde ist im Alten Testament in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren: 1) nach Literaturgattungen (Recht, Erzählungen, prophetische Texte, Psalmen) und 2) nach unterschiedlichem sozialen Status (Immigrant, Beisasse, Ausländer), ferner zeitlich sowie nach Einzelnen und Volksgruppen.

Einzelne Fremde werden vor allem als „Fremdlinge“ und als „Ausländer“ bezeichnet. „Fremdling“ (גֵּר ger) meint einen „Schutzbürger“ oder Immigranten mit ethnisch fremder Herkunft, der sich auf Dauer in Israel niedergelassen hat; er hat nicht den Status eines Israeliten, genießt aber besonderen Schutz und wird in unterschiedlichem Ausmaß in die israelitische Volks- und Kultgemeinschaft integriert. Ein „Ausländer“ (נָכְרִי nåkhrî bzw. בֶּן־נֵכָר bæn nekhār) hat dagegen keinen Sonderstatus mit besonderen Schutz- und Förderungsmaßnahmen.

Das Substantiv תּוֹשָׁב tôšāv wird meist mit „Beisasse“ wiedergegeben. Es handelt sich dabei um eine Person, die sich an einem Ort fest niedergelassen hat, der nicht mit ihrem Herkunftsort identisch ist, dort aber kein volles Bürgerrecht besitzt. Über die genauere Verhältnisbestimmung zum גֵּר ger besteht keine Klarheit. Bei der Bezeichnung גֵּר וְתוֹשָׁב ger wətôšāv handelt es sich vermutlich um ein Hendiadyoin, dessen Bedeutung vom einfachen גֵּר ger nicht abweicht.

Neben den beiden dominierenden Begriffen גֵּר ger und נָכְרִי nåkhrî gibt es den Terminus „Fremder“ (זָר zār) sowie konkrete Bezeichnungen nicht-israelitischer ethnischer Herkunft, sowohl auf Einzelne wie auch auf Gruppen bezogen; eine Entsprechung zur abstrakten Pauschalbezeichnung „Fremder“ fehlt weitgehend. Mit זָר zār wird jemand bezeichnet, der nicht der von einem Text direkt angesprochenen Personengruppe angehört; wenn es dabei um ethnisch Fremde geht, ist die Bezeichnung oft im Sinne von „feindlicher Fremder“ zu verstehen.

Nach einer verbreiteten Auffassung stehen sich innerhalb der hebräischen Bibel unterschiedliche Stimmen zum Umgang mit den verschiedenen Gruppen von Fremden gegenüber: Solchen, die eine stärker abgrenzende Position vertreten (z.B. → Esra und → Nehemia), stehen solche gegenüber, die eine stärker inkludierende Position vertreten (z.B. → Rut). Entsprechende Differenzen spiegeln sich bis in die eschatologischen Texte (vgl. z.B. Sach 14 mit Jes 2,2-5; Jes 19,18-25; Jes 56,3-8; zum Verhältnis solcher Texte s. Zehnder, Umgang 540f.; → Eschatologie).

2. Allgemeiner Forschungsüberblick

2.1. Fremdling (גֵּר)

Nach einer Mehrheit der Ausleger handelt es sich beim „Fremdling“ (גֵּר ger; auch mit „Schutzbürger“ übersetzt) in den meisten Fällen um eine Person fremder ethnischer Herkunft. Diese sei in ihrem ursprünglichen Status, wie er vor allem im → Bundesbuch und im → Deuteronomium greifbar wird, frei, allerdings von einem vollbürtigen Israeliten oder einer übergeordneten Gemeinschaft abhängig („Klient“, wohl mit einer Art von Dienstverpflichtung als Gegenleistung für den ihr gewährten Schutz), auf Dauer im Land ansässig, mit gewissen Rechten versehen, jedoch nicht voll rechtsfähig und vom Grundbesitz ausgeschlossen (so z.B. Crüsemann, 14-17; Martin-Achard, 1984a, 410f.; Reiterer, 73.76; Vogels, 231-233).

Als Ursachen für die Niederlassung des Fremdlings in einer fremden Umgebung werden im Wesentlichen die folgenden genannt: Hungersnot (vgl. Gen 12,10; Gen 26,1-3; 1Kön 17,20; 2Kön 8,1; Rut 1,1), Krieg (vgl. 2Sam 4,3; Jes 16,4; Jer 42,15.17.22; Jer 43,2.5; Jer 44,8f.12.14.28), Flucht vor Strafverfolgung (vgl. Ex 2,12) und drohender Schuldsklaverei.

Zur Stellung der Fremdlinge in der israelitischen Gesellschaft finden sich verschiedene Entwicklungsmodelle. In der Regel wird angenommen, dass im Laufe der Geschichte Israels eine zunehmende religiöse und bürgerliche Integration und Assimilation des Fremdlings stattfand; diese habe ihren Höhepunkt in der Stellung des Fremdlings in den priesterlichen Dokumenten gefunden, in deren letzten Schichten „Fremdlinge“ den vollbürtigen Israeliten faktisch gleichgestellte, mehr oder weniger vollständig integrierte Proselyten bezeichnen (so z.B. Martin-Achard, 1984a, 411; Vogels, 233).

Über die genauere Herkunft der als Fremdlinge bezeichneten Fremden finden sich verschiedene Mutmaßungen. Eine der gängigen lautet, dass es sich bei den Fremdlingen vor allem um die im Land verbliebenen Kanaanäer handle (so z.B. Bächli, 128). Nach einer anderen Vermutung handelt es sich primär um Flüchtlinge aus dem Nordreich, die in der Zeit der assyrischen Angriffe auf dieses Gebiet nach Juda flohen (so z.B. Crüsemann, 16; Görg, 224). Wegen der Verwandtschaft mit den Judäern kann in diesem Fall natürlich nicht von einer ethnischen Fremdheit im vollen Sinn gesprochen werden. Ein weitgehend nicht-ethnisches Verständnis der „Fremdlinge“ liegt auch dort vor, wo in Fremdlingen der späteren, priesterlichen Bestimmungen solche Israeliten bzw. Judäer gesehen werden, die nicht im babylonischen Exil waren und darum nicht zum engeren Kreis der Rückkehrergemeinde gehörten (so van Houten, 154f.). Eine noch radikalere Infragestellung der ethnischen Auffassung der Fremdlinge findet sich bei Bultmann, der den Terminus ger in den ältesten Schichten des Deuteronomiums als „sozialen Typenbegriff“ im Sinne der Bezeichnung eines Minderprivilegierten aus dem eigenen Volk deutet (s. Bultmann, 93; zur Kritik dieser These s. Zehnder, Umgang 285f.).

2.2. Ausländer (נָכְרִי)

Der als „Ausländer“ (נָכְרִי nåkhrî) bezeichnete Fremde wird in aller Regel als einzelner Fremder verstanden, der sich meist nur zeitweise in Israel aufhält, jedenfalls keine weitreichenden Bemühungen um Assimilation an die israelitische Gesellschaft erkennen lässt und auch keinen besonderen rechtlichen Schutz genießt – in wesentlichen Punkten also vom „Fremdling“ klar unterschieden ist (so z.B. Bultmann, 93; Martin-Achard, 1984a, 67f.; Vogels, 230f.). Es findet sich aber auch die gegenläufige Ansicht, dass der „Ausländer“ „wenig Gewicht auf seinen angestammten nationalen Charakter“ lege und die Tendenz habe, „sich dem Volke zu nähern und sich zu assimilieren“ (Bächli, 44). Wiederholt wird hervorgehoben, dass es vor allem wirtschaftliche Beziehungen seien, die den „Ausländer“ mit den Israeliten verbinden (s. z.B. Bächli, 44; Welten, 132). Seine wirtschaftlich-soziale Stellung sei eher die eines „Starken“ als die eines „Gefährdeten“ (so z.B. Bultmann, 96).

3. Gesetzliche Bestimmungen

Wichtig ist zunächst die im Vergleich zum Umfeld keineswegs selbstverständliche Tatsache, dass verschiedene Gruppen von einzelnen oder kollektiven Fremden überhaupt in den Gesetzessammlungen – und zwar in allen – als besondere Subjekte vorkommen. Dies steht in auffälligem Gegensatz etwa zu den Verhältnissen in Mesopotamien. Im Rahmen der biblischen Geschichtsdarstellung ist dieser Sachverhalt vor allem durch die häufigen Hinweise (unter Verwendung der Wurzel gwr) auf die Erfahrung der Fremdlingschaft der Väter und des werdenden Volkes in Kanaan und Ägypten erklärbar.

3.1. Fremdling (גֵּר)

3.1.1. Dekalog

Im Zusammenhang des Sabbatgebots (→ Dekalog; → Sabbat) findet sich die Bestimmung, dass der Fremdling genauso wie das angesprochene Du – gemeint ist wohl der grundbesitzende israelitische Vollbürger –, seine Kinder, Sklaven und Vieh an diesem Tag keine Arbeit verrichten sollen (Ex 20,10). Aus der Parallelsetzung mit den anderen genannten Personengruppen ebenso wie aus der Formulierung „dein Fremdling“ dürfte hervorgehen, dass der Fremdling als ein von einem Vollbürger abhängiges Glied der israelitischen Gesellschaft im Blick steht; zugleich weist die Näherbestimmung des Fremdlings mit „der in deinen Toren ist“ darauf hin, dass er nicht ein vollständig unselbstständiges Glied des Haushaltes des Vollbürgers ist.

Bei der Frage, ob das Arbeitsverbot als Berechtigung oder als Verpflichtung des Fremdlings zu verstehen ist, finden sich gewichtigere Argumente für die erste Alternative, ohne dass allerdings das Element der Verpflichtung ganz ausgeschlossen werden kann (s. zum Näheren Zehnder, Umgang 313f.).

3.1.2. Bundesbuch

An drei Stellen wird innerhalb des sog. → Bundesbuches auf den Fremdling Bezug genommen: Ex 22,20; Ex 23,9 und Ex 23,12.

Bei Ex 22,20 und Ex 23,9 handelt es sich um Gesetze, die den Fremdling als besonders gefährdetes Glied innerhalb der israelitischen Gesellschaft betrachten und ihn deshalb mit speziellen Bestimmungen gegen mögliche Übergriffe schützen. Ihre Stellung als Minderheit und die mangelnde Partizipation an den politischen und juristischen Herrschaftsstrukturen setzen die Fremdlinge der Gefahr von Missbrauch und Ausbeutung aus. Zur gefährdeten Stellung des Fremdlings trägt besonders bei, dass er sich nicht auf die lokalen Verbände von Familie und Clan abstützen kann. Die Schutzbestimmungen in Ex 22,20 und Ex 23,9 („den Fremdling sollst du nicht bedrängen und nicht bedrücken“) zielen auf die Verhinderung der aktiven Bedrückung vor allem im wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich durch Menschen, die dem Fremdling im Sozialgefüge übergeordnet sind.

Die Schutzbestimmungen für den Fremdling werden in beiden Versen mit dem Hinweis auf die Fremdlings-Erfahrung der Israeliten in Ägypten motiviert.

Der Einbezug des Fremdlings in die Sabbatruhe in Ex 23,12 entspricht in etwa der entsprechenden Bestimmung im Dekalog (s. zum Näheren Zehnder, Umgang 318f.).

Allen auf den Fremdling bezogenen Weisungen innerhalb des Bundesbuches ist gemeinsam, dass sie ihn nicht als verantwortliches Subjekt der Gebotserfüllung, sondern als passiven Nutznießer von Geboten, die sich an den israelitischen Vollbürger richten, in den Blick nehmen. In seiner sozialen Stellung erscheint der Fremdling als ein vom angesprochenen israelitischen Vollbürger abhängiger „Klient“.

3.1.3. Priesterliche Gesetzessammlungen (Leviticus und Numeri; Ex 12)

In den priesterlichen Gesetzestexten ist an 30 Stellen vom „Fremdling“ die Rede. An zwei Stellen werden die Israeliten selber als „Fremdlinge“ bezeichnet: Lev 19,34 (mit Bezug auf den Aufenthalt in Ägypten) und Lev 25,23 (mit Bezug auf das Wohnen im Land Kanaan „bei Gott“ als bloße Fremdlinge; ebenso auch 1Chr 29,15). An den übrigen Stellen steht der Terminus „Fremdling“ fast immer in Parallele zu anderen sozialen und vor allem ethnischen Bezeichnungen, insbesondere „Armer“ (עָנִי ‘ānî), „Einheimischer“ (אֶזְרָח ’æzrāch), „Haus Israel“ (בֵּית יִשְׂרָאֵל bêt jisrā’el) und „Söhne Israels / Israeliten“ (בְּנֵי יִשְׂרָאֵל bənê jisrā’el). Das legt die Vermutung nahe, dass es sich beim Fremdling in aller Regel um einen volksfremden Angehörigen der israelitischen Gesellschaft handelt; seine gelegentliche Parallelsetzung mit dem Armen (עָנִי ‘ānî) lässt den Schluss zu, dass er – wie im Bundesbuch und im Deuteronomium – jedenfalls an diesen Stellen als sozial minderprivilegiertes Glied der israelitischen Gesellschaft gilt. Die häufig begegnenden Wendungen „in eurer Mitte“ (בְּתוֹכָם bətôkhām), „bei euch“ (אִתְּכֶם ’ittəkhæm) und „in eurem Land“ (בְּאַרְצְכֶם bə’arṣəchæm) weisen darauf hin, dass der Fremdling kein Vollbürger ist und – jedenfalls in der Regel – keinen eigenen Landbesitz in Israel erwerben kann.

Thematisch sind die den Fremdling betreffenden Bestimmungen wie folgt zu ordnen: a) Kultischer Bereich: Ex 12,19.43ff. (Passa); Lev 16,29 (Verbot der Arbeit am großen Versöhnungstag); Lev 17 (Brand- und Schlachtopfer; Blutgenuss; Essen von Aas und Zerrissenem); Lev 18,26 (Kinderopfer an Moloch; s. auch Lev 20,2); Lev 22,17ff. (Beschaffenheit der Opfertiere); Lev 24,16 (Todesstrafe für die Lästerung des Namens JHWHs); Num 9,14 (Passa); Num 15,14-16 (Opfer); Num 15,26.29f. (Sühne); Num 19,10 (Verunreinigung durch Totenberührung); b) Moralischer Bereich: Lev 18,26 (Verhältnis der Geschlechter); c) Körperverletzung: Lev 24,22 (Tötung oder Körperverletzung); Num 35,15 (Asylstädte); d) Allgemeine Schutzbestimmungen für den Schwachen: Lev 19,33 (Verbot der Bedrückung des Fremdlings); e) Wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen für den Schwachen: Lev 19,10 und Lev 23,33 (Nachlese); f) Grundsätze des Ethos: Lev 19,34 („du sollst ihn lieben wie dich selbst“).

Der Fremdling wird sowohl in kultischen und moralischen Gesetzen als auch im Bereich des Körperverletzungsrechts als verantwortliches Subjekt angesprochen. Dabei lassen sich folgende Tendenzen feststellen: Bei den nicht-kultischen Bestimmungen liegt praktisch eine Gleichbehandlung des Fremdlings mit dem Einheimischen (אֶזְרָח ’æzrāch) vor. Was die kultischen Bestimmungen betrifft, ist die Situation komplexer. Deutlich erkennbar ist ein Bemühen um eine weitgehende Integration des Fremdlings in die israelitische Volks- und Kultgemeinschaft auf allen Ebenen. Dennoch behält er einen rechtlichen Sonderstatus als Fremdling bzw. „Klient“.

Das Schwergewicht der Erwähnungen des Fremdlings in den priesterlichen Gesetzen fällt auf den kultischen Bereich. Einige der betreffenden Bestimmungen eröffnen dem Fremdling einen Zugang zum israelitischen Kult und regeln die Art seiner Teilnahme daran, in der Mehrzahl der Fälle so, dass sie dem Fremdling die Teilnahme am JHWH-Kult als Option offen halten, gleichzeitig aber festlegen, dass bei einer Partizipation für ihn die gleichen Rechte und Pflichten wie für den vollbürtigen Israeliten gelten.

In einer zweiten Gruppe von Bestimmungen wird dem Fremdling zur verbindlichen Pflicht gemacht, einige der grundlegenden kultischen Regelungen, die für die vollbürtigen Israeliten gelten, ebenfalls zu respektieren, unabhängig davon, wieweit er sich religiös in die Kultgemeinschaft der Israeliten integrieren will. Bei diesen Geboten geht es insbesondere um die Vermeidung jeden „Gräuels“ und die Beseitigung jeder Schuld und Unreinheit, die das Land und das Heiligtum beflecken und die – wenn nicht gesühnt – dazu führen würden, dass das Land die Bewohner insgesamt „ausspeit“. Ebenso wird der Fremdling da zur Einhaltung gewisser Bestimmungen aufgefordert, wo ein abweichendes Verhalten die israelitische Gesellschaft als Ganze unmittelbar tangieren bzw. die Einhaltung bestimmter Ordnungen durch die vollbürtigen Israeliten erschweren würde, was wiederum negative Auswirkungen auf den Bestand ganz Israels im von Gott verheißenen Land nach sich zöge. Die Forderung der Einhaltung eines Mindestmaßes an jahwistisch inspirierten kultischen Vorschriften bedeutet aber nicht, dass der Fremdling genötigt würde, die JHWH-Religion insgesamt zu übernehmen. In der Tendenz bedeutet das praktisch, dass der Fremdling in der Regel in die Verbote einbezogen und von den Geboten dispensiert wird (s. Milgrom, 171).

Aufgrund dieser Beobachtungen ist deutlich, dass der Fremdling nicht direkt mit einem „Proselyten“ gleichgesetzt werden kann. In die gleiche Richtung weist die Tatsache, dass der Fremdling nicht nur in kultischen Ordnungen, sondern – wenngleich eher am Rand – auch als Nutznießer sozialer und allgemein humanitärer Bestimmungen auftritt.

1) Obligatorische Bestimmungen. Zur Gruppe von kultischen Gesetzen, die für jeden Fremdling verbindlich sind, gehört insbesondere das Verbot der Arbeit am großen Versöhnungstag (Lev 16,29; → Arbeit; → Jom Kippur). Der Grund für die zwingende Inpflichtnahme des Fremdlings in diesem Bereich liegt darin, dass eine angemessene Begehung des Sabbats oder des Versöhnungstages in Israel durch das gleichzeitige werktägliche Arbeiten der Fremdlinge gestört würde. Zudem würde der Fremdling durch die Ausnahme vom Arbeitsverbot wirtschaftlich bevorzugt. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Aus Num 15,22-31 wird deutlich, dass dort, wo es um Versöhnung zwischen Gott und Israel geht, der Fremdling mit einbezogen wird – sei es, weil er als permanent unter den Israeliten Lebender als zum Volksganzen zugehörig betrachtet wird (vgl. Ex 12,19; Num 15,15.26), sei es, weil es bei Verschuldung und Entsühnung um etwas geht, das auf dem Land selber lastet und darum alle seine ständigen Bewohner betrifft (vgl. Lev 18,25-28).

Weitere Bestimmungen innerhalb dieser Kategorie der obligatorischen Inpflichtnahme des Fremdlings sind: Verbot von Gesäuertem (Ex 12,19); Verbot des Blutgenusses (Lev 17,12f.); Reinigung nach dem Verzehr von Aas und Zerrissenem (Lev 17,15f.); Verbot der Kinderopfer an Moloch (Lev 18,26; Lev 20,2); Tötung des Gotteslästerers (Lev 24,16); Entsühnung bei unabsichtlicher und Ausrottung bei vorsätzlicher Gesetzesübertretung (Num 15,22-31); Reinigung nach der Berührung eines Leichnams (Num 19,10b-22).

2) Fakultative Bestimmungen. Als herausragendes Beispiel für diejenige Gruppe von kultischen Gesetzen, die für den Fremdling fakultativen Charakter haben, ist auf die Bestimmungen zur Passafeier in Ex 12,43ff. zu verweisen (→ Passa), in der neben dem „Fremdling” auch vom „Ausländer“ (בֶּן־נֵכָר bæn nekhār) die Rede ist. Während kein Ausländer vom Passa essen darf, darf der Fremdling das Passa halten, wenn er will, muss es aber nicht. Wenn er sich entschließt, es zu halten, muss er – wie alle übrigen Israeliten auch – beschnitten sein; ein Gesetz soll gelten für den Einheimischen (אֶזְרָח ’æzrāch) und für den Fremdling (V. 49). Beim „Ausländer“ wird die übliche Annahme, dass es sich um einen nur vorübergehend oder nur sehr äußerlich mit der Gemeinde Israels in Kontakt tretenden ethnisch Fremden handelt, durch seinen vollständigen Ausschluss vom Passa bestätigt. Da er je nach Herkunft unbeschnitten und auf alle Fälle Angehöriger einer heidnischen Religion gewesen sein wird, bedarf sein Ausschluss gemäß der Bestimmung von Ex 12,48b auch keiner weiteren Begründung. Dahinter dürfte stehen, dass das Passa als „Feier der Geburt Israels zum Volke Gottes“ nicht damit vereinbar ist, dass Aussenstehende daran teilnehmen. Die Auferlegung der → Beschneidung für den Fremdling bedeutet keine „Sonderauflage“, sondern sie impliziert bloß, dass er das Passa nicht „billiger“ haben kann als der Einheimische (אֶזְרָח ’æzrāch).

In ihrer Grundtendenz gehen die Bestimmungen zum Passa dahin, dass an diesem Fest nur derjenige teilnehmen soll, der sich mehr oder weniger permanent in Israel aufhält und der bereit ist, sich soweit religiös mit Israel zu identifizieren, dass er auch den weitreichenden Eingriff der Beschneidung auf sich nimmt. Die umstrittene Frage, ob man die Beschneidung als faktische Eingliederung in den religiösen Verband Israels auffassen darf, ist positiv zu beantworten, da es schwierig ist, sich vorzustellen, dass die Beschneidung etwas grundsätzlich anderes als die Aufnahme in die israelitische Kultgemeinschaft sein sollte. Auf der anderen Seite ist aber einzuräumen, dass die Beschneidung einen Fremdling noch nicht zum Vollbürger mit allen damit verbundenen Rechten macht; denn dazu gehört der Besitz von eigenem Land, und dieser wird ihm nicht schon mit seinem Übertritt in die israelitische Kultgemeinschaft, sondern erst auf dem Weg über die Einheirat in eine israelitische Familie möglich geworden sein.

Weitere Bestimmungen der fakultativen Klasse sind die Gesetze über die Darbringung von Brand- und Schlachtopfer in Lev 17,8f., die Gesetze über die Beschaffenheit der Opfertiere in Lev 22,17-25 und die Opfergesetze von Num 15,14-16.

Wendungen wie „ein Gesetz soll gelten für euch, für den Fremdling wie für den Einheimischen“ (so Lev 24,22), die in den genannten Zusammenhängen wie auch an anderen Stellen begegnen (Ex 12,49; Num 9,14; Num 15,29), werden meist als Ausdruck für die vollständige rechtliche Gleichstellung des Fremdlings mit dem vollbürtigen Israeliten in den (späteren Schichten der) priesterlichen Gesetzeskorpora gedeutet (z.B. van Houten, 139.150). Solchen generalisierenden Deutungen der Inklusionsformeln ist entgegenzuhalten, dass die Anbindung der Formeln an bestimmte, ausgewählte Fälle gegen ihre Verallgemeinerung spricht (so auch Milgrom, 170; Vogels, 239). Die Formeln weisen lediglich darauf hin, dass in dem Fall, dass der Fremdling von der Möglichkeit der Partizipation an bestimmten Elementen des JHWH-Kultes Gebrauch macht, für ihn dieselben Bestimmungen gelten wie für den Einheimischen (אֶזְרָח ’æzrāch), nicht strengere und nicht mildere.

3.1.4. Deuteronomische Gesetze

Im Deuteronomium ist vom „Fremdling“ an 18 Stellen die Rede, wie in den priesterlichen Gesetzeskorpora stets in Parallele zu einer anderen sozialen oder ethnischen Bezeichnung, wobei im Deuteronomium die sozialen Bezeichnungen überwiegen (besonders häufig Witwe und Waise); Parallelsetzungen mit „Einheimischer“ (אֶזְרָח ’æzrāch), „Haus Israel“ (בֵּית יִשְׂרָאֵל bêt jisrā’el) und „Söhne Israels / Israeliten“ (בְּנֵי יִשְׂרָאֵל bənê jisrā’el) finden sich hier nicht.

Anstelle der vor allem im Heiligkeitsgesetz üblichen Wendungen „in eurer Mitte“ (בְּתוֹכָם bətôkhām), „bei euch“ (אִתְּכֶם ’ittəkhæm) und „in eurem Land“ (בְּאַרְצְכֶם bə’arṣəchæm) findet sich im Deuteronomium häufig die Prädizierung des „Fremdlings“ sowohl mit einem Personalsuffix, vor allem „dein Fremdling“ (Dtn 5,14; Dtn 24,14; Dtn 29,10; Dtn 31,12) als auch mit „in deinen Toren“ (Dtn 5,14; Dtn 14,21.29; Dtn 16,14; Dtn 24,14; Dtn 26,12; Dtn 31,12) oder „in deiner Mitte“ (Dtn 16,11; Dtn 26,11; Dtn 28,43; Dtn 29,10). Da sowohl in → Ugarit als auch in → Nuzi zu „in deinen Toren“ analoge Formulierungen vorkommen und da in diesen Fällen jeweils auf ethnisch Fremde Bezug genommen wird, ist sehr wahrscheinlich, dass auch der „Fremdling“ des Deuteronomiums einen ethnisch Fremden und nicht bloß den – israelitischen – Angehörigen einer sozial minderen Schicht bezeichnet.

Die speziellen wirtschaftlichen Fürsorgebestimmungen für den Fremdling lassen die Annahme zu, dass er – anders als das im Bundesbuch (und eventuell im Dekalog) vorausgesetzt zu sein scheint – nicht (mehr) als Teil des Haushaltes des israelitischen Vollbürgers und Grundbesitzers im Blick steht. Auch die dominierenden Näherbestimmungen „in deinen Toren“ und „in deiner Mitte“ weisen möglicherweise darauf hin, dass der Fremdling rechtlich nicht (mehr) in die Zuständigkeit eines „Patrons“, sondern der lokalen Dorfgemeinschaft als ganzer fällt. Diese Formulierungen sind wohl zugleich als Hinweis darauf zu verstehen, dass die Fremdlinge über keinen eigenen Landbesitz verfügen.

Thematisch sind die den Fremdling betreffenden Bestimmungen wie folgt zu ordnen: a) Kultische Bestimmungen: Dtn 14,21 (Essen von Aas); Dtn 16,11.14 (Teilnahme am Wochen- und am Laubhüttenfest); b) Rechtliche Schutzmaßnahmen: Dtn 1,16 (Gerichtsverfahren); Dtn 24,[14.]17 (Bedrückungsverbot); Dtn 27,19 (Verbot der Rechtsbeugung); c) Wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen: Dtn 14,28f. (Zehnter); Dtn 24,14.19-22 (Auszahlung des Tagelohns; Nachlese); Dtn 26,11.12.13 (Zehnter); d) Grundsätze des Ethos: Dtn 10,18f. („ihr sollt den Fremdling lieben“); e) Bundesschluss und Thoralesung: Dtn 29,10 (Bundesschluss); Dtn 31,12f. (Thoralesung).

Der Fremdling taucht primär, ja fast ausschließlich, als Objekt der sozialen Gesetzgebung, konkret als Begünstigter verschiedener wirtschaftlicher bzw. sozialer Förderungs- und rechtlicher Schutzmaßnahmen, auf. Dagegen wird auf seine zivil- und kultrechtliche Stellung anders als in den priesterlichen Gesetzeskorpora nie (Zivilrecht) bzw. kaum (Kultrecht) Bezug genommen; ebenso fehlt eine Erwähnung in Bestimmungen zum moralischen Bereich. Der Fremdling ist nicht einfach ein „Armer“, aber er steht in einer sozialen und rechtlichen Position, die zur Armut führen kann, wenn nicht besondere Schutz- und Förderungsmaßnahmen ergriffen werden.

3.2. Ausländer (נָכְרִי)

Vom „Ausländer“ (נָכְרִי nåkhrî bzw. בֶּן־נֵכָר bæn nekhār) ist außer in Ex 12,43 im Pentateuch vor allem an vier Stellen innerhalb der deuteronomischen Gesetzgebung die Rede (Dtn 14,21; Dtn 15,1-3; Dtn 17,15; Dtn 23,20f.). Anders als beim „Fremdling“ fehlen beim „Ausländer“ Näherbestimmungen wie „in eurer Mitte“, „in deinen Toren“ usw., ebenso eine Formulierung wie „dein Ausländer“. Das zeigt, dass er in einer entfernteren Beziehung zu Israel steht als der Fremdling. Ebenfalls ist zu notieren, dass der Ausländer anders als der Fremdling nicht mit anderen personae miserae zusammen genannt wird und offensichtlich seine wirtschaftliche Situation vom Gesetzgeber nicht so eingestuft wird, dass er auf besondere Schutz- oder Förderungsmaßnahmen angewiesen wäre. Auf die ethnisch fremde Herkunft des Ausländers lässt seine Gegenüberstellung zum „Bruder“ (אָח ’āch; d.h. israelitischer Volksgenosse; → Verwandtschaft) schließen.

Im Abschnitt Dtn 15,1-3 wird gefordert, dass im → Erlassjahr der israelitische Schuldherr die Schulden seines „Nächsten“ (רֵעַ rea‘) und „Bruders“ (אָח ’āch) erlassen soll; gegenüber einem Ausländer ist dieser Verzicht auf die Schuldeintreibung dagegen nicht zu üben. Das Gesetz folgt dem Prinzip, dass das Maß an gegenseitigen Verpflichtungen vom Maß der Einfügung des Gegenübers abhängt. Auf die Schuldeintreibung zu verzichten bedeutet ein gewichtiges Opfer, das eine enge Verbundenheit der Beteiligten voraussetzt und das darauf zielt, das ökonomische Gleichgewicht einer Gesellschaft wiederherzustellen. Auf nur temporär aus geschäftlichen Gründen im Land sich aufhaltende Außenstehende treffen diese Bedingungen nicht zu. Zudem sind auch im Sabbat- und Erlassjahr die wirtschaftlichen Aktivitäten des Ausländers nicht eingeschränkt, so dass er ein normales Einkommen erzielen und darum auch seine Schulden wie sonst bezahlen kann.

Die Bestimmungen zum → Zinsverbot in Dtn 23,20f. mit der Erlaubnis, vom Ausländer Zins zu nehmen, folgen einem ähnlichen Prinzip wie die zum Erlassjahr. Würden die speziellen Schutzbestimmungen zugunsten des „Bruders“ (אָח ’āch) auch auf den Ausländer ausgedehnt, käme es zu einer einseitigen Bevorzugung des Ausländers, da dieser seinerseits nicht an ein entsprechendes Zinsverbot gegenüber dem Israeliten gebunden ist.

Die Bestimmungen von Dtn 14,21; Dtn 15,3 und Dtn 23,20f. legen die Vermutung nahe, dass die Beziehung des „Ausländers“ zu Israel vor allem im wirtschaftlichen Bereich anzusiedeln ist. Aus diesen Bestimmungen wird zugleich deutlich, dass seine wirtschaftliche Stellung als „stark“ eingestuft wird, auch wenn er vermutlich über keinen eigenen Landbesitz verfügt. Hinweise auf eine Übernahme der JHWH-Religion fehlen. Von den besonderen wirtschaftlichen Förderungs- und Schutzmaßnahmen, die zugunsten der israelitischen Volksgenossen und der Fremdlinge erlassen werden, ist der Ausländer aufgrund seiner Stellung nicht betroffen. Es geht dabei nicht um eine willkürliche Ausgrenzung von Fremden, sondern um eine Entsprechung von Berechtigung und Integration, bei der das Maß an Integration in Israel offensichtlich dem Fremden selbst überlassen wird.

3.3. Weitere Kategorien von Fremden

In den Gesetzessammlungen tauchen neben „Fremdlingen” und „Ausländern“ weitere Kategorien von Fremden auf, nämlich Angehörige bestimmter Volksgruppen. Am wichtigsten dabei sind die → Kanaanäer, mit denen nach Ex 23,23-33; Ex 34,11-16; Num 33,50-56 und Dtn 7,1-6.16ff. eine Koexistenz nicht zulässig ist. Die entsprechenden Bestimmungen gipfeln im Gebot von Dtn 7,2, an den Kanaanäern den → „Bann“ (חֵרֶם cheræm) zu vollziehen (ebenso Dtn 20,16-18). Zudem soll nach Dtn 25,17-19 der Name bzw. die Erinnerung → Amaleks ausgerottet werden.

Das Gesetz über den Eintritt in die Gemeinde in Dtn 23,2-9 legt fest, dass Verschnittene, „Bastarde“ (מַמְזֵר mamzer, vermutlich ein nicht-israelitischer → Eunuch), → Ammoniter und → Moabiter bis ins zehnte Geschlecht, d.h. grundsätzlich nicht in die „Gemeinde des Herrn“ (קְהַל יהוה qəhal JHWH) aufgenommen werden können, → Edomiter und Ägypter erst nach der dritten Generation. Im Blick der Regelung steht nicht die Frage, wer sich im Land Israel aufhalten darf, sondern es geht um den Zugang zur Religionsgemeinschaft Israels und damit auch zu den politisch bestimmenden Gremien. Die entscheidenden Gesichtspunkte sind physische Integrität, historische Berührungen mit Israel in der Vergangenheit und genealogische bzw. ethnische Nähe zu Israel (s. zum Näheren Zehnder, Anstöße).

4. Erzählungen

Gegenüber den Gesetzestexten ergibt sich in den historischen bzw. erzählenden Berichten der hebräischen Bibel insofern eine Verschiebung, als zwar relativ häufig von dauerhaft in Israel niedergelassenen Einzelnen und Gruppen die Rede ist, die auf Grund ihres Namens oder (häufiger) einer spezifischen ethnischen Herkunftsangabe als Fremdstämmige erkennbar sind; dagegen tauchen die Bezeichnungen „Fremdling“ und „Ausländer“ nur selten auf.

4.1. Fremde in Erzählungen über die vorstaatliche Zeit

Von dem unter 3.1.3 erwähnten Grenzfall Ex 12 abgesehen ist im Blick auf die Wüstenwanderung von „Fremdlingen” und „Ausländern“ nicht die Rede. Dafür finden sich Hinweise auf Fremde jenseits dieser Bezeichnungen (Ex 12,38 „viel Mischvolk“; Lev 24,10ff. Sohn eines israelitisch-ägyptischen Elternpaars; Num 10,29-32 Midianiter Hobab (→ Jitro); Num 11,4 „fremdes Gesindel“; Num 12,1 Ehe des Mose mit einer Kuschitin).

Im Blick auf die Zeit der Landnahme erwähnt das Buch → Josua an zwei Stellen den Fremdling. In Jos 8,33-35 wird notiert, dass der Fremdling in die Verlesung des Gesetzes auf dem → Ebal miteinbezogen ist, womit wohl die Weisung von Dtn 31,10-13 (vgl. auch Dtn 29,10f.) als erfüllt dargestellt werden soll. In Jos 20,9 wiederum wird festgestellt, dass Freistädte (→ Asyl / Asylrecht) eingerichtet werden, in die auch ein Fremdling fliehen kann – in Entsprechung zur Weisung von Num 35,15.

Wesentlich breiteren Raum nimmt die Darstellung des Verhältnisses zu den kanaanäischen Vorbewohnern des verheißenen Landes ein. Das dominierende Motiv ist dabei dasjenige des → „Banns“ (חֵרֶם cheræm; Jos 6-7 und Jos 10-11). Die Erzählungen über → Rahab und ihre Familie (Jos 6) sowie über die → Gibeoniten (Jos 9) weisen aber auf Ausnahmen vom Bannvollzug sowohl auf der individuellen wie auch auf der kollektiven Ebene hin. Beide Fälle scheinen anzudeuten, dass unter bestimmten Bedingungen ein Übertritt von ursprünglich Außenstehenden zur israelitischen Volks- und Glaubensgemeinschaft auch jenseits des Weges der Mischehe möglich war.

In auf die Richterzeit bezogenen Erzählungen taucht einmal der Terminus „Ausländer“ (in der fem. Variante „Ausländerin“) auf, mit Bezug auf die Moabiterin → Rut (Rut 2,10). Anders als in den Gesetzestexten – aber in Übereinstimmung mit 1Kön 8,41-43, wo von der Hinwendung des Ausländers zum Gott Israels die Rede ist – bezeichnet der Terminus hier nicht ein religiös distanziertes Verhältnis zu Israel bzw. zum JHWH-Glauben. Denn Rut zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie sich sowohl sozial (durch permanenten Aufenthalt und Heirat) wie auch religiös (durch das Bekenntnis zu JHWH) vollständig in Israel integriert. Beides wird offensichtlich als ohne weiteres möglich vorausgesetzt. Die Selbstbezeichnung Ruts als „Ausländerin“ ist wohl am besten als Demutsgeste zu verstehen.

Weiter finden sich verschiedene direkte oder indirekte Hinweise auf Mischehen (Ri 3,3; Ri 8,31; Ri 14; Rut 1,4; → Ehe). Die negative Reaktion der Eltern auf die Absicht → Simsons, eine Philisterin aus → Timna zu heiraten, zeigt dabei, dass jedenfalls in gewissen Kreisen der Israeliten die Ansicht verbreitet war, dass Ehen mit Nichtisraeliten bzw. Nichtisraelitinnen zu vermeiden seien (Ri 14,3).

4.2. Fremde in Erzählungen über die Königszeit

1) Fremdling. Was die Gruppe der Fremdlinge angeht, ist der → Amalekiter zu nennen, der → David die Nachricht vom Tod → Sauls und → Jonatans überbringt (2Sam 1). Er bezeichnet sich selber als „Sohn eines amalekitischen Fremdlings“, V. 13). Demnach kann „Fremdling“ auch der Angehörige eines Volkes sein, an dem nach gewissen Traditionen der Bann zu vollziehen ist (1Sam 15,3; vgl. auch Dtn 25,17-19).

Weiter ist von Fremdlingen in 1Chr 22,2 die Rede, wo notiert wird, dass sich zum Ausgang der Regierungszeit Davids Fremdlinge im Lande befinden, die vom König zu Vorbereitungsarbeiten für den Tempelbau herangezogen werden. 2Chr 2,16f. berichtet davon, dass Salomo „alle Männer, die als Fremdlinge im Land Israel leben“ zu Zwangsarbeiten herbeizieht. Die Fremdlinge von 1Chr 22,2 sind wohl mit den in 2Chr 2,16f. erwähnten Fremdstämmigen zu identifizieren. Es ist wahrscheinlich, dass diese Fremdlinge mit den Abkömmlingen der kanaanäischen Vorbewohner, an denen die Israeliten den Bann nicht haben vollziehen können, in Verbindung zu bringen sind. Es zeigt sich damit, dass der Chronist den Terminus „Fremdling“ in anderem Sinne gebraucht als die Rechtskorpora.

2) Ausländer. Vom „Ausländer“ ist ebenfalls nur selten die Rede. Ittai aus Gat, Anführer einer 600-Mann starken philistäischen Fremdsöldnertruppe, wird als Ausländer bezeichnet (2Sam 15,19), wobei in diesem Fall wohl seine Stellung als außerhalb des israelitischen Volksverbands Stehender angezeigt wird, analog zur Verwendung der Bezeichnung in den Gesetzeskorpora.

Im Tempelweihgebet Salomos findet sich die Bitte, dass JHWH auf einen Ausländer, der aus einem fernen Lande um des Namens JHWHs willen nach Jerusalem kommt und „zu diesem Haus“ gewendet betet, hören möge, damit alle Völker der Welt den Namen JHWHs erkennen und ihn fürchten (1Kön 8,41-43; vgl. 2Chr 6,32f.). Wichtig ist, dass einer Teilnahme am JHWH-Kult durch Fremde, die weder in die Volks- noch in die Kultgemeinschaft Israels integriert sind, nach der hier belegten Auffassung nichts im Wege steht.

3) Weitere Fremde. Neben den vereinzelten Erwähnungen von „Fremdlingen“ und „Ausländern“ ist von zahlreichen weiteren Fremden die Rede, vorwiegend am Königshof. Unter diesen finden sich der Edomiter → Doëg (1Sam 21,8; 1Sam 22,9.18.22), der offenbar zu den höheren Beamten im engeren Umkreis Sauls gehört; → Seraja (2Sam 8,17; 2Sam 20,25; 1Kön 4,3; 1Chr 18,16), Hofschreiber unter David und Salomo, wahrscheinlich ägyptischer Abstammung; die beiden „Hethiter“ → Ahimelech (1Sam 26,6) und → Uria (2Sam 11,3; 2Sam 23,39); der → Maachatiter Elifelet und der → Ammoniter Zeleq (2Sam 23,34.37), zwei der in 2Sam erwähnten „Helden Davids“, sowie die drei in 1Chr 11,47 erwähnten „Helden“ aus Zoba; → Adoniram, Oberster über die Fronarbeiter, wohl kanaanäischer Herkunft (2Sam 20,24; 1Kön 4,6; 1Kön 5,28; 1Kön 12,18); → Hiram von Tyrus (1Kön 7,13f.; vgl. 2Chr 2,12f.), Spross einer phönizisch-israelitischen Mischehe, verantwortlich für die künstlerische Ausgestaltung des Tempels.

Es werden auch ganze Gruppen von Fremden erwähnt, die im Dienst des Königshofes stehen: die →Kreter und Pleter (2Sam 8,18; 2Sam 15,18; 2Sam 20,7.23; 1Kön 1,38.44; 1Chr 18,17), eine Art „Leibgarde“ des Königs; die 600 Fremdsöldner unter dem Kommando Ittais aus Gat (2Sam 15,18-22). Eine besondere Gruppe von Fremden am Königshof stellen die Frauen und Nebenfrauen der Könige dar: die Tochter des Königs von → Geschur am Hof Davids (2 Sam 3,3); die Tochter des Pharao (1Kön 3,1) sowie zahlreiche moabitische, ammonitische, edomitische, sidonische und hethitische Frauen am Hof Salomos (1Kön 11,1-3); von Letzteren heißt es, dass sie Salomo dazu bringen, in seinem Alter anderen Göttern zu dienen (1Kön 11,4). Eine der Frauen Salomos wird in der Folge namentlich erwähnt: die Ammoniterin → Naama, die Mutter → Rehabeams (1Kön 14,21.31; vgl. 2Chr 12,13). → Ahab verbindet sich mit der sidonischen Prinzessin → Isebel (1Kön 16,31), deren Einfluss sowohl die Förderung des Baalskultes in → Samaria (1Kön 16,32) wie auch der Justizmord an → Nabot (1Kön 21) zugeschrieben werden.

4.3. Fremde in Erzählungen über die nachexilische Zeit

In Berichten über die nachexilische Zeit ist von Fremden in der Gestalt des „Fremdlings“ nicht die Rede, vom „Ausländer“ dagegen schon, allerdings unter einem gegenüber den Gesetzessammlungen veränderten Blickwinkel: Esr 9f. und Neh 13 greifen das Thema der Ehen mit „fremden Frauen“ (נָשִׁים נָכְרִיוֹת nāšîm nåkhrîôt) auf. Bei diesen Mischehen geht es anders als in der Königszeit nun nicht mehr nur um fremde Frauen am Königshof. Die Tendenz dieser Stellen geht dahin, Mischehen zu verbieten, offensichtlich vor dem Hintergrund von Dtn 7 und dem Gemeindegesetz von Dtn 23,2-9. Was die Ausweitung des Mischehenverbots über die ursprünglich im Gesetz genannten Völkerschaften hinaus betrifft, lässt sich diese wohl am besten verstehen als Festhalten an der ratio des Gesetzes, nämlich der Verhinderung der Verführung zum Abfall von JHWH, unter veränderten historischen Gegebenheiten.

Unter den Israeliten lebende Fremde begegnen weiter in der Gestalt erstens der als „Tempeldiener“ (הַנְּתִינִים hannətînîm) bezeichneten Diener der Leviten, die von David und „den Fürsten“ in ihr Amt eingesetzt wurden (Esr 2,43-54; Esr 8,20; 1Chr 9,2; ursprünglich wohl Kriegsgefangene und ihre Nachkommen), und zweitens der „Knechte Salomos“, wohl von Salomo zur Ergänzung der Levitendiener Davids rekrutiert, mit unklarem Aufgabenbereich (Esr 2,55-57). In beiden Fällen sind es die Namen, die auf eine fremde Herkunft schließen lassen.

5. Prophetische Texte

5.1. Fremde in der Gegenwartskritik der Propheten

In Jer 7,6; Jer 22,3 und Ez 22,7 wird vor der Unterdrückung schwacher Gesellschaftsgruppen durch die führenden Schichten gewarnt; zu den Gefährdeten gehört der Fremdling, zusammen mit Witwe und Waise. Das erinnert an entsprechende Gesetzesbestimmungen insbesondere im Deuteronomium.

Ähnlich wie in Jer 7,6; Jer 22,3 und Ez 22,7 spiegelt sich in Mal 3,5 und Sach 7,10 die prekäre soziale Lage der Fremdlinge. Mal 3,5 kündigt das Gericht an gegen die, die Tagelöhner, Witwe und Waise bedrängen und den Fremdling bedrücken. Sach 7,10 warnt vor der „Bedrückung“ von Witwe, Waise, Fremdling und Armem (עָנִי ‘ānî) und beklagt im folgenden Abschnitt zugleich, dass entsprechende frühere Warnungen kein Gehör fanden und dass darum das Volk zerstreut wurde. Bei der Bedrückung dürfte sowohl an ökonomische Bedrängung wie auch an juristische Benachteiligung gedacht sein.

Von den Fremdlingen als einer besonderen, unter den Israeliten lebenden Gruppe ist auch in Ez 14,7 die Rede, wobei ihre religiöse Integration hier so weit geht, dass sie JHWH zu ihrem Gott machen und sich wie Israeliten an einen JHWH-Propheten wenden.

In Ez 44,7.9 wird dem Haus Israel vorgeworfen, dass sie Ausländer, unbeschnitten am Herzen und unbeschnitten am Fleisch, ins Heiligtum JHWHs hineingeführt haben, es zu profanieren. Aus V. 8 wird deutlich, dass diese Fremden im Heiligtum in offizieller Funktion im Zusammenhang mit dem Opferdienst gewirkt haben.

Mal 2,10-16 beschäftigt sich mit Mischehen und kritisiert diejenigen jüdischen Männer, die ihre erste, jüdische Gattin zugunsten einer fremden, nicht-jüdischen Frau verstoßen haben.

5.2. Fremde in den Zukunftserwartungen der Propheten

Wie in den erzählenden Texten tauchen „Fremdling“ und „Ausländer“ nur am Rande auf. Viel häufiger finden sich kollektive Hinweise auf fremde Völker.

5.2.1. Fremde als Grund und Werkzeuge des Gerichts über Israel

Zu den Hauptthemen biblischer Prophetie gehört die Ankündigung des → Gerichts JHWHs über sein ungehorsames Volk. Einer der Gründe für das Gericht liegt in der Misshandlung des Fremdlings durch die Israeliten (s. dazu die schon erwähnten Hinweise in Jer 7,6; Jer 22,3; Ez 22,7; Sach 7,10; Mal 3,5). Fremde spielen auch als Vollzugsorgane des Gerichts eine zentrale Rolle: Fremde werden das Land verwüsten, den Tempel zerstören, die Erträge des Landes für sich einnehmen, und die Israeliten selber werden in der Fremde darben (z.B. Jes 7,17ff.; Jes 29,5ff.; Jer 4,5ff.; Jer 5,6.14ff.; Jer 6; Jer 32,26ff.; Ez 7,21ff.; Ez 28,7.10 [zārîm]; Ez 38f.; Mi 4,11-13; Sach 12f.; Sach 14,2; ebenso außerhalb prophetischer Texte, Dtn 28,15ff.). Oft ist auch davon die Rede, dass Israel im eigenen Land Fremden dienstbar wird (z.B. Jer 6,12; Hos 8,3.7 [zārîm]; ebenso außerhalb prophetischer Texte [Lev 26,16f.; Dtn 28,29-33.43f.]).

Genauso zahllos wie die Stellen, die vom drohenden Gericht Gottes über Israel sprechen, sind diejenigen, die die Überwindung der Feinde Israels und die Schaffung eines endgültigen Heilszustands für Israel ankündigen. Die nachfolgenden Abschnitte 5.2.2. bis 5.2.5. fallen in diese Kategorie.

5.2.2. Der Ausschluss der Fremden vom Zion

Verschiedene Texte sprechen die Erwartung aus, dass die Israeliten in der Situation des kommenden Heilszustandes Fremden nicht mehr dienen müssen, weder im eigenen Land noch in der Fremde (z.B. Jer 30,8f. [zārîm]). Eine ähnliche Traditionslinie hält fest, dass in Zukunft Fremde nicht mehr in Israel oder in Gottes heilige Stadt eindringen werden (v.a. Jes 52,1; Jer 62,8; Jo 4,17; vgl. auch Sach 14,21).

5.2.3. Der Zug der Fremden zum Zion

In einer Reihe von Texten wird von einer Hinwendung Fremder zu JHWH gesprochen, dieser Vorgang aber ganz ohne direkten Bezug zu den Angehörigen des JHWH-Volkes in Israel oder zum Land Israel beschrieben (z.B. Jes 19,18ff.; Jes 25,3; Jes 42,4.10-12; Jes 49,6f.; Jes 51,4-6; Jer 33,9; Zef 2,11; möglicherweise auch Hab 2,14; → Völkerwallfahrt). Hinzu kommen Stellen, an denen nicht deutlich wird, ob die Hinwendung zu JHWH auch mit einem Zug zu seinem Heiligtum verbunden ist (z.B. Jes 11,10; Jer 16,19; Mi 7,16f.).

In anderen Texten findet sich die Erwartung, dass die Hinwendung der Fremden zu JHWH mit einem Zug nach Jerusalem und einem Aufenthalt in Israel einhergehen wird (z.B. Jes 2,1-4 // Mi 4,1-3; Jes 25,6-9; Jes 45,18-25; Jer 3,17; Sach 8,20-22; Sach 14,16).

In einer weiteren Gruppe von Texten, die vom Zug Fremder zum Zion sprechen, kommt ein spezifisches neues Element hinzu: Die Völker werden mit vollen Händen zum Zion pilgern (z.B. Jes 18,7; Jes 60,4-14 [bənê nekhār]; Hag 2,7f.; Sach 14,14).

Schließlich ist davon die Rede, dass Angehörige fremder Völker bei ihrem Zug zum Zion die versprengten Israeliten zurückbringen (z.B. Jes 11,12; Zef 3,10). In der Verlängerung dieser Tradition steht die Erwartung, dass Fremde am Bau des neuen Jerusalem, besonders des Heiligtums, beteiligt sein werden (z.B. Jes 60,10 [bənê nekhār]; Sach 6,15).

5.2.4. Die Herrschaft Israels über Fremde

Auffällig häufig ist davon die Rede, dass die Fremden den Israeliten untergeordnet werden, indem diese an ihnen das Gericht vollziehen oder dauernd über sie herrschen (z.B. Jes 11,14; Jes 54,3; Jer 49,1-6; Ez 25,14; Ez 39,10; Jo 4,8; Am 9,12; Ob 15-21; Mi 4,11-13; Zef 2,8-11; Sach 2,13; Sach 14,12ff.). Die Traditionen, die um die Unterordnung Fremder unter Israel kreisen, und diejenigen, die davon sprechen, dass die Fremden ihre Güter oder die versprengten Israeliten zum Zion bringen, treten oft miteinander kombiniert auf (Jes 14,2; Jes 45,14; Jes 49,14-26; Jes 60; Jes 66,18ff.).

5.2.5. Die Eingliederung Fremder ins endzeitliche Gottesvolk

Unter den verschiedenen Gruppen von Fremden, von denen eine Eingliederung in das endzeitliche Gottesvolk erwartet wird, finden sich die „Fremdlinge“ (Jes 14,1 [dazu Zehnder, Jesaja 14,1f.]; Ez 47,22f). In Ez 47,22f. wird angekündigt, dass bei der künftigen Landverteilung auch die Fremdlinge einen Erbbesitz unter den Stämmen Israels erhalten sollen, und zwar jeweils in dem Stamm, in dem sie – offensichtlich seit Längerem – ansässig sind. Das geht über die in den Gesetzestexten sich spiegelnde Situation des Fremdlings hinaus, da dort ein männlicher Fremdstämmiger mindestens der Theorie nach in der ersten Generation kaum zu Landbesitz kommen konnte. Die Neuerung von Ez 47,22f. besteht darin, dass der von außen hinzugekommene Fremde, der sich religiös voll in die israelitische Kultgemeinschaft integriert und auf jede alternative Affiliation verzichtet hat, nun endlich auch sozial aus dem Status der Abhängigkeit befreit wird, indem er zum gleichberechtigten Glied der Gesellschaft mit eigenem Landbesitz aufsteigt.

Auch von anderen Gruppen als den Fremdlingen wird eine Integration in das künftige Gottesvolk erwartet. Innerhalb des Abschnitts Jes 56,1-8 findet sich die Bemerkung, dass der „Ausländer“, der sich JHWH angeschlossen hat, nicht sagen soll: „Der Herr wird mich gewiss von seinem Volk ausschließen“ (Jes 56,3); sondern es wird diesen Fremden verheißen, dass sie zum heiligen Berg JHWHs gebracht und in seinem Bethaus erfreut werden und dass ihre Brand- und Schlachtopfer wohlgefällig angenommen werden (Jes 56,7). Wichtig ist, dass diese Fremden zu Israel hinzugefügt werden, also keinen von Israel unabhängigen Zugang zu Gott haben, sondern nur einen über ihre Zugehörigkeit zu Israel vermittelten. Voraussetzung der Annahme durch JHWH ist, dass die betreffenden Fremden ihm als seine „Knechte“ dienen, seinen Namen lieben, den Sabbat heiligen und am Bund JHWHs festhalten, wobei mit den allgemeinen Wendungen „den Namen lieben“ und „am Bund festhalten“ wohl das Halten des Gesetzes insgesamt gemeint ist. Die in Jes 56,3 formulierte Befürchtung des Ausländers und des mit ihm parallel gesetzten Eunuchen (סָרִיס sārîs) ist am ehesten in einer Situation vorstellbar, in der die Gemeinde JHWHs ins Land Israel zurückkehrt und sich dort neu konstituiert und nun der Status derjenigen, die sich in der Fremde an die Israeliten angeschlossen haben, fraglich ist. Die Unsicherheit hinsichtlich der Stellung der beiden genannten Personengruppen dürfte dabei mit dem Gemeindegesetz von Dtn 23,2-9 zusammenhängen.

Jes 61,5f. erwartet, dass als „Fremde“ (זָרִים zārîm) und „Ausländer“ (בְּנֵי נֵכָר bənê nekhār) bezeichnete Fremde den Israeliten als Hirten, Ackersleute und Weingärtner dienen werden. Weiter heißt es, dass die Israeliten die Schätze der Völker genießen und Priester JHWHs heißen werden. Die Herrschaft Fremder über Israel wird also aufgehoben und die Israeliten werden über den übrigen Bewohnern des Landes stehen. Es bildet sich eine neue Gemeinde aus Fremden und Israeliten, wobei Letztere in ihr eine Sonderstellung einnehmen, wie sie vormals dem Priestergeschlecht gegenüber den anderen Israeliten zukam.

Vom endzeitlichen Anschluss einzelner Fremder an JHWH und sein Volk sprechen auch Jes 44,5; Jes 66,21; Sach 2,15f.; Jes 8,23. Von der Eingliederung eines spezifischen Volkes ins endzeitliche Gottesvolk, nämlich der Philister, handelt Sach 9,7.

6. Psalmen

In den Gebeten der Psalmen spiegeln sich verschiedene der in den Abschnitten 3-5 genannten Bezugnahmen auf den Fremdling:

Ps 39,13 und Ps 119,19 sprechen von der existenziellen Fremdheit des Einzelnen coram Deo. In Ps 39,13 sagt der Beter von sich selber, dass er ein Fremdling (גֵּר ger) „vor Dir“, d.h. Gott, ist, ein Beisasse (תּוֹשָׁב tôšāv) wie alle seine Väter. Die beiden Termini גֵּר ger und תּוֹשָׁב tôšāv verweisen auf die Abhängigkeit vom grundbesitzenden vollbürtigen Israeliten; dieser soziale Bezug wird hier aber auf die höhere Ebene existenzieller Grunderfahrungen transponiert: Die beiden Termini sind nun primär Ausdruck für die Kürze bzw. Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, aber auch dafür, dass der Mensch keine Verfügungsgewalt über sein Leben und die Güter dieser Welt hat. Der, der allein das Leben des Einzelnen kontrolliert und über die Welt insgesamt verfügt, ist Gott. Ganz ähnlich verhält es sich in Ps 119,19. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Hinweis auf die so umschriebene condition humaine in Ps 39 Gott dazu bewegen soll, sich zu erbarmen und den Beter von seinem Leiden zu befreien, während Ps 119 daraus die Bitte um eine Offenbarung der Gebote Gottes ableitet, von denen Leitung und Stütze auf dem Lebensweg erwartet werden.

In Ps 94,6 und Ps 146,9 wird der Fremdling in Spiegelung entsprechender Aussagen in Jer 7,6; Jer 22,3; Ez 22,7; Mal 3,5; Sach 7,10 zusammen mit Witwen und Waisen als Opfer des Wirkens der Gottlosen bzw. als des besonderen Schutzes Bedürftiger erwähnt. Ps 94,6 hat wohl vor allem Justizmorde im Blick. In Ps 146,9 wiederum wird JHWH selber als Schützer der personae miserae bezeichnet, eine Aussage, die ihre nächste Entsprechung in Ex 21,20-23 und Dtn 10,18 hat.

Entsprechungen finden sich auch zu verschiedenen Aspekten prophetischer Zukunftserwartung: die (möglicherweise mit einem Zug zu seinem Heiligtum verbundene) künftige Hinwendung Fremder zu JHWH in Ps 22,28; Ps 102,16; der künftige Zug der Völker zum Zion mit vollen Händen in Ps 68,30-33; die Unterordnung Fremder unter die Israeliten in Ps 47,4f.; Ps 60,8b-10; Ps 149,6-9.

Literaturverzeichnis

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  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
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  • Zehnder, M., 2001, Jesaja 14,1f.: Widersprüchliche Erwartungen zur Stellung der Nicht-Israeliten in der Zukunft?, in: B. Huwyler / H.-P. Mathys / B. Weber (Hgg.), Prophetie und Psalmen (FS K. Seybold; AOAT 280), Münster, 3-29
  • Zehnder, M., 2005, Anstösse aus Dtn 23,2-9 zur Frage nach dem Umgang mit Fremden, FZPhTh 52, 300-314
  • Zehnder, M., 2005, Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien (BWANT 168), Stuttgart

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