Frömmigkeit
(erstellt: März 2018)
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1. Das Wortfeld der Frömmigkeit
Der Begriff „Frömmigkeit“ kann als Pietät, Hingabe oder Religiosität aufgefasst werden. Allgemein bezeichnet er eine Haltung und Verhaltensweise, in der jemand entsprechend seiner Religion lebt, ein tugendhaftes Leben an den Tag legt und sich so für sein soziales Umfeld als nützlich erweist. Ein frommer Mensch lebt vortrefflich, also rechtschaffen und gerecht (→ gerecht
2. Frömmigkeit im Alten Testament
Die verschiedenen Aspekte der Frömmigkeit können nicht mit einem einzigen Hebräischen Begriff wiedergeben werden, sondern werden durch die Wortfelder mehrerer Wurzeln und Phrasen umschrieben:
- Begriffe für Gottesfurcht: יִרְאַת יְהוָה jirat jhwh (Spr 1,7
2.1. טוב ṭôv „gut sein / gut handeln“
Die Fähigkeit der Unterscheidung von „gut und böse“ (Gen 3,5.22
Im → Sprüchebuch
2.2. תמם tmm „vollkommen sein / schuldlos sein“
Die Wurzel תמם tmm „vollkommen sein / schuldlos sein“ nimmt nicht die einzelnen Taten, sondern den Menschen als Ganzes in den Blick. תמם tmm wird gerne als Wortpaar mit ישׁר jšr verwendet, so bei den Erzählfiguren → Noah
Durch die Erzählung des Schicksals von Hiob, der neben Noah und → Daniel
→ Abram
2.3. ישׁר jšr „gerade sein / aufrecht sein“
Die Wurzel ישׁר jšr „aufrecht sein“ steht für einen aufrichtigen, redlichen, frommen Menschen (Ps 11,7
ישׁר jšr ist ebenfalls mit der Metapher vom Weg verbunden, in welchen der Redliche Einsicht hat (Spr 2,9
Quasi als Antithese zu Hiob bzw. als Referenz zum Epilog wird dem Vollkommenen (תָּמִים tāmîm) der dauerhafte Bestand seines Erbbesitzes zugesagt (Ps 37,18
2.4. חָסִיד ḥāsîd „Frommer Mensch“
Die Bezeichnung חָסִיד ḥāsîd „frommer Mensch“ tritt vor allem in liturgisch-poetischen Texten auf und hat in einige deutsche Übersetzungen punktuell Eingang gefunden (Elberfelder / Einheitsübersetzung). Sie bezieht sich auf einen Menschen, der synonym zum Treuen (Ps 12,2
חָסִיד ḥāsîd ist Selbstbezeichnung des Frommen, der sich als → Knecht Gottes
Der synonyme Gebrauch von תָּמִים tāmîm und חָסִיד ḥāsîd (Ps 18,26
Eine häufige Verwendung ist die Kollektivbezeichnung für die Kultgemeinde Israels, Jhwhs Volk (Ps 148,14
2.5. יִרְאַת אֲדֹנָי jirat ’donāj „Gottesfurcht“
Die → Furcht
An Hiob und den Äußerungen seiner Freunde zeigt sich ein Verständnis der Frömmigkeit als Gottesfurcht (Hi 4,6
3. Die persönliche Frömmigkeit
Religion äußert sich im Kult (→ Ritual
Hier zeigt sich der Übergang zur persönlichen Frömmigkeit, denn diese gehört in den Bereich des Einzelnen und seiner Familie (Jer 7,18
3.1. Altes Testament / Hebräische Bibel
Wenn Frömmigkeit vom Kult unterschieden auf das Individuum fokussiert betrachtet wird, so lässt sich dieses nicht nur im Kontext der → Weisheit
Im Anklang an ägyptologische Terminologie soll dort von persönlicher Frömmigkeit gesprochen werden, wo es um die Hinwendung des Einzelnen zu Gott und Gottes zum Einzelnen geht (Guglielmi / Dittmar 1992, 121 Anm. 4). Persönliche Frömmigkeit soll damit von einer Laienfrömmigkeit außerhalb des Tempelkultes und der Gattungsbezeichnung „Persönliche Frömmigkeit“, wie sie für Gebete auf Votivstelen aus Dēr el-Medīna (Koordinaten: N 25° 43' 44'', E 32° 36' 05''
Der Fromme betet und verlangt nach der Anrede (Hi 11,5
3.2. Ägypten
In Ägypten kommt es seit der Ramessidenzeit (→ Neues Reich
„Wende dich uns wieder zu, du Herr der Ewigkeit, du warst hier, als noch nichts entstanden war, und du wirst hier sein, wenn sie zu Ende sind. Du lässest mich Finsternis sehen, die du gibst – leuchte mir, daß ich dich sehe!“ (ÄHG 147, 26-30)
Diese individuelle Dimension der Gottesnähe zeigt sich bereits im Mittleren Reich bei Sinuhe: „Mögest du mir gnädig sein. […] Möge mir Gott Gnade (ḥtp.t) geben.“ (Blumenthal 1998, 218), je nach Interpretation als persönliche Frömmigkeit oder „dämonische Instanz“ (Fischer-Elfert 2007, 9).
In Ägypten tritt die Göttin → Maat
3.3. Alter Orient
Bereits in der sumerischen Königsliste (TUAT I/4, 328-337) kommt das Königtum vom Himmel auf die Erde herab, so dass die Gesellschaft die himmlische Realität widerspiegelt, in welcher dem König ex officio die Aufrechterhaltung der umfassenden gesellschaftlichen Ordnung obliegt. Frömmigkeit äußert sich als institutionalisierter Kult. Entsprechend bezeichnet König → Hammurabi
Im ugaritischen Aqhat-Epos (KTU I.17-19; → Ugarit
Die poetisch-didaktische Weisheitsliteratur erörtert Frömmigkeit im Kontext des Ergehens des Menschen: Ein persönlicher Gott schützt vor → Dämonen
„Nur, wer auf den Gott schaut, hat volle Lebens[kraft];
in kritischer Lage (selbst) häuft, wer die Göttin fürchtet, die Fül[le] auf.“ (TUAT III/1, 147, Z.21-22).
und der Geringschätzung der Vorhersehung Gottes und des Kultes beschuldigt:
„die Wahrheit verwarfst du nun, das von Gott Vorgezeichnete schätzt du gering.
Die Kulte Gottes nicht recht zu beachten begehrtest du in deinem Sinn.
Die zuverlässigen Ordnungen der Göttin [. . . . . . . . ].“ (TUAT III/1, 150f. Z.78-80).
4. Zwischentestamentliche Zeit
Die durch ethisches Handeln bestimmte Gottesfurcht findet ihre Fortsetzung (Weish 10,12
Frömmigkeit als Beachtung dessen, was Gott heilig ist, setzt einen neuen griechisch-hellenistisch geprägten Akzent und kommt durch das Wortfeld von σεμνός semnos zum Ausdruck (2Makk 6,11.28
Der Fromme חָסִיד ḥāsîd, von dem parallel zum Gerechten die Rede ist, wird bereits in der → Septuaginta
In den → Makkabäerbüchern
In den → Qumrantexten
Außerhalb des Alten Testaments tritt חסד ḥsd als Aramäisches חסה ḥsh auf einer Grabstele (5. Jh. v. Chr.) in Ägypten auf, wo die Verstorbene unter die חסיה ḥsjh „Lobenswerten / Frommen“ gezählt wird. (D 20.5.4; Porten / Yardeni, 254.256).
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
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- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
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- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
- Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Wuppertal 2001
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
- Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Stuttgart u.a. 2011ff.
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2. Weitere Literatur
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