Gast / Gastfreundschaft (AT)
(erstellt: Februar 2016)
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1. Gastfreundschaft: Begriffe und Definition
1.1. Begriffe. Gastfreundschaft spielt im Alten Testament eine fundamentale Rolle. Sie kann gelingen, wie bei → Abraham
Das Griechische und so auch das Neue Testament verwenden für Gastfreundschaft den Begriff φιλοξενία philoxenia, also „Fremdenliebe“ (vgl. Röm 12,13
1.2. Definition. Gastfreundschaft bezeichnet die Einstellung eines Gastgebers gegenüber seinen Gästen, die sich im Alten Testament vor allem in der Bewirtung und sicheren Beherbergung von fremden Menschen im eigenen Heim zeigt. In einer Zeit ohne ausgebautes Hotelwesen (siehe aber Hiltbrunner 2005, 123-130) war die Versorgung → Fremder
Gastfreundschaft ist nur auf kurze Dauer angelegt. Bleibt ein Gast länger, so wird er zum Arbeiter (Gen 29,1-11
Zur Gastfreundschaft gehören Schutz, Nahrung und zumeist die Möglichkeit zur sicheren Übernachtung, wobei die Mahlzeit auch der Stiftung von Gemeinschaft dient (→ Mahl / Mahlzeit
Die Aufnahme der Fremden verändert die Beziehung. Matthews (1991) unterstreicht im Transformationsprozess „from hostile outsider to guest“ die von Unbekannten ausgehende Gefahr, doch betont das Alte Testament eher die Gefahr für Gäste (vgl. Gen 19,1-11
2. Formen der Gastfreundschaft
Gastfreundschaft wird sowohl von Menschen (2.1.) als auch von Gott selbst (2.2.) gewährt.
2.1. Menschen als Gastgeber
Menschen nehmen immer wieder Reisende auf, wie Abraham im Beispiel gelingender Gastfreundschaft in Mamre (→ Hebron
2.1.1. Gelingende Gastfreundschaft: Abraham als Paradebeispiel (Gen 18,1-16)
Abraham sitzt am Zelteingang, als er drei Männer erblickt und zum Essen, sich Erfrischen und Ausruhen einlädt. Schon die frühe Rezeption machte Abraham zum paradigmatischen Gastfreund (1Clem 10,7).
Gen 18,1-16
Zudem konturiert Gen 18 zwischenmenschliche Gastfreundschaft. Der Gastgeber, von dem alle Initiative ausgeht, lädt zum Verweilen, Stärken und Erfrischen ein. Er mindert seinen Rang in der Anrede, durch sein Niederfallen und das Rennen zu den Gästen und untertreibt höflich beim angebotenen Mahl. So spricht Abraham von einem Bissen Brot, tischt dann jedoch für die drei – Sara und er essen nicht mit – mehrere Brote und ein besonders feines Kalb auf.
Sowohl Quantität als auch Qualität der Mahlzeit werden eigens betont (Vogels, 166) und eine Gegengabe des Gastes, materieller Art oder als Segen, wird nicht erwähnt – die Ankündigung des Kindes in Gen 18,9-15
2.1.2. Gastfreundschaft in der Stadt: Lot als Gastgeber (Gen 19,1-11)
Im Kontrast zu Gen 18 illustriert die in Gen 19,1-11
Durch die Parallelität fallen die Differenzen stärker auf. So spielt die Erzählung nicht bei einem Zelt, sondern am Tor einer Stadt, in der Lot selbst nur als Fremdling weilt. Nachdem die Männer erst nach erneuter Bitte der Einladung folgen, fordern die Stadtbewohner ihre Herausgabe. Ob Lot als גֵר ger „Fremdling“ keine Fremden aufnehmen darf und die Männer der Stadt somit im Recht sind (so Matthews 1991, 14.16f.), ist schwer zu entscheiden. Der Status betont besonders Lots Distanz zu der Stadt, die das Gastrecht gewaltsam missachtet und so letztlich ihren eigenen Untergang rechtfertigt. Fehlende Gastlichkeit zeigt die moralische Verworfenheit der Gemeinschaft.
Auf sehr drastische Weise unterstreicht Gen 19,1-11
2.1.3. Das völlige Scheitern der Gastfreundschaft (Ri 19,15-30)
Ein solches Eingreifen göttlicher Gäste fehlt in Ri 19,15-30
Doch sind auch hier die Unterschiede entscheidend (Lasine). War Lot in Gen 19 im Vergleich zu Abraham als Gastgeber schon erfolgloser, so ist das Verhalten des Gastes und Gastgebers in Ri 19 noch fragwürdiger (Groß, 819). Die Frau des Gastes, die er selbst herausführt, wird vergewaltigt und so schwer verletzt, dass sie auf der Türschwelle, der Grenze zum Schutzraum, stirbt.
Zudem spielt die Geschichte mit dem Motiv des Fremden und der Gewalt. Nicht im vermeintlich gefährlichen fremden → Jebus
Ri 19 zeigt die katastrophalen Zustände zur Richterzeit, in der ohne (staatliche) Ordnung Gewalt herrscht. Lasine (39) spricht pointiert von der „topsy-turvy nature of the ‚hospitality‘ in Gibeah“. Misslingende Gastfreundschaft zeigt die Verworfenheit einer ganzen Stadt / Gesellschaft an.
2.1.4. Gastgeberinnen
Immer wieder wird betont, dass das Recht zur Aufnahme von Gästen bei den Männern liegt (so Matthews 1992), doch laden – in vielfältigen Erzählungen – Frauen Fremde in ihr Haus (Vogels, 165).
Kanonisch gelesen ist die erste Frau, die Fremde aufnimmt und vor der Stadtbevölkerung schützt, → Rahab
Die Gefahr für den Gast zeigt die zweite Erzählung mit einer Gastgeberin. Auf der Flucht kommt der kanaanäische Feldherr → Sisera
Dass Siseras aktive Bitte um Nahrung nicht automatisch gegen die Gastfreundschaft verstößt, zeigt die Erzählung um → Elia
Zuweilen übernehmen die Frauen die Initiative, obwohl ihre Männer anwesend sind. So betont 1Sam 25 → Abigails
2.1.5. Gastfreundschaft als ethische Verpflichtung
Gastfreundschaft ist, auch ohne gesetzliche Fixierung, ethisch gefordert. Im hellenistischen Raum zeitigt, in vorrömischer Zeit, ein Verstoß ebenfalls keine juristischen Konsequenzen, widerspricht aber gesellschaftlichen Konventionen zutiefst und missfällt den Göttern (vgl. Hiltbrunner 1972, 1088f.). Auffahrt (198) fasst mit Blick auf Odysseus᾽ Erfahrungen mit ungastlichen Gegenübern zusammen: „Wer gastfreundlich ist, ist auch gottesfürchtig; wer hingegen nicht gastfreundlich ist, gilt als gottlos, kultur- und gesetzlos.“ Nach Jes 58,6f
2.1.6. Der Fremdling als Gast
Das Verb גור gûr beschreibt das „Weilen als Fremdling“ (Gen 12,10
Im Gegensatz zur Gastfreundschaft ist die Versorgung des Fremdlings als Teil der personae miserae (Fremdling, → Witwe, Waise
2.1.7. Gefahren der Gastfreundschaft (Jesus Sirach)
Das → Sirachbuch
2.2. Gott als Gastgeber
Neben den Texten, in denen Menschen als Gastgeber fungieren, stehen einige, in denen Gott selbst Züge eines Gastgebers trägt.
2.2.1. Gott als Gastgeber in der Wüstenzeit
Während des → Exodus
2.2.2. Gott als Gastgeber und Behüter
Gott beschützt und versorgt den Einzelnen und sein Volk. So ist er nach Ps 23 Hirte und Gastgeber, der den gedeckten Tisch bereitet (vgl. Arterbury / Bellinger). Beide Bildwelten unterstreichen Gottes Schutz und Versorgung gerade in Zeiten der Bedrohung. Diesen Schutz illustriert auch Ps 61,4-6
3. Zur Rezeption der alttestamentlichen Motivik
Im Neuen Testament wird Gastfreundschaft (φιλοξενία philoxenia) aktiv gefordert (Röm 12,13
Explizit knüpft gegen Ende des 1. Jh.s n. Chr. der Erste Clemensbrief an die Erzählungen zur Gastfreundschaft an und fasst Abrahams (1Clem 10,7), Lots (11,1) und Rahabs Handeln (12,1) in die Kategorie der φιλοξενία philoxenia (dazu Lona, 199-210). Zusätzlich zeichnen sich Abraham und Rahab durch ihren Glauben (πίστις pistis) und Lot durch seine Frömmigkeit (εὐσέβεια eusebeia) aus. Abrahams Gastfreundschaft betonen zahlreiche jüdische Schriften (Testament Abrahams 1-5, in 4,10 betont der Engel Michael diese vor Gott; Philo, De Abrahamo, 107-118 im Gegensatz zur Ungastlichkeit der Ägypter; zur rabbinischen Literatur vgl. Koenig, 300, Arterbury / Bellinger, 390; → Abraham
Das Motiv der Gastfreundschaft als Tugend kommt wie in Hi 31,32
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009
2. Weitere Literatur
- Alexander, T.D., Lot’s Hospitality. A Clue to His Righteousness, JBL 104 (1985), 289-291.
- Arterbury, A.E. / Bellinger, W.H. Jr., „Returning“ to the Hospitality of the Lord. A Reconsideration of Psalm 23,5-6, Bib. 86 (2005), 387-395.
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- Bultmann, C., Der Fremde im antiken Juda (FRLANT 153), Göttingen 1992.
- Ebach, J., Genesis 37-50 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg u.a. 2007.
- Ebach, R., Das Fremde und das Eigene. Die Fremdendarstellungen des Deuteronomiums im Kontext israelitischer Identitätskonstruktionen (BZAW 471), Berlin / Boston 2014.
- Fuhs, H.F., Vom Gemeinschaftsmahl zur Gottesschau. Zur theologischen Dimension altbundlicher Mahlgemeinschaften, ThGl 96 (2006), 233-249.
- Groß, W., Richter (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg u.a. 2009.
- Hiltbrunner, O. u.a., Art. Gastfreundschaft, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1972, Bd. VIII, 1061-1123.
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- Koenig, J., Art. Hospitality, in: The Anchor Bible Dictionary, New York 1992, Bd. III, 299-301
- Lasine, S., Guest and Host in Judges 19: Lot’s Hospitality in an Inverted World, JSOT 29 (1984), 37-59.
- Lona, H.E., Der erste Clemensbrief (Kommentar zu den Apostolischen Vätern II), Göttingen 1998.
- Malina, B.J., The Received View and what it Cannot Do: III John and Hospitality, Semeia 35 (1986), 171-194.
- Matthews, V.H., Hospitality and Hostility in Judges 4, BTB 21 (1991), 13-29.
- Matthews, V.H., Hospitality and Hostility in Genesis 19 and Judges 19, BTB 22 (1992), 3-11.
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- Puzicha, M., Gastfreundschaft. Zum Verständnis von RB 53, Erbe und Auftrag 58 (1982), 33-46.
- Schreiner, J., Gastfreundschaft im Zeugnis der Bibel, TThZ 89 (1980), 50-60.
- Scoralick, R., Von Mehltöpfen, die nicht leer werden, und Gästen, die nicht schlürfen dürfen, KatBl 130 (2005), 204-207.
- Vogels, W., Hospitality in Biblical Perspective, Liturgical Ministry 11 (2002), 161-173.
- Westermann, C., Genesis, Bd. 2: Genesis 12-36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981.
Abbildungsverzeichnis
- Abraham erweist drei göttlichen Gästen seine Gastfreundschaft (rechts: Opferung Isaaks; Mosaik; San Vitale, Ravenna; 6. Jh.).
- Im benjaminitischen Gibea erweist ein Ephraimit einem Leviten und seiner Nebenfrau Gastfreundschaft (Jan Victors; um 1650).
- Jael erweist Sisera Gastfreundschaft, tötet ihn dann aber (Gregorio Lazzarini; 1655-1730).
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