Gebärde / Mimik (AT)
(erstellt: November 2021)
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1. Gebärde und Mimik im Kontext non-verbaler Kommunikation
Im Alten Testament wird der → Mensch
Die Grundbestimmung, dass der Mensch ein sprachliches, ein kommunikatives Wesen ist, lässt sich weiter spezifizieren: Der Mensch verwendet neben der Sprache in artikulierter Form auch die non-verbale Sprache zur Verständigung und Kommunikation mit anderen. Gerade über non-verbale Sprachhandlungen wie Gebärden und Gesten werden oft bedeutsame Aussagen übermittelt: „Auch wenn der Mund nicht spricht, so tut es doch der Körper“ (Staubli / Schroer, 230). Wir „reden“ mit dem → Körper
Wie die verbale Sprache und Kommunikation, ist auch die non-verbale Sprache durch ihren kulturellen Kontext geprägt. Gebärden und Gesten sind „nicht alle automatisch ‚überzeitlich‘ und ‚überkulturell‘ gültig“ (Wagner 2007, 260; vgl. Gillmayr-Bucher, 280-281). Viele Gesten sind über die Jahrhunderte und Kulturen hinweg verständlich geblieben, manche haben sich aber auch verändert und sind nicht mehr ohne weiteres in späteren Zeiten oder in anderen kulturellen Zusammenhängen verständlich. Sprachhandlungen sind somit „universal und zugleich kulturspezifisch“ (Janowski, 280; vgl. Boroditsky). Ein und dieselbe Geste bedeutet auch nicht immer dasselbe. Körperhandlungen sind kontextabhängig. So kann beispielsweise das Runzeln der Stirn Ablehnung oder angestrengtes Nachdenken bedeuten, je nach Kontext.
Die Varianz von kultur- und kontextabhängigen Bedeutungen gilt grundsätzlich, aber ebenso auch in Bezug auf Gesten und Körperhandlungen im Alten Testament (vgl. Schroer / Staubli, 123-124; Wagner, 2007). So kann das Klatschen mit Händen positiv konnotiert sein und Beifall oder Zustimmung bedeuten (vgl. Ps 98,8
Bei der non-verbalen Kommunikation, bei der „Rede mit Körperteilen“, werden → Körperteile
Grundsätzlich sind Gebärden daher etwas Absichtsvolles. Ergreift eine Person ein Zittern (z.B. aus Furcht), so ist dies demnach nicht als Gebärde aufzufassen. Eine Gebärde ist der bewusste und intentionale Einsatz eines Körperteils zum Zwecke der Kommunikation.
Neben diesem absichtsvollen Einsatz von Gebärden, die oftmals bedeutungsvolle Zeichen oder Signale darstellen, erweist sich die Mimik, also der Gesichtsausdruck, im Kontext non-verbaler Kommunikation zuweilen auch als weniger absichtsvoll oder gerade nicht mit einer bestimmten Intention verbunden. So beschreibt z.B. Spr 15,13
Auf dem Gesicht (→ Angesicht
2. Aspekte der Verwendung von Gebärde und Mimik in alttestamentlichen Texten
2.1. Die Verbalisierung von non-verbaler Kommunikation in Texten
Der selbstverständliche Ort von non-verbaler Kommunikation ist die Begegnung mit einem Gegenüber. Durch visuelle Wahrnehmung wird eine Gebärde oder der Gesichtsausdruck wahrgenommen. In einem Text sieht man die handelnden Personen natürlich nicht auf diese Art vor sich. Non-verbale Kommunikation muss daher hier explizit erzählt werden, sie muss verbalisiert werden.
Die Verwendung von non-verbaler Kommunikation in Texten ist deswegen besonders bemerkenswert, da hier der Autor oder die Autorin bewusst entscheiden muss, welches Detail erzählt wird, um bestimmte Bedeutungen zu erzeugen und ein bestimmtes Verständnis bei der Leserschaft zu erlangen. „As a result it is unlikely that unintentional actions or unconscious gestures will appear in the story unless they add somewhat to the scene“ (Matthews, 19). Wenn also in Texten zusätzlich neben oder statt wörtlicher Rede gerade auch die non-verbale Handlung geschildert oder erwähnt wird, geschieht das nicht zufällig, sondern sie trägt eine besondere Bedeutung. Das heißt für Erzähltexte daher umso mehr, dass die „erzählten“ non-verbalen Elemente bei der Schilderung einer Begegnung zwischen zwei Menschen äußerst bedeutsam sind (vgl. die unten aufgeführten Beispiele). Sie reflektieren z.B. die vermutete innere Verfassung einer Person, oder sie verstärken die Anschaulichkeit einer Szene für die Leserschaft (vgl. Matthews, 19).
Auch kann die Schilderung non-verbaler Kommunikation in Form einer Geste eine direkte Bedeutung für den weiteren Erzählablauf haben. So symbolisiert die Geste „den Schuh ausziehen“ bei einem Vertragsschluss die Einwilligung in den Vertrag. Genau dies wird im Buch Rut aufgegriffen: „Und der Löser sprach zu Boas: Kaufe du es! – und zog seinen Schuh aus“ (Rut 4,8). Hier wird also die Einwilligung des Lösers (→ Löser
2.2. Zum Bedeutungsspektrum von Körperteilen im Alten Testament
Eine Besonderheit des hebräischen Denkens und damit auch des Alten Testaments ist, dass die Nennung eines Körperteils nicht nur den jeweiligen Bereich des Körpers meint, sondern dass sie auch seine Funktion beschreiben kann. Diese Eigenart der hebräischen Sprache und Anthropologie (→ Mensch
So kann das Wort יׇד jād → „Hand
Eine Verbindung der metaphorischen Bedeutung einer Geste als Zeichen der Macht und zugleich einer konkreten Körperteilbetätigung ist in der Erzählung von der Teilung des Meeres erkennbar. Wenn Mose das Meer teilt (Ex 14,21-22
Es finden sich sodann Belege, wo ein Körperteil beziehungsweise eine Körperhandlung ganz auf die funktionale Bedeutung ausgelegt ist. Die Nennung der „Hand“ trägt dann nur noch eine metaphorisch-abstrakte Bedeutung wie z.B. bei der oft belegten Wendung „mit starker Hand und mit ausgerecktem Arm“ (Dtn 4,34
Damit verbunden ist die Beobachtung, dass Gebärden und Körperhandlungen als verbale Beschreibungen von non-verbalen Phänomenen und Handlungen in Form von Redewendungen und festen Formulierungen ihren Weg direkt in die Sprache gefunden haben (vgl. Gruber, 8). So kann z.B. in einem Gebet (→ Gebet / Beten
Die Schöpfungsmacht Gottes wird ebenfalls über die metaphorisch-abstrakte Verwendung von „Hand“ und → „Arm
Anhand der Beispiele zum Körperteil יׇד jād „Hand“ ist also zu erkennen, dass dessen Bedeutung eine große Breite aufweist. Nicht immer sind die Bedeutungsbereiche dabei klar voneinander abzugrenzen. Andreas Wagner hat dieses Phänomen unter dem Begriff „Bedeutungsspektrum“ eingehend beschrieben, der die Bedeutung von Körperteilen im Hebräischen in der „Bandbreite vom Körperlichen über das Gestische bis zum Abstrakt-Funktionalen“ umfasst. Darüber hinaus ist mit Übergangszonen zwischen den Bedeutungsbereichen zu rechnen (Wagner 2007, 264). Ein Körperteil steht damit oft für mehr als nur für sich selbst. Es kann auf das Ganze oder auch auf seine Funktion, Verwendung und Bedeutung in konkreter und abstrakter Form hinweisen. Neben der „Hand“, die ausführlich bedacht wurde, ist auf die Verwendung z.B. von → „Kopf
3. Beispiele zur Verwendung von Gebärden und Mimik im Alten Testament
In diesem Rahmen können nicht alle Beispiele und Belege für die Verwendung von Gebärden und Mimik aufgeführt werden (vgl. dazu im Einzelnen die Artikel → Körper
3.1. Die Verwendung von Gebärden und Mimik in Erzähltexten
Wie bedeutsam die Verwendung von erzählten Gebärden und die Beschreibung von Mimik ist, kann bespielhaft an einzelnen Texten der Jakoberzählungen verdeutlicht werden. Dabei werden zum einen die vielfältigen Funktionen von Gebärden und Mimik erkennbar und zum anderen lässt sich die absichtsvolle Verwendung und Funktion von non-verbaler Kommunikation in Erzähltexten erkennen.
3.1.1. Das Niederwerfen mit dem ganzen Körper
Ein erstes Beispiel für die Funktion von Gebärden in Erzähltexten findet sich im Kontext der Versöhnungsszene zwischen Jakob und Esau. Bei der Wiederbegegnung zwischen den Brüdern nach dem Betrug Jakobs an Esau wirft sich Jakob vor Esau nieder (Gen 33,3
Die Funktion dieser Gebärde des Niederwerfens vor dem Bruder ist für den Erzählverlauf bedeutungsvoll: Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Versöhnungsszene. Denn die Versöhnung wird nicht durch lange Reden herbeigeführt, sondern allein durch bedeutungstragende Gesten und Gebärden. Dabei wird die Gebärde selbst noch gesteigert, indem gesagt wird, dass Jakob sich nicht nur einmal, sondern siebenmal vor Esau niederwirft: „Und er ging vor ihnen her und neigte sich siebenmal zur Erde, bis er zu seinem Bruder kam“ (Gen 33,3).
Auch die Reaktion Esaus wird mit Hilfe von Gesten und Gebärden beschrieben: „Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten“ (Gen 33,4). Auf eindrucksvolle Art und Weise wird so das Ergebnis der Versöhnung allein durch Gebärden erzählerisch geschildert. Das für den weiteren Erzählverlauf Entscheidende geschieht „unausgesprochen“, nur auf non-verbaler Kommunikationsebene. Und der Erzähler versteht es, diese „Sprach-Handlung“ so zu erzählen, dass sie sichtbar wird.
Ähnliche Szenen, die das Verb „niederwerfen“ im Sinne einer Gebärde der Verehrung und → Demut
Das Verhältnis von Knecht und Herr wird sodann in der Szene zwischen → David
Und schließlich sei eine Szene erwähnt, die ähnlich wie bei Jakob und Esau eine Versöhnung nach einem lange währenden Streit (vgl. den Kontext in 2Sam 14) ohne Worte nur durch eine stumme Handlung beschreibt: „Und Joab ging hinein zum König und sagte es ihm an. Und er rief Absalom, dass er hinein zum König kam; und er fiel nieder vor dem König auf sein Antlitz zur Erde, und der König küsste Absalom“ (2Sam 14,33).
Gemeinsam ist diesen und weiteren Szenen, dass die Gebärde des Niederwerfens Untergebenheit und Demut ausdrückt. Sie zeigen, „daß Menschen sich in ganz verschiedenen Situationen einem anderen gegenüber zu Füßen warfen, daß dies aber stets sicherbarer Ausdruck ihrer Unterwerfung unter einen Höhergestellten war, dessen hohen Rang sie dadurch unterstrichen, daß sie sich selbst kleiner machten, als sie tatsächlich waren“ (Weippert / Weippert, 469). Gerade der letzte Aspekt lässt sich durch die konkrete Körperhandlung viel besser ausdrücken als mit Worten. Und hier zeigt sich die Wichtigkeit non-verbaler Kommunikation durch Gebärden, weil diese andere oder stärkere Bedeutung übernehmen können als es die verbalisierte Sprache könnte. Manchmal sagen Gestik und Mimik eben mehr als Worte.
3.1.2. Der Kuss im Kontext von Begrüßung, Versöhnung und Verrat
Eine weitere bedeutungsvolle non-verbale Handlung ist die Gebärde des Kusses. Häufig kommt der → Kuss
Zunächst kommt der Kuss im Rahmen der Begrüßungsszene zwischen Jakob und → Rahel
Noch größere emotionale Bedeutung erhält der Kuss im Kontext der wortlosen Versöhnungsszene zwischen Jakob und Esau (vgl. dazu oben): „Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten“ (Gen 33,4). Auch die Szene der Versöhnung zwischen Josef und seinen Brüdern ist emotional durch die Körperhandlungen „küssen“, „weinen“ und „einander umarmen“ gestaltet (Gen 45,14-15
Schließlich kann die Gebärde des Kusses aber auch bewusst zur Täuschung missbraucht werden. So dient der Kuss als non-verbale Gebärde, die besondere Nähe und Vertrautheit suggeriert, wenn → Isaak
An diesen Beispielen wird deutlich: Die Gebärde „Kuss“ steht für die persönliche und enge Verbundenheit zwischen zwei Menschen (dabei muss die Beziehung längst nicht immer erotische Hintergründe haben). Gleichwohl dient aber gerade auch der Kuss zur Täuschung im Kontext einer falschen, einer trügerischen Verbundenheit. Als wohl emotional-intimste non-verbale Handlung ist der Kuss gerade deshalb besonders für Missverständnisse und inszenierte Intrigen anfällig (ähnlich problematisch konnotiert ist auch der sogenannte Judas-Kuss, wenn → Judas
3.1.3. Der metaphorische Gebrauch von Gebärden am Beispiel einer Todesnotiz
Der metaphorische Gebrauch von Gebärden wird zum Beispiel in der Schilderung des Todes Jakobs erkennbar: „Und als Jakob dies Gebot an seine Söhne vollendet hatte, tat er seine Füße zusammen auf dem Bett und verschied und wurde versammelt zu seinen Vätern“ (Gen 49,33). Mit der bildhaften Formulierung „die Füße zusammenlegen“ wird der → Tod
3.1.4. Das Angesicht als Abbild der Gefühle
Neben den Gebärden spielt insbesondere auch der Ausdruck des Gesichtes eine besondere Rolle in Erzähltexten. Dabei ist zu beachten, dass die Mimik eines Menschen meist noch schwieriger als andere non-verbale Handlungen mit Worten wiederzugeben ist. Gleichwohl wird die Mimik in Erzählungen eingebunden (vgl. dazu oben).
So wird die erfolgreiche Versöhnung zwischen den verfeindeten Brüdern durch die Beschreibung der Mimik Esaus ergänzt. Jakob kann das Wohlwollen Esaus in dessen Gesicht (→ Angesicht
Ein anderer Ausdruck des Gesichtes wird dagegen in der Begegnung mit Laban bedeutsam. Dort zeigt das Angesicht Labans deutlich die Ablehnung gegenüber Jakob: „Und Jakob sah an das Angesicht Labans, und siehe, er war zu ihm nicht mehr wie zuvor“ (Gen 31,2; vgl. Gen 31,5
Anhand dieser Textstellen wird erkennbar: Die Miene, das Angesicht, bietet Informationen darüber, ob jemand Feind oder Freund ist. Das Angesicht ist somit eine Art „Stimmungsmarker“. Es hat eine grundlegende Funktion im Kontext non-verbaler Kommunikation: „Das Angesicht ist einem Gegenüber zugewandt und tritt in Beziehung zu ihm. Das abgewandte Gesicht hingegen bedeutet den Abbruch der Beziehung“ (Frevel, 298). Dies kann in positiver wie in negativer Hinsicht von Menschen ausgesagt werden (vgl. 1Kön 21,4
Das Angesicht ist der Spiegel der → Seele
3.2. Gebärden im Kontext von Gebet
Gebärden und Gesten haben sodann im Kontext von Gebet eine besondere Funktion (vgl. u.a. die Artikel → Gebet / Beten
Auch die verwendeten Gesten, Gebärden und Körperhaltungen beim Gebet selbst sind vielfältig. Neben der Geste der leeren Hände, mit dem der Betende vor der Gottheit erscheint, finden sich für das Beten zahlreiche weitere Körperhandlungen. Grundlegende Beobachtungen haben Helga und Manfred Weippert zusammengestellt: „Gesten und Körperhaltungen begleiten in allen Religionen das gesprochene, gesungene oder auch stille Gebet. Sie verdeutlichen das Verhältnis zwischen Angebeteten und Betenden, sie markieren Anfang und Ende sowie Einschnitte im Gespräch mit der Gottheit, und sie kehren das Innere der Betenden nach außen, indem sie die dem Gebetstext folgenden Gemütsverfassungen sichtbar machen. Stehend, sitzend, kniend oder auch liegend kann man beten. Eine liturgisch vorgegebene Abfolge kann bestimmen, wann und wie oft Kniebeugen zu machen, Köpfe zu senken, bestimmte Armbewegungen, Verbeugungen oder Niederwerfungen durchzuführen sind“ (Weippert / Weippert, 436).
Auch bei Gebetsgesten zeigt sich, dass die Handlungen nicht an sich eindeutig sind, sondern dass der Kontext, in dem sie vollzogen werden, zum Verstehen der non-verbalen Handlung nötig ist. So kann beispielsweise das Erheben oder Ausstrecken der Hände in Verbindung mit Gebet (1Kön 8,22
Das Erheben der Hände oder auch der Handflächen (נׇשׇׇׂא יׇד nāśā’ jād / נׇשׇׂא כַּף nāśā’ kaf) zum Gebet kommt im Alten Testament häufig vor (vgl. z.B. Ps 28,2
Die Geste der erhobenen Hände steht für die Vorstellung, dass die Gottheit „oben“ im Himmel (→ Welt / Weltbild
Die leeren, ausgestreckten Hände beim Gebet wie auch das Niederwerfen vor der Gottheit (vgl. das Niederwerfen vor einer höherstehenden Person, dazu oben) symbolisieren das Angewiesensein des betenden Menschen auf die Gottheit. So gehen auch diese Gesten des Handerhebens und des sich Niederwerfens in den allgemein sprachlichen Gebrauch ein, die dann unter Verweis auf ihre funktionale und metaphorisch-symbolische Bedeutung mehr aussagen als die Beschreibung der reinen Körperhandlung. Die äußerlichen non-verbalen Gebärden sind längst zu verbalisierten Wendungen geworden, die eine inhaltliche religiöse Haltung ausdrücken.
Literaturverzeichnis
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