Geburt (AT)
(erstellt: August 2008)
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→ Geburtsankündigung
1. Definition von Geburt
Laut dem Klinischen Wörterbuch Pschyrembel bezeichnet „Geburt“ den „Vorgang der Ausstoßung der Frucht aus dem Mutterleib unter Wehentätigkeit; i.d.R. gehen dem eigentlichen Geburtsbeginn (regelmäßige Wehen alle 10 Minuten; Fruchtblase gesprungen, sog. Zeichnen, d.h. Ausstoßung des Zervixschleimpfropfs) Geburtsanzeichen (Stellwehen, die sog. Zervixreifung) voraus. … Nach dem Blasensprung beginnt die Austreibungsperiode … Anschließend erfolgt die Nachgeburtsperiode (währenddessen Abnabelung des Kindes), nach deren Beendigung die Entbundene als Wöchnerin bezeichnet wird.“
2. Terminologie
Das häufigste Verb in der Hebräischen Bibel für „gebären“ ist jld; davon abgeleitet ist das Nomen ledāh „Geburt“ (mit vier Belegen). Das Verb chjl wird in der exegetischen Literatur mehrfach im Sinn von „kreißen“, das Nomen chîl mit „Geburtsschmerz“ wiedergegeben. „Kreißen“ gehört etymologisch zu „kreischen“, nach Baumann (899) meint chjl jedoch nicht in erster Linie das Schreien der Gebärenden, sondern ist der zusammenfassende Ausdruck für den Zustand zwischen dem Einsetzen der Geburtswehen und der Geburt selbst; nach Preuss (457f.) wird mit chjl das Verhalten der schwangeren Frau, die dem Gebären nahe ist, benannt. Die Wehen werden vor allem mit dem Nomen chǎvālîm, aber auch mit ṣîrîm bezeichnet.
3. Der Ablauf der Geburt
In Bezug auf Geburten beim Menschen sind 1Sam 4,19f
Aus Ez 16,4
Ex 1,16
Es scheint im Alten Israel Frauen gegeben zu haben, die in Sachen Geburtshilfe besonders bewandert waren bzw. als besonders bewandert galten: In drei Texten wird eine solche Frau als məjallædæt bezeichnet (Ex 1,15-21
Laut dem priesterlichen Text Lev 12,1-8
Die Namensgebung des Kindes konnte unmittelbar im Zusammenhang mit der Geburt durch die Mutter erfolgen: Die an der Geburt sterbende Rachel nennt ihren Sohn Ben Oni („Sohn meiner Lebenskraft“, Gen 35,18
4. Risiken bei der Geburt
Recht selten ist die Rede von Komplikationen bei einer Geburt. Verwiesen wird auf die Erfahrung, dass Wehen während des Vorgangs der Geburt plötzlich aussetzen können (2Kön 19,3
Nur dreimal ist in der Hebräischen Bibel das Nomen nefæl (wohl von dem Verb nfl, „fallen“) bezeugt (Ps 58,9
Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang noch auf die Klage einer Gebärenden, die in Ninive in der Bibliothek → Assurbanipals
5. Anthropologische und theologische Bedeutungshorizonte
1) Unter Schmerzen gebären. Die erste Stelle in der Hebräischen Bibel, an der Gebären erwähnt wird, ist der sog. Strafspruch für die Frau im Garten Eden Gen 3,16
2) Unfruchtbarkeit. Wie viele Erzählungen in der Hebräischen Bibel (z.B. über die Erzeltern, Ruth, Hannah) zeigen, bedeutete Unfruchtbarkeit für eine Frau eine schwere psychische Belastung, zudem konnte Unfruchtbarkeit mit familiärer Diskriminierung einhergehen (→ Schwangerschaft
Israel erzählt seine Anfänge als Familiengeschichte. In den Erzelterngeschichten spielen die Motive von Unfruchtbarkeit und von schließlich durch JHWH verheißener und ermöglichter Schwangerschaft und Geburt eine zentrale Rolle (→ Geburtsankündigung
3) Wehen als Metapher. Wehen werden im Alten Testament nur in einem Erzähltext explizit auf eine Frau bezogen (1Sam 4,19
4) Geburt von Göttern. Überliefert sind viele Geburtserzählungen von altorientalischen Göttern. Nicht so von JHWH: Zum unverwechselbaren Profil des Gottes Israels gehört es, dass er keine Geburtsgeschichte hat bzw. in der Hebräischen Bibel nicht als „geboren“ bezeichnet wird. Doch werden in der Gottesrede gelegentlich Metaphern rund um Schwangerschaft und Geburt verwendet:
5) JHWH als gebärender Gott. In Ps 90,2
6) JHWH als Hebamme. In altorientalischen Texten finden sich mehrere Belege dafür, dass männliche und weibliche Gottheiten explizit als Hebammen bezeichnet werden; zum Teil wird deren Hebammendienst ausführlich beschrieben. JHWH wird in der Hebräischen Bibel nicht Hebamme genannt, aber an einigen Stellen werden JHWH metaphorisch Hebammentätigkeiten zugeschrieben (z.B. Ps 22,10f
Literaturverzeichnis
- Baumann, A., 1977, Art. חיל u.a., ThWAT II, 898-902
- Dieckmann, D., 2006, „Viel vervielfachen werde ich deine Mühsal – und deine Schwangerschaft. Mit Mühe wirst du Kinder gebären“. Die Ambivalenz des Gebärens nach Gen 3,16, in: D. Dieckmann / D. Erbele-Küster (Hgg.), „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen“. Beiträge zur Geburt im Alten Testament (BThSt 75), Neukirchen-Vluyn, 12-38
- Fischer, I., 1997, Mütter und Kinder im Alten Testament, Welt und Umwelt der Bibel 6/4, 5-9
- Grohmann, M., 2006, „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen“. Geburt in Psalm 22, in: D. Dieckmann / D. Erbele-Küster (Hgg.), „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen“. Beiträge zur Geburt im Alten Testament (BThSt 75), Neukirchen-Vluyn, 73-97
- Grohmann, M., 2007, Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen (FAT 53), Tübingen
- Grund, A., 2006, Der gebärende Gott. Zur Geburtsmetaphorik in Israels Gottesrede, in: H.M. Niemann / M. Augustin (Hgg.), Stimulations from Leiden. Collected Communications to the XVIIIth Congress of the International Organization for the Study of the Old Testament, Leiden 2004 (BEAT 54), Frankfurt a.M. u.a., 305-318
- Grund, A., 2006, „Aus Gott geboren“. Zu Geburt und Identität in der Bildsprache der Psalmen, in: D. Dieckmann / D. Erbele-Küster (Hgg.), „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen“. Beiträge zur Geburt im Alten Testament (BThSt 75), Neukirchen-Vluyn, 99-120
- Keel, O., 2008, Gott weiblich. Eine verborgene Seite des biblischen Gottes, Gütersloh
- Philip, T.S., 2006, Menstruation and Childbirth in the Bible. Fertility and Impurity (SBL 88), New York u.a.
- Preuss, J., 1992, Biblisch-Talmudische Medizin. Beiträge zur Geschichte der Heilkunde und der Kultur, Wiesbaden [1911]
- Stol, M., 2000, Birth in Babylonia and the Bible. Its mediterranean setting (Cuneiform monographs 14), Groningen
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