Geschichte / Geschichtsschreibung (AT)
(erstellt: November 2006)
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1. Begriffserklärungen
1.1. „Geschichte“, „historia“ und hebräische Äquivalente
Das Wort Geschichte (althochdeutsch gisciht, mittelhochdeutsch geschiht) bezeichnet zunächst ein Geschehen, seit dem 15. Jh. auch eine Erzählung und einen Bericht über Geschehenes. Im 17./18. Jh. erfährt es eine philosophische Vertiefung und wird nun auch für Geschichtswissenschaft gebraucht. Die im Englischen und Französischen übliche Bezeichnung history bzw. histoire geht auf das griechische und lateinische Wort historia zurück, das eine durch Augenzeugen vermittelte Nachricht meint („Bezeugtes“), dann auch den Bericht über eine Erforschung, Geschichtsschreibung oder das geschilderte Geschehen selbst.
Das biblische Hebräisch hat keinen eigenen Begriff für Geschichte. Das Phänomen wird hier u.a. mit den Worten dābar (Pl.dəbārîm) „Sache / Wort / Begebenheit“, po‘al und ma‘ǎśæh „Werk“, tôledôt „Geschlechter / Generationen“, dærækh „Weg / Wandel“, miqræh „Schicksal“, qædæm „Urzeit / Vorzeit“, ‘et „Zeit / Zeitpunkt“, ‘ôlām „fernste Zeit / Ewigkeit“ oder zikkārôn „Erinnerung“ umschrieben bzw. erläutert.
1.2. Geschichtsbewusstsein, Geschichtsverständnis, Geschichtsschreibung
Sachlicher Rahmen für die Rede von der Geschichte ist die Gliederung der → Zeit
Die gedeutete Erfahrung von geschichtlicher Kontinuität und Diskontinuität schlägt sich nieder als Geschichtsbewusstsein, das sich auch als Empfänglichkeit für ein vergangenes Geschehen als einem Teil der eigenen individuellen oder kollektiven Identität mit dem Blick auf eine erwartete Zukunft beschreiben lässt. Abhängig davon, wie, in welchem Umfang und mit welchem Ziel vergangenes Geschehen erinnert und in ein Verhältnis zur Gegenwart und Zukunft gesetzt wird, unterscheidet sich das Maß an Geschichtsbewusstsein. Die Vorstellungen, die einzelne oder eine Gruppe von einem sie betreffenden vergangenen Geschehen haben, die Vernetzung der in einem vergangenen Geschehen entdeckten Ursachen („Kausalketten“) und die Deutungen, die diesem Geschehen in Wort, Bild oder Schrift gegeben werden, können als Geschichtsverständnis einzelner oder einer Gruppe bezeichnet werden.
Wesentliche Funktion des Erinnerns an vergangenes Geschehen und der damit verbundenen Konstruktion von Geschichte sind die Erschließung von existentiellem Sinn sowie die Stiftung und die Bewahrung von Identität. Hinzu treten Aspekte der Legitimation, insofern Geschichte und Geschichten einen tatsächlich erreichten oder angestrebten Status rechtfertigen sollen, und Momente der Gegenwartsbewältigung, insofern in der Vergangenheit Modelle für gegenwärtiges Handeln gesehen oder solche in eine paradigmatische, normgebende Vergangenheit („goldene Zeit“) projiziert werden.
Medien und Räume von Geschichte sind dementsprechend sämtliche Äusserungen und Artefakte einer Gesellschaft oder eines Individuums, die einer Identität und Kontinuität vermittelnden, sinnstiftenden Zusammenschau vergangener Ereignisse dienen. Dazu gehören Bildprogramme ebenso wie mündliche Überlieferungen, Bauwerke ebenso wie Texte, begehbare Erinnerungsräume ebenso wie Textlandschaften. Dabei ist zu beachten, dass jegliche Form geschichtlichen Erinnerns und Darstellens ausschnitthaft, deutend und tendenziell ist und immer auch fiktive Momente enthält.
Orte geschichtlichen Erinnerns sind im Blick auf die Welt und Umwelt des antiken Israel und Juda in unterschiedlichem Umfang und zu unterschiedlichen Zeiten: der Kult und die Heiligtümer, der Königshof und die Schreiberschule, weisheitliche Kreise und die Familie. Die öffentlich gepflegten und artikulierten Erinnerungen von Geschichte – und allein diese haben in Gestalten von Texten und Steinen überlebt – sind durchwegs Erzeugnisse der jeweiligen Eliten.
Hinsichtlich der schriftlichen Fixierung und Auseinandersetzung mit geschichtlichen Ereignissen empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen Historiographie („Geschichtsschreibung im weiteren Sinn“) als Oberbegriff für Texte mit geschichtlichem Inhalt, wie z.B. Annalen, Chroniken oder Herrscherlisten, und eigentlicher Geschichtsschreibung als Sammelbegriff für Texte mit 1) einem gewissen Umfang, 2) einem bestimmten literarischen Niveau und dem bewussten Einsatz unterschiedlicher Gattungen (Erzählungen, Reden, Exkurse, Reflexionen), 3) einem narrativen Spannungsbogen, bei dem eine Handlungsführung und die Gleichzeitigkeit von Handlungsebenen deutlich werden, 4) einer Korrelation von Ursache und Wirkung und 5) einer erkennbaren Differenzierung von Tradition und Redaktion (Cancik, 1976, 7ff.).
1.3. Das Alte Testament als Geschichtsbuch
Ein Wesenszug des Alten Testaments ist das hohe Maß an literarischer Reflexion von Geschichte. In seiner Endgestalt erscheint es über weite Strecken als ein „Geschichtsbuch“ (von Rad, 1952, bei Blum, 2005, 1), in dessen Zentrum die in unterschiedlichen literarischen Gattungen thematisierte Geschichte Israels und Judas als Geschichte des Volkes Jahwes steht. Dabei ist die im Wesentlichen einem linearen Zeitverständnis verpflichtete und auf ein Ziel hin orientierte (teleologische) Darstellung der Geschichte Israels und Judas erzählerisch eingebunden in die Beschreibung der Erschaffung der Welt und des Menschen („Urgeschichte / Urzeit“) und den Ausblick auf ein zukünftiges Gericht an den mit Israel und Juda im Laufe seiner Geschichte verbundenen Völkern, das sich zum endzeitlichen Weltgericht ausweitet (→ Gericht Gottes
Die alttestamentliche Geschichtsschreibung, die durchgehend als anonym überlieferte aktualisierende Traditions- und Fortschreibungsliteratur (→ Redaktoren
Geistes- und literaturgeschichtlich ist die alttestamentliche Geschichtsschreibung trotz ihrer literarischen Vielfalt, ihrer einzigartigen theologischen Durchdringung des behandelten Stoffes und ihrer besonderen Rezeptionsgeschichte im Judentum, Christentum und Islam im Kontext der Historiographie und Geschichtsschreibung des Alten Vorderen Orients, Kleinasiens und Griechenlands zu betrachten (Van Seters, 1983).
2. Geschichte und Geschichtsschreibung im Alten Vorderen Orient und bei den Griechen
2.1. Sumerische, babylonische und assyrische Geschichtsschreibung
Im mesopotamischen Bereich begegnet die literarische Reflexion von Geschichte bereits seit dem 3. Jt. v. Chr. in unterschiedlichen Gattungen. So finden sich historiographische Tendenzen und Intentionen
1) in Mythen und Epen, in denen gegenwärtige menschliche Lebensverhältnisse als Folge in der Urzeit verorteter Taten von Göttern und Menschen erklärt werden (→ Ätiologie
2) in Königsinschriften und Annalen, in denen Herrscher ihre außen- und innenpolitischen Taten (militärische Aktionen; Baumaßnahmen u.a.) vor den Göttern legitimieren („religiöse Rechenschafts- / Selbstberichte“, [teilweise übersetzt in TUAT I, 354-410; TUAT Erg.Lfg., 11-20; TUAT NF 2, 9-26; 45-88]),
3) in chronographischen Texten; dazu gehören
a) Königslisten (z.B. die Sumerische Königsliste [übersetzt in TUAT I, 328-337], die Assyrische Königsliste [übersetzt in TUAT NF 2, 27-29]),
b) Eponymenlisten („Jahresnamengeberlisten“) (übersetzt in TUAT NF 2, 31-34) und
c) Chroniken (z.B. die babylonische „Weidner-Chronik“ [übersetzt in The Context of Scripture I, 467f.], die proassyrische „Synchronistische Geschichte“ [übersetzt in TUAT NF 2, 42-45], neubabylonische Königschroniken [teilweise übersetzt in TUAT I, 401-404; TUAT NF 2, 35-41]),
4) in Prologen zu Rechtssammlungen (teilweise übersetzt in TUAT I, 23f.; 40-44),
5) in pseudo-autobiographischen Texten, die historische Ereignisse auf einem gehobenen literarischen Niveau mit einer moralisierenden Tendenz erzählen (z.B. die Sargon-Legende [teilweise übersetzt in TUAT Erg.Lfg., 55-60]) und
6) in Omen- und Orakeltexten, mittels derer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft magisch gedeutet und beeinflusst werden sollen (teilweise übersetzt in TUAT II).
Kennzeichnend für alle genannten Textgruppen ist die Vorstellung, dass Geschichte in einem Wechselverhältnis von Ursache und Wirkung steht und dass das Handeln des Menschen, sei es eines einzelnen, sei es einer Gruppe, und dessen Schicksal eng zusammenhängen (→ „Tun-Ergehen-Zusammenhang
Für die historische Rekonstruktion der → Geschichte Israels und Judas
2.2. Altarabische und persische Geschichtsschreibung
Geschichtsschreibung im altsüd- und nordarabischen sowie im persisch-iranischen Bereich beschränkt sich, soweit bisher nachweisbar, auf Königsinschriften mit historischem Inhalt; vgl. einerseits den Tatenbericht des sabäischen Königs Karib’il Water (685 v. Chr. ?, übersetzt in TUAT I, 651-658) und den Tatenbericht eines sabäischen Mukarrib (übersetzt in TUAT NF 2, 332-335), andererseits die elamischen Königsinschriften (teilweise übersetzt in TUAT NF 2, 287-29) und die Inschriften der → Achämeniden
Von den im Alten Testament und bei griechischen Autoren erwähnten persischen Hofchroniken (vgl. Esr 4,15
2.3. Ägyptische Geschichtsschreibung
Das Geschichtsbild im alten Ägypten ist wesentlich durch ein zyklisches Zeitverständnis geprägt, d.h. Zeit wird grundsätzlich als wiederholbar gedacht. Die Gegenwart wird weniger durch einen Rückgriff auf die Vergangenheit bewältigt als durch einen an Schöpfung und Neuschöpfung orientierten Kult. Darstellung von Geschichte ist zumeist zeitgeschichtlich orientiert. Grundlegende Merkmale der ägyptischen Historiographie sind die Vorstellung einer in den Kosmos eingesenkten gerechten Weltordnung (ägypt. Ma’at; → Maat
Bereits seit dem Alten Reich (ca. 2700-2200 v. Chr.) begegnen (wie in Mesopotamien) schriftlich fixierte geschichtliche Erinnerungen in legitimierenden Königsinschriften als königliche Denkmäler für die Götter und in Königsannalen (teilweise übersetzt in TUAT NF 2, 187-196).
Ab dem Mittleren Reich (2040-1660 v. Chr.) finden sich Geschichtserzählungen (z.B. die Erzählung von der Eroberung von Joppe [übersetzt in TUAT Erg.Lfg., 2001, 143-146), Königsnovellen (u.a. von Sesostris I. [1971-1927 v. Chr., übersetzt in Lichtheim, I, 115-118]) und Königsinschriften, die sich auf einmalige und als einzigartig gekennzeichnete Handlungen in der Vergangenheit beziehen.
Seit dem Neuen Reich (1527-1070 v. Chr.; → Neues Reich
Ein frühes Beispiel für historiographische Texte der Spätzeit (715-332 v. Chr.) bietet die Siegesstele des Pije (740-713 v. Chr., übersetzt in TUAT I, 557-587). Unter dem Einfluss griechisch-hellenistischer Geschichtsschreibung steht die Darstellung der ägyptischen Geschichte von der mythischen Frühzeit bis zur 30. Dynastie (= 343 v. Chr.) durch → Manetho
Im Blick auf die → Geschichte Israels
2.4. Hethitische Geschichtsschreibung
In Königsannalen, historischen Prologen zu Vasallenverträgen und Gebeten der → Hethiter
Besonders hervorzuheben sind neben den historischen Einleitungen von Staatsverträgen mit dem Hethiterreich (teilweise übersetzt in TUAT I, 131-153; TUAT NF 2, 95-138) die → Annalen
2.5. Griechische Geschichtsschreibung
Mit den Werken des Hekataios von Milet (um 560-480 v. Chr.), Herodots von Halikarnassos (um 484-430 v. Chr.), des Thukydides von Athen (um 460-400 v. Chr.) und Xenophons (um 430-355 v. Chr.) findet sich eine neue Form von Geschichtsschreibung: Der namentlich genannte Autor setzt sich ausdrücklich in ein kritisch-distanziertes Verhältnis zu der von ihm behandelten Überlieferung und zu seinen Vorläufern, erhebt den Anspruch auf historische Wahrheit (griech. alēthés) des von ihm Dargestellten, entwickelt ein Plausibilitätskriterium, befragt die geschilderten Ereignisfolgen auf die diesen innewohnenden Kausalitäten und reflektiert die hinter geschichtlichen Prozessen stehenden menschlichen Handlungen (zu dieser Theorie vgl. bereits Aristoteles, Poetik 9, 4f; 23, 24f.). Die mythische Vorzeit wird aus der eigenen vor allem als Zeitgeschichtsschreibung verstandenen Darstellung ausgeblendet (so bei Herodot, Thukydides, Xenophon) oder genealogisch systematisiert (so bei den „Logographen“ des 6./5. Jh. v. Chr. Hekataios v. Milet, Arkusialos v. Argos, Pherekydes v. Athen oder Hellanikos v. Mytilene). Gleichwohl wird mit dem Eingreifen der Götter oder des Schicksals in geschichtliche Abläufe gerechnet. Charakteristisch für diese in Prosa abgefassten Geschichtswerke sind die jeweiligen Prologe, in denen die Autoren Wesen, Form und Absicht ihrer Darstellung vorstellen. Zentrale Bedeutung kommt der eigenen Erforschung durch Sehen und Befragen, der Rationalisierung und Systematisierung der Überlieferung sowie dem Nachzeichnen eines geschichtlichen Prozesses zu. Wissenschaftsgeschichtlich stiegen diese Werke bereits in der Antike zu einem Muster von Geschichtsschreibung auf, so dass Herodot seit Cicero (106-43 v. Chr.) als „Vater der Geschichtsschreibung“ bezeichnet werden kann und das „ionische Paradigma“ (Blum, 2005, 68) bis heute als Maßstab von Geschichtsschreibung überhaupt Verwendung findet (Thompson, 1992, 206).
Dabei haben auch die griechischen Geschichtswerke, von denen vermutlich über tausend existiert haben (Lendle, 1992, 1), literarische Vorläufer. Zu diesen zählen in unterschiedlichem Maß
1) das archaische Epos des 8./7. Jh. v. Chr., das sich einerseits in den homerischen Heldengesängen der Ilias (vgl. Ilias 2,484-493) und der Odyssee, andererseits in den Dichtungen Hesiods (vgl. die „Theogonie“ und „Werke und Tage“) niedergeschlagen hat,
2) die topographisch und ethnographisch ausgerichteten Reiseberichte („Erdkunden“ / „Periploi“) des 7./6. Jh. v. Chr.,
3) einzelne Tragödien, die Zeitgeschichte verdichten, wie „Der Fall Milets“ des Phrynichos (492 v. Chr.) oder die „Perser“ des Aischylos (472 v. Chr.), und
4) Städtechroniken. Kennzeichnend für die verschiedenen Formen der älteren griechischen Historiographie ist, dass sie einem nichthöfischen Milieu entstammen und ihren Ursprung in der Reflexion vergangener Ereignisse bei lokalen Eliten besitzen.
Den kritischen, zeitgeschichtlich orientierten und hochreflektierten Werken Herodots, Thukydides’ und Xenophons, die eine Fortsetzung im Werk des Polybios v. Megalopolis (um 200-120 v. Chr.) findet, steht im Zeitalter des Hellenismus (ca. 330-30 v. Chr.) eine Vielfalt von Geschichtswerken zur Seite, die entweder ein verstärktes Interesse an Mythologie / Mythographie oder an der Person → Alexanders des Grossen
2.6. Syrisch-palästinische Geschichtsschreibung
Außeralttestamentliche Texte mit historischem Inhalt aus Syrien-Palästina beschränken sich auf vergleichsweise nur sehr wenige (Königs-)Inschriften. Die wichtigsten sind die noch in die Zeit um 1500 v. Chr. zu datierende akkadisch abgefasste „Autobiographie“ des Königs Idrimi v. Alalah (übersetzt in TUAT I, 501-504), die aus der Mitte des 9. Jh.s v. Chr. stammende Dibon-Stele, in welcher der moabitische König → Mescha
Das wesentliche Erbe der syrisch-palästinischen Historiographie stellt die Geschichtsschreibung im Alten Testament dar. Diese lässt sich zweifach klassifizieren:
a) formal in (weitgehend) narrativ gestaltete Geschichtsdarstellungen und (überwiegend) poetisch gefasste Geschichtsreflexionen und
b) inhaltlich in mythisch geprägte und zeitgeschichtlich orientierte Geschichtswerke.
3. Geschichtsschreibung im Alten Testament
3.1. Narrative Geschichtsdarstellungen im Alten Testament
3.1.1. Die Anfänge der Geschichtsschreibung im Alten Testament
Die Anfänge der Geschichtsschreibung im antiken Israel und Juda liegen in der frühen Königszeit (10./9. Jh. v. Chr.) in der Anfertigung von Annalen (vgl. 1Kön 14,19
Bekenntnistexte, wie z.B. das „kleine geschichtliche Credo“ in Dtn 26
Von der älteren Forschung vertretene Frühdatierungen großer Geschichtswerke, wie z.B. das mythisch geprägte „Jahwistische Werk / Jahwist“ (→ Jahwist
Die „Erzählung von der Thronnachfolge Davids“ (→ Thronfolgeerzählung
3.1.2. Geschichtswerke im Alten Testament
Den eigentlichen Impuls für die Abfassung umfangreicherer Geschichtswerke, die einerseits mythisch die Anfänge Israels (vgl. die Bücher Gen, Ex, Num, Jos), andererseits zeitgeschichtlich-politisch ausgerichtet die Geschichte des Königtums (→ Samuelbücher
Die eigentlichen in das Alte Testament integrierten Geschichtswerke bilden
1) das → deuteronomistische Geschichtswerk
2) das → chronistische Geschichtswerk
3) die → Priesterschrift
Sie alle stammen, unbeschadet der Tatsache, dass zum Teil umfangreiche ältere Quellen verarbeitet wurden, in ihrer Endgestalt aus der frühen bzw. mittleren Perserzeit (539-332 v. Chr.), setzen also den Untergang Judas 587 v. Chr. voraus, wobei in der Forschung für Vorstufen des deuteronomistischen Geschichtswerks mitunter auch noch die ausgehende judäische Königszeit und für die Grundschicht der Priesterschrift die Zeit des Babylonischen Exils (587-539/529 v. Chr.) als Entstehungshintergrund angenommen werden. Die drei genannten Werke verbindet, dass sie die dargestellten Zeiträume von der Schöpfung bis zur Einsetzung des Kultes am Sinai (so die Priesterschrift) bzw. von der Einwanderung in das Heilige Land bis zum Untergang Jerusalems und zur Begnadigung → Jojachins
Die Darstellung der Priesterschrift lässt sich aufgrund ihres auf die Urgeschichte bzw. die Vor- und Frühgeschichte Israels bezogenen Erzählraums („von der Schöpfung über die Erzväter zu Mose“) und ihrer erzählerischen Konzentration auf die von Gott in der Ur- und Frühgeschichte eingesetzten, auf das gegenwärtige Gottesvolk zielenden Lebensordnungen als mythische Geschichtsdarstellung ansprechen. Ihr Geschichtsbild ist bestimmt von der Vorstellung der bleibenden, realisierten Gottesherrschaft (→ Theokratie
Im deuteronomistischen und chronistischen Geschichtswerk herrscht das Interesse an theologisch gedeuteter Zeitgeschichte vor. Dabei steht das chronistische Geschichtswerk in seinen Hauptbestandteilen der → Chronikbücher
Im Blick auf die reflektierte Darstellung von Zeitgeschichte, die bewusst (echte und fiktive) Quellen zitiert, historische Ereignisse unterschiedlicher Epochen in eine geschichtliche Abfolge bringt, synchronistische Angaben macht, Motive und Strukturen eines Geschichtsprozesses beschreibt und dabei Modelle zur Gegenwartsbewältigung entwirft, stellt das deuteronomistische Geschichtswerk das „älteste Geschichtswerk“ im Alten Testament dar (Van Seters, 1983, 362; Albertz, 2001, 211), und zwar unabhängig von der Bestimmung seiner genauen Entstehungszeit, von der Frage, ob und auf welcher Redaktionsstufe die Bücher Deuteronomium, Josua und Richter dazuzurechnen sind (Gertz / Schmid / Witte, 2006), und der Charakteristik seiner theologischen Tendenz.
3.1.3. Jüdische Geschichtswerke aus hellenistisch-römischer Zeit
In hellenistisch-römischer Zeit treten dem deuteronomistischen und chronistischen Geschichtswerk sowie der Priesterschrift genuin griechisch abgefasste oder nur auf Griechisch erhaltene jüdische Geschichtswerke zur Seite, die die unmittelbare Begegnung von Judentum und Hellenismus widerspiegeln (Wischmeyer, 157ff.). Dazu gehören
1) das deuterokanonische („apokryphe“) → Erste und Zweite Buch der Makkabäer
2) nur fragmentarisch erhaltenen Werke einzelner Historiker wie → Demetrios
3) das umfangreiche Werk des → Josephus Flavius
Von den 144 Büchern der Universalgeschichte des Nikolaus von Damaskus (1. Jh. v. Chr.), dem Hofhistoriographen Herodes I., und von der Darstellung des „Jüdischen Kriegs“ des Justus von Tiberias (1. Jh. n. Chr.) sind nur Fragmente bzw. Zitierungen bei anderen spätantiken Schriftstellern erhalten. Mit dem im Judentum kaum rezipierten Werk des Josephus, das ähnlich wie das deuteronomistische Geschichtswerk ein Reflex auf die Krise von Staat und Tempel darstellt, endet die antike jüdische Geschichtsschreibung. Eine modifizierte Fortsetzung erfährt diese in der neutestamentlichen und frühchristlichen Geschichtsschreibung (Becker, 2005). Gleichwohl besitzen auch die auf die Tora und deren konkreter Auslegung zentrierten frührabbinischen Autoren spezifische Geschichtsbilder und Geschichtstheorien (Janssen, 1971, 124ff.; Schäfer, 1978, 23ff.).
3.2. Geschichtsreflexionen in der Prophetie, der religiösen Poesie und der Weisheit des Alten Testaments
Die Reflexion und Interpretation geschichtlicher Ereignisse und Erfahrungen ist im Alten Testament nicht auf die Darstellung im Pentateuch und in den so genannten Geschichtsbüchern beschränkt, sondern findet sich auch in den prophetischen Büchern, in der religiösen Dichtung und in den Weisheitsschriften.
Im Blick auf die theologische Reflexion geschichtlicher Ereignisse und die Einschreibung geschichtlicher Erfahrungen in einen universalen Geschichtsplan Jahwes dürfte ohnehin die Prophetie des 8.-6. Jh.s v. Chr. (→ Hosea
Im Rahmen der in persisch-hellenistischer Zeit entstehenden → Apokalyptik
Im Bereich der religiösen Poesie des Alten Testaments findet sich die geschichtliche Reflexion vor allem in den so genannten Geschichtspsalmen (→ Psalmen
Die alttestamentliche → Weisheitsliteratur
Während Kohelet (2. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) Geschichte allgemein im Kontext seiner Reflexionen über die Zeit bedenkt und mit seinem eher zyklisch ausgerichteten Zeitverständnis quer zu den anderen alttestamentlichen Schriften liegt, und die Weisheit Salomos (2. Hälfte 1. Jh. v. Chr. / 1. Hälfte 1. Jh. n. Chr.) allegorisierend auf die Pentateuchüberlieferung zurückgreift (Weish 10ff.), bietet Jesus Sirach (190/180 v. Chr.) mit seinem Lob der Väter (Sir 44-50) eine an der antiken Gattung des Enkomiums (Lobrede auf Menschen) ausgerichtete Galerie ausgewählter Einzelgestalten der alttestamentlichen Überlieferung, die in einem Lobpreis auf den Hohenpriester → Simon II.
3.3. Zur Hermeneutik der alttestamentlichen Geschichtsschreibung
Die alttestamentliche Geschichtsschreibung ist entstehungsgeschichtlich ein Krisenphänomen, insofern die Bedrohung oder der Verlust zentraler kollektiver Identitätsmerkmale (Königtum, Tempel, Land) in assyrischer, neubabylonischer und persisch-hellenistischer Zeit die entscheidenden Impulse zur Bildung der verschiedenen in das Alte Testament integrierten Geschichtswerke geben. Aufgrund ihres dezidiert theologischen, in ihrer Endgestalt strikt monotheistischen Charakters, ihres umfassenden räumlichen und zeitlichen Spannungsbogens mit den Hauptfiguren Gott und Gottesvolk und ihrer gegenwartsbezogenen Pragmatik hebt sich die alttestamentliche Geschichtsschreibung von anderen Formen antiker Historiographie ab.
Im Blick auf das Verhältnis zwischen der alttestamentlichen Darstellung und der modernen (Re-)Konstruktion der Geschichte Israels und Judas ist der besondere Charakter der alttestamentlichen Texte als kerygmatisch und paradigmatisch ausgerichteter Traditions- und Fortschreibungsliteratur zu berücksichtigen, die keine einfache Übersetzung in moderne historische Kategorien oder neuzeitliche erkenntnistheoretische Wahrheitskonzeptionen erlaubt. Andererseits wird das radikale Programm, die Ereignis- / Faktengeschichte Israels und Judas ausschließlich auf der Basis nichtbiblischer Quellen und archäologischen Materials zu schreiben und das Alte Testament lediglich mentalitäts- und literaturgeschichtlich zu betrachten (Lemche, 1996, 224; Thompson, 2000), den überlieferungs- und literargeschichtlich sehr komplexen alttestamentlichen Texten nicht gerecht. Den alttestamentlichen Geschichtsdarstellungen sind mittels sorgfältiger literar- und überlieferungsgeschichtlicher Analysen durchaus historische Fakten zu entnehmen. Eine (Re-)Konstruktion der Geschichte Israels und Judas und damit auch der vielfältigen Formen der alttestamentlichen Geschichtsschreibung ist aber nur durch ein Zusammenspiel von archäologischen, epigraphischen, soziologischen, literargeschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und theologischen Analysen möglich. Dabei ist eine sorgfältige Hierarchisierung und Tendenzkritik sämtlicher zur Rekonstruktion herangezogener biblischer und nichtbiblischer Quellen nötig. Auch wenn nach modernen historiographischen Grundsätzen eine Darstellung der Geschichte Israels und Judas des 2. und 1. Jt. v. Chr. unabhängig von den Geschichtsbildern im Alten Testament im Rahmen einer Kulturgeschichte des Alten Vorderen Orients und flankiert von einer alttestamentlichen Zeitgeschichte erfolgen wird, so kann eine Darstellung der → Theologie
Literaturverzeichnis
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