Deutsche Bibelgesellschaft

Gesenius, Wilhelm

(1786-1842)

(erstellt: November 2007)

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Wohl allen Theologinnen und Theologen, die Hebräisch lernen, ist der Name „Gesenius“ seit der Studienzeit ein Begriff, verbindet sich doch damit das meist benutzte hebräisch-deutsche Wörterbuch, mit dem die erste Bekanntschaft zumeist im Hebräischkurs gemacht wird. Der Umstand, dass das Lexikon bis heute durch Neuauflagen auf dem neuesten Stand gehalten wird, weist auf die besondere Qualität des Werkes hin. Unter den Verfassern der neuen Auflagen sind besonders Frants Buhl (17. Auflage 1915), Rudolf Meyer und vor allem Herbert Donner (18. Auflage 1987ff.) zu nennen.

Bei der Arbeitsleistung, die hinter einem solchen Werk steht, verblüfft es, dass Gesenius im Vorwort des ersten Halbbandes seines Handwörterbuches, datiert 1810, angibt, er habe sich „nach vorangegangenen Vorbereitungsarbeiten seit 4 1/2 Jahren den dahin gehörigen Untersuchungen und einigen verwandten fast ausschließlich und mit dem ausgezeichnetsten Interesse gewidmet.“ (Smend 56). Während dieser Zeit war Heinrich Friedrich Wilhelm Gesenius (geb. am 3.2.1786 in Nordhausen, gest. am 23.10.1842 in Halle) Lehrer am Pädagogium in Helmstedt. Nach der Promotion (1806) an der seinerzeitigen Universität Helmstedt über Ovids Fasti wurde er Privatdozent und Repetent in Göttingen, mit einem erheblichen Lehrpensum und mit einem – wie R. Smend (56) mit feiner Ironie formuliert – „unziemlich großen Lehrerfolg“. Ohne Chancen auf ein Fortkommen in Göttingen wurde er wieder Lehrer, in Heiligenstadt, und alsbald 1810 zum außerordentlichen Professor nach Halle berufen; ab 1811 war er dort – nach Ablehnung eines Rufes nach Breslau – Ordinarius. In einer Zeit beruflicher Unsicherheit und Neuorientierung noch die Zeit zu einem derartig umfänglichen Werk gefunden zu haben, erweckt Bewunderung. Gern wird seine Bemerkung zitiert, seine Vorlesungen dienten ihm zur Erholung (Smend 70).

In den großen Umbrüchen in der Theologie und der Exegese am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh.s fällt Gesenius das Verdienst zu, die hebräische Sprache endgültig vom Banne der philologia sacra befreit zu haben. Hebräisch ist eine normale menschliche, näherhin semitische, Sprache, nicht die Heilige Sprache der Heiligen Schrift. Sprachliche Erscheinungen wie homonyme / homographe Wurzeln können mit einem Blick auf andere Sprachen mit reicherem Phoneminventar erklärt und in ihrer richtigen Bedeutung erfasst werden. In Gesenius’ Zeit war dies vor allem das Arabische. Für die Beschreibung der sprachlichen Gestalt des Alten Testaments hat Gesenius drei Formen konstituiert: Das Lexikon, die Grammatik und den Kommentar. Die Grammatik, noch heute in der Bearbeitung von E. Kautzsch nachgedruckt, besticht durch die für damalige Verhältnisse klare und überzeugende Disposition des Stoffes, die sich an den grammatischen Kategorien wie Verb, Konjugation, Stamm, Nomen, Nominalbildung, orientiert und jeglicher sprachphilosophischer und sprachpsychologischer Spekulation abhold ist.

Der Kommentar zum Jesajabuch ist geprägt durch das Motto ultra Lexica sapere, das sich auf ein Wissen über den Stand der Wörterbücher hinaus richtet. Damit ist nicht die weitere Bereicherung des hebräischen Lexikons gemeint, sondern die Beschreibung der Syntax, des Ausdrucks und der Stilistik. Dieses Gebiet ist komparativ aufgefasst und mit vielen Beispielen aus dem Arabischen und Syrischen versehen.

Gesenius tat sich hervor mit Studien zum Samaritanus und den Samaritanern, verfasste das erste Korpus der phönizischen und punischen Schriften und gilt damit als Begründer der nordwestsemitischen Philologie, und er befasste sich erfolgreich mit der Entzifferung des Altsüdarabischen. Sein wissenschaftliches Werk fand seine Würdigung durch die Mitgliedschaft in Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften, zudem durch Rufe nach Göttingen und Oxford, die er ablehnte.

„Als Champollion das erste Licht in die ägyptischen Hieroglyphen brachte, wählte er dessen Schrift zu seinem Studium während der nächsten Herbstferien und deutete noch vor ihrem Ablauf hieroglyphische Inschriften im Dresdener Museum; dann hielt er mit Beginn des Winterhalbjahres über diesen Gegenstand vor seinen gereifteren Schülern ein Privatissimum, in welchem er frei sprechend und frei an der Tafel die wunderlichen Figuren zeichnend die neue Wissenschaft mitteilte.“ (Schrader 138). Der Vorgang ist ein wunderschönes Exempel für die Einheit von Forschung und Lehre, die Gesenius pflegte.

Sein Erfolg in der Lehre war grandios, er hatte bis zu 500 Hörer. Einer seiner Studenten, R. Haym (1842, 4ff.), weiß zu berichten: „Mit welcher Frische und Fröhlichkeit wird die Sache angegriffen, welche Lebendigkeit durchdringt den ganzen Vortrag, der, wenn er äußerlich auseinanderfallend und bröckelnd erscheint, dennoch innerlich wie klar und zusammenhängend ist! Es gibt zunächst kritische Vorfragen und wie breitet sich da die ganze Sachlage so anschaulich vor uns aus; wie können wir Schritt für Schritt überall hin folgen; wie rücken uns all’ die Fragen und Antworten, die es hier gibt, so nahe: wir bilden uns ein, das kritische Spiel ein Jeder selbst in die Hand zu bekommen, es selbst zu üben. Jede Operation gelingt: so richtig und geschickt werden alle Griffe gethan. Welche Lust, hier zuzusehen! Wir sind bald so sehr in den Gegenstand hineingeführt, so ganz für ihn interessirt, daß uns der Stundenschlag viel zu früh kömmt. Indessen morgen und übermorgen und alle Tage wird wieder gelesen, und wir haben ein ganzes Triennium vor uns: gewiß, wir werden ihn fleißig besuchen.“

Die Universität Halle ließ es nicht zu, dass ihr weithin berühmter Professor 1830 durch Zitate aus Nachschriften seiner Vorlesungen in der Evangelischen Kirchenzeitung denunziert wurde. Zur Erinnerung an W. Gesenius wurde am 4.2.1850 die von E. Rietschel hergestellte Büste in der Aula der Universität Halle aufgestellt, wo sie noch heute steht.

Literaturverzeichnis

  • Donner, H., Dies diem docet. Wilhelm Gesenius (1786-1842) – der Vater der hebräischen Lexikographie, WZ Halle 36, 1987 H. 5, 104-111.
  • Eckstein, F.A., Art. Gesenius, Wilhelm, in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste I/64, Leipzig 1857, 3-9 (Digital).
  • Haym, R., Aus meinem Leben. Erinnerungen, Berlin 1902.
  • Haym, R., Gesenius. Eine Erinnerung für seine Freunde, Berlin 1842.
  • Gesenius, W., Philologisch-kritischer und historischer Commentar über den Jesaja, Leipzig 1821.
  • Miller, E.F., The Influence of Gesenius on Hebrew Lexicography (Contributions to Oriental History and Philology 11), New York 1927.
  • Schrader, W., Geschichte der Friedrichs-Universität Halle II, Berlin 1894.
  • Smend, R., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989.
  • Zobel, H.-J., Wilhelm Gesenius – sein Leben und Wirken, in: ders.: Altes Testament – Literatursammlung und Heilige Schrift, hg. v. J. Männchen / E.-J. Waschke (BZAW 212), Berlin / New York 1993, 245-266.

Abbildungsverzeichnis

  • Büste von Wilhelm Gesenius. © Ernst-Joachim Waschke

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