Gnadenformel
(erstellt: April 2015)
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Der Begriff „Gnadenformel“ wurde 1990 von Hermann Spieckermann für eine Formulierung geprägt, die mit geringen Variationen mehrfach im Alten Testament belegt ist. Sie lautet in Ps 103,8
1. Belege
Siebenmal ist die vollständige Formel in unterschiedlichen syntaktischen Zusammenhängen belegt. Dabei gibt es Varianzen in der Reihenfolge von רַחוּם raḥûm „gnädig“ und חַנּוּן ḥannûn „barmherzig“ (רַחוּם raḥûm an erster Stelle in Ex 34,6
2. Traditionsgeschichte
Eine außerbiblische Vorgeschichte der ganzen Formel kann nicht erhoben werden. Weil in mehreren Belegen (Ex 34,6
Die Wurzel רחם rḥm für die Charakterisierung von Gottheiten als barmherzig ist im nordwestsemitischen Sprachraum zum ersten Mal auf der akkadisch-altaramäischen Stele von Tell Feḫerije greifbar. Der Gott Hadad-Sikan wird hier ’lh rḥmn zj tṣlwth ṭbh „der barmherzige Gott, den anzubeten gut ist“ genannt (KAI 309,5; Healey 1998, 351f.). Zur weiteren Wirkungsgeschichte der Formulierung, vor allem im Islam vgl. Healey 1998, Kiltz o.J.
Eine große terminologische Nähe zu Ex 34,6-7
3. Verhältnis der Belege zueinander
Ex 34 wird gern als zentrale Bezeugung gewertet, von der die anderen Belege abhängig sind (Franz 2003, Michel 2003). Bei einigen der Stellen ist es eindeutig, dass sie sich auf die Formel als allgemein bekanntes Traditionsgut zurückbeziehen (z.B. Jon 4,2
Darüber hinaus wird die Bedeutung der Gnadenformel für das → Zwölfprophetenbuch
Zur Rezeption der Gnadenformel bei → Jesus Sirach
4. Bedeutung für eine Theologie des Alten Testaments
Spieckermann geht von der Gnadenformel in der Gestalt und im Kontext von Ex 34,6-7
Sucht man Querbeziehungen zu anderen Texten des Pentateuch, so erweist sich Ex 34,6-7
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
2. Weitere Literatur
- Dentan, R.C., The Literary Affinities of Exodus XXXIV 6f, VT 13 (1963), 34-51.
- Feldmeier, R. / Spieckermann, H., Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011.
- Franz, M., Der barmherzige und gnädige Gott. Die Gnadenrede vom Sinai (Exodus 34, 6-7) und ihre Parallelen im Alten Testament und seiner Umwelt (BWANT 160), Stuttgart 2003.
- Healey, J.F., The Kindly and Merciful God. On Some Semitic Divine Epithets, in: M. Dietrich / I. Kottsieper (Hgg.), „Und Mose schrieb dieses Lied auf“. Studien zum Alten Testament und zum Alten Orient (FS Oswald Loretz; AOAT 250), Münster 1998,349-356.
- Kiltz, D., Statue aus Tell Fekheriye, in: www.corpuscoranicum.de/kontexte/index/sure/1/vers/1
(Zugriff: 2.4.2015). - Kottsieper, I., Art. El, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de
), 2013 (Zugriff: 2.4.2015). - Michel, A., Ist mit der „Gnadenformel“ von Ex 34, 6 (+7?) der Schlüssel zu einer Theologie des Alten Testaments gefunden? BN 118 (2003), 110-123.
- Renz, J., Die althebräischen Inschriften. Teil 1: Text und Kommentar (HAE 1), Darmstadt 1995.
- Scharbert, J., Formgeschichte und Exegese von Ex 34, 6f und seiner Parallelen, Bib. 38 (1957), 130-150.
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, Zugriff: 2.4.2015).
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