Göttersöhne
(erstellt: Oktober 2011)
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1. Begriff und Vorkommen
Der Terminus „Göttersöhne“ (בְּנֵי הָאֱלֹהִים bənê ha’älohîm in Gen 6,2
Neben der Bezeichnung בְּנֵ־הָאֱלֹהִים für „Göttersöhne“ / „Gottessöhne“ kennt das Alte Testament auch die Termini בְּנֵי אֵלִים bənê ’elîm „Göttersöhne“ (Ps 29,1
2. Religionsgeschichtlicher Hintergrund
Bei den bənê ha’älohîm handelt es sich begrifflich und gattungsmäßig eindeutig um himmlische Wesen, die ihren Ursprung in der kanaanäischen Vorstellung eines Pantheons haben. Darauf verweisen schon die etymologische Verwandtschaft mit ugaritisch bn ’il „Sohn / Söhne Gottes“ bzw. bn ’ilm „Sohn / Söhne der Götter“ und die starken Parallelen zur ugaritischen und phönizischen Tradition.
2.1. Die Keilschrifttexte aus → Ugarit
Die Söhne Els gelten als unsterblich. Ein besonderes Zeugnis stellt in diesem Zusammenhang ein Abschnitt aus dem Aqat-Epos dar, in dem die Göttin → Anat
„Da antwortete die Jungfrau Anat: / Wünsche dir Leben, oh Mann Aqat, / wünsche dir Leben, und ich werde es dir geben, / Nicht-Tod, und ich werde ihn dir senden. / Ich werde dich mit Baal die Jahre zählen lassen, / mit dem Sohn Els (bn ’il) die Anzahl der Monate.“
2.2. Von bn ’il „Gottessohn“ ist nach Parker (1999) der Ausdruck bn ’ilm „Göttersöhne“ (vgl. Ps 29,1
„[Baal] stand auf und spuckte aus inmitten der Versammlung der Götter“ (wörtl. „der Göttersöhne“ bn ’ilm).
Der gleiche Terminus taucht dann auch wieder in der phönizischen Inschrift des Königs Azitawadda auf (8. Jh. v. Chr.; KAI 26 A III:19):
„Baal des Himmels und El, der Schöpfer der Erde, und die ewige Sonne und der gesamte Rat der Göttersöhne …“
2.3. Diese Unterscheidung von Gottessöhnen und Göttersöhnen ist für das Verständnis des Ausdrucks bənê ha’älohîm relevant, da er als Plural „Göttersöhne“ wie als Singular „Gottessöhne“ aufgefasst werden kann. Sprechen die einschlägigen Textstellen von Göttern, die als polytheistische Rudimente in die israelitische Religion eingegangen sind, oder soll „Gottessöhne“ eine Abhängigkeit und Subordination unter den höchsten Gott (JHWH-)Elohim hervorheben? Diese Frage können nur der Kontext und die jeweilige Stellung, welche die bənê ha’älohîm gegenüber Gott einnehmen, beantworten.
3. Göttersöhne im Alten Testament
3.1. Göttersöhne als selbständig agierende Wesen
3.1.1. Gen 6,1-4
In der biblischen → Urgeschichte
„Da sahen die Göttersöhne die Menschentöchter, denn sie waren schön (ṭovot), und sie nahmen sich zu Frauen, welche sie sich ausgesucht hatten.“
Das Ergebnis dieser Verbindungen ist ein (motivgeschichtlich immer noch rätselhaftes) Heldengeschlecht (gibborîm, Gen 6,4
3.1.2. Dtn 32
Der ursprüngliche Text von Dtn 32,8
„Als der Höchste (‘æljôn) den Nationen ihren Erbbesitz zuteilte, als er die Menschen voneinander schied, bestimmte er die Gebiete der Völker nach der Zahl der Göttersöhne.“
Hinter diesem ursprünglichen Text steht wohl die traditionsgeschichtlich alte Vorstellung von Nationalgöttern, die unter dem „höchsten Gott“ (’el ‘æljôn), jeweils für bestimmte Länder und Völker zuständig sind.
3.2. Göttersöhne als auf den höchsten Gott hingeordnete Wesen
3.2.1. Hiob
In Hi 1,6
„Und es geschah an dem Tage, als die Göttersöhne (bənê ha’älohîm) kamen, um sich vor JHWH einzufinden …“ (Hi 1,6
Zugleich besitzen die Göttersöhne jedoch eine eigene Kompetenz und gewisse Befugnisse, die sie von JHWH unabhängig ausüben können (vgl. auch die Vision des → Micha ben Jimla
Eine weitere wichtige Funktion der Göttersöhne des himmlischen Thronrats ist der Lobpreis der Schöpfungswerke JHWHs (Hi 38,6f
3.2.2. Ps 29 und Ps 89
In Ps 29,1f
„Gebt JHWH, ihr Göttersöhne, / gebt JHWH, Ehre und Stärke! / Gebt JHWH die seinem Namen angemessene Ehre! / Werft euch nieder vor JHWH in heiligem Schmuck!“
In vergleichbarer hymnischer Form wird in Ps 89,6f
„Denn wer im Gewölk kann mit JHWH verglichen werden, / ist vergleichbar mit JHWH unter den Göttersöhnen (bənê ’elîm)?“ (Ps 89,7
Auf diese Weise werden Motive, die einem monolatrisch ausgerichteten Gottesbild entstammen, zum Mittel, die besondere (bereits monotheistisch ausgerichtete) Souveränität JHWHs auszudrücken.
3.2.3. Dan 3,25
Das späte → Danielbuch
Er (Nebukadnezar) antwortete und sprach: Ich sehe aber vier Männer ungefesselt und unversehrt im Feuer umhergehen, und der vierte sieht aus wie ein Göttersohn / Gottessohn.“
3.3. Die besondere Stellung der Göttersöhne in Ps 82
Die Göttersöhne, die als „Söhne des Höchsten“ (‘æljôn) in Ps 82,6
Dass der höchste Gott – hier mit den Prädikaten El und Eljon belegt – (zumindest terminologisch) vom israelitischen Gott (JHWH-)Elohim unterschieden wird, weist darauf hin, dass es dem Psalm um die Ablösung von einem polytheistisch ausgerichteten Pantheon zugunsten der Souveränität des einen Gottes (JHWH-)Elohim geht: Erst in V. 7 und 8 erweist sich Elohim als Souverän, indem er das Todesurteil über die Götter spricht, deren Macht übernimmt und so Herrscher über die ganze Welt wird. Hier zeigt sich, dass die Vorstellung von Nationalgöttern aus Dtn 32,8f
Überlieferungsgeschichtlich muss es dabei wie in Gen 6,1-4
3.4. Zusammenfassung
Göttersöhne erscheinen im Alten Testament einerseits als Rudimente eines polytheistischen Göttersystems – so besonders deutlich in der ursprünglichen Fassung von Dtn 32,8
Immer wieder ist versucht worden, traditionsgeschichtliche Entwicklungslinien innerhalb der Vorstellung von einem himmlischen Pantheon zu ziehen:
● Stufe A: selbstständige himmlische Wesen, d.h. „Götter“;
● Stufe B: Subordination von „Gottessöhnen“ unter (JHWH-)Elohim;
● Stufe C: Engel.
Auch wenn entsprechende Grundzüge im Alten Testament vielleicht erkennbar sind, bleibt die Schematisierung angesichts der Datierungsprobleme vieler Texte unsicher (v.a. Gen 6,1-4
4. Wirkungs- und Auslegungsgeschichte
4.1. Judentum
Im Frühjudentum, seit etwa dem 3. Jh. v. Chr., gilt der Terminus „Göttersöhne“ v.a. als Synonym für „Engel“ und wird oft durch diesen Begriff ersetzt, weil er unter den Vorzeichen des jüdischen Monotheismus anstößig wirkt. So gibt die Septuaginta an einschlägigen Textstellen wie Hi 1,6
Während der Terminus „Göttersöhne“ allmählich obsolet wird, wird der Begriff „Gottessöhne“ nun für (menschliche) Gerechte verwendet, die Gottes Weisung beachten (Weish 2,18
Auch das spätere rabbinische Judentum deutet die alttestamentlichen „Göttersöhne“ als Engel (so z.B. die Rezeption von Gen 6,2
4.2. Christentum
Das Neue Testament knüpft an frühjüdische Vorstellungen an: Einerseits leben die „Göttersöhne“, auch wenn der Begriff nicht mehr erscheint, weiter, indem die frühjüdische Engeldeutung weitgehend übernommen wird. „Söhne / Kinder Gottes“ (υἱοὶ θεοῦ) meint jetzt – in Anlehnung an die jüdischen „Gerechten“ – die Gemeinschaft derer, die zu Jesus gehören (vgl. Gal 3,26
In der christlichen Wirkungsgeschichte des Mittelalters ist besonders die Deutung des Thomas von Aquin (Summa Theologica III 23,3) interessant, der davon ausgeht, dass die Engel wie die in Liebe und Gnade lebenden Menschen „Söhne Gottes“ genannt werden, weil sie beide(!) von Gott „an Kindes statt angenommen“ worden sind.
In dem vom Puritanismus geprägten Epos „Das verlorene Paradies“ von John Milton (1608-1674) findet sich wie im rabbinischen Judentum bei der Rezeption von Gen 6,1-4
Literaturverzeichnis
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- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004 (ben)
2. Weitere Literatur
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