Gotteskindschaft (AT)
(erstellt: Mai 2015)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/84316/
→ Eltern
1. „Gotteskindschaft“ als anthropologische Metapher
Der abstrakte Begriff υἱοθεσία hyiothesia „Gotteskindschaft“ (wörtl. „Gottessohnschaft“) findet sich in den biblischen Texten nur bei Paulus (Röm 8,15.23
Dabei findet sich einerseits der bloße Vergleich zwischen dem Verhältnis eines Vaters zu den Kindern und JHWHs zu denen, die ihn fürchten (Ps 103,13
2. Götter, Heroen und Könige als Söhne Gottes
Von solchen umfassenden Aussagen lässt sich die Gottessohnschaft herausgehobener Personen abgrenzen. Die Vorstellung einer physischen Vaterschaft findet sich bezogen auf Götter als Väter anderer Götter (etwa → El
In Ägypten wird die Gottessohnschaft der Pharaonen seit der 12. Dynastie als Folge ihrer Erwählung statt als physische Abkunft verstanden (vgl. Pahnke / Seiwert, 301). In ähnlichen Spuren bewegen sich die alttestamentlichen Texte, die metaphorisch vom → König
● 2Sam 7,14
● Ps 2,7
3. Israel / Israeliten als Kind(er) Gottes
3.1. Aspekte der Gotteskindschaft Israels
Um die Gotteskindschaft als Verhältnisbestimmung, die immer wieder auch um den Bundesgedanken (→ Bund
● In dieser Personifikation Israels kann das Kind selbst zu Wort kommen. Jer 31,9
● Diese emotionalen Aspekte der Kindschaft bringt auch Hos 11 zum Ausdruck, ebenfalls bezogen auf den Exodus als Idealzeit und Idealbild der Beziehung Gottes zu seinem Volk: Der Liebe korrespondiert die Befreiung aus Ägypten (Hos 11,1
● Dass sich das fürsorglich aufgezogene, älter gewordene Kind von seinem Gott und Vater abwendet, beklagen schon die Eingangsverse des Jesajabuches (Jes 1,2
Als Söhne und Töchter Gottes werden dann auch die zu Gott (Hos 2,1-3
3.2. Ethische Konsequenzen
Die Gotteskindschaft wirkt sich in verschiedener Hinsicht ethisch aus. Wie die Eltern geehrt werden sollen (Ex 20,12
4. Einzelne als Kinder Gottes
In späten Texten werden Einzelne, insbesondere unter der Bezeichnung als „Gerechte“, aber auch der Arme und die Waise zum Kind Gottes – was damit sowohl die Besonderheit der Gottesbeziehung beschreibt als auch Züge eines ehrenvollen Titels erhält. Im Feindzitat schildern die Widersacher in Weish 2,10-20
In späten Texten findet sich auch die Anrede Gottes als Vater im Gebet des Einzelnen, die neutestamentlich fortgeführt wird (Sir 23,1
5. Grenzen der Metapher
Die Metapher der Gotteskindschaft ist im Blick auf die Geschlechterdimension inklusiv angelegt, auch wenn in der Rezeption die väterlich-männliche Linie lange im Vordergrund stand. Doch Bundesschluss und Erwählung gelten den Söhnen und Töchtern, auch wenn nur von Söhnen die Rede ist. Von Seiten Gottes betont sie die Fürsorge des Mächtigeren, die sich in Erziehung, Herrschaft und Zuwendung konkretisiert. Vom Volk, den Töchtern und Söhnen, wird ein dementsprechendes Verhalten gefordert.
In der Rezeptionsgeschichte zeigt sich die Offenheit der Metapher in verschiedener Hinsicht. So wird sie in der Reformationszeit neu begründet. Die Gotteskindschaft gründe in der Taufe bzw. der Erwählung: „Denn Gottes Namen ist uns gegeben, weil wir Christen worden und getauft sind, daß wir Gottes Kinder heißen“ (Luther, Auslegung des Vaterunser im Großen Katechismus, Bekenntnisschriften der Lutherischen Kirche, 670). Sie fordere ein dem Kindesverhältnis entsprechendes Verhalten: „Denn weil wir in diesem Gebete Gott unseren Vater heißen, so sind wir schüldig, daß wir uns allenthalben halten und stellen wie die frommen Kinder“ (ebd., 671). Eck betont dagegen Anfang des 20. Jh.s „die Natürlichkeit und Aufgeschlossenheit des Kindes“ (1591f.) und stellt somit eine andere Perspektive auf die Kindheit in den Vordergrund. Für die Entstehungszeit der Texte lässt sich wenig Wertschätzung des Kindes und der Kindheit als eines (konstruierten) Lebensabschnittes annehmen. Dementsprechend treten Kinder und ihre Lebenssituation in den Texten lediglich indirekt in den Blick. So begegnet etwa die Kleinkindphase nur metaphorisch (Hos 11
Heute ist die festgeschriebene Hierarchie von unmündigem Kind und Erzieher, die Betonung der kindlichen Abhängigkeit, sowie göttlicher Herrschaft und Fürsorge anstößig. Das Erwachsenwerden eines Kindes als positive und notwendige Entwicklung tritt in der biblischen Metaphorik ebenso wenig in den Blick wie ein Fehlverhalten der Eltern. Die Metapher setzt damit ein Idealbild voraus.
Diese starke Bildhaftigkeit sollte vor vorschnellen Eintragungen der jeweils aktuellen Perspektive auf Kindsein und Elternschaft warnen. Sie kann umgekehrt hilfreich sein, wo die Identifikation von Gottesvolk / Glaubendem und Kind heute problematisch erscheint oder ist. Denn in erster Linie ist die Gotteskindschaft in den biblischen Texten ein Relationsbegriff, dem eine hohe Emotionalität eignet, die sich am sinnvollsten im Bild einer der engsten menschlichen Beziehungen ausdrücken lässt.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979 (παῖς C; υἱός / υἱοθεσία)
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979 (Kind)
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (בֵּן)
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Kind)
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004 (בֵּן)
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Kindschaft Gottes)
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. u.a. 1993-2001
- Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994 (Kind)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006 (Kind)
2. Weitere Literatur
- Back, F., 2012, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium (WUNT II 336), Tübingen
- Böckler, A., 2000, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh
- Ebner, M. / Hanson, P.D. u.a. (Hgg.), 2002, Gottes Kinder (JBTh 17), Neukirchen-Vluyn
- Eck, S., Art. Gotteskindschaft, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Tübingen 1910, Bd. 2, 1590-1597.
- Lutterbach, H., 2003, Gotteskindschaft. Kultur- und Sozialgeschichte eines christlichen Ideals, Freiburg / Basel / Wien
- Pahnke, D. / Seiwert, H., Art. Vatergott, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (HrwG), Bd. 5, Stuttgart 2001, 300-303.
- Peeler, A.L.B., 2014, You are my Son. The Family of God in the Epistle to the Hebrews (Library of New Testament Studies 486), London / New York
- Rusam, D., 1993, Die Gemeinschaft der Kinder Gottes. Das Motiv der Gotteskindschaft und die Gemeinden der johanneischen Briefe (BWANT 7), Stuttgart
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)