Greßmann, Hugo
(1877-1927)
(erstellt: März 2009)
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1. Leben
Hugo Ernst Friedrich Wilhelm Greßmann wurde am 27.3.1877 als Sohn eines Banhofsverwalters in Mölln geboren und wuchs in Travemünde auf. Nach dem Schulbesuch in Lübeck studierte er Theologie in Greifswald, Göttingen, Marburg und Kiel. Für das Alte Testament gewann ihn schon in Greifswald Friedrich Giesebrecht; zu seinen weiteren Lehrern im Fach zählten → Julius Wellhausen
Sein Debüt als Alttestamentler gab Greßmann 1898. Die Göttinger Philosophische Fakultät, der das Alte Testament in Göttingen zugeordnet war, hatte 1897/98 – also kurz nachdem der ehemalige Göttinger Bernhard → Duhm
1906 ging Greßmann für acht Monate als Mitarbeiter Gustaf Dalmans an das Deutsche Evangelische Institut für die Biblische Altertumswissenschaft nach Jerusalem. 1907 wurde er als Nachfolger Gunkels außerordentlicher, 1921, nachdem er einen Ruf nach Gießen abgelehnt hatte, ordentlicher Professor für Altes Testament in Berlin. 1924 übernahm er die Herausgeberschaft der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, die unter seiner Ägide in der „Neuen Folge“ programmatisch Archäologie, Religionsgeschichte und den altorientalischen Kontext des Alten Testaments in den Vordergrund stellte und sich vom „literarkritischen Zeitalter“ verabschiedete (so Greßmann, Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, 8f.).
Besonders zu würdigen ist Greßmanns Wirken als Direktor des Institutum Judaicum Berolinense: Das Institut wurde 1883 von Hermann Lebrecht Strack mit dem Ziel gegründet, durch ein vertieftes Verständnis jüdischer Religion und Kultur die Mission unter Juden zu fördern. Nach dem Tod Stracks wurde das Institut der Theologischen Fakultät angegliedert und erlebte unter der Leitung Greßmanns ab 1923 eine programmatische Neuausrichtung: Ziel war nun nicht mehr die Judenmission, sondern die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum, zu der dann auch konsequenterweise der Dialog mit jüdischen Forschern gehörte.
Dieser Dialog führte Greßmann dann im Februar und März 1927 als ersten nichtjüdischen Gelehrten auf eine Gastprofessur an das Jewish Institute of Religion in New York. Im Anschluss an diese Gastprofessur erkrankte er während einer Vortragsreise in den USA an einer Lungenentzündung, an deren Folgen er am 7.4.1927 in Chicago verstarb.
2. Werk
„Auf das literarkritische ist das vorderorientalische Zeitalter gefolgt.“ Anhand dieses programmatischen Satzes Greßmanns (Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, 8f.) lässt sich seine forschungsgeschichtliche Position beschreiben: Die im ausgehenden 19. Jh. intensiv betriebene Literarkritik (→ Bibelauslegung, historisch-kritische
2.1. Eschatologie
Galt in der Forschung des ausgehenden 19. Jh.s die alttestamentliche → Eschatologie
Weit mehr fremden Charakters sind die Vorstellungselemente der Heilsprophetie (242), deren mythologischen Wurzeln überwiegend im Dunkeln bleiben (244), aber ebenso weit zurückreichen dürften wie die der Unheilsprophetie. Indem mit ihr wieder das Heil in den Vordergrund tritt, vollzieht die Heilsprophetie eine Rückkehr zur zentralen Aussage der überkommenen „populären Eschatologie“ (236); zur Brücke zwischen Unheils- und Heilsprophetie wird dabei der Gedanke von dem der Katastrophe entronnenen Rest (237.242f.).
Als „ganz spezielle Figur“ (286) der alttestamentlichen Eschatologie begegnet schließlich der Messias; dieses Thema rückt dann bei der von H. Schmidt 1929 postum herausgegebenen Neubearbeitung „Der Messias“ in den Vordergrund (dazu ausführlich Kraus, 305-308). Den Ursprung der → Messiasvorstellung
2.2. Mose und seine Zeit
Greßmanns Studie „Mose und seine Zeit“ (s. dazu auch Smend 1959, v.a. 16-19) bietet entsprechend dem Untertitel „Ein Kommentar zu den Mose-Sagen“ im ersten umfänglichen Teil (I. Analyse der Überlieferung,1-344) eine ausführliche Exegese der entsprechenden Überlieferungen des Pentateuch, dem sich dann eine Zusammenfassung der literar-, profan- und religionsgeschichtlichen Ergebnisse (II-IV, 345-480) anschließt.
Grundsätzlich hält Greßmann hier an den erreichten literarkritischen Ergebnissen in Gestalt der Neueren Urkundenhypothese fest (368f.; → Pentateuchforschung
Selbst die Charakterzüge Mose schimmern durch die alte Überlieferung hindurch: „Welcher ungehörten Energie bedurfte Mose, um sein Ziel zu erreichen! … Von seiner erstaunlichen Arbeitskraft weiß die Sage vielfach zu erzählen. … Aber zu der Kraft gesellt sich die Klugheit, die von der Sage oft veranschaulicht wird.“ (479) Darin unterliegt Greßmanns Darstellung freilich dem Persönlichkeitsideal des 19. Jh.s.
2.3. Altorientalische Texte und Bilder
Die von Greßmann herausgegebenen „Altorientalische(n) Texte und Bilder zum Alten Testament“ (AOT bzw. AOB – in erster Aufl. 1909, in zweiter grundlegend überarbeiteter Aufl. von 1926/27) wurden über lange Zeit zu einem unentbehrlichen Standardwerk. Ziel des Werkes ist, die „Vergleichung der Kultur Israels mit den anderen Kulturen des vorderen Orients“ zu fördern (AOT VII). Mit den Ausgrabungen und Entzifferungen altorientalischer Texte im 19. und beginnenden 20. Jh. waren die Nachbarkulturen Israels stärker denn je in den Blick getreten – die Sammlung will nun Dokumente dieser Kulturen einem breiteren Publikum zugänglich machen.
Dies geschieht in erster Linie nach dem Maßstab der Objektivität und Zuverlässigkeit. Im Sinne der Objektivität wird das Material ohne weitergehende Deutung lediglich präsentiert und nur zurückhaltend auf alttestamentliche Texte appliziert; die Einleitungen Greßmanns wollen dabei dem interessierten Laien nicht mehr als eine erste Orientierung ermöglichen. Für die wissenschaftliche Qualität der Textausgabe bürgen die beteiligten namhaften Orientalisten Ranke, Ungnad (nur in der ersten Aufl.), Ebeling und Rhodokanakis. In zweiter Linie soll eine möglichst weitgehende Vollständigkeit erreicht werden – bei der wegen der Fülle des Materials unumgänglichen Auswahl sollen die jeweiligen Nachbarkulturen Israels möglichst ausgewogen präsentiert werden (AOT VIIff.).
Zur Textsammlung tritt in einem eigenen Band unterteilt in Erläuterungen und Bildtafeln die Sammlung altorientalischer Bilder (AOB) für die dieselben Maßstäbe gelten. Greßmann versteht die Bilder als gleichberechtigte wie ebenso interpretationsbedürftige Ergänzung zu den Texten: „beide gehören notwendig zusammen, bedingen, ergänzen, prüfen und bestätigen sich gegenseitig.“ (AOB VIII)
Den Rang des Werkes über seine Aktualität hinaus verdeutlicht seine unter Variationen fortgeführte Konzeption in den „Ancient Near Eastern Texts and Pictures Relating to the Old Testament“ (hg. v. J.B. Pritchard) und in den „Texten aus der Umwelt des Alten Testaments“ (hg. v. O. Kaiser; Neue Folge von B. Janowski / G. Wilhelm) (s. Smend 1989, 178f.).
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
2. Werke (in Auswahl)
Eine ausführliche Bibliographie bietet G. Sprondel, ZAW 69, 1957, 211-228, ergänzt durch W. Baumgartner, ZAW 74, 1962, 213.
- Ueber die in Jes. C. 56-66 vorausgesetzten zeitgeschichtlichen Verhältnisse, Göttingen 1898
- Musik und Musikinstrumente im Alten Testament: eine religionsgeschichtliche Studie (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 2,1), Gießen 1903
- Studien zu Eusebs Theophanie (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 23,3), Leipzig 1903
- Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie (FRLANT 6), Göttingen 1905
- Mose und seine Zeit. Ein Kommentar zu den Mose-Sagen (FRLANT 18), Göttingen 1913
- Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, ZAW 42, 1924, 1-33
- Altorientalische Texte zum Alten Testament. In Verbindung mit E. Ebeling, H. Ranke, N. Rhodokanakis hg. von H. Gressmann, 2. Aufl., Berlin / Leipzig 1926
- Altorientalische Bilder zum Alten Testament. Gesammelt und beschrieben von H. Gressmann, 2. Aufl., Berlin / Leipzig 1927
3. Weitere Literatur
- Archiv „Religionsgeschichtliche Schule“
- Gedächtnisworte Titius, Robinson, Sellin, Hempel, ZAW 45, 1927, I-XXIV
- Gunkel, H., 1928, Art. Greßmann, Hugo, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, 2. Aufl., Tübingen, Sp.1454
- Klatt, W., 1969, Ein Brief von Hermann Gunkel über Albrecht Eichhorn an Hugo Greßmann, ZThK 66,1-6
- Kraus, H.-J., 1956, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments von der Reformation bis zur Gegenwart, Neukirchen-Vluyn
- Smend, R., 1959, Das Mosebild von Heinrich Ewald bis Martin Noth (Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese 3), Tübingen
- Smend, R., 1989, Hugo Greßmann (1877-1927), in: ders., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen, 173-181
- Thiel, W., 1977, Zum 100. Geburtstag Hugo Greßmanns, Standpunkt 5, 302f.
Abbildungsverzeichnis
- Hugo Greßmann. Aus: ZAW 45, 1927, I
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